DER goldende Pflug von Neuenahr

Von Walther Ottedorff-Simrock

Kein Mensch weiß mehr zu sagen, wie einst die Burg auf dem Neuenahr ausgesehen hat; doch wissen alle, daß hier ein reiches Geschlecht gelebt, das viele Schätze an Gold und Silber und Edelstein besessen. Die Herren aßen aus Schüsseln von edelstem Metall. Das Zaumzeug der Pferde war mit manch funkelndem Edelstein besetzt. Ja, des Reichtums soll so viel gewesen sein, daß sogar der Pflug, mit dem der Ritter nach altem Brauch alljährlich die erste Ackerfurche zog, aus purem Gold gewesen sei.

Kein Wunder, daß um dieser goldenen Fülle willen die Burg gar oft berannt wurde, und wenn auch der Ansturm neunundneunzig Mal abgeschlagen wurde, so fiel sie jedoch beim hundertsten Mal in die Hand der grimmen Feinde. Wie Räuber, die gierig auf ihre Beute sind, stürzte die Horde über die

Schätze her und sammelte in ungezählten Säcken den erhaschten Reichtum. Nur eines erspähte kein Auge und fand keine suchende Hand: es war der goldene Pflug.

So sehr man auch Ritter und Knechte peinlich befragte, so wenig öffnete einer den Mund und verriet das Versteck. Grimmig vor Zorn und Enttäuschung zogen die Feinde ab und überließen die ausgebrannte Burg Wind und Wetter. Da auch die überlebenden Herren und Mannen selbst noch im Tode schwiegen, erfuhr kein Sterblicher, daß der Pflug in der Tiefe des Schloßbrunnens lag. Im Laufe der Jahre wurden Wasserquell und Schacht verschüttet, und ehe noch zwei Menschenalter hingegangen waren, wußte auch kein Mensch mehr, wo der Brunnen gewesen war.

Aber im Volke raunte das Gerücht weiter und weiter, daß dort oben auf dem Burgberg der kostbare Schatz vergraben sei, und es machten sich immer wieder Bauern und Winzer auf, danach zu forschen und zu graben. Die Schatten der Erde jedoch hielten das Geheimnis nach wie vor verdunkelt.

Nun aber war ein Winzer, der im Tale wohnte. Er war ein Gutherz, wie man hierzulande sagt, und wer in Not und Bedrängnis lebte, dem half er, so viel und so gut er es vermochte. Als er eines Tages in den Wingert ging, hörte er einen Zweig gar jämmerlich greinen, die Sonne brenne so fürchterlich, und er habe solchen Durst, daß er kaum mehr ein Schrittlein weitergehen könne. Die Not des kleinen Männlein rührte unseren.. Winzer und er schenkte ihm eilig ein Trünklein roten Weines, damit der vertrocknete Gaumen sich letze. Kaum hatte der Zwerg getrunken, da war er wieder frisch und fröhlich, sprang auf eine Wingertsmauer und wisperte von ihr dem Winzer ins Ohr: Zum Dank für das köstliche Trünklein wolle er ihm verraten, wo der Brunnen mit dem goldenen Pflug sei; er möge in der nächsten Vollmondnacht zur Ruine hinanklimmen und den versunkenen Schatz heben. Aber alles Tun wirke nur dann, wenn kein Wort dabei gesprochen werde.

Gesagt und auch schon getan. Der Winzer schlich in der Nacht, da Vollmond war, zur Burg der Grafen von Neuenahr, fand die angegebene Stelle und grub den verschütteten Brunnen aus. Er sah ein solches Funkeln, daß er zuerst für eine Weile die Augen schließen mußte, und all dieser Glitz und Glanz rührte von dem Schatz des Grafen her. Nun packte er kräftig zu und kletterte mit der blinkenden Beute den Brunnenschacht hinauf. Aber bevor er noch den Kopf über den Brunnenrand heben konnte, erscholl ein gewaltiger Lärm und ein Brausen erfüllte die Nacht. Von drüben, von der Kuppe des Ellig auf der linken Ahrseite toste mit einem einzigen Schritt ein riesiger Ritter her; ein Feuer brach aus allen Poren seines Körpers und es war, als ob er von lodernden Flammen eingehüllt wäre. Der Winzer erschrak bis ins Mark, als er dieses gräßliche Ungetüm erblickte, die Angst und Furcht, die ihn bis zum Rand der Kehle erfüllte, ließ ihn um Hilfe schreien; im gleichen Augenblick stürzte der goldene Pflug aus seinen Händen und fiel mit Kling und Klang in die Brunnentiefe hinab.

Von Stund an war der Winzer verstört und irrte lange Zeit umher. Als er wieder zu Sinnen kam und wiederum in einer Vollmondnacht nach dem goldenen Pfluge suchte, fand er die Stelle nicht mehr.

Und doch ging von diesem Schatz ein wunderbarer Segen für die Bewohner des Tales aus. Es wird erzählt, daß die Zauberkraft des goldenen Pfluges eine Quelle wachrief, die eines Tages aus der Erde am Fuße des Burgberges emporsprudelte. Sie war nicht golden und silbern, sie sah auf den ersten Blick wie gewöhnliches Wasser aus. Aber als die erstaunten Eeute das Wasser schmeckten, besaß es ein sonderbares Prickeln und eine feine Wärme. Und wer es trank und bisher krank gewesen, der fühlte, wie es wohlig in seinen Gliedern wurde, und wer es längere Zeit schlürfte oder darin badete, von dem fielen seine Gebresten und Leiden ab und er wurde wieder kerngesund. Bald wußten es alle: vom goldenen Pflug ging ein goldener Segen auf die leidenden Menschen über, und in aller Welt preist man bis auf den heutigen Tag den Lebensquell von Bad Neuenahr.