Kapelle der Marienminne

Dreihundert Jahre wird die Madonna in Pützfeld verehrt 

Harry Lerch

Der Meeresstern leuchtet auf dem Dachreiter der Marienkapelle Pützfeld im Einklang mit dem Marienlied »Meerstern, ich dich grüße« und mit dem Stifteranliegen des Jahres 1681: Die Inschrift »Helleuchtender Meeresstern, bewahre uns vor der Pest« (a peste succurre nobis) am Portal ist nicht nur Glaubensbitte, sondern unheilvoller Bezug auf die Pest der dreißiger und sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts. Sie wütete in den Dörfern der Ahr und dezimierte die Bevölkerung um ein Drittel. Diese Heimsuchung und die Marienverehrung waren Beweggründe für die Stiftung dieser Kapelle, und ihnen fügen sich weitere der Stifter hinzu. Legendär umschmückt die Gründung ein Gelübde in Seenot, doch auch ihre Pilgerschaft, bezeugt mit den drei Muscheln des Jacobus zum Wasserschöpfen unterwegs. Die Stifter tragen sie im Wappen — sichtbar an der Tonnengewölbedecke der Kapelle — und haben offenbar an den Pilgerzügen zur spanischen Wallfahrtsstätte des Heiligen Jacobus in Santiago di Compostella im Galizischen Bergland teilgenommen. Diese Muscheln sind auch in die Gegenwart übertragen worden: die Gemeinde Ahrbrück siegelt heute mit diesen drei Jacobusmuscheln im Wappen sinnfällig und traditionsfreudig.

Ereignisse und Gedanken des Stifterpaares: sie geloben und bauen diese Kapelle auf der Bie-belsley am linken Ahrufer, geplant übrigens am Kamm, doch wegen der Brüchigkeit des Fundaments dann in halber Hanghöhe. Vereint im farbigen Relief an der Deckenwölbung sind ihre Wappen und Wünsche: »Zu Ehren und Gedechtnüs der Glorwürdigst Allezeit unbeflecter Jungfraw Mariae Geburtsdags haben der Hochwolgeborner Herr, Herr Werner Dietherich von Freymerstorff zu Pütz-feldt, und die auch Hochwolgeborne Fraw, Fraw Maria Magdalena Elisabeta geborne Scheiffardt von Merode zu allner Eheleute diese Kirch aus ihren aigenem Mittelen bawen lassen und geendiget Anfangs September Ano 1681.«

Das Datum ist auf den Tag das Fest Mariae Geburt! Rührend gemischt und etwas schriftunerfahren ist der Wechsel zwischen Majuskel und Minuskel, also zwischen Groß- und Kleinbuchstaben, ebenfalls von lateinischen Lettern mit der gebrochenen Schrift. Die Stifter lassen es mit dem Bau nicht bewenden! Ein Verwandter der Stifterin, »Joswein Freiherrn Scheiffardt von Merode, Deutsch Ordensritter & Land Commendar der Bally Coblenz«, stiftet den Atlar, so daß 1699 die Kapelle von Abt Michael Kuell, Kloster Steinfeld, konsektriert werden kann.

So schlicht die Kapelle im Außengewand, so verspielt die Laterne des Dachreiters, umso wohlgestimmter ist die Ausstattung. Das ist Kammermusik! Eine Komposition, makellos, ausgewogen. Ein Ensemble des stilgebundenen Barock. Wer möchte solches Engagement, einen Raum nicht nur zu füllen, sondern ihn klingen zu lassen, verwehren? Was sich als Barock schmückend zeigt, ist nicht aalglatt wie in manchen bayrischen Kirchen (oft eine wie die andere), es ist hier etwas bäuerlicher, eckiger, aber liebenswert.

Magnus Backes ist der Hinweis zu danken, daß der Name des Meisters mit ziemlicher Sicherheit bekannt ist: der Laienbruder Michael Pirosson, der auch die stilkritisch verwandten Altäre von Steinfeld und Kesseling gearbeitet hat, zumal er Jahre zuvor in der Maria Laacher Werkstatt tätig gewesen ist.

Ein Idyll im Tal — und die Kapelle auf dem Sattel des Hanges. Hier weiden noch die Schafe, während eine Prozession zum Berg hinauszieht

Geradezu himmelwärts steigt die kleine Treppe zur Korbkanzel mit den Evangelisten, darüber der Schalldeckel, auf seinem Scheitel Johannes der Täufer

Er legt sich keinen Zwang an! Über der Mensa des Hauptaltars und zu seinen Seiten steigt ein üppig kolorierter Aufbau hoch bis zum Auferstandenen Christus mit seinem Kreuz im Arm. Säulen, Weinlaub, Fruchtgehänge, Medaillons, Voluten bis in den Gewölbescheitel — das sind die Formvorstellungen mit marmorkolorierten Schmuckfeldern und Putten des Barock. In der mittleren Nische die Maria Immaculata auf Mondsichel und Wolken. Das Haupt ist umsäumt von einem Kranz aus zwölf Sternen — alles weist auf die Maria Immaculata, die Jungfrau der unbefleckten Empfängnis hin, weit der Zeit voraus, bis dies zum Dogma erhoben wird. Ihr zu Seiten die Patrona Werner und Theodor (für den Stifternamen Dietrich). Auf Podesten der Altarwangen stehen Maria Magdalena und Elisabeth. Die Maria Magdalena ist ausgestattet mit dem Attribut des Kelches für das Salböl. Die Verliebtheit des Meisters Pirosson ins Detail zeigt sich insbesondere bei der Heiligen Elisabeth. Den Rosenkorb im Arm, dahinter der knieende Bettler, dem sie (da das Brot ja in Rosen verwandelt ist) eine Münze reicht. Im oberen Aufsatz Barbara (auf den Höhen über dem Ahr-tal wurde Bergbau betrieben!) und Katharina mit dem Rad.

Dazu im Ensemble auch ein Rollbild, das an Werktagen die Maria Immaculata überdeckte (Maria hier als Priesterin und Patronin mütterlicher Weisheit). Darüber als Tafelgemälde die Verkündigung des Engels an Maria — dies alles gekrönt von einer Skulptur des Auferstandenen Christus. Um die Marienverehrung noch zu steigern, ist überdies im Stuck der Decke ein Relief der Madonna.

Das hat seine Bezüge zu den Seitenaltären. Rechts Antonius mit dem Kind, im quadratischen Altaraufsatz darüber die Taube des Heiligen Geistes - das schwingt hinüber zur Halbfigur Gottvaters im ebenfalls quadratischen Aufsatz des linken Seitenaltars. Vom Heiligen Geist (rechter Altar) zu Gottvater (linker Altar) und zum bereits erwähnten Auferstandenen Christus im Gewölbescheitel des Chores spannt sich imaginär ein mystisches Strahlendreieck als Symbol der Dreifaltigkeit. Wie Pirosson darüber nachgedacht hat, zeigt sich auch in dieser Intensität: Gottvater blickt zur Heilig-Geist-Taube ebenso wie der Kreuztragende Christus von oben — ein Geheimnis nicht nur des Glaubens, sondern auch des sinnbildsuchenden Barock. Das Zentrum für die Pilger ist der Gnadenaltar links. Die Gottesmutter als Fürsprecherin, als Zuflucht. Bald nach der Stiftung kamen die Pilgerschaften auf, wenngleich heutigentages das abgeklungen ist im Vergleich zu damals, das heißt, in Bezug auf damalige Scharen. Heute ziehen hierher die Familien über die Stille der Wiesen und auffallend viele junge Paare, Hand in Hand, auch zum Rosenkranzgebet an jedem Dienstag 15 Uhr und der folgenden Pilgermesse.

Die Pützfelder Kapelle ist mit Barockaltären im Stil der Zeit geschmückt. Ein komplettes Ensemble, zumal auch die Kommunionbank, die Beichtstühle und die Kanzel erhalten geblieben sind. Im Hauptaltar die Immaculata, rechts St. Antonius, links die Gnadenmadonna der Pilger 
Foto: Görtz

Auch für ein heimatlich-religiöses Fest ist die Feuerwehr parat. Sie hat es übernommen, die Gnadenmadonna aus der Dorfmitte von Pützfeld zu tragen

Ein Glücksfall, daß die Gesamtausstattung des Barock erhalten geblieben ist! Also auch die Kommunionbank, die Beichtstühle und vor allem die Korbkanzel mit den Evangelisten und dem Schalldeckel darüber. Auf dessen Kuppel Johannes der Täufer, erhalten blieb auch die steile Treppe zur Kanzel hinauf.

Zum Festzug wurde eine Medaille gestiftet. Die Vorderseite (Avers) zeigt die Gnadenmadonna und die Inschrift »O, verehrungswürdiger Stern des Meeres.« Maria mit Zepter und Jususkind als Himmelskönigin

Die Rückseite (Revers) der Medaille zeigt die Kapelle im Grün des Berghanges. Die Turmspitze trägt den Stern Mariens nach dem Pilgerlied "Meeresstern, ich dich grüße.«. Dazu die Jahreszahlen 1681 - 1981 zur Erinnerung an das Gründungsjahr 
Fotos: Esch

Heimsuchungen hat es für diese Kapelle genug gegeben. Bomben fielen in der Nähe. Einbrüche und Diebstähle, Aufbruch des Tabernakels.

Nicht mehr vorhanden ist der Herkules als Träger der Welt. Von den jüngst gestohlenen 13 Holzfiguren kamen immerhin acht zurück (Antonius hatte geholfen, doch er selbst kehrte nicht wieder). Seit 1947 die Kapelle durch Schenkung der Besitzernachfolger in die Obhut der Gemeinde überging, sind unter der Verwaltung von Bürgermeister Rudolf M. Thomi viele Renovierungen und Restaurierungen geschehen. Wenn auch dies den Bestand, die Einheitlichkeit, die Harmonie gerettet hat, wird es dennoch einiger Sicherungsmaßnahmen bedürfen — eine vornehme und vernehmliche Aufgabe für den Denkmalschutz und die Pilger.

Wie diese Kapelle über dem Tal der Ahr im Bewußtsein der Pilger ist, bewies sich zur Dreihundertjahrfeier 1981 — da wurde das Gnadenbild aus der Ortsmitte von Pützfeld durch die Fluren den Berg hinaufgetragen.