Wenn der Hahn kräht auf dem Mist . . .

ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.

Von Peter Herber

Das ist eine alte Bauernregel; allerdings eine verbalhornisierte.1) Dennoch spricht aus ihr, mit derbem Humor gewürzt, ein verstecktes Mißtrauen gegen alle Mutmaßungen und Vorhersagen des Wetterablaufes, ein Erkennen der Unsicherheiten und Schwierigkeiten seiner Vorherbestimmung.

Wetter und Witterung greifen in das Leben des einzelnen Menschen oder eines ganzen Volkes tiefer ein, als allgemein zu glauben ist. Deshalb ist das Interesse für alles, was mit ihm zusammenhängt, zu allen Zeiten sehr groß gewesen, und im Verlauf von Jahrhunderten hat sich ein bunter Kranz von Erkenntnissen, Beobachtungen, Regeln, Vermutungen, religiösen Gebräuchen, ja sogar von abergläubischen Ansichten geschlossen. Es ist doch so: Bei irgend einer Begegnung muß in Ermangelung eines geeigneten Stoffes für ein Schwätzchen das Thema Wetter herhalten. Unterhaltungen dieser Art sollen zwar Verlegenheitsgespräche sein; aber bekanntlich sprudelt dessen Mund über, wessen Herz voll ist. Offenbar jedoch ist aus allem zu erkennen, daß der Begriff „Wetter" zu einem Problem ersten Ranges geworden ist, um dessen Lösung sich Wissenschaftler aller Kulturstaaten ernstlich bemühen und um zu den erworbenen Erkenntnissen um immer neue ringen. Nicht nur Bauern und Winzer, deren Existenz buchstäblich ein Geschenk des Wetters Ist, sind erstrangig interessiert an seinem Ablauf. Die Schlüsselgewerbe im Fremdenverkehr mit all ihren engverzahnten Betrieben wie Bäcker, Metzger, Gemüse- und Obsihändler, Geschäfte für Reiseandenken, Möbel und Wäsche, dann Versicherungsgesellschaften für Unwetterschäden und Ferienreisen, Post, Eisenbahn und Luftverkehr, kostspielige Filmaufnahmen, Sportveranstaltungen und Volksfeste verdanken Gewinn und Erfolg nur dem jeweilig „günstigen" Wetter. Es ist nicht verstiegen zu behaupten, daß ein überaus großer Teil der gesamten Volkswirtschaft vom Wetter abhängig bleibt. Was ist Wetter? So sagt der „Wetterfrosch", der Wetterkundler, der Meteorologe: Wetter Ist ein Zustand der atmosphärischen Luft, bestimmt durch das Verhalten der wetterbildenden Elemente: Luftfeuchtigkeit, -temperatur, -druck, Bewegung der Luft (Wind) und ihre Spannung (Elektrizität). Diese fünf Erscheinungsformen werden auch Witterungsfaktoren genannt. Der Begriff „Wetter" kann aber nur für einen einzelnen Ort oder höchstens für einen ganz engen Umkreis, dazu für eine ganz kurze Zeitspanne, gelten.2) Hält jedoch der gleiche Zustand der atmosphärischen Luft eine längere Zeit — etwa mehrere Tage — über einem ausgedehnteren Gebiet seinen Grundcharakter, so spricht der „Wettermacher" von einer Witterung oder sogar von einer Großwetterlage, z. B. der strenge Winter 1955/56. Eine weitere Folgerung auf Welträume und Jahreszeiten ergibt den Begriff Klima. Ein gleichzeitiges Auftreten mehrerer Witterungsfaktoren bewirkt das, was landläufig Wetter genannt wird. Die Beobachtung ihres gegenseitigen Verhaltens und ihrer Beeinflussung zum Zwecke einer möglichst genauen Vorausschau für den wahrscheinlichen Ablauf des Wetters ist Aufgabe der Meteorologen, der „Wetterfrösche". Die daraus gewonnenen Schlußfolgerungen sind die täglich mehrmaligen Rundfunkdurchsagen und die im „Wetterwinkel" der Tageszeitungen gedruckten Wetterberichte. Daß diese aber nicht immer zu hundert Prozent zutreffen, gestehen die „Wettermacher" selbst ein; jedoch sind achtzig bis neunzig Treffer von hundert angenommenen Wahrscheinlichkeiten heute unantastbar. Wenn auch das gesamte Problem der Wettervorhersage, selbst bei Benutzung der modernsten Hilfsmittel, noch nicht restlos gelöst ist, taucht doch die Frage auf: Worauf berufen sich die Meteorologen bei der Formulierung ihrer Vorhersage, woraus folgern sie die Schlüsse für den kommenden Ablauf des Wetters? Grundbedingung ist, daß ihnen jederzeit der Zustand der Atmosphäre bekannt sein muß. Zu dem Zweck ist die Gesamtoberfläche der Erde mit einem Riesennetz von Beobachtungsstationen überzogen. Zur Zeit sind es deren 10693, welche die Witterungsfaktoren am Boden kontrollieren; dazu kommen noch 352 Posten, deren Aufgabe es ist, die freie Atmosphäre, also höhere Luftschichten, mit Hilfe überaus kostspieliger Geräte bis in die höchsterreichbaren Höhen zu beobachten. Selbst auf den Wasserwüsten der Ozeane sind Wetterschiffe postiert, die ihren Standort nur im äußersten Notfalle verlassen dürfen. So liegen heute auf dem Atlantischen Ozean neun solcher Beobachtungsschiffe mit einer dreiwöchentlichen Ablösungsfrist. Die letzten Maschen des Beobachtungsnetzes reichen bis zur Arktis und an den Rand des Südpolargebietes. Viermal täglich, und zwar um 00, 06, 12 und 18 Uhr erfolgt eine Meldung der mittels feinster Geräte gemachten Registrierungen an die Wetterfunksender, Mehr als tausend solcher Sender empfangen diese „Obs"3) und senden sie als Sammel-Obs an die größeren Wetteranalysierzentralen. Zuständig für unser Gebiet sind Frankfurt a. M., Paris und Dunstable bei London. Zur Veranschaulichung der zu leistenden Riesenarbeit einer Zentrale mögen einige Zahlen dienen: In stark dreizehnstündigerTätigkeit während eines Tages werden in Frankfurt a. M. aus 30900 funktelegrafischen Zifferngruppen zu je 5 Ziffern, also 154500 Ziffern übertragen an die Wetterämter. Ein Riesenstab von Spezialisten verarbeitet sofort nach der Aufnahme die Eingänge. Als Ergebnis ihrer Sichtungen entstehen die Wetterkarten für Post und Zeitungen und die Vorhersagen für den Rundfunk. Wettervorhersage durch Zeitung und Rundfunk, veranschaulicht durch Wetterkarten, die jeder für billiges Geld pünktlich bei den Postdienststellen beziehen kann, sind heute eine Selbstverständlichkeit im Tagesablauf. Doch kaum jemand bedenkt die Unsumme von exaktester Arbeit der Wetterämter. Ohne die modernsten Hilfsmittel wie Telefon, Funk, Fernschreiber und Bildübertragungen wäre alle Forschungsarbeit vergeblich. Was nützte selbst diese, wenn nicht dazu eine bis ins kleinste festgelegte internationale Organisation die Übermittlung der Wetterberichte garantierte! Letzten Endes ist auch die finanzielle Seite des Problemes Wetter nicht zu übersehen. Solch ein ausgedehntes Nachrichtennetz, weltumspannend, kostet viel Geld. Darum trägt jede Nation entsprechend ihrer internationalen Bedeutung einen Anteil an den ungeheuren Kosten.

Aller Aufwand an Geist und Geld würde doch offenbar nicht gemacht, wenn das Wetter tatsächlich nicht so tief eingriffe in das gewerbliche, wirtschaftliche und gesellige Leben der Menschen. Nicht genug damit, Leib und Gemüt werden zutiefst von ihm beeinflußt. Es ist darum durchaus nicht verwunderlich, daß sich der Mensch seit eh und jeh, ohne auch nur im geringsten Ahnung zu haben von exakter meteorologischer Forschung, nach Mitteln umschaute, den Wetterverlauf voraus zu bestimmen. Ein langer Weg zur Erklärung des Ineinandergreifens der Witterungsfaktoren, zählend nach Jahrtausenden, geboren aus religiösen oder mystischen Vorstellungen, gemischt mit zauberischem und abergläubischem Einschlag, wurde begangen. Dabei ist es überaus interessant, heute noch feststellen zu können, daß sich die uralten Annahmen trotz modernster, unumstößlicher Erkenntnisse hartnäckig beharrlich erweisen. Urzeitmenschen, deren Leben im Freien fast ausschließlich an den Ablauf der Witterung gebunden war, erlangten bald, unbeschwert von all den ablenkenden Eindrücken einer verfeinerten Kultur, ein feines Gespür, einen geübten Blick für Anzeichen ihrer Veränderung. Es darf angenommen werden, daß dem primitiven Menschen in der Art seines Gottverhältnisses kein reiner Eingottglaube, sondern nur eine Naturreligion zugemutet werden kann. Dem Mensch als Sammler und Jäger, dann als Hirt und Pflanzer wird das Wetter in seinen mannigfachen Formen wohl als Beweise der Güte oder des Zornes höherer Wesen empfunden haben. Sie gegebenenfalls günstig zu stimmen oder ihre strafende Hand rasch abzuwenden, hielt ihn auch bei intensiverer Ausbreitung selbst vor grausamsten Menschenopfern nicht zurück. Im Wetterzauber und -hexen, in Wettertänzen und phantastischen Aufzügen lebt bei den Naturvölkern heute noch dieser Glaube fort und eine feste Überzeugung an ihre Wirksamkeit schlummert tief in der Volksseele. In christlich geläuterter Form und gläubiger Schau sind unsere Bittprozessionen und Andachten um gedeihliche Witterung, das Bekreuzigen beim Blitzen, das Verbrennen von geweihten Palmen und des „Krautwisches" bei Gewittern, das Einstecken der Palmen in Garten und Feld, selbst die Sprache vieler Glocken als nichts anderes zu verstehen. Es mag eine kleine Blütenlese von Inschriften heimatlicher Glocken folgen. Sie künden, wenn auch immer wieder in anderer Form, neben dem tieffrommen Sinn der Menschen in der Zeit ihres Gusses vom Glauben an ihre bannende Kraft bei ungünstigem Wetter.

Die größte Glocke des Geläutes der Ahrweiler Laurentiuskirche, gegossen 1697 vom Meister Bourlet aus Jülich, beginnt ihre Inschrift: „Defunktor ploro, tero ful-gura, festa decora" — Die Verstorbenen beweine ich, Blitze erschrecke ich, die Feste verherrliche ich ... Meysder Johan Dusterwelt goß 1391 auf die Hauptglocke für Bad Neuenahr in gotischen Buchstaben: „Maria Rose heysen ich, dunre inde ungeveder verdryven ich . . ." in Bengen, Gimmigen, Kirchdaun und Lind werden noch heute durch die Glocken „alle boise weder verdrifen". Jan von Tryer goß 1432 für Dümpelfeld eine Glocke, die den „dhonre verdryvt". Eine 1917 für Kriegszwecke eingeschmolzene Glocke aus Gelsdorf, der hl. Walburgis geweiht, trug folgenden Spruch: „St. Walburgis ist mein Nam, In der Herrschaft Gelsdorf wundersam Zauberey, Plitz, Hagelschlag und Donnerknall muß weichen durch mein Schall. Johan Dinckel goß mich 1731." In der Mayschosser Kirche läutet eine Glocke mit geheimnisvoller, nicht restlos geklärter Inschrift: „Osanna heisen ich, dunre velder veder verdreven ich."

Eine für Heimersheim gegossene Glocke „ruvt die Lebendigen, vertrift Hagel und Blitz". Während der Klang der dritten Glocke von Nlederzissen, aus dem Jahre 1728 stammend, die Toten tröstet, die Festtage ziert, böse Hagel und Donner zerstört, kündet eine andere aus Holzweiler, 1504 gegossen: „In Codes Namen lueden ich, al Ongeveder verdreven ich." Aus einer viel größeren Abhängigkeit der Menschen längst vergangener Zeiten vom günstigen oder schlechten Wetter — sie waren in erster Linie Bauern —, aus dem dem Unwetter hilf- und wehrlosen Ausgeliefertsein, dazu der gehegte Wunsch, den Ablauf des Wetters kurz- oder langfristig vorherzusehen, mögen wohl die sogenannten Bauernregeln geworden sein. Sie gründen sich teils auf uralte Erfahrungen der Naturbeobachtung, teils sind sie mehr oder weniger gemischt mit Aberglauben, oft aber gebunden an Festtage der Heiligen im Ablauf des Kirchenjahres. Einige treffen überraschend mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Meteorologen überein. Wenn, um nur einige Beispiele zu erwähnen, „St. Georg (23. April) kommt nach alter Sitten zumeist auf einem Schimmel geritten", dann stimmt diese Regel mit den statistisch gesicherten Kälterückfällen im April überein. Noch treffender tun es die „Eisheiligen" im Mai, sowie die etwa einen Monat später im Juni zu beobachtenden Kälterückfälle, die „Schafskälte", obschon ihr Auftreten recht oft um einige Tage schwankt.

Kalender, bäuerliche Fachzeitschriften, Familienblätter, besonders jene, die katholisch abgestimmt sind, dann volkstümliche Heiligenlegenden, veröffentlichen Bauernregeln oft in reicher Fülle. Auffallend ist es, daß bei vielen die Zahl 40 vorkommt. Wenn auf Maria Lichtmeß (2. Februar) der Bär seinen Schatten sieht, muß er noch 40 Tage schlafen. „Regen an Barnabas währt 40 Tage ohn Unterlaß." „Maria Sief (Maria Heimsuchung, 2. Juli) bringt 40 Tage Regen." So wie das Wetter bei den „Siebenschläfern" ist4), so soll es sogar 7 Wochen anhalten. Es trifft nicht zu, daß der jeweilige Wetterzustand gerade 40 Tage anhält. Bei diesen Regeln tritt vielfach noch eine uralte Vorstellung von einer 40tägigen Monatsdauer in Erscheinung. Ebenso wird die Zuverlässigkeit vieler Bauernregeln sehr unbestimmt durch die Verschiebung der Heiligenfeste seit der gregorianischen Kalenderreform.5) Ein Beispiel: Vor seiner Einführung lag es Fest der hl. Luzia am 23. Dezember, also zehn Tage früher als heute. „Wenn auf St. Barbara die Sonne weicht, auf Luzia sie wieder herschleicht" (Wintersonnenwende am 22. Dez.), so spricht die noch heute beliebte Regel vom Luziatag am 23. Dezember, also unmittelbar nach der Wintersonnenwende.

Die Wetterregeln mit 40tägiger, also langfristiger Vorschau, werden im Volksmund Luster-, Lur- oder Lostage genannt (lustern, luren, horchen, aufpassen). Ihr Ursprung reicht in die germanisch-heidnische Zeit hinein. Die zwölf „wiehen nahten", geweihte Nächte, von Weihnachten bis hl. Dreikönige, mit den dazugehörigen Tagen waren nach dem Glauben unserer Ahnen vorherbestimmend für Wetter und Schicksal der kommenden 12 Monate. Bei der Christianisierung der Germanen fiel es nicht schwer, heidnische Gebräuche in den christlichen Gedanken- und Anschauungskreis zu übertragen. Insgesamt sind 84 Lostage bekannt. Die wichtigsten nur seien angeführt: Maria Lichtmeß (2. Febr.), Mamertus (11. Mai), Pankraz (12. Mai), Medardus (8. Juni), Siebenschläfer (27. Juni), Maria Sief (2. Juli), Laurentius (10. August), Bartholomäus (24. August), Michael (29. September), Luzia (13. Dez.), Weihnachten (25 Dez.). Auf diese Lostage beruft sich ganz entscheidend der sogenannte „Hundertjährige Kalender". Wohl keine „Wetterregel" erfreut sich noch heute einer so hervorragenden Beliebtheit wie der „Hundertjährige Kalender", keiner wird eine solche Treffsicherheit zugeschrieben wie gerade ihr. Dabei stellt der „Hundertjährige" gar keine Vorschau auf zu erwartendes Wetter dar, sondern das gerade Gegenteil ist der Fall; er ist weiter nichts als die Registrierung regelmäßig gemachter Beobachtungen im Ablauf von einigen Jahren. Kurz seine Geschichte: Unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg, der unser Vaterland zu einer Wüste machte, übernahm der erst 36Jahre alte Abt Moritz Knauer die Leitung des Klosters Langheim bei Lichtenfels am Main. Die Wiederaufrichtung seiner klösterlichen Landwirtschaft lag ihm besonders am Herzen, ihr galt seine Hauptaufmerksamkeit. In all seinen Planungen und Überlegungen stand neben ihm eine große Unbekannte: das Wetter. Geläufige Wetterregeln seiner Zeit galten ihm als nicht stichhaltig genug. So entschloß sich der wissenschaftlich hochgebildete Abt, selbst Beobachtungen regelmäßig anzustellen und in einem von ihm selbst entworfenen Kalender einzutragen. Abt Knauer war ein Kind seiner Zeit; von dem damaligen astrologischen Geist befangen, glaubte er an die Verbundenheit meteorologischer Vorgänge mit astrologischen Daten. Sieben damals bekannte Planeten wechselten ihre schicksalbestimmende Herrschaft von Jahr zu Jahr. Es schien ihm nicht schwer, das mit der Veränderlichkeit des Wetters in Verbindung zu bringen. Also mußte sich nach seiner Ansicht alle sieben Jahre der Wetterablauf turnusmäßig wiederholen. Sieben Jahre lang benötigte er somit, genau zu beobachten und einzutragen. Am 21. März 1652 begann er; am 20. März 1659 hörte er mit seiner Registrierung auf. Knauers siebenjährige Einzeichnungen waren nicht für die Öffentlichkeit gedacht; sie sollten ihm lediglich dienen als Prüfungsmaterial für die Zusammenhänge der Planetenstellung mit dem Wetter. Im Jahre 1700 überarbeitete der Erfurter Arzt Christoph Hellwig die Knauerschen Unterlagen, setzte eine Planetenherrschaft nicht für sieben Jahre, sondern für die Zeit von 1701 bis 1800, also für hundert Jahre, dazu und gab das Ganze in Druck. Abgesehen von vielen Druckfehlern, Korrekturen und Einschiebungen ganzer Teile an falschen Stellen setzte Hellwig anstatt des bei Knauer lediglich berichtenden Imperfektes einfach das Futur. Somit wurden die Daten für bereits abgelaufenes Wetter der Vergangenheit Vorhersagen für das kommende Wetter in hundert Jahren; sie erhielten den Namen „Hundertjähriger Kalender". Seit seiner Drucklegung sind bis heute 135 Auflagen erschienen und zwar in Deutschland, Frankreich, Rußland, sogar in Indien und China, also auch in Gebieten mit ganz anders geartetem Klima. Ohne Zweifel gibt es im Hundertjährigen Kalender eindeutige Treffer neben ebenso eindeutigen Versagern. „Die Versager bei seinen Vorhersagen, die offenkundig genug waren, hielt man für Zufälle; auf den Gedanken aber, die Treffer ebenso für Zufälle zu halten, kam niemand seiner Anhänger" (A. Hofmann). Als Hauptursache für die Beliebtheit des Hundertjährigen Kalenders — unsere Heimatjahrbücher von 1954 und 1955 bringen ihn ja auch —, bewiesen durch die ungeheure Auflagenziffer, ist der lange Zeit im Volke immer noch bestehende Unwille gegen die gregorianische Kalenderreform anzusehen.

Neben den Bauernregeln hat sich im Volksglauben ein überaus bunter Strauß von wetterbestimmenden Anzeichen bei Mensch, Tier, Pflanzen und Erscheinungen der Atmosphäre gewunden, geltend für kurz- und langfristige Vorschau. Bekanntlich besitzen viele Menschen — beim Föhn in der Schweiz ist es jeder dritte — die Fähigkeit, Wetterumschläge bereits einen oder zwei Tage vor ihrem Eintritt zu „fühlen", eine unleugbare Tatsache, die in der meteorologischen Medizin als Wettervorfühligkeit bezeichnet wird. Wetterveränderungen sind zum größten Teil die Folge eines raschen Wechsels verschiedener Luftmassen beim Durchgang. Die dadurch von dem menschlichen oder tierischen Körper geforderten plötzlichen Anpassungsmaßnahmen belasten ihn und schwächen seine Kräfte. Irgendwie empfindlichen oder bedrohten Organen und Funktionen werden erhaltende Kräfte entzogen, die gefährdeten Stellen am stärksten beansprucht. Da stechen die Hühneraugen, Hornschwielen an den Fußsohlen brennen, vernarbte größere Wunden, geheilte Knochenbrüche und rheumatische Zustände schmerzen, chirurgisch eingesetzte Knochen- oder Muskelteile machen sich schmerzhaft bemerkbar, ja, so sonderbar es klingt: Amputierte erdulden oft an den Gliedmaßen, die sie gar nicht mehr besitzen, Qualen, die sich mitunter bis zur Raserei und zu Tobsuchtsanfällen steigern.") Auch auf den seelischen Zustand wirken sich die sogenannten Frontdurchgänge teils unmittelbar, teils auf dem Weg über den Körper aus. Mißstimmung, Müdigkeit, Arbeitsunlust, sogar vorübergehende Gemütserkrankungen stellen sich ein. Sehr oft sind diese Zustände beim Wechsel der Mondphasen festzustellen. Im verstärkten Maße ist das der Fall bei den Föhnen, jenen in den Hochgebirgsländern Südeuropas mit großer Geschwindigkeit auftretenden warmen oder kalten Fallwinden. Beim Föhn (Schweiz) lassen die Leistungen der Schüler merklich nach, die Unfallziffer im Straßenverkehr steigt, die Zahl der Todesfälle bei Herzkranken vermehrt sich. Kriminelle Vergehen unter Einfluß des „Schirocco" (Italien) werden nach dem Gesetz milder beurteilt. Der „Mistral" (Frankreich) ist sehr gefürchtet als Urheber gefährlicher Gereiztheit für Schlägereien, Ruhestörungen und Gewalttätigkeiten. Der Spanier haßt den „Solano"; eines seiner Sprichwörter sagt: „Bitte um keine Gefälligkeit, wenn der So-lano weht" (wegen Unmut und schlechter Laune wird sie sicherlich nicht gewährt). So kompliziert oder gar geheimnisvoll sich die Wetterfühligkeit äußert, ihre tiefste, ausschlaggebende Ursache gilt als erwiesen durch Strahlungsvorgänge der Sonne.

Nicht minder tritt das „Wetterfühlen" bei den Tieren auf. „Die Fische springen, und das Wasserhuhn taucht unter", Hühner fliegen bei Tag auf erhöhte Sitzplätze, sie lausen sich mehr als sonst, Schnecken tragen ein Schmutzklümpchen mit sich, winzige Schnaken und blutgierige Stechmücken überfallen verstärkt Mensch und Vieh. Es sollen Anzeichen sein für baldigen Regen. Umgekehrt zeigen das Fliegen der Schwalben und Segler in höheren Luftschichten und das Singen des Zaunkönigs von Baumspitzen Schönwetter an. Das frühe Verkitten der Waben durch die Bienen soll einen strengen Winter ansagen. Bei vielen Tieren deutet ein ängstliches Verhalten auf Unwetter. Hunde zerren aufgeregt an ihren Ketten oder fressen Gras, Schafe drängen sich oft bedrohlich zusammen, die Füchse bellen heiser und die Stechlust der Bienen ist verstärkt; ebenso suchen Schmetterlinge hastig schützende Verstecke auf. Unzählige andere Beispiele könnten noch hinzugefügt werden.

Eigenartig ist das Verhalten verschiedener Pflanzen zum Wetter. Teils ist es ein tatsächliches Reagieren auf den jeweiligen Wetterzustand, andererseits macht der Volksglaube sich seinen Vers darauf für gutes oder ungünstiges Wetter. Mag die Deutung mitunter gewagt erscheinen, in den meisten Fällen ist die Bezeichnung „Barometerpflanze" recht zutreffend. Die Vogelmiere, jenes zarte, aber lästige Unkraut in Garten und Weinberg, im Volksmund Müel oder Hühnerdarm genannt, erschließt ihre sternenförmigen Blütchen etwa gegen neun Uhr morgens. Bei bevorstehendem Regenwetter aber bleiben sie geschlossen. Dasselbe ist bei dem Ackergauchheil mit seinen zierlichen, zinnoberroten oder himmelblauen Blümchen zu beobachten; seinen Namen „Armer Leute Wetterglas" trägt er mit Recht. Bohnenkräutchen, Huflattich, Malven und viele andere reagieren ebenso. Umgekehrt macht es die Zaunwinde. Während sie bei Sonnenwetter schon um die Mittagszeit ihre Trichterblüten schließt, hält sie diese aber bei bevorstehendem Regen länger geöffnet, gleichsam als wolle sie sich vorher um so mehr an Sonne und Licht stärken. In der Aachener Gegend heißt sie deshalb auch „Utelblom", von „utele", im Licht arbeiten. Gar absonderlich benehmen sich die Spiralen Grannen an der Frucht des Reiherschnabels. Sie sind wahrhaft „Hygrometer", Feuchtigkeitsmesser der Luft. Infolge des Wechsels der Luftfeuchtigkeit strecken oder rollen sich die Spiralen auf. Dadurch bohrt sich die Spitze der Samen, die dazu noch mit Widerhaken ausgerüstet sind, immer tiefer in die Erde ein. Die Keimung ist gesichert. Eine Unzahl Blüten neigen ihre Stiele nach unten, nehmen „Schlafstellung" ein. Bei anderen Pflanzen wieder zeigen die Blätter das nämliche. Für solche sind die Volksnamen „Wetterfähnchen", „Wetterhahn" bezeichnend. Tannenzapfen, deren Schuppen bei trockenem Wetterweit auseinanderklaffen, aber bei Regen dicht geschlossen aufeinanderliegen, hängen heute noch als „Wettermännchen" an den Fensterrahmen der Bauernhäuser.

Die genaue Beobachtung der Witterungseinflüsse auf das Leben der Pflanzen findet ihren Niederschlag wieder in unzähligen Bauernregeln. Dafür einige Beispiele: „Wenn die Desdele blühe, get et keine Ran." „So die Bäum zweimal blühn, wird sich der Winter bis Mai hinzlehn." „Treibt die Eiche vor der Esche, hält der Sommer große Wäsche, treibt die Esche vor der Eiche, hält der Sommer große Bleiche." „Margaredebluhd dut selde gud." Überaus lebendig und tief verankert lebt im Volke der Glaube an den Einfluß des Mondes auf das Wachstum der Pflanzen und den Befall von Krankheiten und ihrer Schädlinge. Daraus folgert noch heute die vielfach geübte Beachtung der Mondzeiten beim Säen und Ernten. Daniel Rhagori, ein Gärtner und Naturfreund, schreibt 1619 in seinem „Pflantzgart": „In dem Sayen und Setzen soll auff die Beschaffenheit des Monns fürsichtig geachtet und dero nach die Sachen recht angestellt werden. Was nicht Samen bekommen soll, muß umb den New Monn, was aber groß und dick begehrt, umb das Wädel (Vollmond) gesayt und gesetzt werden. Gewächs so in die Erden wachsen, sollen undergehends Monns, die aber über sich schießen, aufgehenden Monns in den Grund kommen." (H. Sieg) Man mag davon eine Meinung haben, wie man will; fest steht jedenfalls, daß nie der Mond den Pflanzenwuchs beeinflußt; das kann allein nur die Sonne. Dennoch scheinen Voll- und Neumond beim Holzfällen — das ist ja auch ein Ernten — eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen. „In den großen Holzländern Südamerikas werden sogar bei den Bestellungen kontraktlich die Mondzeiten ausgemacht, in denen — je nach den Zwecken — das Holz gefällt werden soll. Die Verträge auf Lieferungen für Möbel, Bauholz, Eisenbahnschwellen legen den größten Nachdruck auf das Schlagen der Bäume beim abnehmenden Mond." (H. Sieg)

E M S I G E  M E I S E N

Anzeichen lebloser Gegenstände für einen bevorstehenden Wetterwechsel, bedingt durch die in früheren Zeiten unerklärlichen Zustände der Atmosphäre, kennen wir jetzt noch unzählige. Heute fällt eine begründete Erklärung nicht mehr schwer. Da tanzen die „Heinzelmännchen" in irgend einer Straßenecke, |ene zierlichen Windstrudel, und wirbeln Papierfetzen, Strohhalme und Staub in die Luft; tags vorher straff gespannte Wäscheleinen hängen girlandig nach unten; Hausflursteine sowie mit Tran beschmierte Arbeitsschuhe „schlagen aus"; es hat am Morgen nicht getaut; Pferdemist und Lokomotivqualm stinken mehr als sonst; der Mond zeigt einen Kranz; Kopfhaare krausen sich zu Löckchen; die Leitungsdrähte singen;7) der Ruß brennt an der Herdtüre; die „Füchse rauchen"8) und unzählige andere.

Uralt ist auch die Sehnsucht des Menschen, das Wetter selbst beeinflussen zu können, also gleichsam Wetter zu machen. Als ein kleines Beispiel möge das Räuchern im Ahrtal zur Minderung der Spätfröste dienen. Selbst ernst zu nehmende Forscher schalten sich da ein. Gestützt auf die Erfahrungen kriegerischer Zeiten, wonach durch Massendetonationen der Geschosse der Regen leichter und reichlicher fallen soll, werden heute eigens wirksame Raketen konstruiert. Da brachten Tageszeitungen Nachrichten vom Hagelbeschuß und gewallter Regenverteilung durch noch geheim gehaltene Raketen, und im Zeitalter der Atomforschung hat eine akute „Atom-Volks-Psychose" die ganze Welt ergriffen. Anormale Sommer, Dauerregen, Vulkanausbrüche, Sturmfluten, Taifune und sonstige Unwetterkatastrophen in eng bemessener Anhäufung werden angesehen als Folgen des Durchzuges radioaktiver Schwaden in höheren Luftschichten nach Atombombenversuchen. All diese zum Teil schwerste Schäden anrichtenden Witterungserscheinungen sind auf Grund jahrzehntelanger statistischer Vermerke „schon da gewesen". Nach Ansicht der meteorologischen Weltorganisation, der fast alle Staaten der Erde angehören, sowie nach den Ergebnissen anerkannter Forscher ist „eine direkte Wetterbeeinflussung durch keine der bekannten Atombomben, auch nicht durch die Wasserstoffbombe, möglich, da die Energiereaktion im Verhältnis zur Energie atmosphärischer Prozeses viel zu gering ist. Eine indirekte Beeinflussung in seltenen Fällen ist denkbar, wenn radioaktive Partikel einen etwaigen örtlichen Mangel an Kondensationskernen ausgleichen. Ein Nachweis ist bisher noch nicht gelungen" (A. Hofmann). Dennoch hat die meteorologische Weltorganisation beschlossen, alle erreichbaren Informationen über etwaigen Einfluß atomarer Explosionen auf der Welt zu sammeln und an die Zentrale nach Genf zu leiten. Die daraus zu folgernden Ergebnisse sollen so früh wie möglich veröffentlicht werden.

Noch sind wir nicht so weit, trotz Atomzeitalter, Wetter und Witterung für jeden vorteilhaft selbst zu gestalten; noch immer ist zu befürchten, daß Schulze Hoppe Pate steht allen, denen der Herrgott das Wetter nicht recht macht; denn:

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist,
ändert sich das Wetter oder es bleibt
wie es ist!

  1. Joachim Balhorn, seines Zeichens Buchdrucker, gestorben 1603 in Lübeck, soll oft die Korrektur des zu druckenden Schriftsatzes auf eigene Faust vorgenommen haben. Diese wurde dann mehr eine „Ver-böserung" als eine Verbesserung.
  2. Ganz typisch für diese Begriffserklärung war der Verlauf eines sogenannten Wärmegewitters über Ahrweiler am 24. 5. 1956. Während in Höhe des Bahnhofes Ahrweiler, also östlich der Stadt, nur ganz vereinzelt Hagelkörner fielen, richtete das Unwetter am Westende von Ahrweiler, knapp 2 km entfernt, durch Hagelschlag schweren Schaden na; aber auch nur zwischen Ahrweiler und Walporzheim.
  3. Obs — Abkürzung für Observation-Nachrichten über Wetterbeobachtungen.
  4. Nach der Legende versteckten sich während der Verfolgung durch Kaiser Decius sieben christliche Sklaven in einer Höhle vor ihren Häschern. Sie wurden aber dort gefunden und lebendig eingemauert. Jedoch starben sie nicht, sie schliefen. Erst 200 Jahre später wurden sie gefunden und befreit.
  5. Mit ein Grund für den Widerstand gegen die Einführung des Gregorianischen Kalenders war die Entwertung alter Wetterregeln durch die Neufestsetzung vieler Heiligenfesfe.
  6. Sitz des Schmerzes ist bekanntlich die Gehirnpartie, der ein zu „versorgender" Körperteil zugewiesen ist.
  7. Diese Erscheinung beruht nicht etwa auf Schwingungen der Drähte durch den Wind, sondern auf Strahlungsvorgängen der Elektrizität ungleich gearteter Luftschichten.
  8. Der Volksmund meint damit jene bei Regenwetter hochsteigenden Nebelschwaden aus bewaldeten Hängen.

Quellen : Flechtner, H. J. Du und das Wetter. — Berg, H. Grundfragen der Wetterkunde. — Hofmann, A. Probleme um die Wettervorhersage. — Sieg, H. Gottessegen der Hräuter einst und immerdar. — Nießen, J. Rheinische Volksbotanik. — Clemen. Die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. — Herder, Verlag. Der Mensch in seiner Welt. — Hay, W. Volkstümliche Heiligenlegende. — Der Große Brockhaus. — Der Kosmos.