St. Apollinarisberg bei Remagen a. Rhein

Zur Geschichte eines Wallfahrtsortes

Von Leo Stausberg

Vor hundert Jahren, am 24. März 1857, übernahmen Söhne des hl. Franz von Assisi die Betreuung des Heiligtums auf dem Sankt Apollinarisberge bei Remagen. Dieses Jubiläum des volkstümlichsten Wallfahrtsortes in unserem Kreise ist uns Anlaß, seine reiche Geschichte nachzuzeichnen.

Da ist zunächst festzustellen, daß der Berg ehemals Martinsberg hieß. Schon in fränkischer Zeit trug er eine Kapelle, welche diesem im rheinischen Lande so beliebten Heiligen geweiht war. Die Siegburger Benediktiner, deren Konvent auf dem Michelsberge durch Erzbischof Anno II. von Köln im Jahre 1066 gestiftet worden war, errichteten im Jahre 1110 unter ihrem Abt Cuno von Regensburg mit Zustimmung des Kölner Erzbischofs Friedrich I. von Schwarzenberg auf dem Remagener Martinsberge eine Propstei. Der tatkräftige junge Abt hatte dabei vor allem den Einsatz seiner Mönche bei der Erneuerung des kirchlichen Lebens durch volksseelsorgerische Tätigkeit ins Auge gefaßt, um so die durch Papst Gregor VII. eingeleiteten Reformen verwirklichen zu helfen. Damit erklärt sich auch die Tatsache, daß Papst Paschalis die Propstei auf dem Martinsberge durch eine Bulle vom Jahre 1125 mit allen Pfarrei-Rechten ausstattete, die sie ja für die Volksseelsorge notwendig brauchte. In der Stiftungsurkunde der Propstei von 1117 wird das Martinskirchlein als „anti-quissima", d. h. als „uralt", bezeichnet. Ferner ist darin gesagt, daß ein Neubau notwendig sei. Dieser war schon im Jahre 1116 durch den Bau einer Krypta eingeleitet, deren Weihe der Kanzler Kaiser Heinrichs V., Bischof Erlung von Würzburg, vornahm. Durch fromme Stiftungen, woran auch viele Remagener Bürger beteiligt waren, erhielt die Propstei die notwendige Ausstattung mit Weinbergen, Wiesen, Äckern und Wald. Im Jahre 1139 bestätigte Erzbischof Arnold I. von Köln noch einmal Stiftung und Gerechtsame der Propste!.

Die von den Benediktinern errichtete zweite Martinskirche, die über 700 Jahre lang — bis 1838 — den Berg zierte, war, wie alte Ansichten erkennen lassen, „eine einschiffige romanische Basilika ohne Querschiff und von ungewöhnlich schlanken Verhältnissen. Seitenschiffe fehlten; was die alte Ansicht zeigt, sind spätere Anbauten, deren Pultdächer sich an die Längswände der Kirche anlehnten." (W. Langen.)

Neben der Kapelle errichteten die Mönche ein Propsteigebäude, das im Dreißigjährigen Kriege niederbrannte und 1658 erneuert wurde. Bis 1912 war es bewohnt, wurde danach durch einen Brand zur Ruine, deren Reste im Jahre 1954 vollends niedergelegt werden mußten. Nur ein barocker Torbogen aus dem Jahre 1735 mit dem Wappen des Abtes G. C. von Hagen steht noch da. Das heutige Kloster ist ein ärmlicher, unschöner Ziegelsteinbau aus neuerer Zeit.

Wunderbar genug ist das Ereignis, dem der Martinsberg die Umwandlung seines Namens in Apollinarisberg verdankt. Geschichte und Sage schlingen sich dabei schier unentwirrbar ineinander. Sie ranken sich um das wundertätige Haupt des heiligen Apollinaris, das heute noch alljährlich am 22. Juli und in der anschließenden Festwoche den Scharen der Wallfahrer in einem silbernen Reliquiar zur Verehrung gezeigt wird. Geschichtlich ist, daß die Gebeine dieses Heiligen sich bei |enen Reliquien befanden, die im Jahre 1164 von Italien an den Rhein kamen.

Kaiser Friedrich Barbarossa hatte im Jahre 1162 die unbotmäßige Stadt Mailand nach zweimaliger Belagerung im Zorn zerstört. Sein kluger und getreuer Kanzler, Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln, halte kostbare Reliquien aus den bei der Zerstörung der unglücklichen Stadt geschonten Kirchen von Barbarossa erbeten und erhalten. Darunter befanden sich vor allem die Gebeine der Heiligen Drei Könige, ferner die der Märtyrer Felix und Nabor, des Gregor von Spoleto und des Apollinaris. „Was für ein Apollinaris es gewesen, ist bis heute noch nicht klargestellt. Sicher ist es nicht der Heilige gleichen Namens, dessen Leib in (der nach diesem Petrusschüler benannten Kirche in) Classe bei Ravenna ruht." (P. Athanasius Bierbaum O.F.M.)

Die Reliquien der Heiligen Drei Magier, der Märtyrer Felix und Nabor und des Gregor von Spoleto, ließ Rainald in seine Bischofsstadt überführen. Dort ruhen sie, allesamt vereint, noch heute in dem herrlichen Dreikönigsschrein des Kölner Domes. Die Gebeine des hl. Apollinaris kamen indes in den Besitz des schon genannten Benediktinerklosters auf dem Michelsberge bei Siegbury. Von dort wurden sie — wahrscheinlich schon bald — in das Kirchlein auf dem Martinsberge überführt, denn „unter Erzbischof Bruno III. (1191—1193) wurden in dessen Beisein die Reliquien durch den Siegburger Abt in einem neuen Sarkophag verschlossen, der heute noch In der Krypta der neuen Kirche steht." (P. Paulus Volk, O.S.B. Maria Laach). — Nach Angabe des schon zitierten P. Bierbaum soll die Überführung der Gebeine des hl. Apollinaris von Siegburg nach Remagen erst um 1350 bis 1360 erfolgt sein. Dem steht aber entgegen, daß bereits im Jahre 1329 das Kirchweihfest auf dem Apollinarisberg durch Weihbischof Johann von Köln auf den 22. Juli (Magdalenentag), d. I. der Vorabend des Festes von St. Apollinaris von Ravenna, festgelegt und erstmals feierlich begangen wurde. Noch anderes weiß indessen die Sage zu berichten:

Als der streitbare Kirchenfürst von Köln die Mailänder Reliquien, in Särgen als „Pestleichen" versteckt, glücklich über die von feindlichen Bewohnern umlauerten Alpenpässe hatte schaffen lassen, ließ er sie in Basel auf seine Prunkbarke bringen und trat mit der kostbaren Fracht die Reise nach Köln an. Bei Remagen ward das Schiff wie von Geisterhand im Strome festgehalten. Da tönte vom Dachreiter der Martinskapelle aus luftiger Höhe der Schall eines Glöckchens: „Komm, komm! Komm, komm!" Der Kanzler verstand den Ruf und ließ seinem Reliquienschatz die Gebeine des hl. Apollinaris entnehmen. In einem Kahn brachte man sie ans Ufer und trug sie in das Kirchlein auf dem Berge. Und siehe da! Der Bann löste sich, und ungefährdet schwamm das Schiff gen Köln.

Sankt Apollinaris, der neue Bewohner des Berges, erwies sich bald als überaus wundertätig. Viele Gebetserhöhungen, namentlich bei Kopfleiden aller Art, bei Fallsucht und Mondsucht, setzten das fromme Volk der Pilger in Erstaunen. Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl der Wallfahrer zu dem Berge, der fortan „Apollinarisberg" hieß.

Den Schutz der Propstei und ihres Reliquienschatzes übte der Schirmvogt der Siegburger Abtei, der Graf von Berg, aus. Als im Jahre 1383 zwischen der Grafschaft Berg und dem Herzogtum Jülich eine blutige Fehde ausbrach, versuchte der Herzog Wilhelm von Jülich auch die berühmten Reliquien des wundertätigen Heiligen in seinen Besitz zu bringen. Der Propst aber hatte rechtzeitig den Schatz auf die nahegelegene Reichsfeste Landskron schaffen lassen. Der Jülicher behauptete sich auf die Dauer in dem Besitz der Stadt Remagen. Erst im Jahre 1394 kehrte das Haupt des hl. Apollinaris wieder auf den Berg zurück. Indessen erhielt der Herzog Wilhelm von Jülich

einen Teil der Gebeine für die von ihm erweiterte Stiftskirche St. Lambert in Düsseldorf. Andere Teile wurden mit Erlaubnis des Kölner Erzbischofs Friedrich von Saarwerden von Abt, Prior und Subprior des Siegburger Konvents erhoben und zur Sicherheit nach dem Michelsberge überführt. Das Haupt des Heiligen verblieb jedoch auf dem Apollinarisberg, wo es nach wie vor große Verehrung genoß. Ungefähr hundert Jahre später schlug der Burgundische Krieg seine Wellen bis nach Remagen. Die Stadt wurde am 15. Januar 1475 vom Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg eingenommen und von Reichstruppen geplündert. Die Propstei blieb jedoch verschont. Die Brandfackel des Dreißigjährigen Krieges züngelte mehrmals um das Heiligtum auf dem Berge. Im November 1632 plünderten es die Schweden unter Graf Wolf Heinrich von Baudissin, zehn Jahre danach die Truppen des Herzogs von Weimar und dann noch einmal die Schweden. Jedesmal mußten die Reliquien in sicheres Versteck wandern. — Hier und da ergaben sich in diesen schlimmen Zeiten Spannungen und Streitigkeiten zwischen der Propstei und der Stadt Remagen, dann nämlich, wenn bei auferlegten Kontributionen das Kloster auf Grund seiner Privilegien verschont blieb. Im österreichischen Erbfolgekrieg, der auch die rheinischen Lande mit Kriegsvolk überzog, mußten die Mönche das heilige Haupt im Jahre 1740 nach Köln in Sicherheit bringen. Der Abt Georg Christoph trug Sorge, daß es im dortigen Siegburger Hof in einer Gruft versteckt wurde, wo es bis 1750 verblieb. Der genannte Abt stiftete, wohl, um die Wallfahrten zum Berge neu zu beleben, im Jahre 1759 die St. Apollmarisbruderschaft.

Noch ehe das 18. Jahrhundert zu Ende ging, mußte St. Apollinaris wieder seinen Berg verlassen; denn 1794 erschienen Frankreichs Revolutionsheere am Rhein. Diesmal sollte das Exil länger dauern. Zunächst brachten die Mönche das heilige Haupt auf den Michelsberg, 1812 in ein sicheres Versteck nach Düsseldorf. Wie alle geistlichen Ordensniederlassungen links des Rheines, so wurde auch die Propste! auf dem Apollinarisberg im Jahre 1803 aufgelöst, das gleiche Los traf die Abtei zu Siegburg. Die Wallfahrtskirche verödete und verfiel.

Die Apollinariskirche mit der ehem. Probstei

Erst 1826 kam das Apollinarishaupt wieder nach Remagen, nachdem sich der Trierer Bischof Josef von Hommes bei der preußischen Regierung dafür verwandt hatte. Der Remagener Kaplan Bauer nahm es am 23. Januar 1826 in Düsseldorf in Empfang. Da das Kirchlein verlassen und verwahrlost war, wurde die Reliquie in die Remagener Pfarrkirche gebracht.

Inzwischen hatten die Kölner Gebrüder Sulpice und Melchior Boisseree die Propstei mit den 90 Morgen umfassenden Äckern, Weinbergen, Wiesen und Waldungen im Jahre 1807 von der französischen Regierung für 9025 frcs erworben. Ihrem romantischen Sinn behagte dieser paradiesisch schöne Fleck. Oft weilten sie dort, namentlich zur Zeit der Weinlese. Viele ihrer Freunde, unter denen wir manche Namen von Klang finden, wie E. M. Arndt, Stein, Schinkel, Dorothea von Schlegel, A. W. Schlegel, besuchten damals das Gut auf dem Berge. Als die Brüder Boisseree nach München verzogen, faßten sie schweren Herzens den Entschluß, das Anwesen zu versteigern. Es hatte inzwischen einen Umfang von 205 Morgen angenommen. Am 1. 8. 1836 ersteigerte es der Freiherr Franz Egon von Fürstenberg-Stammheim für rund 24000 Taler. Damit begann in der Geschichte des Heiligtums eine neue glanzvolle Periode. Der neue Besitzer, fromm und kunstsinnig zugleich, beschloß, den Berg als Wallfahrtsort neu zu beleben. Das alte Kirchlein erschien ihm zu unansehnlich. Er ließ es daher — wir müssen sagen leider! — abbrechen. Der Schinkelschüler Ernst Friedrich Zwirner, dessen Name mit dem damals einsetzenden Weiterbau des Kölner Domes verknüpft ist, wurde auch der Baumeister der neuen Kirche. Sie ist zwar ein echtes Kind der Romantik; aber es darf gesagt werden, daß trotz der nachempfundenen Gotik das Ganze wohlgelungen ist und der Rheinlandschaft zur Zierde gereicht. Wie Minarette weisen die vier Fialtürmchen grazil zum Himmel. Was der neuen Apollinariskirche die besondere Note verleiht, das sind die Fresken, welche alle Wandflächen bedecken und den Beschauer in eine festliche und andachtsvolle Stimmung zu versetzen geeignet sind. Ihre Schöpfer sind die Maler Ernst Deger, Franz Ittenbach, Andreas und Karl Müller. Im Auftrage des Freiherrn von Fürstenberg wurden die Arbeiten in den Jahren 1843 bis 1851 durchgeführt. Die Genannten gehörten dem Kreise der sog. „Nazarener" an, der von dem Lübecker Friedrich Overbeck begründet, das Ziel verfolgte, religiöse Malerei im Geiste der Romantik zu pflegen. Namen von Bedeutung sind unter ihnen vertreten, deren Werke als gültiger Ausdruck der Zeit von bleibendem Werte sind: Einer von ihnen war Schadow, dessen Schüler die vier genannten Maler der Apollinariskirche sind. Ein Angehöriger dieser Schule war auch Eduard von Stein-le, der um die gleiche Zeit die Fresken auf Schloß Reineck schuf. Einen ganz christlichen Himmel zauberten die vier in heiligem Eifer und mit jünglinghafter Begeisterung auf die hohen Wände des Kirchenraumes. Leider zeigten sich schon früh Schäden an den Bildwerken, und nach einem Jahrhundert schienen sie dem Untergang endgültig verfallen zu sein.

Ihnen erstand, fast in letzter Minute, ein Retter in der Person des Restaurators Stiewi, dessen hingebender Sorgfalt bereits beachtliche Teilerfolge gelangen und dessen Werk, so hoffen wir, bald glücklich vollendet sein möge! Im Heimatkalender von 1956 hat Harry Lerch ausführlich über diese Rettungsaktion berichtet. Nach Vollendung des Gotteshauses dauerte es noch etliche Jahre, bis es nach feierlicher Einweihung eröffnet werden konnte. Das geschah im Jahre 1857. Es war dem Grafen von Fürstenberg gelungen, Franziskaner als Hüter des Heiligtums und als Betreuer der Wallfahrer zu erhalten. So stand auch der Überführung des Hauptes von St. Apollinaris aus der Remagener Pfarrkirche nichts mehr im Wege. Nach der Einweihung am 26. März 1857, zu der u. a. der Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, der nachmalige König und Kaiser, erschienen war, erfolgte die Überführung der Reliquie am 23. Juli. Seither ist der Berg alljährlich an diesem Tage und in der Festoktav das Ziel Tausender. Aber auch das Jahr hindurch findet mancher Beter und auch mancher Kunstfreund den Weg zum „zierlichsten der Dome", dessen feine Konturen aus dem Bilde der Rheinlandschaft nicht mehr wegzudenken sind. Auch wir wollen erneut den Blick auf diese altehrwürdige Gnadenstätte am Rhein richten, von der seit so manchem Jahrhundert Segen ausging ins rheinische Land und Volk.