In lauter Bäumen den Wald sehen

Ein Gang über den Waldlehrpfad im Süden von Bad Neuenahr-Ahrweiler

Wolfgang Pechtold

In die Schlagzeilen bringen ihn regelmäßig der Rote Hahn und die roten Zahlen, in jüngster Zeit auch die sauren Regen. Ansonsten herrscht meist Waldes-Ruh' im Blätterwald. Dabei verdient das grüne Revier ganz bestimmt nicht nur wegen Brandkatastrophen, Haushaltsberatungen und Immissionsschäden Aufmerksamkeit. Der Wald liefert Schlagzeilen auf Schritt und Tritt. Man muß sie nur zu lesen wissen. Lesehilfe können dabei Waldlehrpfade sein. Doch die sind spärlich anzutreffen im Rhein-Ahr-Eifel-Gebiet — erstaunlich genug in einem Landkreis, der nicht zuletzt vom Fremdenverkehr lebt und immerhin fast zur Hälfte mit Wald bestanden ist. Der Lehrpfad auf Remagener Gemarkung ist erst im Gespräch. Der im Mühlenberg zwischen Sinzig und Bad Bodendorf beschäftigt die Juristen mehr als die Touristen. Und so verdient sich der Waldlehrpfad an der Alten Königsfelder Straße, im Süden Bad Neu-enahrs, leicht die Prädikate, der jüngste, der größte und der schönste zu sein. Zwei bis zweieinhalb Stunden sollte man für den Rundgang über die 1 700 Meter lange Schleife schon mitbringen. Wegbegleiter auf dem wetterfesten Pfad sind die leise knirschenden Lavalit-Steinchen unter den Füßen, das gewachsene und herangeschaffte Anschauungsmaterial und rund vier Dutzend grüner Hinweistafeln. Wegbegleiter ist vielleicht auch einmal der Revierbeamte oder sogar—gewissermaßen zu Information aus erster Hand — der Leiter des Forstamts Ahrweiler. Denn Oberforstrat Albert Poensgen hat die Anlage fachlich konzipiert, wenn er auch als geistiger Urheber zumindest allein nicht gelten möchte: Der Gartenarchitekt der Stadtverwaltung, Hermann Kurth, zeichnete für die Gestaltungsfragen verantwortlich. »Er hat auch aufgepaßt«, meint Albert Poensgen, »daß die Sache nicht zu fachlich wurde.« Der Standort an der Alten Königsfelder Straße bot sich nicht nur an, weil dort mit dem Trimmpfad und dem Robinson-Spielplatz ohnehin schon Freizeitanlagen vorhanden waren. Viel wichtiger war, daß gerade in diesem Teil des Neuenahrer Reviers in vergangenen Tagen viel mit Hölzern experimentiert wurde, die eigentlich nicht standorttypisch waren. Viel wichtiger war auch, daß die Bestände zwischen Stadt und Steckenberg seit langem nicht als Ertrags-, sondern als Erholungswald vor den Toren des Heilbads Neuenahr bewirtschaftet werden. Es gibt also gerade dort weit mehr zu sehen als in der Mono-Kultur, der vielgeschmähten »Holzfabrik«.

30 000 Mark und die städtischen Arbeiter standen dem Team Poensgen/Kurth zu Gebote, als sie im Herbst 1979 darangingen, die Idee, auch mit Blick auf die Landesfeier zum »Tag des Baumes« am 17. Mai 1980 in Bad Neuenahr-Ahrweiler, in die Tat umzusetzen. Was an Informationsmaterial zu Gebote stand, entsprach freilich nicht immer den Wünschen. Großflächige Poster über Pilze und geschützte Pflanzen, gleich hinter dem hübsch geschnitzten Schild mit dem Lageplan aufgestellt, fanden sich zwar — leider aber nicht auf die engere Heimat zugeschnitten. »Der Blaue Enzian ist auch aufgeführt .. .«, merkt Albert Poensgen vielsagend an und trauert den vergriffenen, ganz und gar eifelbezoge-nen Schautafeln nach, die eine Kreissparkasse aus der nordrhein-westfälischen Nachbarschaft bis vor wenigen Jahren herausgab. Auf eine andere Gattung von Anschauungsmaterial verzichtete man von vornherein. »Arbeitsgerät auszustellen, haben wir gar nicht erst gewagt«, sagt Poensgen und erläutert den Verzicht mit der Vermutung: »Eine neue Säge wäre als Werkzeug, eine alte als Antiquität wohl schon nach wenigen Tagen verschwunden gewesen. . .« Die Anzahl der grünen Hinweisschilder, die inzwischen spurlos verschwunden sind, läßt vermuten, daß seine Befürchtungen nur allzu berechtigt sind.

Geologisch ist das Gebiet zwischen Laacher See und Ahrtal hochinteressant. Die geistigen Väter des Lehrpfades trugen dem Rechnung, indem sie eine Sammlung der wichtigsten Gesteinsarten anlegten. Beim allerersten Rundgang des Stadtrats von Bad Neuenahr-Ahrweiler erläuterte Oberforstrat Albert Poensgen »per Flüstertüte« die Besonderheiten

Unterhaltungsaufwand betreibt die Stadt aber nur zum geringeren Teil, weil Souvenirjagd oder Zerstörungswut auch den Waldlehrpfad zum Ziel nehmen — zum Glück in mäßigem Umfang. Poster verblassen und wollen ersetzt sein, Ausstellungsstücke verwittern oder werden überwuchert.

Wer dem Lehrpfad folgt, der findet neben Einzelhinweisen auf Einzelobjekte immer wieder Sammlungen zu zentralen Themen. Eine besonders reizvolle gehört dem Vogelschutz: Ein »Galgenbaum« nach Hermann Kurths Entwurf ist bestückt mit einer Vielzahl künstlicher Nisthöhlen für die verschiedenen Vogelarten unserer Wälder und Gärten. Nebenbei: wer scharfe Augen hat, entdeckt natürliche Nistplätze überall am Wege, unter anderem die Spechtlöcher in der überalterten, sicher längst rotkernigen Buche, die laut Bestandsbeschreibung des Reviers von 1838 stammt. Eine Tafel mit den Brutzeiten der Vogelarten und eine Kollektion von Vogelschutzgehölzen ergänzen zusammen mit einem Regelwerk für das richtige Aufhängen der Vogelhäuschen die sympathische Sammlung.

Eine andere gehört mit ihren Texttafeln und Schaubildern den Funktionen des Waldes als Heilfaktor — Ruhe, Bewegung, Schonklima — und seiner Bedeutung für den Wasserhaushalt. Und macht Albert Poensgen auch keinen Hehl daraus, daß er an der Aktualität des benutzten Zahlenmaterials im Einzelfall inzwischen zweifelt, etwa an den Wasserverbrauchsanteilen von Industrie und Bevölkerung, so wird doch eindrucksvoll belegt, wie potent das Wasserreservoir Wald in der gesamten Wasserbilanz dasteht. Kein Zweifel, geologisch gesehen ist die Region zwischen Laacher See und Ahrtal hochinteressant; kein Zweifel auch, daß Landschaftsformen und Bodenbeschaffenheit von größter Bedeutung für den Waldbau sind. Der Lehrpfad trägt dem mit einer imponierenden Gesteinssammlung Rechnung. Sie umfaßt das Erbe des Devon, die 350 bis 400 Millionen Jahre alten Sandsteine, ebenso wie die Zeugnisse der bisher letzten vulkanischen Vorgänge vor elf- bis zwölf-tausend Jahren, Basalte in Bombenform und Fünfecksäulen oder Flugbims. Auch im Neuenahrer Erholungswald bleibt der Wirtschaftsfaktor Holz zu würdigen. Schichtholz ist neben Stammholz aufgestapelt und — angesichts steigender Brennstoffpreise — vorsichtshalber kräftig vernagelt. Eiche, Buche, Fichte, Kiefer und Lärche werden in Stammquerschnitten und Brettern vorgestellt—übrigens ein relativ kurzlebiges Unternehmen, weil Witterungseinflüsse die Muster modern und ausbleichen lassen. Ersatz zu schaffen, gehört zum unerläßlichen Wartungsprogramm und zu den Folgekosten eines Waldlehrpfades. Daß nicht nur auf die Bedeutung des Forstes für den Wasser-, sondern auch für den Sauerstoffhaushalt fundiert hingewiesen wird, daß nicht nur der Erholungswert, sondern auch die Waldbrandgefahr gerade im niederschlagsarmen Ahrtal herausgestellt ist, spricht für die Vielseitigkeit des Lehrpfades und sein geistiges Konzept. Zu ihm gehört auch die grüne Hinweistafel alle 30 bis 40 Schritt. Sie hilft ganz einfach, die verschiedenen Bäume zu identifizieren: die Weißtanne, die eher in Schwarzwald und Böhmer-wald, im Bayerischen Wald und in den Alpen zu-hause ist; die Lärche, die sich bei den vielen Experimenten um die Jahrhundertwende noch am besten eingebürgert hat; die Weymouth- und die Schwarzkiefer, die Esche und die Douglasie aus Kanada, die vor der Eiszeit durchaus auch in Europa verbreitet war; die Schwarznuß, die als Alleebaum auch entlang der Ahr steht; die Roteiche, die ebenso aus Amerika kommt wie die falsche Akazie, die ein Monsieur Robin erstmals 1601 in Paris pflanzte und die deshalb den Namen Robinie erhielt; die Hainbuche, die eigentlich eine Birke ist; die Fichte, der »Preußenbaum«, wie sie im Rheinland geringschätzig genannt wurde: Als die Preußen das napoleonische Erbe antraten, da forsteten sie die weitgehend kahlgeschlagene und kahlgeweidete Eitel auf Verlangen der Eisenindustrie mit schnellwüchsigen Nadelbäumen wieder auf und mußten die Schößlinge nachts von Militär bewachen lassen, weil die Bauern einen Baum von geringem Heizwert kurzerhand ausrissen .. . Ein Stückchen Geschichte ... Ein anderes wird greifbar in Gestalt eines »Loochbaums«: Statt Grenzsteine zu setzen, kappten die Vorfahren einen Baum auf der Grenzlinie, der bald mit Trieben aus dem Stumpf seltsame und damit auffallende Wuchsformen entwickelte. Der Zufall wollte es, daß ein solcher Grenzbaum am Lehrpfad steht.

 

Auch wenn er durch reinen Erholungswald führt, vergißt der Lehrpfad doch die Aspekte des Wirtschaftswalds nicht. Stammholz wird gezeigt und Schnittholz in sauber geschichteten Stapeln. Sie sind angesichts steigender Brennstoffpreise kräftig vernagelt.
 Fotos: Vollrath

Er wollte es auch, daß die Rote Waldameise gleich am Wege ihre Bauten aufführte, die mit einer »Konstruktionszeichnung« erläutert werden. Er hat dafür gesorgt, daß gleich am Pfad ein Beispiel für die zerstörende Kraft von Schädlingen geliefert wird: Starke Harzflüsse am Stamm einer Weymouthkiefer verraten die Arbeit des Rostpilzes, der als Zwischenwirt übrigens die Johannisbeeren eines Bachemer oder Neuenahrer Kleingärtners benutzt haben muß. »Der Pilz hat den Baum geschafft, schade!« sagt Albert Poensgen.

Trotzdem: Es bleiben genug Fichten, Tannen, Eichen, Buchen, Lärchen übrig, um in lauter Bäumen den Wald zu sehen.