Quellen und Bemerkungen zur Geschichte der Stadt Sinzig

Dr. Klaus Flink

Dieser Beitrag hätte auch den Titel „Sinzig und die Brüder Gelenius" haben können. Äußerer Anlaß für diese Zeilen war nämlich der zufällige Fund eines Briefes im Kölner Stadtarchiv, den der Sinziger Pastor Christian Vetter am 3. August 1648 an Aegidius Gelenius geschrieben hat.

Aegidius, der jüngere der beiden bekannten Kölner Hlstoriogräphen, hat nach dem Tode seines Bruders, des Kölner Generalvikars Johann Gelenius, im Jahre 1631 auf Johanns Wunsch hin dessen Studien und Quellensammlungen zur Geschichte des Erzstiftes Köln fortgeführt.

Aegidius der in Mainz, Rom und Perugia studiert hatte, Kanoniker des Kölner Andreasstiftes und Pfarrer von St. Christoph in Köln war, ist auch zu mancherlei Reformaufgaben, z. B. als Kommissar bei Kirchenvisitationen, herangezogen worden. So mag er auch den Sinziger Pastor Vetter kennengelernt und ihn dabei um Nachrichten zur Geschichte von Sinzig gebeten haben.

Bevor ich auf den Inhalt des Briefes eingehe, erscheint mir aber noch eine allgemeine Bemerkung zum Stand der Sinziger Geschichtsschreibung angebracht. Mir ist im Rahmen meiner nun schon langjährigen Arbeit für den Rheinischen Städteatlas noch keine Stadt vergleichbarer Größe und Bedeutung begegnet, die über ein solch umfangreiches — und zudem publiziertes — Quellenmaterial verfügt und über deren Vergangenheit wir so wenig wissen, wie Sinzig (vgl. hierzu auch Heimatjahrbuch 1969, S. 53—57). Eine Stadtgeschichte fehlt bislang. Die — soweit .ich sehe — letzte Publikation über Sinzig, das 1953 erschienene Heimatbuch der Stadt Sinzig, kann diese Lücke, das war auch nicht die Absicht des Verfassers, nicht schließen. Die für 1978 geplante Bearbeitung Sinzigs für den Städteatlas wird dann eine Zusammenfassung unserer derzeitigen Kenntnisse der Sinziger Stadtgeschichte ermöglichen.

Vetters Brief beginnt mit einem Rückblick auf die reichsstädtische (imperialis civitas) Vergangenheit der Stadt, die nach Vetters Worten einmal berühmt, groß und voller Häuser gewesen ist. Die Stadt sei ein. Handelsplatz gewesen, und auf ihren Wochenmärkten seien Waren jeglicher Art aus weit entfernten Städten gehandelt worden. In der Milchgasse seien Butter und Käse, auf dem Geißenmarkt Schafe und Geißen, und auf anderen Plätzen seien Pferde und Vieh verkauft worden. Die Stadt hat zwey groß vorstädte gehabt, oben der Stadt ein und unten ein (das sind die Wüstungen Dahlheim und Airsdorf gewesen, an letztere erinnert heute noch die Ausdorfer Straße). Die Stadt hat gerechtigkeit zu jagen, fischen, schießen, alles wild und Vögeln. Haben rittermeßige Personen im Rhat gehabt, daher noch den Tittel fuhren, Wihr Ritter und Rhat etc. Haben eigen Muntz gehabt, wie noch der platz die Muntz (deshalb Münzi gasse) genand wird.

Vetter berichtet dann in kurzen Inhaltsangaben von einigen in den Jahren 1295—1335 von den deutschen Königen und Kaisern an die Stadt ergangenen Urkunden, die alle überliefert und — bis auf eine — auch publiziert sind.

Pfarrkirche in Sinzig nach einer Zeichnung von Ludwig Lange
Repro: Kreisbildstelle

Die auch von Vetter mitgeteilte Überlieferung, daß die hl. Helena die Sinziger Pfarrkirche erbaut haben soll, ist genauso bekannt wie Vetters Mitteilung, daß 1643 bei der Mauritiuskapelle eine Niederlassung der Kapuziner gegründet worden ist. Aber dann weiß Vetter für uns Neues zu berichten:

Auf dem Kirchhof hab ich eine verfallene Cape// funden... Ist vorzeiten ein Beginnen Closterlein oder Convent darumb gewesen, welche den Kranken gedienet. Dise Cape/ ist alter alß die Kirch und Mariae Magdalenen Cape// genandt gewesen, in welche die erste Christen und bauleuth der Kirchen die Messe gehört haben. Diese Cape// hab ich Anno 1626 angefangen aufzubauen und gante förmlich zu restauriren, illuminiren mit 2 altaren und Topal (Altartücher). Wird nun

Sacellum B. Virg. genandt und ein Sodalitet (Bruderschaft) S. V. Rosarij darein aufgerichtet und cönfirmiret. Ad pedes sacelli, do der Junffer Sprächhauß gewesen, ohn holtz und dach, hab ich die Mauren verbeßern, holtz und Dachwerk darauf setzen lassen und ein Oelbergh mit großem format bilden, formiren und illuminiren laßen, gescheht groß andacht von unsern und pilgern.

Es wäre durchaus denkbar, daß diese Maria-Magdalena-Kapelle mit der 855 durch Kaiser Lothar l. an die Aachener Pfalzkapelle geschenkten Kapelle S. Peter in Sinzig identisch ist, wobei dann beim Kirchbau das Petruspatro-zinium auf diesen übertragen worden sein kann. Der älteste — mir bisher bekannte — Beleg für das Maria-Magdalena-Patrozinium entstammt der Visitation der Pfarrei Sinzig von 1582 (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Jülich-Berg II 232). Von einem Verfall der Kapelle ist zu dieser Zeit noch keine Rede.

Dem Schreiben Vetters ist dann weiter zu entnehmen, daß die Herren von Lahdskron in Sinzig ein sehr altes Haus besessen hatten, in dem ein conclave, des kaysers Saal genandt mit den Insignien und einem Bildnis des Kaisers (insignia et imperatoris imago) gewesen ist. Dieses Gebäude ist nach Vetters Mitteilung 1636 abgebrannt. Daneben gab es in Sinzig auch im Hof der Aachener Stiftsherren ein gemach (conclave), welches noch genand wird des Kaisers Cammer. Beide Gebäude haben den deutschen Herrschern wohl nach der Zerstörung der S.inziger Pfalz als Absteigequartiere gedient. Nach einer kurzen Bemerkung über die von den Grafen von Julien errichtete Sinziger Burg schließt Vetter mit einer begeisterten Schilderung der Schönheiten der Goldenen Meile, womit er offensichtlich das untere Ahrtal meint. Dieser bislang älteste Beleg für diesen Landschaftsnamen ist so anschaulich und eindrucksvoll, daß er ungekürzt zum Abschluß dieses Beitrages wiedergegeben wird. Est situs pulcherimus, in der gülden Meyl nach Arweyler, in welcher an der rechten Seiten biß Arweiler 3 Stunden gehens lauter Weingartten, die edelste Bergh und Weingewachs, im thal die Ahr, gantz fischreich, von allerley fischen, Salmen, Vorellen etc. Beyderseits der Ahr die schoensten Wiesen, baumgarten und felder, voller allerhand des edelsten Obs, so im gantzen Land zu finden, deßen im vergangenen Jhar etlich hundert thonnen und karren in die schiff geladen nach Holland einbracht. Uf der linken Seiten biß Arweiler busch, bauholtz, Eckeren gewags zur mast und allerhand wilt. Die Schützen haben diesen Sommer ein Wildschwein gefeit, ad 300 Pfd. ganz feist. Zwischen Weingartten und wiesen die edelsten Acker und Landt.