Siebenbürger Sachsen

DER SCHUTZWALL DES ABENDLANDES

       Von Heinr. Olbrich

Das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen liegt etwa 200 km nördlich von Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens. Siebenbürgen ist ein Hochland, das hufeisenförmig von Bergen umgeben ist. Von Osten her war es unzugänglich; nach Südwesten bestand die Verbindung durch einige wenige Pässe; nur nach Westen war das Land durch die Flußtäler der Marosch und der Samosch aufgeschlossen. Der Ungarfürst Geisa II. (1141—1162) begann um die Mitte des 12. Jahrhunderts mit einer großzügigen Ansiedlung deutscher Bauern, die ausdrücklich zum „Schütze der Krone" (ad retinendam coronam) ins Land gerufen wurden. Um die reichen Bodenschätze zu heben, holte man auch deutsche Bergleute nach Siebenbürgen. Die Bezeichnung „Siebenbürger Sachsen" ist falsch, denn diese deutschen Kolonisten sind Moselfranken, was ihre bis zum heutigen Tage gepflegte Mundart beweist und die im Luxemburgischen, im Hunsrück und in der Eifel noch heute gesprochen wird. Der Name „Sachsen" entstammt der Kanzleisprache und geht vermutlich auf jene Bergleute zurück, die gleichfalls im osteuropäischen Raum und im Balkan in Bergbaubetrieben eingesetzt worden sind. Letztere kamen aus Sachsen. Die Einwanderung in Siebenbürgen wurde bis ins 19. Jahrhundert fortgesetzt. Die späteren Nachsiedler kamen jedoch aus Westfalen, Schlesien und Österreich; unter ihnen waren viele landesverwiesene Protestanten. Die deutschen Bauern, Bergleute und Handwerker kamen als freie Menschen ins Land, denen der ungarische König territoriale Selbständigkeit, die bis ins 18. Jahrhundert dauerte; und weitgehende Rechte zugesichert hatte. Die Deutschen brachten ihre eigene Lebensordnung sowie die fränkische Bauweise mit.

Die guten Erfahrungen mit den Deutschen veranlaßten König Andreas II., 1224 den Sachsen jenen berühmten „Goldenen Freibrief", das Andreanum, als feierliche Bestätigung der ihnen gewährten Freiheiten zu verleihen, welche von ihnen auch bis ins 18. Jahrhundert zähe verteidigt wurden. An der Spitze der Sachsen stand der von ihnen gewählte Sachsengraf, der die oberste Rechtsprechung hatte und gleichzeitig Anführer des sächsischen Heerbannes war. Die Sachsen waren frei und nur ihren eigenen Gerichten unterstellt. Auf dem Grundbesitz der Deutschen, dem sog. Königsboden, durften andere Nationen nicht siedeln. Erst unter Josef II. wurden 1781 diese Sonderrechte aufgehoben.

Kaum hatten die Sachsen die großen Nöte der ersten Jahrzehnte überwunden, so brach 1241 der Mongolensturm los. Die ungarischen Heere wurden geschlagen und die deutschen Siedlungen gingen in Flammen auf. Bei dem Wiederaufbau wurden schnell Stadtmauern und feste Kirchen= und Fliehbürgen errichtet, um die Wiederholung der Katastrophe zu verhindern.

Die Städte blühten rasch auf, und das Zunftwesen entfaltete eine große Wirksamkeit. Handel und Gewerbe brachten großen Reichtum, von dem die prächtigen gotischen Dome noch heute Zeugnis ablegen. Nach friedvollen zwei Jahrhunderten brachen 1421 die Türken in Siebenbürgen ein und verwüsteten Kronstadt, die damalige Residenz des Königs Sigismund; die Bewohner wurden zum großen Teil verschleppt. Nun wurden die Schutzbauten der Sachsen noch mehr verstärkt, um kommen den Bedrohungen aus dem Osten siegreichen Widerstand leisten zu können. Nach Vernichtung des ungarischen Heeres bei Mohacz (1526) und der ersten vergeblichen Belagerung Wiens (1529) hielten die Türken mehr als 150 Jahre den größten Teil Ungarns besetzt und gliederten es in ihren Staat ein. Siebenbürgen und die inneren Teile West= und Nordungarns gerieten in türkische Tributabhängigkeit und waren dauernden Einfällen und damit schweren Bevölkerungsverlusten ausgesetzt. Erst nach der zweiten erfolglosen Türkenbelagerung Wiens (1683) konnten die Türken aus Ungarn vertrieben werden. Was Aas sächsische Aufgebot in der Türkenabwehr und damit für den Schutz des Abendlandes und seiner christlichen Kultur geleistet hat, bildet ein hervorragendes Ruhmesblatt in der Geschichte dieses südostdeutschen Stammes.

Die gemeinsame Not hat aber auch das Volk immer enger aneinander geschweißt. Es entwickelte sich ein sozial gut ausgeglichenes Leben und eine Kultur, die den Vergleich mit dem deutschen Mutterlande ohne weiteres aufnehmen konnte. Die deutsche Kultur strahlte aus Siebenbürgen und aus dem Banat über ganz Ungarn aus. Bei Mathias Bil, 1730, heißt es: „Es ist bekannt, daß die Städte Ungarns fast ohne Ausnahme deutsche Ansiedlungen waren, die durch Gewerbe und Handel gefördert wurden. Wir würden undankbar sein, wenn wir leugnen würden, daß sämtiche freien und königlichen Städte in dem Maß an Reichtum und Kultur zunahmen, in welchem sie deutsche Siedler aufnahmen."

Dieser feste Zusammenschluß des Sachsentums und seine Absonderung gegenüber den anderen Volksstämmen des Landes vermochten es, daß die Reformation nur nach geringen inneren Kämpfen geschlossen in Siebenbürgen eingeführt wurde, die von dem Kronstädter Stadtpfarrer Johannes Honterus besonders betrieben wurde. Um das Schulwesen zu heben, wurde der berühmte deutsche Pädagoge Johann Amos Comenius ins Land berufen.

Die weitere friedliche Entwicklung des Landes wurde jedoch durch fortlaufende, fast Jahr um Jahr erfolgte Einbrüche sengender und mordender Türkenscharen gestört. Die Bewohner waren diesem andauernden Aderlaß schließlich nicht mehr gewachsen.

Erst als die „Kaiserlichen" 1687 wieder die Herrschaft erlangten und Kaiser Leopold I. 1699 die alten siebenbürgischen Rechte aufs neue bestätigte, waren die Voraussetzungen für das Wiederaufleben des einstigen Gewerbefleißes gegeben.

Kaiserin Maria Theresia fand das Land wieder in vollster Blüte.

Ein Sachse, Samuel Freiherr von Brukenthal, war es, der das Verständnis der großen Kaiserin für die Fragen des Sachsentums gewann. Er wurde sogar Gouverneur des Landes und lenkte segensreich die Geschicke seiner Landsleute. Brukenthal nahm in seinem Hause den Schöpfer der Homöopathie, Hahnemann, auf und steuerte ihn mit Geldmitteln für sein weiteres Studium aus. In Hermannstadt erbaute Brukenthal ein prächtiges Palais, eine bedeutende Bibliothek und eine Gemäldegalerie, die er bei seinem Tode 1804 dem Sachsenvolke vermachte.

Die glücklichen Verhältnisse änderten sich, als Josef II. die Regierung übernahm und eine Überfremdung des Sachsenbodens nicht nur zuließ, sondern sogar förderte. Das Land wurde als Strafkolonie für unruhige politische Elemente betrachtet und diente auch als Aufnahmegebiet für Protestanten, die aus anderen Landesteilen der Habsburger verdrängt wurden.

Das Revolutionsjahr 1848 schlug auch seine Wellen bis in den Südosteuroparaum. Der neue erstarkte madjarische Chauvinismus drang mit Gewalt im Sachsenland ein. Die Madjaren erhielten vor allem nach der Niederlage von Königgrätz freie Hand in der transleithanischen Reichshälfte. Der seit Jahrhunderten bestandene „Königsboden" wurde aufgehoben, die ungarische Komitatsverwaltung eingeführt, und alle Freiheiten der Sachsen und ihr politisches Eigenleben hörten plötzlich auf.

Kirchenburg (Deutsch-Weißkirch, Siebenbürgen)

Deutsche Tracht aus Treppen (Siebenbürgen)
Foto: O. Netoliczka

Nach diesen großen Enttäuschungen erkannten die Sachsen bald die unmittelbare Gefahr, die ihnen durch die Durchdringung ihres Volkstums durch das Madjarentum drohte. Sie schlössen sich eng an ihre sächsische Landeskirche an, welche insbesondere die Erhaltung der Schulen und des kulturellen Lebens überhaupt zur Aufgabe hatte. In diesem Volkstumskampf muß des großen Sachsenbischofs Georg Daniel Teutsch und seines Sohnes Friedrich rühmlich gedacht werden.

Nach dem ersten Weltkrieg, der den Sachsen schwere Wunden geschlagen hatte, wurde Siebenbürgen aus dem ungarischen Staatsgebilde herausgeschält und Rumänien zugeschlagen.

400 000 Deutsche warten hier auf die Heimkehr in ihr Vaterland. Als unsere deutschen Stammesbrüder nach Siebenbürgen kamen, fanden sie eine Wüste vor. Wer hier noch wohnte, verkroch sich in Erdlöchern oder in den Überresten der Ortschaften. Ein Zeitgenosse vor 250 Jahren schreibt: „Serben, Kroaten und Rumänen, nicht bloß die Madjaren, läuterten an unserem Vorbild ihr Dasein. Sie erfuhren jetzt erst mit der ernsthaften Feldbestellung den Segen der geordneten, durchdachten Arbeit. Darin blieben sie fortan unsere Schüler durch jedes Geschlecht, Der Unterschied ist unermeßlich, der sich zwischen ihrer einstigen Hirtenschaft auftut und dem vielgegliederten Volksgewese, in das wir sie hineingehoben." — Und ein Zeitgenosse schreibt: „Ja, man hatte uns gerufen, damit wir neue und herrliche Landschaften schufen —: aber sie, die Nutznießer unserer Fruchtbarkeit, standen auf, als ihnen die Stunde geeignet und dunkel genug erschien, und sie verfielen den Dämonen wieder, die wir in Weizenmeeren begraben hatten. Sie standen auf im August 1944 und bezeugten ihren Dank mit Messern und Enteignung, Verschleppung und Vertreibung. Und dies geschah unter der Sonne, die uns und sie in brüderlicher Schulternähe mehr als drei Jahrhunderte erwärmt hatte."

Der Verfasser dieses Artikels hat im Jahre 1926 eine Vortragsreise bei den Sachsen durchgeführt, die ihn durch Land, Leute und Brauchtum tief beeindruckt haben. Ich kam an einem hochsommerlichen Sonntag früh in meinem Ausgangsdorf an. Die Arbeit stand still. Die Dorfstraßen waren sauber gefegt, und vereinzelt beobachtete ich kleine Gruppen von festlich gekleideten Jugendlichen, die belustigt plauderten. Nun riefen die Glocken zur Kirche. Sofort wurde es lebendig auf den Gassen, und Bauern und Gesinde schritten zum Gottesdienst. Die hochgewachsenen Bauern trugen weiße Filzmäntel, die von buntgestickten Säumen reichlich geschmückt waren, Röhrenstiefel in hohem Glanz und breitrandige Hüte. Stolz rauschten die Frauen und Mädchen durch die Gassen. Die Weiberleut liebten es, allein zu gehen. Es war auch zu wenig Platz auf dem Gehsteig neben einer Bäuerin, denn die vielen gestärkten Unterröcke bauschten sich auf. Die in vielen Farben leuchtenden Gewänder der Mädchen waren überdies mit prächtigen bunten Bändern geschmückt. Die Bäuerinnen trugen die „Haube", die Mädchen den hohen, bändergeschmückten „Borten". Viele Mädchen trugen auch schöne Kopftücher. Der saubere Platz um die Kirche, deren machtvoller Turm als Wehrturm ausgebaut war, erschien mit den frohen Menschen wie ein Festsaal. Hier spürte man den Sonntag wie nirgends, hier ging sein festlicher Pulsschlag am stärksten. Und die Buben und Mädchen, die sich hier versammelten, betraten das Gotteshaus nicht früher, bis sie nicht alle schönen Mädel und Frauen des Dorfes gesehen hatten. Das lebhafte Getriebe vor und neben der Kirche bildete meist den Höhepunkt einer ganzen Woche.

Nach dem Gottesdienst erlebte ich nun folgendes: Die Bäuerinnen stellten sich in vier Haufen zusammen, gemäß der Einteilung des Dorfes in vier Abschnitte. Auf ein Klingelzeichen stiegen sie in den Wehrturm. Dieses machtvolle Gebäude mit seinen dicken Mauern und engen Schießscharten, die für eine ständige Belüftung sorgten, diente in Friedenszeiten als Vorratskammer für den ausgezeichneten Schweinespeck. Jeder Dorfabschnitt hatte eine Etage des Turmes zur Verfügung, und die Bäuerinnen nahmen so viel mit, als sie in der kommenden Woche zu verbrauchen gedachten.

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Aus dem Volksmund der Sachsen: „Jetz kann de Winder kumme!" hat de Zigeiner g'saat, wie'r a Mantelknopp gfun hat.

„Aller Anfang ist schwer!" hat de Zigeiner g'saat, wie'r 'ne Schmitt sei Amboß gestohl hat.