Alte Wegkreuze

VON HEINRICH STOTZEL

An der Straße von Niederbreisig nach Brohl steht ein altes Wegekreuz, an dem sich folgendes Unglück ereignete: Es war im Jahre 1720. Die Strahlen der Frühlingssonne trieben jung und alt hinaus in die Natur. Auch der Junker Antonius Franziskus von Stein, ein Vorfahre des berühmten Freiherrn vom und zum Stein, machte einen Ritt, um die Edlen von Rheineck zu besuchen und einen Becher mit ihnen zu heben. Als er so mit seinem edlen Pferde dahinritt, flog eine Schar Raben heiser krächzend über den jungen Ritter. Das Tier zuckte zusammen und bäumte sich wild auf. Der in tiefen Gedanken fahrende Ritter schrak auf, faßte die Zügel fester und gab einen kräftigen Schenkeldruck. Doch zu spät! Das Pferd sprang zur Seite und überschlug sich, und tot lag der Ritter am Boden. Untertanen der Herrschaft Breisig fanden den Gestürzten und erstatteten gar bald dem Amtmann der Äbtissin von Essen pflichtgemäße Meldung. Eilboten eilten nach der Burg derer vom Stein, um die Trauerbotschaft zu überbringen. Unter großem Trauergefolge der Ritter von nah und fern wurde der junge Stein begraben. Ein einfaches Wegekreuz erinnert heute noch an jenen Unfall.

Geht man von Dernau den steilen Pfad nach der Grafschaft zu, dann erblickt man, sobald man aus dem Wäldchen tritt, an einer Wegkreuzung ein unscheinbares Steinkreuz, dessen rechter Arm in den letzten Jahren abgebrochen ist. In der Mitte des Kreuzes erblickt man eine Glocke erhaben ausgehauen; der eine Kreuzarm zeigt das Bild eines Hammers und der andere das einer Xange. Eine Inschrift trägt das Kreuz nicht. Doch weiß das Volk die Geschichte von dem Glockengießer, der den Auftrag erhalten hatte, für die Kirche in Dernau eine neue Glocke zu gießen. Alles wurde an Ort und Stelle vorbereitet zu dem wichtigen Werke, das die Kunst des Meisters zeigen sollte. Doch irgend ein Umstand rief den Glockengießer vor der Ausführung des Gusses noch einmal nach seiner Heimat am Niederrhein. Bevor er jedoch den Ort verließ, wo er die fertige Glockenform und das vorsichtig gemischte Metall unter der Obhut eines zuverlässigen Gehilfen zurückließ, gab er diesem noch den strengen Befehl, die Arbeiten bis zu seiner Rückkehr ruhen zu lassen. Als aber Tag um Tag verging und der Meister immer noch fernblieb, schritt er trotz des Verbotes zur Ausführung des Werkes. Das Metall wurde in Fluß gebracht, und nachdem der Stopfen ausgestoßen war, schoß die goldigrote Flut zischend in die fertige Form hinein. Dem übereifrigen Gesellen schlug wohl das Gewissen, aber ungeschehen machen konnte er es nicht mehr. Nachdem das Metall erkaltet war, ergriff er den Hammer und zerschlug den tönernen Mantel, so daß die neue Glocke sich in leuchtender Schönheit den staunenden Augen der anwesenden Dernauer darbot. Die Dernauer sowohl wie der Geselle waren voller Freude über das gelungene Werk, und unter allgemeiner Teilnahme wurde die Glocke in den Turm hinaufgezogen. Der Glockengießergehilfe ging auf den nach Norden gelegenen Bergrücken, um die Wirkung des Geläutes zu hören. Als er auf der Höhe angekommen, ließ die neue Glocke ihre eherne Stimme durch die frische Abendluft erklingen. Während er noch lauschte, hörte er hinter sich nahende Schritte, und sich umwendend, gewahrte er den strengen Meister. Als er diesem die Kunde gab von dem gelungenen Werke, wurde der Meister in der ersten Aufwallung seines gekränkten Stolzes so erzürnt, daß er nach dem Dolche griff und den Gehilfen erstach. Der zu Tode getroffene Jüngling soll noch eine Strecke über die Ebene gelaufen sein, ehe er leblos zu Boden stürzte, Da, wo die Schreckenstat vollbracht wurde, hat der reuige Mörder das kleine Kreuz errichten lassen, um so seine Freveltat etwas zu sühnen .— So wurde das erste Läuten der neuen Glocke zum Totengeläut des jungen Glockengießers, der in der Freude über sein gelungenes Werk vom Mordstahl getroffen wurde.