Ein Strauß seltener Pflanzen

DES HEIMATKREISES

VON LEHRER HERBER

Unlängst prägte ein hervorragender Forscher und Kenner unseres Kreises und der Heimat weit über seine Grenzen hinaus den Satz: „Die Krone der Eifel aber ist der Kreis Ahrweiler!" Das ist nicht übertrieben gesagt. Kostbare Perlen birgt diese Krone!

Betrachten wir diesmal nur eine aus ihrer Fülle: Seltene Kinder der Heimatflora. Dennoch treten sie uns überaus mannigfaltig in ihren Arten entgegen, meistens gebunden an bestimmte, oft nur einige Geviertmeter große Standorte.

Welches sind wohl die tieferen Ursachen dafür?

Zunächst scheinen verschiedene Arten Relikte zu sein aus jenen geologischen Zeiträumen, in denen das Klima einem, wenn auch unendlich langsamen, aber steten Wechsel zwischen alpinem und tropischem Charakter unterworfen war, den für unser Gebiet angenommenen drei Eiszeiten mit ihren Zwischeneiszeiten und viel älteren Entwicklungsperioden der Erde. Bei anderen Arten mag das Vorhandensein oder Fehlen gewisser Bodenbestandteile, die für ihre Vegetation unerläßlich sind oder schädlich wirken, aus- ' schlaggebend sein.1) Hinzu kommen Pflanzen, die zum Schutz bei Befestigungsanlagen aus der Kelten-, Römer- und Germanenzeit angesiedelt wurden, auch solche, die vor Jahrhunderten von den Klöstern und Herren der Burgen und Schlösser oder von dem Landvolk als Zier-, Nutz-, Heil- und Gemüsepflanzen angebaut wurden und dann verwildert, heute ein kärgliches Dasein fristen.

Zu seinen ersten Boten, die der nahende Frühling ausschickt, gehört der Seidelhast, Daphne mezerum. Schon im März, da Baum und Busch noch nackt und kahl stehen, leuchten an schattigen, etwas feuchten Stellen seine rosenroten, dich tan den blätterlosen Ruten sitzenden, betäubend süß duftenden Blüten. Wilder Flieder heißt dei; Volksmund dieses in allen Pflanzenteilen giftige Gewächs. Besonders die roten Früchte enthalten in starker Dosis Daphnin, jenen Giftstoff, der Zinn gelb und Eisen grün färbt. Der Genuß der Beeren in großen Mengen bringt unweigerlich den Tod, in kleinerem Quantum jedoch verursacht er besonders in Mund und Hals ein brennendes Kratzen, weshalb der Seidelbast auch Kellerhals genannt wird. Nun hat dieser sonderbare Name mit dem Keller nichts Verwandtschaftliches; vielmehr ist eine Abwandlung: Qual dem Hals, Halsquäler, Quällerhals, Kellerhals leicht anzunehmen. Früher diente der Seidelbast in der Volksmedizin gegen Gicht, Zahnweh und Blutandrang nach dem Kopfe. Daphne mezerum steht unter Naturschutz. Im Sinziger Wald wächst der sehr seltene Lorbeerseidelbast (Daphne laureola). Auch finden wir dort eine der schönsten deutschen Orchideen, den farbenprächtigen Frauenschuh (Cypripedum calceolus).

1) Ein dreijähriger Einbürgerungsversuch an einem Ort der mittleren Ahr mit je zwölf Exemplaren der Stinkenden Nieswurz (Heleborus foetidus), entnommen aus der Gegend um Boppard am Rhein, also aus einem Gebiet mit gleichgeartetem Weinklima und scheinbar gleicher Bodenbeschaffenheit, schlug mir restlos fehl.

Wie ein riesiger Steingarten wirken die bizarren Felsen der mittleren Ahr, besonders im Frühjahr, wenn aus dem Grau der Klippen und dem zarten Grün des dürftigen Gdhecks sattgelbe Polster uns entgegenschimmern. Es sind die Blüten der Brillenschote, Biscutelle laevigata. Obschon die einzige Art ihrer Gattung in ganz Deutschland selten vorkommt, wächst sie im Ahrtal in verschwenderischer Fülle. Brillenschote 'heißt dieser niedrige Kreuzblütler; seine Früchtchen haben ihm einen treffenden Namen gegeben, da die Schoten die Form einer Brille haben.

Dicht daneben, besonders in den Felshängen bei Altenahr und Altenburg, jedoch nur hier und da, auf meergrünen Stielchen rosa Kissen bildend, duftet uns die Pfmgstnelke, Dianthus caesius, entgegen. Wohl mag ihr feiner, pfefferartiger Geruch der Grund dafür sein, daß dfe-ses zarte Blümchen auch vereinzelt in Gärten und auf Friedhöfen gefunden wird.

Ebenfalls seinen Namen anlehnend an das „liebliche Fest", ziert das Pfingströschen, auch Himmelfahrtsblümchen, Antennaria dioica, genannt, die im Frühjahr noch eintönige, magere Eifelheide. Aus seidig-wolligen Stengelchen, heben sich, zart in Filz eingebettet, die weißen, mehr aber rötlichen Blütenkörbchen empor. Wer denkt nicht beim Anblick dieses Blümchens, dessen naher Verwandter das

Edelweiß der Alpen ist, an die rosigen Pfotenbällchen junger Katzen? Mit Recht trägt es darum auch den Namen Katzenpfötchen.

Der Sahrauel, eine Flur etwa einen Kilometer oberhalb Kreuzberg, im unteren Sahrtal gelegen, ist der Standort einer ganz merkwürdigen Pflanze, der Osterluzei, im Volksmund Üeschelezei genannt. Osterluzei ist nichts weiter als eine Verdeutschung ihres lateinischen Namens Ari-stolochia. Auch sie wieder ist die einzige wildwachsende Art ihrer Gattung in Deutschland. Schon von weitem glänzen die großen fettgrünen, herzförmigen Blätter dieses etwa 0,5 m hohen, unausrottbaren Unkrautes zwischen den Halmen der Getreidefelder auf einem engbegrenzten Raum. Ihre gelben, büschelig gestellten Blüten sind ein Musterbeispiel für die oft „raffinierte" Gestaltung zur unbedingt garantierten Fremdbestäubung ausschließlich durch Insekten. Sie bilden ein Rö'hrchen, dessen löffelförmige Zunge erbreitert ist. Im Innern des Röhrchens stehen, schief nach unten gerichtet, Haare, die wie eine Fischreuse wirken oder zu vergleichen sind mit dem sich nach innen verengenden Einschlupf alter Mausefallentypen. Das kleine Insekt, das einmal den Weg in das Röhrchen angetreten hat, muß, ob es will oder nicht, weiter. Schließlich erreicht es das kugelige Ende der Blüte. Es kann sich nun laben am köstlichen Nektar im geheizten „Gastzimmer",2) in dem die Beutelchen mit den Pollen fein säuberlich verschlossen sitzen. Zwischen ihnen steht eine mehrfach geteilte Narbe. Bei dem ständigen Hin- und Herrennen gelangt mitgebrachter Blutenstaub, von Besuchen anderer Blüten an dem Körper des Tierchens haftend, auf die Narbe. Die Bestäubung ist erreicht. Die Narben welken und vergehen. Die bis dahin sorgsam verschlossen gehaltenen Staubbeutelchen öffnen sich und bepudern verschwenderisch das Tierchen. Die Haare des Blütenröhrchens schrumpfen ein und lassen den Gast, der mit Pollen schwer beladen ist, unbehindert ins Freie. Dann senkt sich die Zunge der Blüte und verschließt die Röhre gegen weiteren, nunmehr unnötig gewordenen Insektenbesuch. Schon im Altertum stand die Osterluzei im Ruf einer wirksamen Heilpflanze. Ihr Name verrät das schon: aristo = der Beste; lochios = bei der Geburt helfend. Karl der Große empfahl den Anbau und im späteren Mittelalter noch wurde sie als Heilpflanze kultiviert. Das mag auch der Grund gewesen sein, daß sie heute noch mancherorts im „Krautwisch" nicht fehlen darf.

2) Jüngste Forschungen stellten die erstaunliche Tatsache fest, daß die Innentemperatur der Blüte einige Grade höher ist als die Außentemperatur.

Sich gleichsam ängstlich duckend vor der Menge ihrer Schwestern, der Heidelbeere, und erst dann, wenn Fuchs und Maus und Amsel die letzten blauen Beeren hier und dort zusammensuchen, wagt die Preiselbeere, Vaccinium vitis idaea, zwischen immergrünen Lederblättchen ihre Blütenglöckchen in endständigen Trauben zu öffnen. Spät im Herbst mag es dann auch glücken, an den Nordhängen des Schöneberges und am Steckenberg bei Altenahr in 670 m Höhe einige Becher ihrer roten, durch den starken Gehalt an Zitronensäure herben Früchte zu ernten. Sie geben ein überaus pikantes Kompott, das Feinschmecker zu Rindfleisch bevorzugen.

An gleicher Stelle kriecht versteckt das Schlangenmoos, der Kolbenbärlapp, Lycopodium clavatum. Seine Ahnen bildeten im Paläozikum (Alte Lebenswelt) der Erdgeschichte mit Farnen und Schachtelhalmen riesige Wälder. Das mag vor etwa 350 Millionen Jahren gewesen sein. Wie schmächtig sind die heutigen Überreste! Als ob der Bärlapp, jene ehemals gigantische Pflanze, immer wieder versuche, noch einmal eine maßgebliche Rolle in der Pflanzenwelt zu erringen, streckt er kläglich seine meist zu zweien stehenden, sporentragenden Kolben zur Sonne. Hexenmehl, Bärlappsamen nennt der Volksmund die Sporen. Die dienten als Puder beim Wundsein der Kinder. Apotheker benutzen sie dann und wann zum Bestreuen von Pillen. Eine zweite Art, der Flache Bärlapp, L. chamaecyparissias, wird kaum mehr 5 cm hoch. Auf einem Plätzchen von nur knapp 2 qm wachsend, gehört er zur Flora des Schöneberges.

Während die Volksmedizin früherer Zeiten das Hexenmehl, also die Sporen des Bärlapp, zum Pudern benutzte, dienten die ganzen Blätter der Hirschzunge, Scolopendrium vulgäre, dem gleichen Zweck. Die Hirschzunge ist eine Farnart mit großen, ungeteilten, länglichen Blättern - der Name ist treffend - auf deren Unterseite die schmalen Sori oder Sporangien, die Sporenträger, sitzen. Dem Besucher des Pfarrgartens zu Altenahr fallen die prächtigen Schöpfe der Hirschzunge besonders auf. Wild wächst sie an einer kleinen Stelle am Weg von Mayschoß zum Schrock. Auch sie steht unter Naturschutz.

Kaum zwei Ar groß ist das schattige Plätzchen in einer Schlucht bei den sog. „Heidenieyen" im Atzbachtal zwischen Kassel und Watzel, auf dem Lunaria redeviva, das Spitze Silberblatt, üppig wächst. Es ist ein Kreuzblütler, der mit seinem direkten Verwandten, dem Judassilberling, zu den typischen Blumen des Bauerngartens gehörte. Die ausgereiften Schotenhäutchen, silberglänzend, schmückten, mit Tannengrün gemischt, ehemals zur Winterzeit Heim und Altar.

Zu den „Bösen Beeren" gehört die Vierblätterige Einbeere, Paris quadrifolia. Aus einer grünlichen Blüte geworden, exakt gesteckt im Schnittpunkt von nur vier Blättern, glänzt im Sommer die verführerische schwarze Beere auf einem niedrigen Stengel. Als wiederum einzige deutsche Ar tihrer Gattung reift sie ganz vereinzelt im schattigen, feuchten Wald. Schon der Genuß zweier Beeren erzeugt Übelkeit, Brechdurchfall, Verengung der Pupillen, Empfindungsschwäche u. Kopfschmerz. Dem Vogelmagen schadet sie durchaus nicht.

Weit gefährlicher ist die Tollkirsche, Atropa belladonna. In den Traßbrüchen des Brohltales, im Birnbachtal bei Niederadenau, in den Seitentälchen des Sahrbaches ist sie zu finden.

Wintersport
Foto: Lorenz

An oft mannshohen Stauden mit großen, saftiggrünen Blättern treiben violettbraune, glockige Nachtschattenblüten, aus denen sich braunschwarze Beeren entwickeln. Ihr kirschenähnliches Aussehen reizt wohl die Kinder zum Naschen der gefährlichen Früchte, die in großer Menge Atropin enthalten, ein giftiges Alkaloid, das der Augenarzt zum Erweitern der Pupillen bei Augenuntersuchungen gebraucht. Bella donna! Schöne Frau! Schon im 16. Jh. wurde der Saft der Beeren in der Kosmetik benutzt, und heute noch färben sich damit tschechische Mädchen die Wangen rot, während Italienerinnen durch Einträufeln von Atropin den dunklen Glanz ihrer Augen zu erhöhen versuchen.

In den Gärten des Ahrbogens zwischen Altenahr und Altenburg, die Pappenau genannt, finden sich alljährlich zur Sommerzeit einige Stauden des Gemeinen Stechapfels, Datura stramonium, einem nahen Verwandten der Tollkirsche. Nachtfalter trinken im Schwirrflug aus den großen, blendendweißen Blütentüten den Nektar. Wenige Wochen später hat sich dann die stachelige Frucht, einer Kastanie ähnlich, gebildet. Die weißen Samenkörnchen enthalten ebenfalls Atropin. Zigeuner sollen diese prächtige Giftpflanze nach Deutschland eingeschleppt haben.

Ein dritter sehr giftiger Vertreter der Nachtschattensippe steht vereinzelt im Schutt und Geröll des Rheinufers. Es ist das Schwarze Bilsenkraut, Hyoscyamus niger. Seine blaßgelben, violett geäderten Blüten sind besonders reizvoll. Die Medizin benötigt die Samen des Bilsenkrautes zur Herstellung eines schmerzstillenden Mittels, das bei Operationen Verwendung findet. In Belgien werden Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche feldmäßig angebaut.

Recht bunt schon ist der Strauß geworden. Doch fügen wir noch einige Arten hinzu!

Gerade das Rheinufer ist der Standort vieler nicht allzu häufiger Kinder der Flora. Da heben sich aus dem Meer einer überaus üppigen Vegetation hier und dort die blaßblauen Köpfe der Kugeldistel, Echinops sphaerocephalus. Ihr botanischer Name ist zwar ein Zungenbrecher, ihr kugeliger Blütenstand aber ein Meisterwerk der Architektin Natur. Vielfach wird sie in Gärten gehalten. In einem Berghang bei Pützfeld steht sie einsam zwischen Ginster und Brombeerranken.

Der Kugeldistel leistet Gesellschaft am Rhein der Rauhaarige Amarant, Amarantus retroflexus. Zu unscheinbaren, dichten, endständigen Rispen sind seine grünlichen Blütchen angeordnet. Bei seinem purpurroten Verwandten, dem Fuchsschwanz, der als Zierpflanze oft in Gärten oder Blumenkästen gepflegt wird, neigen sich die Blütenstände schlaff gebogen zur Erde. An einem anderen Verwandten, dem Hahnenkamm, der als Topfblume beliebt ist, sind durch künstliche Verbänderung (Fasciation) die Blütenstände zu hahnenkarnmartigen Schöpfen verwachsen.

Auf den Rheinwiesen zwischen Kripp und Remagen blüht ganz bescheiden die Akeleiblätterige Wiesenraute, Thaliktrum aquilegifolium. Überaus zart wirkt die Vielzahl der Staubgefäße dieses Hafanen-fußgewächses.

Dem Eisenbahnreisenden der Ahrstrecke fallen zwischen Dernau und Rech an beiden Seiten des hochgeführten Bahndammes Büsche auf, die übersät sind mit sonderbar dick aufgeblasenen, erst grünen, dann rötlichen, erbsenähnlichen Hülsen. Kinder pflücken gern die „Knalltotte" und freuen sich an dem lauten Knall beim Zerdrücken. Hier haben wir den Blasenstrauch, Colutea arborescens. Die gelbfärbenden jungen Blätter, die stark abführend wirken, dienen zur Fälschung von Sennesblättern.

In der gleichen Gegend, aber auf den nördlichen Ahrhöhen, wächst heckenartig Mespilus germanika, die Gemeine Mispel. Ihre kastanienbraunen Früchte werden von den Kindern gern gegessen, aber erst dann, wenn sie „fukackig", d. h. Venn sie vom Frost mürbe geworden sind. Unmittelbar in ihrer Nähe steht auch die Felsenbirne oder Felsenmispel, Amelanchier vulgaris, ein Strauch, dessen blauen heidelbeerähnlichen Birnchen der Jugend als Leckerbissen gelten.

Nicht vergessen werden darf die Türkenbundlilie, Lilium martagon. Ihr einziger Standort im Freien ist der Nordhang der Nürburgkuppe. Hier und da trifft man sie in Gärten an. Wegen ihrer Seltenheit steht sie unter Naturschutz.

Den gleichen Schutz genießen alle Enziane, von denen eine Art, der Fransenenzian, Gentiana ciliata, auf „Staufenburg" bei Kreuzberg, „Ob Dasemich" bei Pützfeld und auf der Eilig bei Ahrweiler noch ganz spät im Herbst ihre sattblauen Blüten aus schon verwelkten Gräsern heben. Im Ahbachtale bei Nohn, das schon zur Kalkeifel gehört, finden wir im Herbst sehr zahlreich den blauen Enzian (Gentia preumonanthe), während im Frühjahr und dortselbst die blauen Glocken der Kuhschelle erfreuen. Üppig und mannigfach in seiner Zusammenstellung ist der Strauß! Lieber Leser! Manche Pflanze aus ihm wird Dir dann und wann einmal begegnen. Erkenne sie wieder, freue Dich an ihr, aber sei bescheiden im Nehmen! Es sind die Gotteskinder, die wie keine ändern Dir Deine Heimat lieb und wert machen.