Die letzten Grafen von Neuenahr-Moers (1519-1560)

VON DR. DR. CARL MÜLLER

Die Grafen von Neuenahr wären wahrscheinlich in der Geschichte der Rheinlande kaum zu größerer Bedeutung gelangt, wenn sie nicht durch eine kluge Heiratspolitik zu ihrem Besitz an der Ahr noch eine Landesherrschaft am Niederrhein dazu gewonnen hätten. Als Graf Vinzenz, der letzte Graf von Moers, seine Enkelin Margarethe mit dem Grafen Wilhelm von Wied verheiratet hatte und dessen Tochter Anna die Gemahlin des Grafen Wilhelm V. von Neuenahr geworden war, kam die Grafschaft Moers mit den Städten Moers und Krefeld und außerdem die Herrschaft Bedburg an der Erft in den Besitz der Grafen von Neuenahr, die ihren Namen Nuenar oder Newenar schrieben. Graf Wilhelm war in den geistigen Strömungen und politischen Kämpfen des 16. Jahrhunderts kein bloßer Zuschauer, sondern ein Mann von zupackender Tatkraft. Da er seinen Onkel, den Erzbischof Hermann von Köln, in seinem Bestreben unterstützte, das Erzstift Köln in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln und hier eine kirchliche Reform im Sinne Dr. Martin Luthers einzuführen, wurde er bald in die politischen Streitigkeiten des Reiches hineingezogen. Als Inhaber von Bedburg saß Graf Wilhelm im kurkölnischen Landtag und bei der Krönung des Kaisers Karl V. 1520 in Aachen war er Vertreter des Erzbischofs. Mit großer diplomatischer Geschicklichkeit begabt, wurde er vom Kaiser und verschiedenen Fürsten in Anspruch genommen. So wurde er 1526 Unterhändler bei dem Ehevertrag zwischen der Herzogstochter Sibylla von Jülich und dem Kurprinzen Johann Friedrich von Sachsen, der 1532 Kurfürst wurde. Auf dem Reichstag von Augsburg, wo 1530 über das Schicksal der kirchlichen Reformation entschieden wurde, ist er neben dein Grafen Wilhelm von Nassatt in der Gesandtschaft des Kurfürsten von Sachsen. Im Jahre 1529 reiste er nach Lothringen zum Herzog Anton, der als Sohn der Philippa von Geldern Erbansprüche auf Geldern erhob und dem Grafen Wilhelm eine jährliche Pension von 1000 Gulden zahlte. Wenn sein Bruder, der Dompropst Hermann ein Freund des Erasmus von Rotterdam, sich mehr auf der humanistischen Seite hielt, so wurde Graf Wilhelm dagegen ohne Zweifel früh ein Anhänger der lutherischen Reform, denn er schickte einen Prediger, wahrscheinlich Heinrich Bommel, auf die Universität Wittenberg. So konnten bereits 1543 die evangelischen Prediger in der Grafschaft sich zu einer Synode zusammenschließen, die in Moers tagte.

Solange die von vielen Gutgesinnten gewünschte Neuordnung des kirchlichen Lebens noch nicht erfolgt war, und da sich erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Herausbildung der Konfessionen zeigte, vermied es Graf Wilhelm, gegen den Willen des Kaisers, im Sinne des Staatskirchentums eine Reformation im Sinne Luthers oder Calvins einzuführen. Nachdem der Kaiser Karl V. den Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg im Jahre 1543 in Venlo gezwungen hatte, mit Erbansprüchen auf das Herzogtum Geldern zu verzichten, standen kaiserliche Truppen in bedrohlicher Nähe im Geldernland. Die innenpolitischen Verhältnisse des Reiches waren in der damaligen Zeit so stark mit den Fragen der Neuordnung des kirchlichen Lebens verknüpft, daß es erst seinem Sohne, dem Grafen Hermann gelang, von seinem Lehensherrn, dem Herzog von Kleve im Jahre 1554 mit der Grafschaft Moers und Krefeld belehnt zu werden. Jetzt bekam er freie Hand, um 1560 die reformierte Kirchenordnung im Sinne Calvins einzuführen, wie ja auch der Calvinismus in den benachbarten niederländischen Generalstaaten das kirchliche Leben geprägt hat. Nur das Nonnenkloster in Krefeld, das kirchlich vorn Prämonstatenserkloster zu Steinfeld in der Eifel betreut wurde, durfte den katholischen Gottesdienst weiterpflegen. Dadurch erhielten die Anhänger der katholischen Kirche in der Herrlichkeit Krefeld, die in der Mehrheit waren, Gelegenheit zum Besuch des Gottesdienstes in der gewohnten Weise. Dagegen wurde das Karmeliterkloster in Moers aufgehoben und sein Besitz der neugegründeten Lateinschule überwiesen.

Hermann von Nauenohr

Adolf von Neuenahr
2 Fotos: J. u. H. Steinborn

Graf Hermann griff auch über seine Grafschaft hinaus in die Politik der rheinischen Länder ein. Als Erzbischof Salentin von Isenburg 1577 auf seine Stellung als Erzbischof von Köln verzichtete, und als das Domkapitel in Köln einen Nachfolger wählen mußte, nahm Graf Hermann als Herr von Bedburg und Mitglied der kurkölnischen Landstände an den Sitzungen des Domkapitels teil und überredete dieses, den Domherrn Gebhard Truchseß von Waldburg zu wählen. Der päpstliche Nuntius Porzia in Köln, der dem Grafen Hermann mißtrauisch gegenüberstand, kennzeichnete den Grafen Hermann in seinen Berichten: "Er hat bedeutende Geschichtskenntnisse und steht auch in anderen Wissensgebieten über dem Durchschnitt dieser Adeligen. Er hat engste Beziehungen zu Oranien, ist das Haupt und Orakel der westerwäldischen Grafen, steht im höchsten Ansehen beim Adel." Für die Verwaltung und das Wirtschaftsleben der Grafschaft erließ Graf Hermann mit Zustimmung des Kaisers Maximilian  II. am 10. Mai 1566 eine wichtige Gerichtsordnung, wodurch ein Einspruch gegen die Urteile des Hauptgerichts von Moers nicht gestattet war bei Sachen, deren Wert zu Anfang des Streites auf 200 und weniger Gulden angegeben war (Privilegium de non appellando). Angeblich wollte er damit vermeiden, daß durch eine Einspruchserhebung gegen Urteile des Hauptgerichtes in Moers die Entscheidung vor das Reichskammergericht in Speyer komme, was seinen Untertanen erhöhte Kosten auferlegte. Die sorgfältig durchgearbeitete Gerichtsordnung stützte sich zwar auf die bisherige mündliche Überlieferung, brachte sie jedoch in schriftlich festgelegte Formen. Auch für die Verwaltung seiner Güter und über die Steuererhebung erließ er schriftliche Richtlinien für die Führung der Lagerbücher. Der nach der Schließung des Karmeliterklosters in Moers errichteten Lateinschule überwies er die gesamten Renten des Klosters, so daß diese reichlich ausgestattet wurde.

Als Graf Hermann am 4. Dezember 1578 kinderlos gestorben war - seine Gemahlin, eine Schwester Wilhelms von Oranien, war früher verschieden -, erbte die Grafschaft seine Schwester Walpurgis, da der Herzog von Kleva die weibliche Erbfolge anerkannt hatte. Bereits im Jahre 1569 hatte die Gräfin Walpurgis, in erster Ehe mit dem unglücklichen Grafen Horn vermählt, der mit dem Grafen Egmont 1568 auf dem Marktplatz in Brüssel enthauptet wurde (vergl. Goethes Egmont), damals 42jährig, den 26jährigen Verwandten Adolf von Neuenahr und Limburg geheiratet. Graf Adolf war Besitzer der Herrschaften Hohenlimburg in Westfalen sowie der kurkölnischen Herrschaften Hackenbroich und Alpen. Die weibliche Erbfolge war vom Grafen von Salm-Reifferscheidt Dyck, der spanischer Oberst war, nicht anerkannt worden. Nachdem er Bedburg erobert hatte, wurde er zwar vom Grafen Adolf verdrängt; aber das Reichskammergericht zwang ihn, die Herrschaft Bedburg an den Grafen Salm herauszugeben.

Nachdem der zum Erzbischof von Köln gewählte Gebhard Truchseß von Waldburg versucht hatte, das Erzstift in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln, und nachdem er die Gerresheimer Stiftsdame Agnes von Mansfeld geheiratet hatte, wurde er vom Grafen Adolf in seinen Bestrebungen unterstützt. Obwohl der Papst den Erzbischof abgesetzt und das Domkapitel zu seinem Nachfolger den Prinzen Ernst von Bayern gewählt hatte, blieb Graf Adolf in dem 1583 ausgebrochenen kölnischen oder truchsessischen Kriege auf der Seite Gebhards. Dieser ernannte am 14. April 1583 den Grafen Adolf zum Regiments-Obersten, der das Niederstift besetzte und Bedburg und Uerdingen gegen die Truppen des neuen Erzbischofs Ernst von Bayern verteidigte, ja sogar einen erfolgreichen Kriegszug in das kurkölnische Westfalen unternahm. Obschon Graf Adolf sich die Reichsacht zugezogen hatte, eroberte er 1585 die Stadt Neuß, wo er den Drostensohn Friedrich Hermann von Pelden, gen. Cloudt, zum Gouverneur einsetzte. Beim Sturm auf die Festung Neuß durch spanische Truppen unter dem Herzog Alexander Farnese von Parma wurde der junge von PeldenCloudt verwundet und erdrosselt.

Als die Spanier auch die Grafschaft Moers mit den Städten Moers und Krefeld und die Burg Krakau besetzt hatten, trat Graf Adolf in die Dienste der niederländischen Generalsstaaten und wurde Gouverneur von Utrecht und Overyssel. Im Jahre 1589 starb er jedoch in Arnheim an den Folgen einer Pulverexplosion. Seine Gemahlin, die Gräfin Walpurgis, die außer dem verstorbenen Sohne Philipp keine Kinder besaß, schenkte 1594 die Grafschaft Moers dem Prinzen Moritz von Oranien. Diesem gelang es 1597, die Grafschaft Moers von den Spaniern zurückzuerobern und die Gräfin Walpurgis nach Moers zu geleiten, wo sie bereits am 25. Mai 1600 an der Pest starb, da sie Pestkranke pflegte. Klevische Truppen, die bald Moers besetzten, mußten im August 1601 die Grafschaft dem Prinzen von Oranien überlassen, der in die Festungen Moers und Krefeld sowie in die Burg Krakau Soldaten legte und damit Landesherr der Grafschaft wurde.

Mit dem Stammlande an der Ahr blieben die Grafen von Neuenahr-Moers in guter Verbindung, wenn sie auf ihren Reisen zu den Reichstagen in Speyer oder 1566 in Augsburg einige Tage in Neuenahr verweilten und ihre Verwandten, die Grafen von Wied besuchten. Auf ihre Abstammung von der Ahr legten sie großen Wert, so daß sie sich auch bei Verträgen mit fremden Staaten immer zuerst Grafen von Newenar, dann erst von Moers nannten. Von allen Mitgliedern des Grafenhauses von Neuenahr sind bei den Grafschaftern nicht so sehr die Diplomaten Wilhelm und Hermann und auch nicht der tollkühne Soldat Adolf im Gedächtnis geblieben, sondern weit mehr die Gräfin Walpurgis. Ihre schweren Schicksalsschläge durch die Hinrichtung des in eine Verschwörung verwickelten ersten Gatten, des Grafen Horn in Brüssel, der Tod ihres einzigen Sohnes Philipp, das Unglück ihres zweiten Gatten, des Grafen Adolf, der 1589 in Arnheim bei der Prüfung eines von ihm hergestellten Geschützes durch eine Pulverexplosion, einen frühen Tod fand, erregte das Mitleid ihrer Landeskinder, besonders ihre todbringende Krankheit an der Pest.

Walburgisstift in Neuenahr
Foto: J. u. H. Steinborn

So blieb die mildtätige Gräfin in guter Erinnerung. Kein Wunder ist es, daß die tatkräftige Haltung der Grafen von Neuenahr-Moers in der Geschichte der Rheinlande eine hervorragende Würdigung gefunden hat.

In Bad Neuenahr erinnert an die letzte Gräfin von Neuenahr das Walburgisstift, das heute als Internat für die Schülerinnen des Staatl. Aufbaugymnasiums dient.

Der Graf-Adolf-Weg, ein Waldpfad, der oberhalb des Amseltales zur Ruine der Burg Neuenahr führt, hält das Gedächtnis an den letzten Grafen von Neuenahr fest.

Beim Wandern über den Graf-Adolf-Weg wollen wir uns des Lobliedes erinnern, das Gottfried Kinkel in seinem Ahrbuch 1845 dem letzten Grafen von Neuenahr singtIn ihm war noch einmal die Kraft jenes Ahrgeschlechtes aufgelodert, das in seinen verschiedenen Linien von den Gaugrafen der Ottonenzeit an durch Namen, wie Gerhard und Konrad hindurch, bis zu diesen Kämpfen für die Reformation länger als ein halbes Jahrtausend an dem Teppich der Rheinischen Geschichte im Guten wie im Bösen, aber immer ruhmvoll, mitgewoben hatte. Adolf scheiterte, wie so mancher der letzten Ritter dieses 16. Jahrhunderts, nicht an der Ohnmacht der Persönlichkeit, sondern an dem gewaltigen Übergewicht der Dinge; sein Glück hat nie sein Verdienst erreicht."