Histörchen aus alter Zeit

Neuerzählt von

Walther Ottendorff-Simrock

Sieben Schröm

In der Eifel und an der Ahr spielte man noch vor einigen Jahrzehnten ein Kartenspiel, das im Volksmund „Sieben Schröm" heifit. Zu seinen begeisterten Anhängern zählte auch ein Schneidermeister aus Neuenahr, ein vom steten Schalk besessener Mann. Er traf einst in einer Wirtschaft einen Eifelbauern, der einen wunderschönen Vollbart trug. Der Schneidermeister schaute auf und wunderte sich: wahrhaftig, der bäuerliche Bart war genau so groß, lang, breit und dicht wie jener, den er, der Schneidermeister, trug. Nun waren aber noch mehr Leute in der Wirtschaft, und so blieb es nicht aus, daß schon bald Neckereien wegen der Barte hin und her gingen, bis man in tollem Übermut eine Wette abschloß. Die Karten sollten entscheiden, wer das schönste „Kraut" am Kinn trüge. Dieser sollte seinen Bart behalten, während der Verlierer seiner Zier verlustig gehen würde.

Der Ausgang des Spieles, das zwei- bis dreimal wiederholt wurde, um jedem der Beteiligten eine Chance zu geben, hing nun nicht nur von der Tüchtigkeit des Spielers, sondern auch vom Glück ab. Das erste Spiel gewann der Eifelbauer, und da wurde es unserem Schneidermeister, der allgemein als einer der besten Kartenspieler galt, etwas schwummerig zumute. Er meinte mit einem Male zu den Umstehenden, es sei ziemlich warm im Raum, und öffnete das Fenster. Man spielte nun weiter, und das zweite Spiel ging zu Gunsten des Schneidermeisters aus. Bei der dritten Runde, die die Entscheidung bringen sollte, war das Lokal knüppeldick von Menschen gefüllt. Die Leute stierten auf die Spieler, und die Spannung wuchs immer höher. Eine solche Wette hatte man ja schließlich noch niemals erlebt. Das Ergebnis des sonderbaren Spieles ging für den Bauern unglücklich aus, denn unser Schneidermeister gewann mit haushohen Punkten. Der Bartscherer, der sich auch unter den Zuschauern befand, zwitscherte mit seiner Schere und trat auf das Bäuerlein zu. So sehr dieser auch jammerte und lamentierte, ritsch-ratsch, der Bart war ab! Das Gras am Kinn war zwar nicht schön gemäht, es glich eher einem Stoppelfeld, aber — der Bart war ab! Als er nun ohne männliche Zierde zu seinem Eheweib kam, erkannten ihn weder seine Kattrin noch seine Sprößlinge. Der Schneidermeister aber saß wie ein stolzer Pfau unter der Schar der Zuschauer als Sieger dieser originellen Wette und fuhr mit breitgriffigen Händen über seinen stolzen Bart. Da fragte ihn einer: „Pitter, warum hast Du denn während des Spiels mit einem Mal das Fenster so weit aufgemacht? So schrecklich warm ist es hier in der Wirtsstub' doch nicht!" Als Antwort hatte unser Schneider nur ein ganz verschmitztes Lächeln, hustete dreimal und sagte: „Nee, warm ist es in der Wirtsstub' nicht: Hätte ich das Spiel verloren, wäre ich mit einem Satz aus dem Fenster gesprungen, und meinen Bart hätte ich bestimmt nicht bei Euch gelassen!"