Ein Auseinandersetzungsvertrag

VON HERMANN BLUMANN

Mit dem 5. Landesgesetz über die Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz von 1969, wurde der Zusammenschluß vieler Städte und Gemeinden angeordnet.

Von dem ehemaligen Amtsverwaltungsbereich Sinzig waren die Gemeinden Franken, Koisdorf, Löhndorf und Westum von diesem Gesetz ebenfalls betroffen. Diese Gemeinden hatten im Frühjahr 1969 trotz teilweise vorherigen ent-gegenlautenden Überlegungen alle den Beschluß zur Eingliederung in die Stadt Sinzig gefaßt. Der Stadtrat von Sinzig wiederum hat sich mit den Eingemeindungswünschen beschäftigt und den teils freiwilligen, teils durch das Verwaltungsvereinfachungsgesetz angeordneten Eingliederungsmaßnahmen seine Zustimmung zur Eingemeindung in die Stadt Sinzig gegeben. Nachdem nun von" den einzelnen Gemeinden und der Stadt Sinzig „Auseinandersetzungsvertrage" über die künftigen Rechte und Pflichten der Gemeinden und der Stadt aufgestellt, beschlossen und unterzeichnet worden waren, führte man am 8. Juni 1969 die Wahl des neuen Stadtrats von Sinzig von den Wahlberechtigten der Stadt sowie den Dörfern durch. Die Gemeinden Franken, Koisdorf , Löhndorf und Westum gingen vom gleichen Tage an in die Stadt Sinzig über. Gleichzeitig traten auch die Auseinandersetzungsverträge in Kraft. Vor diesem geschichtlichen Datum wurde vieles von alten gemeindlichen Rechten, Jahrhunderte alter Selbständigkeit, Gemeindevermögen und Besitzerrechten gesprochen. Doch keiner wußte so recht, wie es wirklich damit war. Deswegen erscheint es auch heute noch interessant zu sein, etwas von einem wörtlich zu nehmenden „Auseinandersetzungsvertrag" aus dem Jahre 1787 zu hören. Zwar wurden zu dieser Zeit zwischen Gemeinden und Städten keine Verträge geschlossen, sondern nur die Befehle des Landesfürsten befolgt oder sich einem Urteil dieses allmächtigen Herren unterworfen.

Mit einem von den Gemeinden Koisdorf, Löhndorf und Westum im Jahre 1765 in die Wege geleiteten Prozeß gegen die Stadt Sinzig sollten bedeutende Belange der Dörfer, die einer Rechtsgrundlage entbehrten, geklärt werden. Damit sollte gleichzeitig auch eine endgültige Trennung von der Stadt Sinzig herbeigeführt werden. Notwendig wurde eine Entscheidung, weil die Stadt Sinzig zu jener Zeit bei gemeinsamen Belangen alle Zweifelsfälle zu ihren Gunsten auslegte und die Dörfer leider allzuoft das Nachsehen hatten. Der über 22 Jahre andauernde Prozeß fand nun in einem Urteil vom 13. Februar 1787 ein Ende. Im heutigen Sinne und in gekürzter Form lautet dieses Urteil:

„Wir, Carl Theodor, von Gottes Gnaden Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Ober- und Niederbayern, des heiligen römischen Reiches Erztruchseß und Kurfürst zu Jülich und Berg, Herzog usw. lassen heute folgendes Urteil ergehen:

Auf Antrag der Einwohner aus den Dörfern Westum, Löhndorf und Koisdorf als Kläger einerseits und die Bürgermeister und Einwohner der Stadt Sinzig als Rückkläger andererseits ist mit hinzugezogenem unparteiischem Rechtsrat zu Recht anerkannt:

  1. Der der Stadt Sinzig und den Dörfern bisher gemeinsam gehörende Harterscheider Wald ist zwischen der Stadt und den Dörfern zu zwei gleichen Teilen zu teilen. Der Wald der Dörfer ist dann unter diesen je nach Lage wieder aufzuteilen. (Die Aufteilung würde danach auch vorgenommen, wobei man Franken mitberücksichtigte. Die Einwohner von Franken hatten anschließend den ihnen zustehenden Teil auf die Familien aufgeteilt, so daß kein Gemeindewald verblieb.)
  2. Die Aufteilung des Märker-Waldes sollte bis zu einer Einigung der Märker ausgesetzt werden. (In der seit 1334 bestehenden Markgenossenschaft zu Sinzig waren auch Bewohner der 3 Dörfer, die privatrechtlichen Anteil an dem Genossenschaftswald hatten. Die Aufteilung dieses Waldes wurde auch gegen 1792 vorgenommen.)
  3. Das Bürgerhaus ist entweder zu verteilen oder bei dessen Unteilbarkeit den klagenden Dörfern die Hälfte des Wertes zu vergüten.
  4. Der Stadtgraben ist ebenfalls zur Teilung zu bringen. Und zwar derart, daß die Dörfer die Hälfte erhalten. Dabei sollen die Einkünfte, aber auch die Schulden, die mit dem Graben-Land in Verbindung stehen, je zur Hälfte aufgeteilt werden. Die Repa-'ration der Stadtmauer ist gleichfalls aufzuteilen.
  5. Den klagenden Dörfern eine der Mühlen gegen Auslösung oder Übernahme der Hälfte des Wertes oder gegen Übernahme der nachweislich gemeinsamen Schulden abzutreten. Sollte hierüber keine Einigung erzielt werden, sollte das Los entscheiden.
  6. Den Klägern ist innerhalb von 4 Wochen zu beweisen, daß der sogenannte „Dorn" (Gemarkung rechts an der Ahrmündung) ihnen mit der Stadt Sinzig gemeinsam gehört.
  7. Das Gehalt des gemeinsamen Försters ist, solange er beibehalten wird, aus den Einkünften des Waldes zu entnehmen. Nach der Aufteilung des Hartscheider Waldes wird es den Dörfern gestattet, einen eigenen Förster zu halten. Dieser ist aus Mitteln, die den Dörfern am dienlichsten erscheinen, zu entlohnen. Einkünfte aus dem aufgeteilten Wald fallen den jeweiligen besitzenden Gemeinden zu.
  8. Die ehemaligen Ratsmitglieder der Dörfer sind von der Ablieferung der örtlichen Steuern und eingenommenen Strafgelder an die Stadt freizusprechen. Es ist nachzuweisen, daß die bisher in den Dörfern erhobenen Steuern und Strafgelder zum Nutzen der Dörfer auch wieder verwendet wurden. Andernfalls sind diese den Dörfern zu erstatten.
  9. Der Waldförster ist, solange dieser beiden Teilen gemeinsam dient, nicht einseitig, sondern nur nach gemeinsamem Beschluß zu entlassen oder anzustellen.
  10. Die städtische Gemeinde ist mit ihrer Beschwerde, daß der Waldförster bisher nur allein von den Herrn Beamten und Bürger meistern einseitig und ohne die Gemeinde darüber zu befragen, bestätigt worden sei, zur Behörde zu verweisen.
  11. Dem städtischen Bürgermeister und Vorstand ist die einseitige Ansetzung der gemeinsamen Buschtage (Waldbegehungstage) und Bestrafung der Waldfrevler zu untersagen.
  12. Die Durchführung von Reparaturen an den Mühlen der Stadt und Dörfer sowie an dem Stadtgraben oder der Stadtmauer dürfen, solange eine Aufteilung noch nicht vorgenommen worden ist, nur nach Besichtigung der Schäden durch Beauftragte der Dörfer vergeben werden. Dabei haben die Beauftragten auch bei der Vereinbarung der Reparaturkosten mit den Werkmeistern mitzuwirken.
  13. Die städtische Gemeinsamkeit zwischen der Stadt und den Dörfern ist aufzugeben. Die Bürgermeisterei- und Baumeisterei-Rechnungen sind kurzfristig abzulegen. Sollte sich hierbei erweisen, daß die Dörfer zu den Rechnungen noch etwas beizutragen haben, ist dieses den Dörfern bekannt zu machen. Sollte sich jedoch ein Überschuß ergeben, darf dieser erst nach der endgültigen Trennung an die Dörfer ausgezahlt werden.
  14. Die von den ehemaligen Bau- und Bürgermeistern noch ausstehenden Rechnungen belaufen sich auf 200 bis 1300 Reichstaler. Den klagenden Dörfern ist innerhalb 4 Wochen zu beweisen, wie weit die Rechnungen aus Aufträgen, die auch die Dörfer betreffen, herrühren.
  15. Der städtischen Gemeinde ist das Gesuch, in gemeinschaftlichen Angelegenheiten gegen die Dörfer mit 12 gegen 5 Stimmen aufzutreten, abzuschlagen. Den Dörfern ist gleiches Stimmrecht zu gestatten. Kann bei einer Entscheidung keine Einigung erzielt werden, ist diese von der Obrigkeit zu erteilen.
  16. Den städtischen Bevollmächtigten ist der Beweis zu erbringen, daß der ehemalige Rat ohne Hinzuziehung oder vorläufige Vernehmung der Parteimeister der Dörfer nichts Wichtiges beschlossen hat. (Die Dörfer waren in bestimmte Ortsteile aufgeteilt. Diesen stand jeweils ein gewählter Parteimeister vor.) Ebenfalls ist zu beweisen, daß die Bewohner der Dörfer bis zum Jahre 1765 in den für die Allgemeinheit anfallenden Diensten in- und außerhalb der Stadt jederzeit, so oft die Ordnung an ihnen gewesen ist und sie aufgefordert wurden, Beihilfe geleistet haben.
  17. Die städtischen Abgeordneten sind über die nachstehend aufgeführten Klagen gegen ihren eigenen Bürgermeister, Vorsteher und Stadtschreiber zu einer besonderen Verhandlung zu verweisen:
    1. Wegem der Verwaltungsführung vor
    Einreichung der Klage.
    2. Wegen unrichtiger Umlage des Förstergehalts.
    3. Wegen der Nichtnachweisung des Förstergehalts.
    4. Wegen unordentlicher Festsetzung, Empfang und Berechnung der Steuern.
    5. Wegen der unnötigen Gebäude- und sonstigen Auslagen.
    6. Wegen der vom Bürgermeister ungebührlich angemaßten Entschädigungen.
    7. Wegen der vor der Rechnungsablage von den Schützen eingebrachten Beschwerde mit dem    Vorschlag anderer Abhilfe.
    Die Bürgermeister und übrigen städtischen Verwaltungsglieder sind über die Beschwerde vorläufig zu vernehmen.
  18. Eine Hälfte der bisher aufgekommenen Prozeßkosten ist sofort zu begleichen, die andere Hälfte soll bis zur Entscheidung der noch nicht abschließend beurteilten Streitpunkte vorbehalten bleiben.

All dieses wird hiermit zu Recht anerkannt, ab- und zugeteilt bzw. abzutreten verordnet, aus gesetzt, aufgegeben, schuldig erklärt, gestattet, freigesprochen, zur besonderen Verhandlung verwiesen, untersagt, abgewogen und zugelassen bzw. zur Ausgleichung vorbehalten. Dann werden die Rechtsbeistandskosten für den Advokat Klöckner im Auftrag der Kläger auf 17 Reichstaler 15 Stüber und für den Advokat Göddertz im Auftrag des Beklagten auf 38 Reichstaler bestimmt.

Unterschrift (abgekürzt und unleserlich)" Vorstehendes Urteil wurde der Öffentlichkeit am 13. Februar 1787 bekanntgegeben. Die endgültige Auseinandersetzung der Dörfer Koisdorf, Löhndorf und Westum von der Stadt Sinzig war damit angeordnet und wurde danach auch schnellstens vorgenommen. Über 180 Jahre hielt das Urteil, bis nun der alte Zustand wiederhergestellt und darüber hinaus die Bewohner der Dörfer mit allen Rechten und Pflichten als Bewohner der Stadt Sinzig angesehen werden.