Matthesse Michel
und der hl. Antonius

Eine Eifeler Kalendergeschichte

Von Dr. Otto Pentz

Matthesse Michel war einer jener Bauern, die für ihr Leben gern prozessieren um Grenzsteine, Wasserrechte, Viehkäufe, Testamente, Schuldscheine und undurchsichtige Landtauschereien. Advokaten und Amtsrichtern war er daher ein lieber Bekannter, der half, ihnen Brot und Arbeit zu erhalten. Jedesmal, wenn er wieder einen wichtigen Fall zu bereinigen hatte, von dem er annahm, daß er über seine Kräfte ginge, pflegte er beim morgendlichen Gang ins Städtchen unterwegs vor der Verhandlung ins Waldkapellchen des heiligen Antonius zu treten, das an seinem Wege lag, um in Ermangelung des für schwierige Prozesse zuständigen Heiligen mit ihm, dem Patron der Ehe, der Frauen und Bräute und Helfer gegen Fieber und Seuchen Zwiesprache zu halten und letzte gute Ratschläge zu empfangen. Ja, im Laufe der Jahre entwickelte sich mit Zunahme der Zahl an gewonnenen Prozessen eine Art dankerfüllten, freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Matthesse Michel und dem verehrten Heiligen und Kirchenlehrer. Der Heilige mußte Versprechen und Gelöbnisse anhören, Kerzen des Dankes, deren Rauch sein und des Jesuskindes Gesicht schwärzten, ertragen, Ja, sogar zartliche Liebkosungen sich gefallen lassen. Er ertrug das alles mit wissendem Lächeln und hätte sich auch die Ernennung zum Helfer in schon verloren erscheinenden Prozessen gefallen lassen — ebenso wie er als solcher bei der Auffindung verlorener Sachen bereits fungierte —, wenn es ihm eines Tages mit seinem Verehrer Matthese Michel nicht zu bunt geworden wäre. Als dieser nämlich eines Morgens vor einem sehr, sehr schwierigen Prozeß stand, dessen Ausgang nicht nur ungewiß und dessen Ende kaum abzusehen war, sondern der auch dem so prozeßerfahrenen Michel an die Nerven und die stillen Geldreserven im Sparstrumpf unterm Kopfkissen ging, erschien er bei dem Heiligen und versuchte mit ihm einen Handel wie mit einem heidnischen Halbgott zu tätigen, wobei er ihm gegen gute Prozeßhilfe eine Kuh anbot. Dabei streckte er die Hand aus, damit der Heilige in das Geschäft mit Zuschlag eintrete. Da wackelte Antonius mit dem Jesuskind so empört und vernehmlich auf seinem erhöhten Podest, daß es unserem Michel recht bange wurde und er , gleich richtigstellte, daß er nicht handeln und feilschen wolle, sondern nur ein Versprechen abzugeben gedenke: Den Markterlös für die beste Kuh aus seinem Stall wolle er dem heiligen Antonius zur freien Verwendung als Dank für unbezahlbare Prozeßhilfe bringen. Nun, ihr seht ein: im Stillen setzte er diese Hilfe voraus;, er wollte sich jedoch den Heiligen verpflichten, wie andere sich einen Knecht oder eine Magd erdingen. Und schließlich weiß man ja, daß Heilige keine Kuhforderung mit Nachdruck eintreiben, da sie vom Stande her zu Milde und Nachsicht verpflichtet sind und, losgelöst von den Fesseln irdischer Verhaftung an die Dinge dieser Welt, großmütig einem inständig Bittenden erlassen können. Als aber der Matthesse Michel nach gewonnener Sache nach Hause kam, vermied er es, den Prozeßausgang dem Heiligen persönlich zu melden; er werde in seiner Allwissenheit schon erfahren haben, so beruhigte er sein böses Gewissen, denn in Wahrheit reute es ihn schon um seine beste Kuh Flora. Wochenlang konnte er sich selbst nicht sehen, machte sich Vorwürfe und versuchte, sein beißendes Gewissen zu beschwichtigen, aber vergebens. Allüberall verfolgte ihn das Lächeln des Heiligen, so daß Michel keinen anderen Ausweg aus seiner Not sah, als am nächsten Markttag — es war der 13. Juni, auch noch ein Antoniustag — seine beste Kuh Flora auf den Markt zu leiten. Dort angekommen, bildete sich gleich eine Traube Menschen um ihn herum, denn er bot eine frischmelke Kuh — es war kaum zu glauben — zum Geschenk demjenigen an, der auch einen Hahn mitkaufte. Dabei hob er, immer wieder sein Gebot wiederholend, einen Junghahn hoch, dem er durch Fesseln der Beine das Gehen abgewöhnt hatte; er schwenkte ihn durch die Luft und rief zu den staunenden Gaffern: „Demjenigen meine beste Kuh zum Geschenk, der mir diesen Hahn abkauft!" Denen, die es wissen wollten, flüsterte er, wie man das beim Viehhandel tut, den Preis ins Ohr. Dann lachten sie schalkhaft oder schallend, bis einer in den Handel einschlug und den Hahn kaufte — für 60 Taler — und dazu die Kuh geschenkt bekam.

Im Eifer des Handels — der Michel war nicht mal rot geworden vor Scham, er klimperte sogar stolz mit den Talern in der Tasche — hatte er zuerst nicht gemerkt, wie das Gewissen wieder zu beißen anfing. Es meldete sich so böse und laut, daß er es mit Wacholderschnaps in einer der Thekenwirtschaften am Wege zu ersäufen suchte. Aber das Gewissen läßt sich nicht betäuben, einschläfern oder ersäufen, das erfuhr nun der Michel am eigenen Leibe. Dazu erschien wieder der lächelnde Antonius; ach, hätte er doch nur geschimpft oder mit dem Finger gedroht, aber er lächelte nur, und das erschien dem Michel unerträglicher als das schlimmste Schimpfgepolter. Er lächelte so unermeßlich gütig seinen pfiffigen, gerissenen Menschenbruder Michel an, daß dieser schämig und scheu in der Dämmerung zur Waldkapelle eilte und hier reumütig wie ein ertappter Schuljunge beim Äpfelstehlen niederkniete. Da war keine Rechtfertigung mehr, wie gut er auch alles durchdacht hatte: wahrhaftig, jeder Richter hätte ihm sein Recht bestätigt, das dennoch ein Unrecht war. Richtig-, den Erlös der Kuh hatte er versprochen, nicht den des Hahns, und deshalb blieb nur die Scham, die schließlich die Tränen trieb.

Als sich nach Stunden der Matthese Michel vom Kniebänkchen erhob und nach draußen wandte, gewahrte er im Mondlicht eine Frau, die ihn stumm grüßte. Im Vorbeigehen erkannte er Trautchen, seines Nachbarn Frau, und sah deren verweinte Augen. Als er von ihr erfuhr, daß sie zum heiligen Antonius als dem Helfer bei der Suche nach verlorenen Sachen gekommen war, um seinen Beistand zu erbitten, weil sie heute morgen auf dem Weg zum Markt 60 Taler verloren habe und nun ihr Mann wie rasend tue, da wußte er, daß die 60 Taler für den Hahn, die ihm längst nicht mehr gehörten, hier helfen mußten.

Wortlos gab er ihr gern und freudig das Geld, und über dem Klimpern der Stücke glaubte er den heiligen Antonius aus der Kapelle heraus erleichtert aufatmen zu hören. Dabei fiel es ihm ein, daß dieser nicht nur verlorene Sachen wiederfinden lasse, sondern auch Patron der Ehe sei. Er war stolz und froh, daß er ihm in dieser seiner Aufgabe einen kleinen Dienst leisten durfte, einen Dienst, der ihm mit dem wiedergewonnenen ruhigen Gewissen gelohnt war.