Niederfränkische und ripuarische Worte im mittel- und hinterpommerschen Platt

Gertraut Schmidt-Kraepelin

Durch jahrzehntelanges Leben im rheinischen Raum, wo viele Ostdeutsche eine zweite gastliche Heimat fanden und heute unauffällig unter Einheimischen ihrer Arbeit nachgehen, sind mir viele mundartliche Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten mit der niederdeutschen Mundart Ostpommerns und sogar manches Gleiche aus dem Volkstum aufgefallen. Ich bin deshalb sprach- und geschichtsliterarisch sowie durch Befragungen dieser Sache nachgegangen.

Dabei konnte ich das Interessante feststellen, daß Züge von Niederländern, Flamen, Niederfranken wegen Überbevölkerung dieser Provinzen erheblich an der ostdeutschen Kolonisation beteiligt waren, dies aber den Rheinländern und ostdeutschen Landsleuten kaum noch bekannt war. Schon um 1150 waren nach Aufrufen und Werbungen der Askanier, von denen sich Albrecht der Bär als Wegbereiter der ganzen Ostkolonisation erwies, diese Westeuropäer, zweite und dritte Söhne von Bauern, der Gewinnung von Neuland und Nutzbarmachung ehemals sumpfigen Geländes und von Flußtälern oder schwieriger Böden Kundig, also Fachleute, besonders In die Altmark um Sten-dal und in die Mark Brandenburg geströmt. Dieser Askanier Albrecht war durch starke familiäre Bande mit dem Rheinland und Holland verbunden, seine Frau war Sophie von Burg Rheineck.

Aber auch in Westfalen ließen sie sich nieder, im Fläming, in Thüringen und durch das Kloster Colbatz im pommerschen Kreise Pyritz. Sie genossen dort lange bevorzugte Lebensbedingungen, Steuer- und Abgabenerleichterungen. Auch Berlin gründeten sie mit.

In Pyritz erinnerte an diese Kolonisten bis 1945 eine Mauritiuskirche, die einzige Mauritiuskirche im ganzen nordostdeutschen Raum! In etlichen Orten des Rheinlandes werde ich durch Kirchen bzw. Heiligenverehrung an diese Hallenkirche erinnert: Heimersheim, Sinzig, Bad Neuenahr-Beul, Siegburg, Aachen, Prüm, Weilerswist u. a.

Sprachlich sowie aus dem Volkstum konnte man diese westeuropäische Abstammung mancher Siedlungsgemeinschaften nicht nur an einigen Flurnamen, fränkischen Höfen wie auch Familiennamen jahrhundertelang nachweisen, sondern auch an etlichen Ausdrücken des täglichen Lebens, die schon vor Jahrzehnten wissenschaftlich festgehalten sind und mir zum Vergleich mit eigener hinterpommerscher Dialektsammlung aus dem Kr. Neustettin vorlagen.

Neben rein niederländischen Wörtern wie Lume für Eisloch, Koje für Grieben und Kreek für Bach existierten im mittelpommerschen Kreise Pyritz auch rheinische Wörter. Z. B. war die Wiese ein Ven, fast wie im Hohen Venn und Jusep ein Mieder, das die Mädchen über ihren Faltenröcken trugen. In Remagen hörte ich dies Wort noch einmal.

An etlichen Stellen Brandenburgs und Mittel- wie Hinterpommerns gab es Weinberge. Im Kreis Pyritz standen sie auf warmen Südlagen, sogenannten pontischen Hängen, noch nach dem ersten Weltkriege, einst als Abendmahlswein angebaut, damals für häusliche Nutzung. Volkstümlich jedoch wurden der Weinbau und seine Verarbeitung im ganzen Osten nicht. Doch ist mir berichtet worden, daß der Eiswein ganz vorzüglich

war! Auch beim Ackerbau und im Volkstum soll noch viel fränkische Art gewesen sein, Teile des Pflugs hatten fränkische Bezeichnungen.

Einige Dörfer um Treptow a. d. Rega an der Ostsee in Nachbarschaft des etwa um 1208 von Westfriesen aus Mariengarten/Holland besiedelten Klosters Belbuck hatten für Pommern einzigartige Lautformen bei der Wortbildung, wie sie nur um das Prämonstratenser-Mutterkloster Steinfeld i. d. Eifel bis in den Raum nördlich Kölns — auch im Raum Ahrweiler-Euskirchen — auftreten: z. B. ming statt min, brung statt brun, ving statt vin u. a. Alle Prämonstratenserklöster hingen zusammen, und es ist gut denkbar, daß arme Eifelbauern in den menschenarmen Osten gesandt wurden. Auch Ostpreußen hatte niederfränkische Siedler und besonders die Tiegenhöfer Niederung südlich Danzigs flämische, was an solchen Importwaren nachweisbar war. Die Hohenzollern hatten im ostdeutschen Raum, besonders in Pommern, wo von den Abschmelzwassern des Gletschereises der letzten Vereisung hinter den Endmoränenbögen z.T. riesige Seen und ausgedehnte, nur langsam verlandende Flach- und einige Hochmoorgebiete zurückgeblieben waren, die Kultivierungsarbeiten fortgesetzt. Dort begann Friedrich Wilhelm l. und in großem Umfange Friedrich II, der Große, unter aktivem Einsatz seines verdienten, umsichtigen Kanzlers Brenkenhoff. Er nannte es „Innere Kolonisation" und „Eroberungen aus der Barbarei."

Diese niederfränkischen Kolonisten kamen Im 17. und 18. Jahrhundert zur Verstärkung der ansässigen Bevölkerungsmischung aus westfälischen, niedersächsischen und wendischen Bauern als Fachleute. Sie legten Moore und Brüche trocken, senkten Seen und Flüsse, so daß neue Wälder, Äcker, Dörfer entstehen konnten Als Andenken waren noch wenige Ziehbrunnen als „Pütt" vorhanden, doch weitgehend von Wasserleitungen abgelöst, noch öfter „Püttend" als Straßennamen.

In den Dörfern hieß die Fackel oder der Kienspan „dei Keie" und diente jahrhundertelang als Haus-, Stall- und Kirchenbeleuchtung, aber auch bei Gefahr auf den

Bergen des Höhenrückens als Zeichenge-bung. Der Kienbaum war „die Kiene", unser Allzweckbaum, deren Name ursprünglich im Westen entstanden sein soll. Wir hatten in alter Bedeutung noch „Kienbruch", Sümpfe mit abgestorbenen Kiefern.

Vor dem Weltkrieg war in den meisten Dörfern schon elektrisches Licht, doch nannte man Petroleumstallaternen oft wie im Rheinland „Funzel", und „bahnen" für brennen.

Aus allen Lebensgebieten hatten die Moorverbesserer ihre eigenen Bezeichnungen mitgebracht. So war der Blümchenkaffee der Notzeiten, aus gerösteten Gersten- oder Roggenkörnern gebrüht, „Lurche oder Lorche" und ähnlich, ursprünglich ein Ausdruck für Tresterwein, Nachwein. Bei dem Gedanken an Ersatz werden die Gesichter heute abwertend verzogen.

Jahrhundertelang vor Einführung der Kartoffeln in Europa trat das wohlbekannte Wort „Pelle" für die Schale von Obst und Zwiebeln bei Bauern und Gartenfreunden in der Mark auf. Es war ein Überbleibsel aus der Zeit der Römer im europäischen Westen, abgeleitet vom lat. pellis — Haut. „Tüfftsche pellen" — Kartoffeln schälen. In Bayern wird man bei Äußerung von Pelle fragend angesehen oder ausgelacht. — Aber auch auf den Menschen übertragen kam von Berlin zu uns: „Eenen uff de Pelle sitzen, uff de Pelle rücken, nich von de Pelle jehn."

Ursprünglich war die Blumenstreu bei Festen, Sandstreu auf dem Erdboden, auch die Streu für den Stall „Stroisel", auch im Kr. Ahrweiler, und gelangte in dieser Bedeutung für die Klümpchen aus Mehl, Butter, Zucker auf dem Kuchenteig, die heute den allbeliebten Streuselkuchen zieren. Nur wurden diese im Osten etwas fetter zubereitet und anders abgeschmeckt als im Westen. — Wer denkt wohl daran, wenn er heute Streuselkuchen ißt!

Auch „Krümel" und „Prümmel" kannten wir, letzteres auch für den Zigarrenstummel im väterlichen Munde.

Wenn man den Scheffel mit Korn mit dem Streichbrette glattstrich oder den Milchkessel übermäßig gefüllt hatte, hieß es „sleekvull" oder „sleichvull" wie in vielen Landstrichen in der Eifel oder an der Mosel.

Zum Aufbewahren der Lebensmittelvorräte kam „dat Spind" in den Norden und Osten, entlehnt vom lat. spenda — Speiseschrank. Es wurde dort aber auf den Kleiderschrank, auch Schrank allgemein übertragen.

In der Speisekammer oder im Keller hatten wir wandfüllende Regale, „dat Schapp". — Nur die Redensart „Verschwinde wie die Wurst im Spinde" trat noch in der älteren Bedeutung bei uns auf.

Zu jedem Brot gehören zwei „Kanten", die von einem keltischen Wort abstammen und so als Import in der Mark und Teilen Pommerns erhalten blieben. Ich habe es in unserem Kreisgebiet nie anders beim Brot gehört. Auch handgearbeitete Spitzen nannten wir „Kanten".

Nach kirchlichen Hochzeiten biß der Bräutigam ein Brot an und gab seiner jungen Frau einen Kanten zum Aufbewahren in ihrer Schürzentasche, symbolisch, damit es nie ausginge!

Das „Molsche" d. h. Edelfaule der großen Birne wandten wir auch häufig auf Menschen an: „hei, is molsch", wenn einer bequem und untätig war, von keinem Spiel- oder Arbeitseifer besessen.

Diese genannten Wörter traten alle in meinem Heimatkreis, dem Kr. Neustettin auf dem Höhenrücken auf, einem reinen Agrar-kreis mit viel Forst- und Fischereiwirtschaft und starkem Wechsel der Bodenqualitäten. Verschiedene Gebiete waren so einbringend, daß sogar Weizen gebaut werden konnte. Auf diesem westlichen Kreisgebiet verwalteten die Urgroß- und Großeltern der Gebrüder von Humboldt die Güter Draheim, Neblin und Juchow .woran bis 1945 nördlich Juchows die „Humboldshöhe" erinnerte. Nebenbei gesagt, war dies Gebiet auch von einer so großen landschaftlichen Schönheit, daß es die aus Paris stammende Frau des Urgroßvaters Humbold auf Schloß Draheim aushallen konnte, auf einem Schloß von 3 Seiten von z. T. sehr großen Seen umgeben. Ihre Familie stammte einst aus Cleve, bevor sie nach Paris und Berlin kam.

Es waren noch mehr südwestliche Ausdrücke aus dem Gebiet der Lebensmittel da, doch will ich mich auf den „Fastlaowend" und weniges andere beschränken. Unsere Kin-

der feierten ihn auch. Weiter nördlich war er unbekannt, z. B. in Stolp. Sie bastelten sich selbst ihre Larven und Fantasiekostüme und erhimpelten sich tanzend und singend große „Krappen", Wurststücke, Backobst u. a. Die Großen tanzten auf Maskenbällen. „Fastlaowend is doa!" Karneval, Fasnet sagten wir nicht, auch kaum Fasching. Es gab neuzeitlich sogar einen Umzug, „dei Zoch kümmt". Bajazzos liefen herum, aber wir kannten auch „Peujatz, Paiatz" dafür, doch mehr ganz allgemein für einen menschlichen Narren .Hampelmann, ein Dorforiginal. Mancherorts hieß auch so „dei Ulle", das war eine Strohpuppe, bestehend aus der letzten Garbe der Getreideernte, die mit Hut, Stock und bunten Bändern angetan, den letzten Erntewagen schmückte. Einige Sprüche dieser am Fastnachtsdienstag maskierten, hauptsächlich bei den Geschäftsleuten Gaben heischenden Kinder füge ich bei. Sie trugen bei diesen Heischegängen stellenweise eine „Teufelsgeige" als Krachinstrument, eine geigenartig geschnitzte Latte, mit einem steingefüllten Topf oder einer Dose als Steg, mit Drähten bespannt, die am Hals an losen Blechdeckeln endeten. Als Bogen diente ein gezackter Stock.

„Hümpel die pümpel, dei Wust hädd twei Zümpel,

dei Speck hädd veir Ecken, dat soll us gaud schmecken." Auch „Hippel die Pippel ..." und noch anderer Lautstand wurden gebraucht. Hüppel di püppel, Faslaowend is doa! Wäe mi wat giwt, kümmt in'n Himmel un ritt up'n witt'n Schimmel. Wäe mi nischt giwt, kümmt in dei HÖH — doa steid de Düwel mit dei Bodder-melkskell!

Es war aber ein Fest hauptsächlich der ärmeren Kinder. Ihre vollen Beutel und ihr vergnügtes Treiben wurden aber von den anderen, die durch elterliches Verbot nicht mitmachen durften, mit Neid betrachtet. Die Jungen waren häufig als „Düwel" verkleidet, die Mädchen mit allem, was die mütterliche Lumpenkiste oder Haushaltstruhe hergab, bunt und originell. Ihre Heiserkeit und etliche Farbflecke von zu echtem Malstoff am Körper am Mittwoch waren den Lehrern bekannt und wurden verziehen.

Bei den Originalen fällt mir auch der „Schobbjack" ein, ein ganz mieser Bettler, mit Mißtrauen, Unbehagen und Abstand betrachtet, und auch „dei Katt schobbt sik", wenn ihr Fell juckte.

Bei der Kleidung gab es „Kotz", ein grobes, abgetragenes Gewand als fränkisches Relikt und „Koddern" für alte, derbe Kleider. Selbst die Worte waren nicht salonfähig. „Klunterij" war schlampig, (fr. cotte) „Du hast wedder jeprumt" schalt die Großmutter ihre Enkelin, wenn sie flüchtig genäht oder gestopft hatte. Auch im Stall bei den Tieren, dem A und O der Siedler, gab es zugeführte Ausdrücke, z. B. Kumm, Kumme für den Tränktrog, aber auch für die schöngeschnitzte Truhe vieler Hausstände, (lat. cumba/cymba) Das Getreide wurde im Scheunenfach, dem „Tass" aufgeschichtet, von frank, „las" für Haufen, Schober.

Aus Südbrabant stammt das keltische „Benne" für die Raufe im Schafstall und war bei uns weiterverbreitet als die germanische Futterleiter,, dei Rööp". Bei dem Vieh waren uns der „Düwerick" für den Täuberich und der „Erpel" als Enterich, ebenso die „Dase" als quälende Bremse bestens vertraut. „Miere" mit einigen Abwandlungen hieß die fleißige Ameise und „Moll" unser Maulwurf usw.

Für die beliebte Jugendbeschäftigung des Kletterns hatten wir neben „Klabbern" auch „Klabastern", also nicht im Sinne des Einhertrottens wie im Rheinischen. „Klabastert de Beesters" hörte ich einmal. Gemeint waren hier Jungen auf stabilen Ackerpferden, als diese noch hoch im Kurs standen.

Vom menschlichen Zusammenleben ist die Spitz- oder Necknamengebung noch erwähnenswert, doch scheint sie eine gemeinfränkische Angewohnheit zu sein.

In meinem Heimatkreis gab es solche, die niemand verübelte, sowohl für Einzelwesen, als auch für ganze Dorfgemeinschaften, wie für Berufsgruppen. Z. B. hieß ein bestimmter, immer lustiger Mann „Kukulores", was an eine alte Bezeichnung für den Gockel-Hahn erinnerte, ein anderer, der gern fischte, „Kuhlbarsgrieper" (Kauhlbars war ein sehr

kleiner Fisch), ein Sänger wenig schmeichelhaft nach dem lautmalenden Vogelruf „Kie-witf.Eine Dorfgemeinschaft nannten wir veräppelnd „Rauchhühner", eine andere „Kede-hunn" (Hunde, die stets blaffen, beißen nicht), eine weitere nach den dürren Köpfen eines sehr guten Fischs „Maräneköpp", eine weitere arme „Poggefreter" und noch eine „Fichtezöpp". Angeblich konnte man mit Fichtenkronen losen Sand eggen, usw.

Spitznamen gab es für Einzelwesen, ganze Dorfgemeinschaften, wie für Berufsgruppen z. B. hieß der Schuster „Pichhingst" oder „Pinnesetter". Pinne war ein sehr kleiner Holznagel. Der Maurer war „Dreck-schwolker" auch „Leimklicker", ein Gendarm hieß „Spitzkopp" und der Friseur „Bal-butz" oder „Schnauzputzer", der Gärtner „Kohlhaas, Krautbuck" etc.

Eine Grenzbegehung hatte man an einzelnen Orten zu Marieje, ca. 1. IV. während beim Setzen eines Grenzsteins über einer Flasche in früheren Zeiten Knaben Backpfeifen bekommen hatten, jedenfalls dabei sein sollten.

Abschließend will ich nun dazu sagen, daß ich gezeigt habe, wie man über Jahrhunderte fort die dauernde Kraft einer Sprache erkennt, auch wenn die Erinnerung der Menschen an die Vorgänge längst erloschen war. Es ist schade, daß man sich erst nach der Vertreibung an diese größeren Zusammenhänge erinnert.

Wissenschaftl. Literatur:

  1. Heimatkunde von Pyritz und Umgebung, 1921 Bpb. Holsten
  2. Die Volkskunde aus d. Pyrltzer Weizacker 1914 Ipb Holsten
  3. Die Sprachreste der niederländ. Siedlungen des 12. Jahrh. 1944 Hermann Teuchert
  4. Dialektgeograph. Forschungen östl. der unteren Oder aus Theutonista 1924—34, Otto Priewe und Her. Teuchert
  5. Etymolog. Wörterbuch Kluge — Mitzka 1967
  6. Die Moore Pommerns, Ihre geograph. Bedingtheit u. Wirtschaftsgeograph. Bedeutung. Diss. Greifswd. 1913 v. Joh. Dreyer.