Von Walther Ottendorff-Simrock

Wer vom Rhein her in das Ahrtal kommt, gewahrt zu seiner Rechten einen Bergkegel, der wie ein stummer Wächter das Tal beschirmt. Es ist die Landskron, die einst eine stolze Burg krönte. Heute erinnern nur noch spärliche Trümmer an ihre vergangene Größe. Ein wenig unterhalb des Gipfels steht, eng an die Felswand geschmiegt, eine Kapelle. Der Jungfrau Maria ist das kleine Gotteshaus geweiht, das im Volksmund „Jungfernkapelle" heißt.

Auf der Burg Landskron herrschte einst ein mächtiger Graf. Er hätte drei Töchter, von denen die eine immer schöner, aber auch tugendsamer war als die andere. Auf die Jüngste hatte der Ritter von Tomberg sein Auge geworfen und begehrte sie zur Gattin. Zu seiner großen Enttäuschung wurde er aber abgewiesen. Das erzürnte ihn, und von Stund an wartete er auf eine günstige Gelegenheit, um blutige Vergeltung zu üben. Eines Tages ritt der Herr von Landskron mit großem Geleit auf die Jagd und ließ nur wenige Knechte zur Bewachung der Burg zurück. Davon hatte der Tomberger Wind bekommen und er fiel mit seinen Leuten in die Feste ein, durchstöberte sie vom obersten Turmgemach bis zum tiefsten Verlies, und was er suchte, läßt sich schnell erraten: es war das holdselige Ritterfräulein. Als er das Mädchen nicht fand, befahl er, Fackeln anzuzünden und das Schloß in Brand zu stecken.

Die Schwestern waren durch ein Schlupfpförtchen der Burg geflohen und hielten sich im Schatten der äußeren Ringmauer verborgen. Als nun aber der grelle Feuerschein ihr Versteck erleuchtete, wurden sie bald bemerkt. Bevor jedoch rohe Fäuste sie ergreifen konnten, kletterten sie auf die Mauerzinne und sprangen in ihrer Verzweiflung die steile Wand herab auf den Felsen, der jetzt die Kapelle trägt. Aber auch dorthin eilte ihnen, rasend vor Wut, der Tomberger nach. Da knieten die Geängstigten nieder und empfahlen sich in Gottes Hut. Und siehe, die Felswand öffnete sich, eine Grotte wurde sichtbar, nahm sie schützend auf und schloß sich wieder hinter ihnen. Die Verfolger standen verdutzt und zogen unter wilden Flüchen davon.

Inzwischen war der Graf zurückgekehrt. Die in Flammen stehende Burg hatte den eiligen Heimweg erhellt. Mit seinen Reisigen setzte er auf schäumenden Pferden den Feinden nach und stellte sie, bevor sie noch ihre Burg erreicht hatten. Der Herr von Tomberg fiel im Zweikampf durch die Hand des Landskroners. Nun suchte der Graf nach seinen Töchtern, doch alles Forschen und Fragen blieb vergeblich. Im Schmerz um die Verlorenen fand er zwei bitterschwere Nächte hindurch keinen Schlaf mehr. Da erschien ihm in der dritten Nacht ein Engel. Dieser führte ihn zu der Felswand, hinter der die Grotte lag. Sie öffnete sich und entließ die Mädchen unversehrt in die Arme ihres überglücklichen Vaters. Zum Andenken an die wunderbare Rettung der verfolgten Unschuld ließ der edle Burgherr die Kapelle erbauen. Mit ihren weißen Mauern schaut sie noch immer stillmahnend ins Tal der Ahr.