Die doppelte Sintflut

Zwei Rheinhochwässer in unmittelbarer Folge

Hans Peter Kürten

Zwei katastrophale Hochwässer innerhalb von sechs Wochen, das hat es wohl noch nie gegeben. Immer wieder benimmt sich Vater Rhein wie ein unerzogener Knabe in den Flegeljahren. Schon immer hat der Rhein die Menschen am Ufer behelligt.

Wissen wir doch aus der Chronik des Jahres 1845, daß der Rhein so hoch war, daß mehrere Dampfschiffe auf der Bergfahrt mitten durch die Feldflur im sogenannten »Sand« zwischen Remagen und der Ortschaft Kripp ihren Kurs genommen haben. Auch 1926 erreichte der Rhein einen Stand, der weit höher lag als das jetzige Hochwasser. Aber dennoch darf nicht übersehen werden, daß es seit 1980 am Rhein gar nicht mehr so schön war, denn allzu oft hieß es hier »Land unter«, insgesamt zwölf mal waren die tiefsten Uferpartien überflutet. Beträchtliche Wasserstände hatten wir im Februar 1980, im Januar 1982, im Dezember 1982 und nun die erste Katastrophe vom 10. bis 14. April. Danach begann für Feuerwehr und Betroffene das große Aufräumen. Allein in Kripp waren 78 Wohn- und Geschäftshäuser vom Rheinhochwasser betroffen. Remagen meldete für die gesamte Rheinpromenade »Land unter«. Von dem Gebäude der Köln-Düsseldorfer Anlegestelle sah man noch die Schrift aus den Fluten ragen. In der unmittelbar vor der Eröffnung stehenden italienischen Pizzeria blieb noch eine Luftblase unter der Decke. Alles andere war voll Wasser. Im »Anker« stand das Wasser im Restaurant und Saal, die Rhein-Sauna an der Promenade war völlig abgesoffen. In der am Rhein gelegenen neuen Wohnanlage im Garten des ehemaligen St.-Anna-Klosters waren die Garagen vollgelaufen und die Keller. Zum Turmhaus konnte man nur noch mit Wattstiefeln gelangen. Auch hier mußten die Kähne und Stege eingesetzt werden, um die neuen Bewohner zu versorgen und zu transportieren. Manch einer hatte zunächst einmal die Möbel und andere Dinge hochgestellt, und als das Wasser dann immer weiter stieg und jede Trendmeldung die vorherige überbot, war bei vielen Bewohnern nichts mehr zu retten und sie mußten mit ansehen, wie ihre Habe in den dreckigen, schlammigen Fluten des Rheins versank. In Oberwinter lief das Wasser in die Laurentius-Kirche, und da man eine neue Orgel baute und sie frist- und termingerecht fertig sein mußte, nahm der Pfarrer den Orgelbauer huckepack und trug ihn mit hohen Stiefeln zur Arbeitsstelle. In Oberwinter verschwanden Teile der neugebauten Hauptstraße. Viele tiefgelegene Wohnungen waren unter Wasser und in Rolandseck und Rolandswerth herrschte dasselbe Bild. Die B 9 war nicht mehr befahrbar und man mußte Remagen großräumig umfahren. Und hier zeigte sich, daß unsere Autofahrer eine Schar ohne Kinderstube ist, denn trotz Hinweisschilder, trotz Polizeieinsatz fuhr man bedenkenlos in die abgesperrten Strecken hinein und saß dann schließlich doch fest und mußte zurück und verursachte ein zusätzliches Verkehrschaos. Was in diesen Tagen von Autofahrern als Endziel angegeben wurde, spottete jeder Beschreibung. Es wurde gelogen, daß sich die Balken bogen, und unsere Polizeibeamten wußten, letztendlich kaum noch Rat. Der Campingplatz in Remagen war eine Insel geworden. Schreikrämpfe, Nervenzusammenbrüche und immer wieder die gleiche Frage! »Kann denn das überhaupt wahr sein, daß der Rhein so hoch kommt?«. Und am Wochenende kamen Scharen von Schaulustigen, die den nassen und gewaltigen Vater Rhein einmal so erleben wollten und meist enttäuscht von dannen zogen, weil sie die Problematik nicht verstehen konnten und den Verlust der Betroffenen nicht spürten und Dramatisches nicht erkennbar war. Unsere Feuerwehren funktionierten wie am Schnürchen. Tag und Nacht war die Einsatzzentrale in Remagen besetzt und hielt Funkkontakt zu allen Ortswehren. Die Unkelbacher und Oedinger sprangen ein, wo immer sie gebraucht wurden. Es gab viel Lob und Anerkennung zu hören. Leider muß aber auch angemerkt werden, daß mancher gutgemeinte Ratschlag von erfahrenen Wehrleuten von Neubürgern leichtfertig in den Wind geschlagen wurde. Man kann sich die Urgewalt des Wassers immer erst vorstellen, wenn man sie hautnah einmal miterlebt hat, und so entstand beim April-Hochwasser so mancher Schaden bei Neubürgern, der hätte vermieden werden können, wenn man nicht so lange gewartet hätte und vorsichtiger zu Werke gegangen wäre. Schafe mußten in Kripp in letzter Sekunde von einer Weide gerettet werden und eine alte Dame, deren Haus auch von den Wassermassen eingeschlossen war, bettelte bei den Wehrleuten: »He, Jungen, bringt mer doch ne Knäuel Woll mit, damit ich Jet stricken kann und damit et nit so langweilig würd!«. Auch dieser Liebesdienst wurde von unserer Feuerwehr prompt erfüllt.

»Land unter« am Campingplatz »Goldene Meile« bei Remagen

Leider gab es mehrfach »Ölalarm«. Wer seinen Öltank nicht richtig bis zur Halskrause gefüllt hatte, muß damit rechnen, daß die Auftriebskräfte des Wassers die Tanks aus den Verankerungen reißen und hochtreiben und dann geht das Malheur los. Dann reißen Rohre und treibt das Heizöl als dünner Film auf dem Wasser und versaut nicht nur Feld und Flur, sondern auch die unterhalb stehenden Häuser und füllt mit dem penetranten Geruch über Wochen und Monate die Häuser. Sehr viel Leichtfertigkeit gibt es zu beklagen. Es wäre oft leicht gewesen, Schäden von sich und anderen abzuwenden. Ansonsten verlief alles still und ruhig, kein besonderer Unfall, keine große Komplikation. Durch die mehrfachen kleineren Hochwässer sind unsere Wehrleute gedrillt und geschult. Dann geschieht das Unfaßbare. Vom Wonnemonat Mai ist nichts zu spüren. Es regnet und regnet. Der nasseste Mai seit 100 Jahren und am 26. Mai ist es klar, es kommt eine neue Hochwasserwelle auf uns zu. Die Stadtrundfahrt, die der Stadtrat von Remagen alljährlich unternimmt, ertrinkt im Regen. Im Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr Remagen heißt es lapidar: »Das zweite Rheinhochwasser verlief etwas ruhiger als das erste im April 83. Die Erkenntnisse lagen überall noch taufrisch vor und so konnten sofort Hilfen geleistet werden, obwohl der Wasserhöchststand ca. 18 cm über dem ersten Hochwasser im April 1983 lag.«

Sich spiegelndes Fachwerk—ein trügerisches Idyll in Remagen-Oberwinter

In Oberwinter, in Rolandswerth, in Kripp und Remagen wurden noch mehr Wohnungen als im April betroffen. Aber man hatte gelernt, war vorsichtiger, so daß die Schäden insgesamt wesentlich geringer ausfielen. Lediglich die Landwirtschaft hatte nun einen ungemein großen Verlust zu erleiden. Kaum waren die Felder bestellt, die Saaten aufgegangen, hatten sich von der ersten Flut erholt, wurden sie jetzt mit riesigen Schlammbergen fort- und zugeschwemmt.

Im Bereich der Flur »Sand«, wo die großen Strommasten stehen, wirbelte der Rhein tonnenweise Sand an und ließ ihn liegen. Arbeit für die betroffenen Feldbesitzer für Wochen und Monate. Hatte die Bevölkerung beim ersten Hochwasser noch gesagt: »Nun ja, wir sind das ja am Rhein gewöhnt, daß wir hin und wieder solche Wässer bekommen«, fand man nun doch bei dieser zweiten Höhe des Wassers »es sei des Guten zuviel«. Tränen flössen und von manch einem kam die bange Frage: »Wie soll ich das bezahlen?«.

Zum Teil waren gerade wieder Fußböden verlegt, Wände gestrichen, Teppiche neu ausgelegt worden, als alles ein zweites Mal in den Fluten und im Schlamm versank. Wie im April entstand ein verzweifelter Kampf der Polizei gegen die Unvernunft der Autofahrer. Dieses Mal gelang es drei Feuerwehrkameraden in Kripp ein Kind, das eine Bötchenfahrt unternommen hatte und gekentert war, sich verzweifelt an einen Baumast klammerte, unter Einsatz des eigenen Lebens aus dieser bedrohlichen Situation zu retten. Gott sei Dank gab es beherzte Männer, die Mut hatten und daß, wie man so schön sagt, wahrscheinlich der liebe Gott den Daumen dazwischen hielt, daß nichts Schlimmeres geschah.

Stockwerkhoch umspült die Flut die Häuser am Bad Breisiger Rheinufer Fotos: Kreisbildstelle

Der Rhein ist wieder sauber geworden. Wieso? Nun, als das Hochwasser am 31. Mai wieder langsam zurückging, blieben in den tieferen Strecken in Oberwinter, wo sich zwischen B 9 und den einzelnen Gassen tiefe Pfützen gebildet hatten, hunderte Fische zurück. Kleine und große, armlange, und manch einer wanderte in den Kochtopf. Das hatte man schon lange nicht mehr erlebt.

Bleibt zum Schluß die bange Frage: »Haben die Katastrophe Menschen gemacht? Kam dieses Hochwasser, das überhaupt nichts mit Schneeschmelze zu tun hatte, auch daher, daß wir unsere Landschaft immer stärker zuzementieren, jeden Bachlauf begradigen, jede Dachrinne an den Kanal anschließen?« Grundsätzlich möchte ich sagen, nein. Es regnete wie gesagt im gesamten Einzugsgebiet von Rhein und Mosel und sämtlichen Nebenflüssen.

Trier war so hoch überflutet wie schon sehr lange nicht mehr. Also war zumindest die Mosel nicht durch die Weinbergsbereinigung so hoch. Aber dennoch dürfte dieses letzte katastrophale Hochwasser eine ernste Mahnung an alle Fachbehörden sein, darüber nachzudenken, ob wirklich jede Dachrinne unmittelbar an einem Kanal angeschlossen sein muß. Bleibt zum Schluß zu sagen, auch heute gibt es noch eine gute Solidarität zu Schwerbetroffenen. Die Aktion »Nachbar in Not« bei der Kreisverwaltung erhielt zusätzlich zu dem normalen Spendenaufkommen viele weitere Spenden im Hinblick auf das Hochwasser. Und so konnte der Landrat aus diesem Fonds vielen betroffenen Personen und Familien helfen, um zumindest die ärgste Not zu mildern. Was hier am Beispiel Remagen und seinen Ortsteilen beschrieben wurde, gilt gleichermaßen für die Uferbereiche der Verbandsgemeinde Bad Breisig.

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