SEMPRONIUS

VON DR. HERMANN OTTO PENZ

In seinen Stunden klang zu den Hörnern der Feldmusik der Marschtritt der siegreichen Legionen. In ihnen hörten wir die Hirtenmädchen Campamens zu der Flöte singen, die redegewaltigen, weißbärtigen Senatoren gaben selbstsicher und weise ihre Ratschläge, Gladiatoren, Zirkusreiter und Wagenlenker verneigten sich vor den jubelnden Massen im weiten Rund der Arena, Perser und Skytlien,stolze Germanenfürsten und Königstöchter aus Mauretanien, goldene Altarbilder von den Ufern des trägen Nil, Imperatoren unterm Siegerlorbeer. Aber auch das war da: kochendheißer Dampf mit Schweißgeruch gemischt, der aus öffentlichen Badestuben drang, meuternde Sklaven und Peitschenhiebe auf die ölig glänzenden Rücken von Galeerensträflingen, lukullische Genüsse, die man liegend einnahm, weiße Ochsen vor dem bollernden Karren auf der Via Appia, Geldwechsler, Barbiere, Gauner, Prätoren und Auguren, spielende Kinder am Tiberufer, Fahnenflüchtige, Spekulanten, Getreideimporteure und persische Sklavinnen, die auch in der Fremde sich den Zauber morgenländischer Rosen bewahrt hatten.

Sempronius war in unseren Augen überall dabei gewesen: Bei Cannae und Zama, vor Lilybaeum und beim Sturm auf Karthago. .Kr hatte in Syrien Grcnzwacht gehalten und am Cheviotgebirge, hatte Caesar gekannt und Varus vor dem Marsch durch die Schluchten des Teutoburger Waldes gewarnt. Er zeichnete Brückenmodelle und Wachttürme, Belagerungsmaschinen und Lederhelme, Tempel, Landhäuser, Wasserleitungen und Straßenprofile. Er hatte eine Rechtsanwaltspraxis betrieben, lange an einer Rhetorerischule gewirkt, war zur See gefahren, hatte mit Olivenöl, spanischem Erz, sizilianischem Getreide und griechischem Tonzeug gehandelt, Landgüter in Laden und Umbrien bewirtschaftet und gute Beziehungen nach Rom besessen. Er war als Statthalter ausgeschickt gewesen und wieder unter das Feldzeichen geeilt, als ihn Wein und Geld, Ruhm und weiche Kissen angeekelt hatten. Keiner wagte es, Sempronius zu widersprechen. Er kam, sah und siegte, war gerecht und streng, verlangte nichts, was er nicht besser selbst vormachen konnte, verachtete Pöbel und Landlose, Rebellen und Feiglinge, unterschied zwischen Frauen und Weibern, war stets glatt rasiert und ließ sich keine Unregelmäßigkeit entgehen. Als Römer schlug er nicht, sondern strafte mit Blicken und knappen Gesten, lobte jedoch auch den Richtigen am rechten Platz und im. rechten Augenblick. Er war unverheiratet und sah die Hefte mit einer Gründlichkeit nach, die selbst Augustus in Staunen versetzt hätte. Als ich ihm einmal in der Stadt begegnete, straffte ich meinen kleinen Körper und salutierte militärisch. Da lächelte er, wie ich ihn noch nie hatte lächeln sehn, und er grüßte seinen jüngsten Legionär mit väterlichem Kopfnicken. Ich habe Sempronius viel zu danken, er zeigte mir das Rom der Legionen und Wasserleitungen. Das Rom der Gnade konnte und durfte er mir nicht zeigen, weil er es nicht kannte und dies im Lehrplan auch nicht vorgesehen war. Aber ohne seine Arbeit hätte sein kleiner Legionär nie den Weg zur Hauptstadt der Welt gefunden.