Hochwasser im Brohltal

VON STEFAN BELL

„Das Lied vom braven Mann", „Johanna Sebus", „Nis Randers" und viele andere Dichterwerke führen uns herrliche Heldengestalten der Nächstenliebe vor Augen, die uns zeigen, wie sich der wahre Geist der Gemeinschaft besonders in Notzeiten in großen Taten auswirkt. Zugleich erkennen wir aus diesen Geschehen, wie gerade das Lebenselement Wasser oft die „Gebilde der Menschenhand" zerstört. - Auch der sonst ruhige Brohlbach hat öfters den fleißigen Bewohnern des Brohltales Schrecken und Unheil gebracht. Zwei Überschwemmungen ganz großen Ausmaßes werden uns aus dem 19. Jahrhundert berichtet.

Am 11. Juni 1859 entlud sich ein Unwetter, das den Orten Niederzissen, Oberzissen, Rodder, Waldorf und Gönnersdorf ungeheuren Schaden zufügte. In kurzer Zeit war der Brohlbach ein reißender Strom, der ohne Erbarmen alles zerbrach und zertrümmerte, was seinen Wassern erreichbar war. Die großen Regenmassen gingen hauptsächlich über dem Höhenzuge nieder, der vom Bausenberg zum Perlenkopf verläuft. So brachte das „Bächel" - ein sonst kleines Rinnsal - gewaltige Wassermassen in die Hauptstraße des Dorfes. Bald mußte ein baufälliges Haus auf der „Eich" den Fluten nachgeben, und es stürzte ein. In einem alten Hause in der Mittelstraße hatten sich viele Leute angesammelt. Sie mußten in die zwei Stuben im ersten Stockwerk flüchten. Die wilde Flut brachte auch dieses Haus bald zum Einsturz. Die Leute in der Stube an der Fallseite ertranken sämtlich, während die andern sich auf den Trümmern halten konnten und gerettet wurden. Im ganzen forderten die rasenden Elemente 19 Opfer an Menschenleben in Niederzissen. Ebenso wurden viel Vieh, Möbel und Ackergeräte von den Fluten fortgeführt. Der Wert der Verluste konnte später gar nicht mehr festgestellt werden. Ungeheuer groß waren auch die Schäden in den Fluren. Die Ernte war vernichtet, tiefe Furchen durchzogen die Felder, und an vielen Stellen war der gesamte Mutterboden fortgeschwemmt. Grauenhaft war das Bild, das sich am anderen Tage - Pfingsten 1859 - dem Auge bot. Dieser Wolkenbruch brachte wohl das fürchterlichste Unglück, das die Zissener Lande seit Menschengedenken heimgesucht hat.

Nicht gerade so unheilvoll in seinen Folgen war der Wolkenbruch am Samstag, dem 23. Juni 1888. Von Mittag an drängte im Brohltal ein Gewitter dem andern nach. Um 4 Uhr nachmittags hatte das Niederdorf schon Hochwasser, so daß kein Mensch sich mehr auf die Straße wagen durfte; die Horststraße war noch frei. Gegen 9 Uhr abends ging im oberen Brohltal ein Wolkenbruch nieder. Ganz plötzlich trat jetzt der Brohlbach über die Ufer, und im Nu waren Mittelstraße und Marktplatz überschwemmt. An der Ecke Mittelstraße und Hauptstraße bildete sich ein größer See. Die Bewohner der Mittelstraße suchten in der alten Schule Schutz. Die Eisenbrücke in der Mittelstraße hielt dem Unwetter stand. Nebenan wurde ein kleines Fachwerkhaus eingedrückt; das Mobilar wurde abgetrieben, und das Wasser ergoß sich frei über die Straße. Ein mitgeführter Baumstamm legte sich quer vor das Haus Berger. Inzwischen riß das Wasser die Brücken in der Kapellenstraße und der Mühlengasse ab. Die Leute achteten beim Rettungswerk nicht mehr auf Blitz und Donner, die noch ständig tobten. Im Hofe des Matthias Schleich bemühte sich ein Mann um die Rettung des Viehes. Da kam plötzlich eine starke Wasserwelle. Mit Not konnte der Mann von der hohen Steintreppe aus noch ins Haus gezogen werden.

In der Mühlengasse flüchtete eine Kuh. Sie geriet am Schuttabladeplatz ins Wasser und trieb bis zur Brücke bei Bremm ab. Hier wurde sie heil aus dem Wasser geholt.

Im Hause Felden sagte die kleine Katharina (Kind von 7 bis 8 Jahren) zur Mutter: „Nun haben die Leute soviel um Regen gebetet; nun können sie auch beten, daß es wieder aufhört."

Bei diesem Unwetter war im Zissener Lande wenigstens kein Menschenleben zu beklagen. In Brohl dagegen ertrank eine Frau mit Namen Thoma. Tags darauf war Brohler Kirmes. Das Hochwasser trieb die Kirmesbude der Eheleute Thoma fort und brachte der Frau den Tod.