Traß — einst Grundlage einer blühenden Industrie im Brohltal

Karl Schäfer

Über die Entstehung des Trasses gibt es auch heute noch keine hundertprozentige wissenschaftlich gesicherte Erklärung. Hypothesen, d. h. Vermutungen von Geologen haben schon wiederholt das Phänomen der Traßablagerun-gen zu klären versucht. Durchgesetzt hat sich die Ansicht, daß sich der Traß in der bewegten eruptiven Tätigkeit der Laacher-See-Vulkane in Verbindung mit tropenähnlichen Regengüssen mit den vulkanischen Auswurfmassen zu Schlammströmen entwickelte, die sich über die Explosionskrater hinwegwälzten und die Täler auffüllten.

Der Traß war es jedenfalls, der das Brohltal ins Licht der Geschichte rückte. Über die Entstehung des Trasses verzeichnet die Burgbrohler Chronik, Band l, nachfolgende Darstellung: »Am 17. April 1907 fand hierselbst im Gasthaus »Zur Krone« eine Versammlung der bedeutendsten Geologen der Gegenwart statt, an der über 50 Gelehrte aus ganz Deutschland teilnahmen und die Gründung des »Niederrheinischen geologischen Vereins« beschlossen.

Unter Führung der Professoren Kaiser aus Gießen und Rauff aus Berlin wurden geologische Ausflüge unternommen, u. a. Burgbrohl-Laach und Umgebung und Herchenberg-Kapp (gemeint ist der Steinberg bei Niederlützingen, heute Mülldeponie).

In der Hauptsitzung am 18. April hielt auch Dr. Völzing, Assistent am geologischen Institut zu Gießen, einen Vortrag über den Brohltaltraß. Auf Grund seiner Forschungen, die er während eines zweijährigen Aufenthaltes in hiesiger Gegend durchgeführt hatte, führte er aus: »Beim Ausbruch des Mont Pelee« auf der Insel Martinique im Karibischen Meer beobachteten französische Gelehrte folgende merkwürdige, höchst seltene Naturerscheinung: Aus dem gewaltigen Krater schob sich zunächst ein spitzer, glühender Kegel, der sich jedoch bald wieder senkte und dadurch den Hauptkrater verschloß. Die Gase suchten sich nun nach der Seite einen Ausweg und schleuderten mit ungeheurer Gewalt große Feuerkugeln heraus, die wirbelnd die Luft durchsausten und, platzend, die ganze Umgebung mit glühendem Schlamm bedeckten. Diese Feuerkugeln wurden von den Franzosen nues ardents = brennende Wolken genannt.

Wenn auch diese Art der Vulkanausbrüche eine höchst seltene ist, so sprechen doch mancherlei Anzeichen dafür, daß eine solche auch aus den Laacher-See-Vulkanen stattgefunden haben muß. Die nach dem Brohltal und Gleestale geschleuderten nues ardents stießen gegen die Kunksköpfe, zerplatzten und ergossen ihren schlammigen Inhalt in die Täler. Dafür spricht vor allem der Umstand, daß der Traß nicht auf die nächsten Höhen der Vulkane, sondern erst in einiger Entfernung davon sich vorfindet, während ersteres unbedingt der Fall sein müsse, wenn derselbe, wie bis jetzt meistens angenommen wurde, als schlammige Masse den Kralern entströmt oder aus der Mitte desselben nach oben geschleudert worden wäre. Diesen Erklärungen stimmten auch die übrigen Gelehrten bei. Die Geologen Professor Frechen, Professor Knetsch und der früher ebenfalls erwähnte Pater Hopmann haben in ihrem wohl als Standardwerk geltenden Buch »Die vulkanische Eifel«, Stollfuß Verlag, Bonn, diese Annahmen im wesentlichen bestätigt.

Der Traß entstammt somit, damit stimmen die Gelehrten in ihren Annahmen überein, dem Laacher Bimsvulkan, wobei der eigentliche Bims in verschiedenen Ausbruchsphasen als mächtige Staubwolke sich mit den vorherrschenden Westwinden ost- und südostwärts in die Pellenz und ins Neuwieder Becken bewegte, und die schwereren, mit Wasser zu Schlamm gewordenen Tuffe, in der vorbeschriebenen Art ihren Weg in die Täler nach Norden suchten. Ein weiterer namhafter Geologe, Professor Noeggerath, sei schließlich noch zitiert: »Der Tuffstein des Brohltales ist ein vulkanischer Tuff, ähnlich der italienischen Pozzolana und namentlich dem Bimssteintuff, unter welchem Herculanum begraben wurde.« Und nun zur weiteren Entwicklung des Brohltaltrasses und damit zur Gestaltung der Landschaft selbst:

Der in das Brohltal eingedrungene Schlammstrom zerstörte die ganze auf der Talsohle und an den unteren Abhängen vorhandene Vegetation; mächtige Baumstämme wurden in den Traßablagerungen gefunden, teils aufrecht, teils in der Richtung des Schlammstromes talabwärts niedergebeugt. Diese vorgefundenen Pflanzen gehören ganz unserer gegenwärtigen Vegetationsperiode an, vorherrschend Kiefern, Eichen und Erlen, von beiden letzteren Baumarten fanden sich auch noch reichlich Blätterreste.

Gewinnung und Verwendung des Brohltaltrasses

Anfang der 90er Jahre im 19, Jahrhundert fand man in einer Tiefe von etwa 3 Metern bei der Erschließung einer Kohlensäurequelle im Gelände der Firma Rhodius, Werk l, eine gut erhaltene Brunneneinfassung aus Tuffstein.

Bereits 1832 hatte man beim Bau der Bleiweißfabrik unter der Erdoberfläche einen aus Tuffstein gehauenen römischen Opferaltar gefunden. Weitere Mauerreste und Fundamente geben ebenfalls davon Zeugnis, daß Burgbrohl in römischer Zeit, nur in geringer Entfernung vom Rhein, unmittelbar am Beginn des römischen Grenzwalles Limes liegend, eine beachtliche Besiedlung aufwies, wozu die Tuffsteinvorkommen, später gemeinhin als Traß bezeichnet, vornehmlich der Anlaß gewesen sein dürften. Die Chronik erwähnt insbesondere den Traß-bruch von Josef Nonn, in dem fertige und unfertige römische Opferaltäre gefunden wurden. Die meisten Fundstücke gelangten ins Rheinische Landesmuseum Bonn und sind dort auch heute noch beachtliche Ausstellungsstücke. Es wird die Vermutung ausgesprochen, daß die Römer die Herstellung solcher Opferaltäre hier im Brohltal regelrecht fabrikmäßig betrieben hätten. Der bei dieser umfangreichen Steinmetzentätigkeit anfallende Klein- und Schuttraß soll häufig als Straßenbelag verwandt worden sein. Im Jahre 1847 wurde am Fuße des Bausenber-ges an den Ausläufern des »Scheids« ein römisches Bad entdeckt, nach der bekannten Methode der Römer »ausgetraßt« mit den Maßen 9 Fuß Länge, 6 Fuß Breite und 4 1/2 Fuß Tiefe. Die Oberlützinger Chronik erwähnt den Fund eines römischen Brandgrabens mit mehreren Urnen aus dem Jahre 1887.

Verschieden mächtige Traßformationen erinnern im unteren Brohltal an einen einst blühenden Industriezweig
Foto: Kreisbildstelle

Erst in späterer Zeit, im ausgehenden Mittelalter, hat man den Brohltaltraß zu wasserdichtem Mörtel zu nutzen gelernt. Die Holländer waren es vornehmlich, die als die großen Lehrmeister in Wasserbauten gelten und die schon immer in Ermangelung eigener ausreichender Rohstoffbasen weit im Binnenlande sich um die Sicherung geeigneter Lager- und Bearbeitungsstätten für ihre Deichbauten bemühten. Als die Burgbrohler Chronik verfaßt wurde — es war im Jahre 1913 —, führt Hauptlehrer Langen, aus, daß der Brohltaltraß als Mörtel von einem unschätzbaren Wert sei, einmal als Baustoff schlechthin und zum anderen in seiner wirtschaftlichen Bedeutung für das Brohltal selbst. Heute ist die Traßindustrie zum vollständigen Erliegen gekommen, nach einer über Jahrhunderte dauernden Blütezeit, in welcher der Traß-abbau wirtschaftliche Grundlagen fast für das gesamte Tal bot, ist kaum noch etwas vorhanden, was der Nachwelt Zeugnis von dieser Industrie geben könnte. Einzig die stehengebliebenen Traßfelsen und -bildungen im unteren Brohltal, in ihrer Art wohl einzig in ganz Deutschland, erinnern an die Traßzeit. Doch wie sah die Traßgewinnung im einzelnen aus?

Nach dem Brechen in den Hängen und Gruben, seltener in Schächten oder Höhlen, wurde der Traß zu feinem Pulver gemahlen und je zwei Teile Traß mit einem Teil Kalk gemischt, der entstandene Mörtel erhärtete im Wasser und ließ keinerlei Feuchtigkeit durch. Der Name »Traß« wird von dem holländischen »Tyras« (Kitt) abgeleitet.

Über dem anstehenden festeren Traßgestein fand sich der sogenannte »Bergtraß« vor, der aus losen, mitunter auch von Löß und Humus durchsetzten Schichten Lockermassen bestand. — Der Bergtraß wurde ebenfalls gewonnen, in den Traßmühlen gesiebt und fand vielfach Verwendung in der Glasfabrikation. (Hier sei an die noch heute wie ehedem gut florierende Gewinnung der Selbergittuffvorkommen am Schellkopf bei Brenk erinnert: Selbergit auch Klingstein-Phonolith).

Nach der Jahrhundertwende scheint sich im Verlaufe der allseits ersichtlichen Verlagerung der Rohstoffgewinnung im primären Bereich der Industrie das Ende der Blütezeit im Traßgewerbe des Brohltales abzuzeichnen. Der Chronist gibt an, daß um 1860 für den Scheffel Traß (ungefähr 40 kg) noch 60 Pfennig bezahlt worden seien, während 1910 die Traßmühlenbesitzer kaum noch die Hälfte dieses Preises erzielen können.

Die Traßmühlen des Brohltales

Die älteren Traßmühlen waren mit »Stampfern« — schweren, am unteren Ende mit Eisen beschlagenen Balken, die durch eine Hebevorrichtung gehoben wurden und beim Niederfallen die Steine zerstampften — eingerichtet, später wurden diese Traßmühlen durch zweckmäßigere Steinbrecher und insbesondere Kugelmühlen verdrängt. Die Mühleneinrichtung als solche blieb im wesentlichen über Jahrhunderte unverändert.

Um 1910 werden als bedeutendste Traßmühlen aufgeführt:

Die »Kaulenbüscher Mühle«, 1767 durch die Herrschaft Bourscheid von Burgbrohl erbaut, später als Nonnsmühle bekannt und heute als Gutsverwaltung der Firma Rhodius in einen landwirtschaftlichen Spezialbetrieb umgewandelt. Die »Orbachermühle«, in unmittelbarer Nachbarschaft unterhalb des heutigen Jägerheimes, auch als »»Mittlersmühle« weithin bekannt, noch um 1950 war hier unter Herrn Max Mittler der letzte Traßbetrieb in Tätigkeit. Die »Schemelsmühle« zwischen Burgbrohl und Niederoberweiler, die um 1900 dem Bau der Brohltal AG, der »Stein und Ton« weichen mußte.

Die »Bellsmühle« an der Mündung des Glees-bachtales, aus der von Wilhelm Bell etwa um 1900 eine Kunststeinfabrik entstand. Die »Neumühle« an der Mündung des Tönis-steiner Tales, die aber um 1910 bis auf die Grundmauern niedergerissen war. Im unteren Brohltal werden aufgeführt: »Schweppenburger Mühle« »Netzer Mühle« »Schalenbruchs Mühle« »Schwickarts Mühle«

Allgemein siedelten sich in unmittelbarer Nähe der Traßbrüche auch die Traßmühlen an, und somit ergeben sich die meisten Brüche bereits aus der Übersicht der Traßmühlen. Es werden darüber hinaus noch folgende Brüche genannt: Traßbruch »Am Täufert« nahe der Nonnsmühle Im Tönissteiner Tal, Besitzer Gebrüder Zervas Im HeilbronnerTal, Besitzer Baron von Geyr Traßbruch »In der Wasserschöpp«, zum Zeitpunkt der Darstellung fast ausgebeutet, und seit 1910 Platz bietend für die Trasse der Gleestal-straße, der heutigen L113. Charakteristisch für das Brohltal mit seiner Traßindustrie waren die sogenannten »Arken«, die in langen Reihen nach dem Brechen zum Lufttrocknen aufgesetzten Traßbrocken. Der Beruf des »Arkers« gehörte ebenso zum Berufsbild der Traßbauperiode wie das ausgedehnte Fuhrgewerbe von den Traßmühlen durch das untere Brohltal zum Brohler Hafen, wo der größte Teil des Trasses verschifft wurde. In der Pellenz, besonders um Kruft war der Arker noch in den 50er Jahren unseres Jahrhunderts ein recht verbreiteter Beruf. Ein Traßarbeiter verdiente um 1910 durchschnittlich am Tag 2 Mark (dem Verfasser persönlich überliefert von seinem langjährigen Nachbarn Anton Seul, der hochbetagt im Alter von über 90 Jahren 1954 starb).