Die Eisheiligen

Johannes Roth

So nennt der Volksmund die Tagesheiligen des 12., 13. und 14. Mai, die Heiligen Pankratius, Servatius und Bonifatius. Daß ihnen einmal dieser nicht gerade schmeichelhafte Beiname gegeben werde, hat keiner von ihnen zu seinen Lebzeiten befürchten müssen, ja nicht einmal ahnen können. Ihrem Leben und Sterben, soweit Geschichte und Legende darüber berichten, fehlt jeder persönliche Bezug zu Frost und Eis, der ihre wetterkundliche Einstufung erklären und rechtfertigen könnte. Kälte und Schnee, Frost und Eis hatten für ihre Person nicht mehr Bedeutung und Beziehung als für ihre Zeitgenossen und Landsleute gleicher Breiten. Sie tragen seit Jahrhunderten den Beinamen ,,Eisheilige" einfach deshalb, weil ihre Gedenk- und Namenstage in sehr früher Zeit in einen Abschnitt des Jahresablaufs gelegt wurden, in dem Sommer und Winter im Ringen um die Vorherrschaft die letzten, oft sehr folgenschweren Nachhutgefechte austragen. Gärtner, Winzer und Bauersmann wissen aus manchen bösen Jahren ein Klagelied zu singen darüber, daß oft bis weit in den Monat Mai hinein Nachtfröste und plötzliche Kälteeinbrüche, mitunter gar Schneegestöber und Hagelschauer das junge Sprossen und Sprießen in Garten, Feld und Weinberg jäh zunichte machten und die Hoffnungen eines Jahres zerstörten. Seit langem schon suchen vielerorts — auch in unserem Bereich — Räucherwehren die verheerende Wirkung nächtlicher Maifröste durch „Frostschirme" und „Frostrauch" zu verhindern oder wenigstens zu mildern.

Weil nun in Mitteleuropa solche Kälterückfälle zeitlich gerade an den Gedenk- und Namenstagen der genannten Heiligen zu beklagen waren, wurden diese selbst mit dem Beinamen „Eisheilige" belastet, unverdient und trotz erweisbarer Unschuld. Und dies nicht nur bei uns. Auch die Franzosen kennen ihre „saints de glace", die Engländer ihre ,,ice-saints". Alte Chroniken berichten von ihrem bösen Regiment und nennen sie die drei „gestrengen Herren". Auch der Preußenkönig Friedrich der Große soll sie so genannt haben.

In zahlreichen Sprüchen und Wetterregeln hat sich des Landmanns und des Winzers wetterkundliehe Erfahrung und sein naturnahes — oft leidvolles — Wissen bleibend niedergeschlagen. Da heißt es für den Wonnemonat Mai allgemein und zunächst noch ohne Bezug zu'den sog.'Eisheiligen:

Mai nicht zu kalt und nicht zu naß
Füllt die Scheuer und das Faß.
Abendtau und kühl im Mai
bringt viel Wein und gutes Heu.

Zu viel Feuchtigkeit im Mai wäre aber auch wieder vom Übel, denn Maiwasser trinkt den Wein aus.

Häufiger jedoch werden die Eisheiligen namentlich genannt, wenn auch nur als Daten zeitlicher Terminierung:

Eh' Pankraz und Servaz vorbei,
ist nicht sicher vor Kälte der Mai.

Wer seine Schafe scheret vor Servaz,
dem ist die Wolle lieber als das Schaf.

Der Winzer fürchtet die drei gestrengen Herren geradezu als Weindiebe:

Pankraz, Servaz, Bonifaz,
die stehlen wie ein Spatz.
Ist aber St. Pankratius schön,
wird guten Wein man sehn.

Die drei Herren auf -azius ,
machen oft Gärtnern und Winzern Verdruß.

Ein österreichischer Vers fügt den genannten Drei noch die Heiligen Georg (23. April), Markus (25. April) sowie Philippus und Jakobus (1. Mai) hinzu und sagt sehr derb, aber eindeutig:

St. Jörg, St. Marks
dräuen oft viel Args.
Philippi und Jakobi
san ach noch zwa Grobi.
Aber die Drei auf -azi,
dös san die größten Lumpazi.

Hier werden die genannten Heiligen in grimmigem Humor unverblümt als Grobiane und Übeltäter angesprochen, obschon im Grunde nur der Zeitpunkt ihrer Gedenktage ' gemeint ist. Sankt Georg, in der Ostkirche als Erzmärtyrer und Siegbringer gefeiert, im Abendland unter die 14 Nothelfer gezählt, ist nicht nur der Patron der Ritter und Reiter, sondern auch — schon von seinem Namen her (griechisch georgos = Landmann, Bauer) — der Landleute und Bauern und ihres Besitzes, im besonderen ihrer Pferde; diese werden beim Georgiritt, einer reitenden Flurprozession, gesegnet. Der über 700 Jahre alte Gymnicher Ritt am Himmelfahrtstage — an ihm nehmen alljährlich an die 400 Reiter und 2500 Fußgänger teil, während Tausende von Zuschauern den Weg säumen — ist anderen Ursprungs; er beruht auf dem Gelöbnis des Ritters und Kreuzfahrers Arnold von Gymnich, alljährlich Gott für seine Rettung zu danken durch eine Reiterprozession. Daß dabei ebenso wie beim Georgiritt auch um gedeihliche Witterung gebetet wird, liegt nahe. Diesem Anliegen dient in katholischen Landgegenden noch heute am 25. April die sog. Markus-Prozession, ein kirchlicher Bittgang in der Morgenfrühe um Schutz und Gedeihen der Feldfrüchte.

Pankrazi, Servazi, Bonifazi
sind drei frostige Nazi; (!)
und zum Schluß fehlt nie
die kalte Sophie.

Der letzte Spruch zeigt, daß Maifröste und Kälteeinbrüche noch bis Mitte des Monats zu befürchten sind. Die hl. Sophie des 15. Mai, als kalte Sophie vor allem in Süd- und Süd-ostdeutschland zu den Eisheiligen gerechnet, wird in spätmittelalterlichen Martyrplogien (Märtyrerbeschreibungen) als Jungfrau und Märtyrin genannt, die in Fermo (Mittelitalien, Adria) der Christenverfolgung unter Diokletian zum Opfer fiel. Sie ist also nicht identisch mit der hl. Sophie des 1. August, die nach einer legendären Mailänder Passio (Leidensgeschichte) als vornehme Christin in Mailand zur Zeit des Kaisers Hadrian (117—138) nach dem Tode ihres Mannes ihr Vermögen an die Armen verteilte, mit ihren drei Töchtern Pistis, Elpis, Agape (lateinisch: Fides, Spes, Caritas; deutsch: Glaube, Hoffnung, Liebe) später nach Rom übersiedelte und dort nach dem Martyrium ihrer Töchter selbst den Märtyrertod für Christus erlitt. Die beiden Sophien werden oft miteinander verwechselt.

Wie nun die kalte Sophie des 15. Mai die Reihe der Eisheiligen beschließt, so wird am 11. Mai vorausgeschickt Sankt Mamertus, vor allem im Norden. Sein Name dürfte mit dem des römischen Kriegsgottes Mars zusammenhängen. Mamertus war Erzbischof von Vienne (Frankreich, an der Rhone) und bekämpfte 475 auf der Synode von Arles (Südfrankreich) den Irrlehrer Lucidus. Er führte zur Abwendung von Erdbeben und anderen Naturkatastrophen die Bittgänge vor Christi Himmelfahrt ein und starb 475.

Der hl. Pankratius (griechisch: Allbeherrscher) des 12. Mai, als Sohn eines Märtyrers um 290 in Phrygien (Kleinasien) geboren, erlitt als 14jähriger Knabe in Rom den Märtyrertod. Er wird gelegentlich zu den 14 Nothelfern gezählt. In Rom führt gegenüber der Porta San Pancrazio, einem ehemaligen Tor der Aure-lianischen Stadtmauer, die via (Straße) di San Pancrazio zur Kirche gleichen Namens, bei der sich Katakomben befinden.

Der hl. Servatius (13. Mai) war Bischof von Tongern in Belgien. Auf mehreren Konzilien bekämpfte er mutig und unerschrocken die Irrlehren des Arianismus, dessen Begründer, Arius, die Gottheit Christi leugnete. Nach 37jährigem segensreichem Wirken starb er 384 in Maastricht (Holland); seine Gebeine ruhen im dortigen Dom. Viele Kirchen in rheinischen Landen tragen seinen Namen, er genoß im hohen Mittelalter am Rhein sehr große Verehrung. Die Stad Worms nennt ihn ebenso als Patron wie die Blumenstadt Quedlinburg am Harz, wo auf steilem Sandsteinfelsen die Stifts- und Schloßkirche St. Servatii aufragt.

Der hl. Bonifatius ist nicht der als Apostel Deutschlands und der abendländischen Kultur überhaupt bekannte angelsächsische Benediktinermönch Wynfreth (Winfried), dessen Namensfest am 5, Juni gefeiert wird und an dessen Grab im Dome zu Fulda alljährlich die deutschen Bischöfe zur sog. Fuldaer Bischofskonferenz sich versammeln. Vielmehr ist der Bonifatius des 14. Mai — der letzte der ursprünglich drei Eisheiligen — als Güterverwalter und Liebhaber einer überaus reichen und stolzen Frau namens Aglae in Rom zunächst ein großer Sünder gewesen und nach der Bekehrung seiner Herrin auf einer Bußfahrt 306 in Tarsus in Cilicien (Kleinasien), der Geburtsstadt des hl. Paulus, als Märtyrer der diokletianischen Christenverfolgung gestorben. Sein Leichnam wurde nach Rom gebracht und dort bestattet. Aglae ließ über seinem Grab eine Kapelle errichten, in der sie 15 Jahre später selbst beigesetzt wurde.

Mit Mamertus am 11. Mai und der kalten Sophie am 15. Mai sind es in unmittelbarer Tagesfolge nicht mehr nur ihrer Drei, die wir Eisheilige nennen, sondern ihrer Fünf.