Beethoven in Ahrweiler

Dr. Hans Kölsch

Im alten Ahrweiler lebte eine hochangesehene Patrizierfamilie namens Schopp, die sich für das Wohl der Bürger und der Stadt politisch und sozial erfolgreich engagierte und in zwei Generationen die Bürgermeister stellte. Die weitverzweigte Familie besaß mehrere Häuser in Ahrweiler, und man findet in den Akten und Urkunden im Stadtarchiv den Namen Schopp recht häufig, von den verschiedenen Stadtschreibern manchmal auch Schoff und Schoop geschrieben. Was mich auf diese Familie lenkt, ist ihre große Liebe zur Musik. Im Bürgermeisterhaus wurde viel musiziert, im Hause des altehrwürdigen Matthias Schopp, geb. 1714, der von seinen Mitbürgern zum Bürgermeister gewählt und später auch „Consul" wurde, also amtierender Friedensrichter.

Da musizierte sein Sohn Hermann Josef, geb. 1754, der bedeutendste Mann der Schopp-Familie, er wurde auch der Nachfolger seines Vaters Matthias im Amt als Bürgermeister und als „Consul". Das Schicksal wollte es aber, daß dieser begeisterte Förderer der Musik schon zweiundvierzigjährig starb, noch sechs Wochen vor seinem zweiundachtzigjährigen Vater im Jahre 1796. Sein schönes Grabmal aus rotem Sandstein im Stil der damaligen Zeit steht heute auf dem Friedhof am Ahrtor. Die Inschrift besagt, daß es ihm und seiner Frau, die eine geborene von Herrestorf war, von seinem dankbaren Sohne errichtet wurde. Hermann Josef wird in manchen alten Urkunden zum Unterschied von seinem Vater Matthias der „Bürgermeister junior" genannt.

Sein Bruder Anton Josef Ferdinand, geb. 1759, liebte die Musik ebenso sehr. Er war von Beruf Apotheker und wohnte, solange er noch keine eigene Apotheke besaß, mit dem Bruder im Bürgermeisterhaus, so daß die beiden oft Gelegenheit zum gemeinsamen Musizieren fanden. Erst im Jahre 1791 erhielt er die kurfürstliche Erlaubnis, eine eigene Apotheke zu eröffnen, allerdings können wir heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen, in welchem der Schoppschen Häuser. Der dritte Bruder, Johannes Wilhelmus Antonius Josephus, geb. 1757, spielte am liebsten die Orgel und entwickelte sich hier und später in Bonn zu einem guten Orgelspieler. Daß sein Vater ihn auf so feierliche Namen taufen ließ, läßt vielleicht den Wunsch vermuten, daß er Priester werden möge, wie es überhaupt in alter Zeit in einer vielköpfigen Familie als Ehre galt, daß einer der Söhne ein „hochwürdiger Herr" wurde. Unser Schopp jedenfalls trat in den geistlichen Stand und lebte als Kanoniker in Bonn in dem schönen Kanoniker-Palais am Münsterplatz, das bis auf den heutigen Tag unversehrt erhalten geblieben ist und zur Zeit als Hauptpost dient. Von diesem Palais hatte der Kanonikus Schopp nur wenige Schritte bis zur Münsterkirche, wo er gern und oft die Orgel spielte, und von da war es auch nicht mehr weit bis zur Hofkirche, wo der junge Beethoven zunächst -noch als, Hilfsorganist und später als besoldeter stellvertretender Hoforganist wirkte. Hier begann die musikalische Bekanntschaft zwischen den Familien der Bonner Hofmusiker van Beethoven und dem Ahrweiler Hause Schopp. Der Kanonikus konnte bei seinen Besuchen im Ahrweiler Elternhaus seinen musikliebenden Brüdern von dem vielfältigen Musikleben in der Residenzstadt Bonn erzählen, von dem hochbegabten jungen Beethoven, und der Kanonikus wird dann die Einladung der Familie Schopp an die Beethovens tiberbracht haben, ihre Sommerferien des Jahres 1781 oder 1782 im gastlichen Bürgermeisterhaus Schopp in Ahrweiler zu verbringen.

Das damalige Bonn war die Residenzstadt des Kurfürstentums Köln. Die freie Reichsstadt Köln unterstand als solche direkt dem Kaiser, und die wackeren Kölner besaßen den demokratischen Schneid, mit allen Mitteln zu verwehren, daß der Kurfürst seinen Wohnsitz und Regierungssitz nach Köln legte. Um so prächtiger erblühte Bonn als zweite Hauptstadt mit Schlössern, Regierungspalästen, Verwaltungsgebäuden und seiner Universität. Alle Adligen des Landes besaßen ein Palais in Bonn, um an dem politischen und kulturellen Leben teilhaben zu können. Die Residenzstadt verfügte über eine Oper, die alle bedeutenden Opern der damaligen Zeit auf ihrem Spielplan führte, und ein Sinfonieorchester unter der Leitung des weltberühmten Luchesi, es gab Kammerkonzerte und Solistenkonzerte. Neben der Oper bestand ein Nationaltheater, das nur deutsche Schauspiele aufführte. Für, Oper, Konzert und Kirchenmusik stand ein erstklassiger Chor aus Berufssängern zur Verfügung. Großvater Beethoven, geb. 1712, war hier Hofkapellmeister, Vater Johann van Beethoven, geb. 1740, Kammersänger und der kleine Ludwig van Beethoven, geb. 1770, stellvertretender Hoforganist.

In den langen Sommermonaten, in denen der Kurfürst auf Reisen lebte, zogen sich die Adligen wieder in ihre Schlösser oder auf ihre Landsitze zurück, und die Künstler der Residenz gingen auf Tournee — so würde man heute sagen —, sie reisten also auf Einladungen in die Schlösser und die Landsitze des kunst- und musikliebenden Adels, um dort einige Konzerte zu veranstalten und viele schöne Tage zu verleben. Selbstverständlich nahm man auch Einladungen in kunstverständige Bürgerhäuser in den Städten an, und auf einer solchen Rundreise kam die Gruppe um Beethoven in das überaus musikliebende Patrizierhaus der Schopps nach Ahrweiler.

Die Beethovens, das heißt Vater Johann mit Sohn Ludwig, reisten im Sommer 1781 oder 1782 in einer Gruppe, deren musikalischer Star der berühmte Geiger Rovantini war, zunächst nach Flamersheim zum Freiherrn von Dalwigk, einem der profiliertesten Köpfe in der kurfürstlichen Regierung. Von da ging es nach Ahrweiler, allerdings wurde in Oberdrees bei Herrn Deck Zwischenstation gemacht. Darüber sind wir so genau unterrichtet, weil Gottfried Fischer diese Reise beschrieben hat. Fischer war der Hausbesitzer und Mitbewohner der Beethovens in Bonn und obenbesagter Herr Deck ein Schwager seiner Frau. Wörtlich schreibt er „Jetzt waren sie schon früher bestellt zu Herrn von Dalwigk in Flamersheim, der auch und seine Tochter große Musikfreunde waren. Von da aus gingen sie in Oberdrees bei Herrn Eigentümer Besitzer Deck, der war Frau Fischer auch ihr Schwager. Von da aus gingen sie nach Ahrweiler bei Herrn Bürgermeister Schopp und seinen Bruder daselbst. Apotheker Schopp, beide waren Musikfreunde".

Das sind zwar trockene Sätze, aber ganz einwandfreie Beweise für den Besuch Beethovens im alten Ahrweiler. Fischers Manuskript dieser Reisebeschreibung ruht im Archiv des Beethovenhauses in Bonn, veröffentlicht wurde dieser Bericht durch den früheren Direktor des Beethovenarchivs, Universitätsprofessor Dr. Ludwig Schiedermair, in seinem Buch „Der junge Beethoven".

Es bleibt noch fraglich, welches der Schoppschen Häuser den jungen Beethoven beherbergte und wo die Hauskonzerte stattfanden. Da kommt der Forschung ein Umstand zu Hilfe, der uns fast ein Schmunzeln entlockt: Steuern zahlen war im alten Ahrweiler genau so unbeliebt wie heute! Um den lieben Mitbürgern hier genauer auf die Finger gucken zu können, beauftragte der Rat der Stadt im Jahre 1775 den vereidigten kurkölnischen Landvermesser Gallibert, einen genauen Stadtplan mit Häuserverzeichnis anzulegen, und dadurch stehen die Haus- und Grundbesitzverhältnisse innerhalb der Stadtmauern einwandfrei fest. Das war zwar sechs Jahre vor dem Besuch Beethovens, aber ich glaube nicht, daß im alten Ahrweiler ohne triftigen Grund (Sterbefall usw.) so leicht Häuser verkauft und Wohnungen gewechselt wurden. Zum Haus Nr. 90 schreibt Gallibert: „Bürgermeister Schopp junior". Das Haus 90 liegt am Markt neben dem Hotel „Zum Stern", damals war das Gäßchen ganz schmal und das Schoppsche Haus doppelt so breit wie heute,, ein langgestrecktes, repräsentatives Wohnhaus. Dieses Bürgermeisterhaus bot genug Raum zum Musizieren, und auch für ein kleines Hauskonzert war Platz.

Man kann heute 'mit ziemlicher Sicherheit sagen, welche Stücke der junge Beethoven den musikhungrigen Ahrweilern damals vorgespielt hat, denn in jener Zeit war es selbstverständlich, daß ein Konzertpianist auch komponierte und sich selbst Stücke schrieb, die ihm besonders gut lagen — oder anders gesagt, die Komponisten waren immer die besten Interpreten ihrer Werke. So erwarteten die Schopps mit Spannung die Kompositionen des jungen Beethoven, der als brillanter Pianist galt und schon als Zehnjähriger die virtuosen C-Dur-Variationen der Gräfin Wolf-Metternich gewidmet und im Druck veröffentlicht hatte.

Der junge Beethoven. Schattenriß von Neesen
Repro: Kreisbildstelle

 Ebenfalls war schon vollendet seine Fuge in D-Dur, das Rondo in C-Dur und die gewichtigsten Kompositionen der frühen Jahre: ein Band mit drei Klaviersonaten, die seinem Landesherrn, dem Kurfürsten Maximilian Friedrich, gewidmet sind. Der Verlag Boßler in Speyer veröffentlichte diese im Jahre 1783, aber sie sind natürlich viel früher komponiert und bewegten ihn gerade in jenen Jahren. Das war damals die „Neue Musik", statt des bisherigen harmonischen Geklingels nun ausdruckstarke Musik, die ans Herz griff. Als der zwölfjährige Junge seine f-moll-Sonate spielte, da tat sich im Zimmer des Schoppschen Hauses die ganze Welt auf/da spürten der Herr Bürgermeister und der Herr Apotheker etwas von der Weltangst, der Unentrinnbarkeit des Schicksals, da spürten sie Trost durch den verklärten Gesang des Mittelsatzes und erschraken wieder vor dem dämonischen Huschen und Poltern des Finales. Ob vielleicht einer der damaligen Bewunderer dunkel geahnt hat, welcher Titan in diesem Kinde steckte?