Segensteine und Wegkreuze im Brohllal

VON FRIEDHELM SCHNITKER

Ein Heimatdichter hat einmal die Eifel das Land der Wegkreuze genannt. Man begegnet ihnen am Straßenrand, in der Flur und im Wald, und der Betrachter fragt sich oft, wenn die Inschrift keine Auskunft gibt, warum dieser Segenstein oder jenes Kreuz aufgestellt wurden. Jedes dieser Kreuze hat seine besondere Errichtungsgeschichte, denn zufällig ist keines an seinem Platz errichtet worden. Wenn aber die Ursache der Erstellung nur von wenigen Kreuzen noch bekannt ist, so zeigt dies, wieviel Heimat- und Dorfgeschichte im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten ist. An der Straße Oberzissen—Hain steht das in der Kunstgeschichte bekannte Walppdenkreuz. Es besitzt einen schmalen, tischartigen Vorbau, eine Giebelnische mit vier in die verschiedenen Himmelsrichtungen weisenden Kreuzen sowie an der Vorderseite des Sockeli einen Totenkopf. Auf der Rückseite befinden sich Rosetten und das Wappen der Olbrücker Walpoden. Die Inschrift an der Vorderseite zeigt eine verwitterte Zahl (26 oder 66) und lautet:

„O MENS bedenk das ent, von Got dein hert nit went."

Dieses Kreuz wurde oft gedeutet als Segenstein, der an einen alten Bittgang in der Gemeinde erinnert und  auf dessen tischartigem Vorbau das Allerheiligste abgestellt wurde. Nach übereinstimmender Ansicht aller Kunsthistoriker ist als Entstehungszeit dieses Kreuzes das 17. Jahrhundert anzusehen. Faßt man die in den Steiß gehauene Zahl als fortlaufende Jahreszahl für das 17. Jahrhundert auf, so ergibt sich eine Datierung für das Jahr 1626 oder 1666. Die größere Wahrscheinlichkeit spricht für das Jahr 1666, denn damals wütete in unserer Heimat die Pest, der schwarze Tod, der verheerende Folgen hinterläßt. (Man beachte das Memento Mori — Symbol des Totenschädels für das Erahnen der Vergänglichkeit.) Auf ein Pestkreuz könnten auch die in die vier Himmelsrichtungen weisenden Giebelkreuze hindeuten, die den schwarzen Tod von Burg Olbrück und ihren Bewohnern bannen sollten.

Foto: Kreisbildstelle 
Segenstein in Niederdürenbach

Im Munde einheimischer Sprecher heißt dieses Krenz „Scha(a)reskreuz". Bisherige Interpretationen dieses Namens versuchten eine Deutung auf der Grundlage einer Bezeichnung „Schwarzes Kreuz" = „Pestkreuz", „Schwärekreuz" = „Schwäre-Eiterbeule". Andere Deutungsversuche lösten sich von der Auffassung einer religiös motivierten Namensgebung und glaubten, die Bezeichnung „Scha(a)res" auf ein „Schallers Wesgen" zurücfcfUhren zu können, das in einer Urkunde des Jahres 1447, in der Graf Philipp von Katzenelnbogen den Burggrafen Johann von Rheineck mit dem achten Teil des Landes Olbrück belehnt, unter den aufgeführten Gutem verzeichnet ist.

„Item das viert teill an dem wiesgeii offdene boele genannt Schallers Wesgen".

Die im folgenden versuchte Deutung glaubt an eine geologisch bedingte Bezeichnung. In der Geologie ist eine „Scha(a)re" die Bezeichnung des mit einer von der Umgebung abweichenden Bodenart oder Gesteinsmasse angereicherten Ganges, der sich, unter sehr schiefem "Winkel, den anderen Bodenformationen anschart. Diese „Scha(a)ren" sind infolge ihrer geologischen Zusammensetzung häufig unfruchtbar und lassen inmitten einer reicheren Vegetation nur spärlichen Bewuchs zu. Der Name des Kreuzes läßt sich also ableiten von der Flur, auf der es errichtet wurde. Man beachte in diesem Zusammenhang die Sage, die Stötzel in seinem Buch „Die Sagen des Ahrtals" uns mitteilt:

„Als einmal Ritter der Burg Olbrück das arme Landvolk wieder bis aufs Blut ausbeuteten, um desto mehr wüste Zechgelage und tolle Feste feiern zu können, starben sie plötzlich am Vorabend der Hainer Kirmes eines gewaltsamen Todes. Zur Strafe für ihre Schandtaten müssen sie nun, wie sie früher in frevelhafter Übermut getan, alljährlich in der Nacht vor der Hainer Kirmes durch die Fluren fahren, jetzt in feurigem Wagen, der bespannt ist mit feurigen Rossen, sie selbst als Feuermänner aus der Hölle; so geht die wilde Fahrt in rasendem Galopp, über Stock und Stein, unter lautem Krachen und Poltern, unter Johlen und Schreien dahin. Dort, wo der Wagen herfährt, wird der Boden ausgedörrt und liefert nur spärlichen Ertrag. — Eine solche Wagenspur will man noch in einem unfruchtbaren Streifen Landes erkennen, der sich von Niederdürenbach zum alten Walpodenkreuz, dem Schaäreskreuz, ani Wege Oberzissen—Hain, hinzieht".

 Nicht weit von diesem Kreuz entfernt steht ebenfalls an der Straße Oberzissen - Hain ein weiteres Kreuz mit einer Flachnische und einem Christuskorpus. Die Bewohner der Umgebung nennen es das „Rote Kreuz". Sein Name erinnert an die in den Jahren 1684 bis 1689 in unserer Heimat grassierende Rote Ruhr, die viele Bewohner hinwegraffte.

(Vergleiche den Bericht des Verwalters der Herrschaft Olbrück, Engelbert Keiffenheim, vom 17. 10, 1689 an die in Würzburg residierende Maria Katharina Freifrau Waldbott — Bassenheim: „. . . Die rote Ruhr grassiert diesmal gewaltig und nicht wenige Leute sterben rings-umher. Gott gebe, daß nicht desgleichen bei uns anfange, und wende solche Straf bald ab...")

Ein weiterer Segenstein steht an der alten Schule in Niederdürenbach. Der Stein hat „eine Spitzgiebelnische mit Durchsteckgitter, am turmartigen Kreuze, auf den Flächen erkennen wir maßwerkartige Muster und geometrische Einritzungen". Die Inschrift lautet:

„1699, 24 mei" und „o mensch gedenck an got, der für dich geliten hat, der her für über geet und her für niderknit und her für trit, für die abgestorben bit. . . das creux hat die gemein gestelet alein, o mensh, halt dich rein".

Dieser Segenstein ist reich mit Ornamentik versehen, eine Seltenheit für die Zeit der Errichtung und wohl nur zu erklären durch den Umstand, daß derselbe eine Stiftung der „gemein" ist. Wir schreiben das Jahr 1699. Zehn Jahre zuvor, am 3. Mai 1689, wurde im Pfälzischen Erbfolgekrieg und im 2. französischen Brandkrieg Burg Olbrück auf Befehl des Marquis de Sourdis in Asche gelegt. Ein Jahr später, 1690, beginnt bereits der Wiederaufbau, Im gleichen Jahr noch äschern fünf Kompanien französischer Truppen in der Ahrweiler Gegend und auf der Grafschaft verschiedene Ortschaften ein. Auch die sie vertreibenden Truppen der Koalition verlangen gebieterisch Unterkunft und Verpflegung. Unruhe überall im Lande. Dann, 1697, wird der Friede zu Rijswijk geschlossen. 1699, fast auf den Tag genau zehn Jahre nach Zerstörung der Burg und damit wohl auch der umliegenden Orte, errichtet die „gemein" den Segenstein aus Dank für den jetzt herrschenden Frieden. Der Krieg kostete Tote unter Soldaten und Bevölkerung, Seuchen und Hunger forderten ihre Opfer unter den Einwohnern, Von Seiten der Olbrücker Burgherren war kaum Unterstützung zu erwarten, weil der Wiederaufbau der Burg deren ganze Kräfte und Mittel und einiges von den Bewohnern der Dörfer dazu in Anspruch nahm. 1699, endlich ein Jahr "des Friedens nach schier endlosen Jahren eines' harten Krieges; Gottes Geißel hatte aufgehört zu schwingen; die, welche noch einmal davongekommen, danken Gott, beten für die Toten und lassen den Segenstein um ein Gebet für die Verstorbenen bitten, einen jeden, der „her für über geet".

Foto: Kreisbildstelle
Totengedächtniskreuz für Pfarrer Ulrich am Weg Oberzissen-Hain

Die meisten der errichteten Kreuze sind jedoch Totengedächtniskreuze, errichtet zur Erinnerung an einen Toten an der Stelle, an welcher der Betreffende jäh aus dem Leben gerissen wurde. Vielfältig sind die Umstände, unter denen Erdenwanderer aus dem Leben scheiden. So steht, ebenfalls an der Straße Oberzissen—Hain, eine in Kreuzform gehauene Steinplatte. In der Mitte derselben in Relief ein Kelch, um den sich ein Flechtkranz windet, dazu die Inschrift:

„1783, 22 Xbr(is) apoplexia tactus hie ob(iit) A(dmodum) R(everendus) D(ominus) Mat-(hias) Ulrich aet(atis) 82 P(astor) in Zissen. RIP"

(Die in Klammern gesetzten Buchstaben wurden um des besseren Verständnisses willen hinzugefügt.)

Foto: Kreisbildstelle 
Sauerbrunnen Oberzissen

„Hier starb am 22. Dezember 1783 im Alter von 82 Jahren vom Schlag getroffen der Ehrwürdige Herr Mathias Ulrich, Pastor in Zissen." Mathias Ulrich war von 1763 bis 1783 Pfarrer in Zissen. Auf dem Rückweg von Hain, wo er die heilige Messe gefeiert hatte, starb er am 22. Dezember. Zu der Pfarrei Zissen gehörten zur Zeit Pfarrer Ulrichs Nieder- und Oberzissen, Galenberg, Brenk, Hain, Burg Olbrück, Fusshölle, Hannebach, Wollscheid, Schelborn, Oberdürenbach, Buschhöfe, Niederdürenbach, Rodder, der Stockhof, Lochmühle und die vor 1800 erwähnten Höfe Almersbacherhof (Lage vor dem Buchholzer Wald), Arbechelerhof (Lage rechts vom Weg vor dem Rodderbusch), Crummendahlerhof (Lage auf der Höhe hinter Oberdürenbach), Marhöfe (Lage zwischen Niederdürenbach und Buschhöfe) und Berlhof (Lage zwischen Wollscheid und Stockhof, ein ehemals herrschaftlicher Olbrücker Hof), diese Höfe sind heute Wüstlingen. Von dieser Ausdehnung der damaligen Pfarrei zeugen die Grabsteine des ehemals um die Niederzissencr Pfarrkirche liegenden alten Kirchhofes, die später in die Außenmauern des Gotteshauses eingefügt wurden, wobei man sichtlich darauf Wert legte, daß auch die früheren Filialorte berücksichtigt wurden. Der hochbetagte Geistliche -war also Hirte einer ausgedehnten Pfarrei, die verbindenden Wege zu den einzelnen Filialorten waren häufig wohl kaum zu passieren und verschlammt, im Winter oft verschneit. Im Munde dieses Geistlichen könnten wir die klagenden Worte vermuten, die ein fast gleichaltriger Pfarrer in der Hocheifel rund 100 Jahre später, nämlich 1870 niederschreibt: „Ich bin 79 Jahre, 56 Jahre Priester, man hat mich zweimal aus dem Schnee geschaufelt, bin auf Händen und Füßen über das Eis zu den Kranken gerutscht, jetzt ,dolor' in allen Gliedern."

Ein weiteres Totengedächtniskreuz steht in der Burgbrohler Flur „Auf dem Lummersfeld". Wir erkennen am Schaft des Steines, der ein gut erhaltenes Kruzifix trägt, das Wappen des Edlen von Bourscheid, Herren zu Burgbrohl. Die Inschrift lautet: „Joh. Casp. Bourscheid, Canonicus quondam Moguntinus hoc in loco in vena-tione per ictum infelicem misere occubuit die 18. Juni 1676. Johann Caspar Emmerich Bourscheid, Domherr zu Mainz, starb am 18. Juni 1676 an dieser Stelle auf der Jagd von einem unglücklichen Geschoß getroffen. Im Gegensatz zur Inschrift heißt es im Sterberegister genauer (in der Übersetzung): „Anno 1676, 18. Juni, starb von seinem Bruder mit der Stutzbüchse an Stelle eines Hirsches getroffen der Ehrwürdige Domherr . . ." Der Vater des Verunglückten, Caspar von Bourscheid, Herr zu Burgbrohl, übertrug nach diesem Unglück 1681 Burgbrohl seinem Sohn Franz Damian, da „er alt, unpass und seines Sichts beraubt war". Doch auch dieser Sohn stirbt bereits 1682. Getroffen von diesem zweiten Schicksalsschlag, stirbt der Vater, gramgebeugt, ein Jahr später, 1683. Besonders beachtenswert ist in Kell, dem Wallfahrtsort rechts des Brohltales, ein Grabkreuz, das neben dem Eingang zur Kirchhoftreppe in die Mauer eingelassen ist. Die Inschrift enthält das Testament der Verstorbenen. Sie lautet: „Maria Jesus Joseph, Gottvater Sohn u. h. Geist wolle mihr Jacob Plasweiler gnatig sein. Thomas Plasweiler und Greta Bim, Gott wolle disen meinen Eltern gnatig sein. Ahn Gottes Segen ist ales gelegen. Von der Abnutzung diser Platzen sollen das erste Jahr Messen gehalten werte. Das Zweite Jahr sollen zu Ehren Gottes davon zuc Oberdürrenbach in die Cabel Wax gebrant werten. Das trittejahr solle die Abnutzung umb Gottes Willen den Armen Leuten angewcnt werten. Das vierte Jahr wieter Messen und also fort wie oben gemelt."

Es handelt sich um das Testament eines Jacob Plasweiler, der der Kirche einen Platz vermacht mit der Auflage, für seine Eltern im ersten Jahr eine Jahrmesse zu halten, im zweiten Jahre Kerzen in der Kapelle zu Oberdürenbach zu brennen, im dritten Jahre den Ertrag den Armen zuzuwenden. Obwohl ohne Jahreszahl, können wir den Zeitpunkt der Errichtung des Steines ziemlich genau festlegen.

Jacob Plasweiler bedachte 1678 und 1680 das ehemalige Carmeliter Kloster Tönisstein mit mehreren Schenkungen, und so wird auch dieses Testament etwa um 1680 anzusetzen sein. Diese Zeitbestimmung wiederum ist interessant, weil sie beweist, daß die heutige Kapelle in Oberdürenbach von 1754 bereits eine Vorgängerin gehabt haben muß.

Kreisbildstelle
Am Weg Oberzissen-Hain

Zwei Wegkreuze seien zum Abschluß noch erwähnt, die wegen ihrer Besonderheiten unsere Beachtung verdienen. Das erste Wegkreuz steht an der Straße Bell—Ettringen. Die Inschrift lautet:

1807
ten 16
Tecember
Baltes Sch
warts Jung
Esel
von H
Ausen
ist hir
gesto
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Die Anordnung der Wörter, besonders die isolierte Stellung des Bestandteils -esel- verführt den flüchtigen Leser, was der humorvolle Steinmetz gewiß auch beabsichtigte, zu der Lesart, hier habe der „Jung-Esel" des Baltes Schwartz nach kurzem Tierleben seinen letzten Schritt auf unserer Erde getan. Doch, stellt man -esel- als zweiten Wortbestandteil zu -jung-, schiebt zwischen beide Wortbestandteile ein -g- ein und hängt ein End-1- an, so ergibt sich: „1807, den 16. Dezember ist hier Baltes Schwartz, Junggeselle von Haussen, gestorben." Der Steinmetz teilt uns augenzwinkernd seine persönliche Meinung mit, indem er sie mittels einer optisch geschickten Aufteilung der Wortbestandteile dem nüchternen Mitteilungscharakter der Inschrift unterschiebt. Für ihn ist und bleibt ein Jungeselle ein Jung-Esel.

Das zweite Kreuz steht am Sauerbrunnen in Oberzissen ohne Jahreszahl und ohne nähere Angaben. In der Vierung des Kreuzes noch vorhandene Farbreste deuten auf eine frühere bildliche Darstellung hin. Angezogen wird der Blick des Vorübergehenden durch eine zunächst fremdartig und runenähnlich, erscheinende Inschrift, die man dann bei näherem Betrachten als in Spiegelschrift gestaltete Kreuzaufschrift INRI entziffert.

Erinnern wir uns. noch einmal der Inschriften auf den Kreuzen und Steinen, so erkennen wir, daß die Kreuze Beweise für die religiöse Gesinnung und die tiefe Gläubigkeit der Bewohner unserer Heimat sind; denn aus ihrem Glauben und ihrem Vertrauen auf Gottes Hilfe und Gnade sind sie entstanden. Auf manchen Kreuzen entziffern wir die Namen vergangener Geschlechter, während einzelne die Namen heute noch blühender Familien tragen. Alle diese Kreuze sind „Erbstücke unserer Vorfahren", die sie den Nachfahren, und das sind wir alle, als verpflichtendes Vermächtnis anvertraut haben. Diese Zeugen aus alter Zeit, deren Stein atmend zu uns spricht, sollten wir in treue Obhut nehmen, ihnen pietätvollen Schutz gewähren und liebevolle Pflege zuteil werden lassen.