Interesse oder Neugier?

Ein nicht alltägliches Gerichtsverfahren

Udo Konz

Die ein wenig ins Kitschige abgleitenden Gemälde zeigen sie als verwegene Männer. Der stechende Blick aus dem vollbärtigen Gesicht verrät Selbstvertrauen, ja Stolz. Sie waren gestandene Mannsbilder, die Wildschützen, die besonders im Bayerischen den Jägern das Leben schwer machten. Weil ihr eigenes Leben schwer und der schmackhafte Wildbraten die einzige Abwechslung im ansonsten faden Speiseplan, gingen sie der Wilddieberei nach, die nicht selten in blutige Schußwechsel mit den Jägern ausartete.

Aufmüpfigkeit gegen die Obrigkeit als kleines Ventil eines entbehrungsreichen Lebens — auch das mag das selbstbewußte Aussehen der gefährlichen Waldläufer erklären.

Szenenwechsel in das Jahr 1982. Der kleine Gerichtssaal im Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler platzt förmlich aus den Nähten. »Ich bin schon seit vielen Jahren Schöffe, aber einen solchen Zuhörerandrang habe ich noch nie erlebt«, staunt einer aus der Gerichtsmannschaft. Angeklagt sind zwei Winzer und ein Bäckermeister aus Dernau. Sie drücken, hintereinander sitzend, die harten Stühle der Angeklagten, den Blick meist scheu nach unten gerichtet. Was sie dazu bewegt hat, einen Rehbock zur Schonzeit zur Strecke zu bringen, bleibt unklar — sie äußern sich nicht zum Tatvorwurf der Jagdwilderei.

Hunger, wirtschaftliche Not als Motiv scheiden aus. Übrig bleibt Jagdfieber, der Reiz des Verbotenen.

Zweiter Verhandlungstag in Dernau. Dorthin ist das Gericht ausgewichen, um im Saal des Weinbauvereins dem großen Publikumsinteresse gerecht zu werden. Eine mit weißen und hellblauen Bändchen geschmückte Ahrbrücke (einige Dernauer erwarteten wohl das »Königlich-Bayerische Amtsgericht«) und gut und gerne 500 (!) Zuhörer verblüffen nicht nur das Schöffengericht. Doch die Menge wird enttäuscht: Die Tat im Mayschosser Forst gerät in den Hintergrund, prozessuale Manöver bestimmen die Verhandlung.

Mehr Interesse als die Angeklagten findet das Publikum-Phänomen. Es lockt den Rundfunk an, der Reporter interviewt einige Besucher am dritten Gerichtstag, warum sie gekommen sind. Das Motiv ist — wenn auch nicht immer deutlich ausgesprochen — ganz einfach die menschliche Neugier. Jahrzehntelang unbescholtene Bürger vor dem Kadi, das ist auch, oder gerade, im Zeitalter der superschnellen Nachrichtenübermittlung ein paar Stunden Freizeit wert.

Den Schuldspruch in Ahrweiler, wo Platzkarten die Besucherzahl beschränkten, vernahmen schließlich nur noch vergleichsweise wenige. In der Erinnerung der Kreisbewohner wird dieser »historische« Prozeß sicher einen festen Platz finden. So überraschte es nicht, daß das Wilderer-Motiv im Ahrweiler Karnevalsumzug auftauchte.