Eifeler Erinnerungen: Wanderlehrer

Heinrich Schäfer

Vor 50 Jahren wurde der Landkreis Adenau aufgelöst. Über 100 Jahre lang hatten sich bürgernahe Landräte segensreich für die Entwicklung ihres Kreises eingesetzt. Und da, wie der Begründer des Eifel-Vereins, Professor Kaufmann, im Jahre 1840 in einer Rede sagt, »der Bauernstand der bei weitem wichtigste Stand«1 im Lande war, galt ihm die Obsorge der Landräte. So hatte z. B. der Landrat des Kreises Daun im Jahre 1838 ein »Lehrbuch für den kleinen Landwirth« geschrieben. 1861 stellte der »Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen« einen Wanderlehrer ein, der von St. Vith im Kreise Malmedy ausgehend mit ausführlichen und umständlichen »Instructio-nen« auf den Weg geschickt wurde. Er sollte überall »Casinos« einrichten, das sind landwirtschaftliche Genossenschaften. Landrat Fonck von Adenau, der natürlich auch Direktor des landwirtschaftlichen Vereins für seinen Kreis war, gelang es Ende 1864, diesen Lehrer für Adenau zu gewinnen. Erstaunlich, was Herr Wanderlehrer Gsell leistete: in 5 Wochen hält er 37 öffentliche Versammlungen ab, er zieht durch das ganze Kreisgebiet, von Uers-feld bis Lind an der Ahr2. Landrat Fonck gibt uns einen mehrseitigen Bericht über diese Tätigkeit und hebt besonders Hönningen hervor, wo etwas Neuartiges zur Gleichberechtigung der Frau geschieht. »Besondere Erwähnung verdient hier die in Hönningen mit den Frauen und Jungfrauen dieser Gemeinde gehaltene Versammlung. Es ist dieses der erste Versuch des Herrn Gsell, auch die Frauen für den Fortschritt im Gebiet der Landwirtschaft zu interessieren und zu gewinnen. Die Frauen und Jungfrauen hatten im Schullokale von den Männern gesondert Platz genommen, sie folgten dem Vortrage mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, und Äußerungen, welche später aus Anlaß dieses Vertrags gemacht wurden, lieferten den unwiderleglichen Beweis, daß auch die Frauen einer Anregung sehr wohl zugänglich sind und daß die Mit-betheiligung der Frauen an dem Interesse für die Durchführung landwirthschaftlicher Verbesserungen diese wesentlich erleichtern und fördern wird.«

Die Wanderlehrer müssen im Laufe der Jahre sehr erfolgreich gewesen sein, überall entstanden »Casinos« und Versuchsanstalten. In der Zeitschrift des landwirtschaftlichen Vereins wird im März 1870 die Genossenschaft von Gelsdorf im Kreise Ahrweiler lobend herausgestellt. Der Herausgeber bringt im Wortlaut einen Brief des Schmieds Heinrich Schmitz, welcher sich im Mitgliederverzeichnis »Maschinenbauer« nennt und in einem späteren Bericht »Maschinenmeister« genannt wird, unter der Überschrift: »Eine Frucht des landw. Casinos, im Originale vorgelegt aus dem Kreise Ahrweiler«

Gelsdorf, den 2. Februar 1869 Geehrter Herr Wanderlehrer!

Mit dem größten Vergnügen ergreife ich die Feder um Ihnen die Biografie meiner Muttersau mitzutheilen und dadurch andere anzuspornen meinem Beispiele zu folgen.

Das Schweinchen wurde am 19. September 1866 bei Herrn Pütz in Lannersdorf geboren und kostete bei der Abnahme 5 Thlr. Da ich im Casi-no zu Böhlingen anwesend war als Sie, geehrter Herr Wanderlehrer, über Schweinezucht sprachen, dachte ich halt, da kannst du ein gutes Profittchen machen. Da läßt du die Sau einmahl werfen, machst damit einen schönen Thlr. Geld und kannst dieselbe, wenn sie 1 Jahr alt ist, schlachten: denn hier war es Sitte, ein Schwein 1 Jahr alt werden zu lassen, ehe man es schlachtet. Als ich nach Hause kam erzählte ich meiner Frau Ihren Vortrag und mein Vorhaben Ferkel zu ziehen. Aber da brach das Gewitter loß. Was, du willst Ferkel ziehen, an den Galgen ziehe sie. Dann muß du erst ein paar Kühe mehr anschaffen um Milch für die Thierchen zu haben, muß viel Futter, muß noch eine Magt halten die bekömt Kost und Lohn, und weiß Gott was sie noch alles aufzählte. Ich erwiederte ihr ganz ruhig: sei doch einmahl still Weibchen und lass dir einmal die Vortheile aufzählen die wir dadurch haben; aber das half nichts. Das hast du von deinem Kasino laufen, sagte sie; du bringst uns noch an den Bettelstab. Ich mußte meine ganze Autorität aufbieten um sie zur Ruhe zu bringen und ich hätte ihr bald ein Bettkissen an den Kopf geschmissen; zuletzt sagte sie, thue was du willst, und das habe ich denn auch ge-than; das Schweinchen wurde anfangs gut gefüttert um den Körper auszubilden; doch das dauerte nicht lange. Meine Frau meinte mann müsse doch ein Jahr füttern eher mann schlachten könnte. Sie bekam nun nur noch grünen Klee oder rohe Rüben. Ich aber dacht: halt Weibchen du bis mir doch nicht zu klug und eines frühen Morgens als es Zeit zum beilassen war nahm ich mir 15 Sgr. und mein Schweinchen bei der Ohren und hin zum Ebernathürlich ohne das meine Frau etwas wußte. Nun bekamen wir, nachdem die Sau 8 Monate und 17 Tage alt war am 7. Juni 10 Ferkel welche ich für 55 Thlr. verkaufte.

Ei, sagte meine Frau lass uns noch ein Duzent solcher Schweine halten, dan können wier in 9 Monaten 505 Thlr. verdien. Halt: sagte ich: laufe zuerst ins Kasino und höre was der herr Wanderlehrer dazu sagt. Ich weiß nicht, ob sie gegangen ist, aber wier haben es bei der Eine gelassen; ans schlachten war nicht zu denken wir haben uns ein Fettes Schwein für 28 Thlr. gekauft.

Nun kam die Sau-Genossenschaft zu Stande wobei ich nathürlich beitrat. Das Segensreiche dieser Genossenschaft habe ich vollständig erfahren, ich bekam am 11. Nofember 17 Ferkel, aber durch ein Unglückliche Umstand verlohr ich 7 Stück welches ich der Unbeholfenheit der Mutter zuschreibe. Um die noch lebenden haben sich die Leute förmlich geschlagen so schön waren sie. Nun wird die Mutter gemästet und ein Metzcher aus Bonn halt mir diese Tage 80 Thlr. dafür geboten.

Wenn ich das zusamen rechne kann ich mir jedes Jahr 2 düchtige Schweine kaufen welche zusammen 500 Pfd. wiegen. Diese kosten aber an Futter 3 mal so viel als meine Muttersau gekostet hatt jedoch das Rechnen überlasse ich Ihnen.

Nun habe ich zu meiner Frau gesagt, das hatt man vom Kasino laufen. Freundlichs grüßt H. Schmitz Der Herausgeber fährt fort: »Nun ihr Männer im alten Geleise, was sagt ihr jetzt, nachdem ihr diesen Brief des Schmiedemeisters Schmitz in Gelsdorf und die rasche Bekehrung seiner Ehehälfte in puncto des Casinos und der Schweinezucht gelesen habt?«

1. Zeitschrift des landw. Vereins für Rheinpreußen 1840 S. 5
2. a.a.O. 64/S. 93 ff.