Die letzten Monate des Zweiten Weltkrieges im Raum Adenau

Karlheinz Korden

Nahezu vierzig Jahre sind seit dem Zweiten Weltkrieg ins Land gegangen, die jüngere Generation kennt jene düsteren Zeiten nur aus Erzählungen. Jüngst aufgetauchte Aufzeichnungen und vor allem erst jetzt zugänglich gemachte Übersetzungen aus der Chronik der 4. US Inf.Div. im Kapitel »Return to the Rhineland« (Zurück zum Rheinland) bestätigen, daß gegen Kriegsende Adenaus Schicksal am berühmten seidenen Faden hing.

Der Krieg wütete bereits einige Jahre, viele Schicksale waren zu beklagen, und täglich flatterten die gefürchteten Nachrichten »...für Führer, Volk und Vaterland!« auch in die Häuser der Eifel. Man wußte auch in Adenau schon um die schweren Bombenangriffe. Aber noch hielt hier der Krieg den Atem an, man hörte nur die schweren Bomber der Royal Air Force entfernteren Zielen zufliegen.

Dies änderte sich für Adenau am 15.8.1944, einem sonnigen Dienstag, als dumpfes Dröhnen die Menschen ängstlich nach oben schauen ließ. Ein schwerer Bomber der amerikanischen Luftstreitkräfte, von dem sich bereits Teile lösten, und über dem schon zwei bis drei Fallschirme schwebten, taumelte in engen Spiralen auf Adenau nieder. Nur knapp donnerte er über die Kuppe des Schwallenberges in Richtung Näsbach, wo er in einer gewaltigen Explosionswolke in einem Waldstück zerbarst. Die Reste von 6 bis 7 US-Fliegern wurden hier geborgen, der Auftakt zu einem blutigen Kapitel Stadtgeschichte.

Am Freitag, dem 8. September, nachmittags, war der Bahnhof Adenau das Ziel. Die Bomben richteten beträchtlichen, jedoch nur Sachschaden an. Einen Monat später, Sonntag nachmittag, 8. Oktober 1944, löschten Sprengbomben die Mühle Surges in Leimbach aus; zum Glück waren keine Menschenleben zu beklagen. Schon am nächsten Tag, dem 9. Oktober, holte das Schicksal erneut über dem Adenauer Raum aus. Im verträumten Wimbach fielen Bomben und töteten ein junges Mädchen. Am 22. Oktober fielen erneut Bomben in Leimbach und am 29. Oktober in Leimbach und Adenau, die tiefe Trichter rissen. Im Totenmonat November waren dann die ersten Menschenverluste aus Adenau zu beklagen. Am 5. November wurden in der Blankenheimer Straße gleich 8 Einwohner Opfer von Bombenabwürfen. Am 9. November fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die Beerdigung statt, wegen der Gefahr aus der Luft bereits um 7.30 Uhr. Selbst der erste Weihnachtstag 1944 ließ keinen Frieden aufkommen. Gegen 5.00 Uhr morgens gingen Bomben auf dem Kirchberg nieder und richteten am vertrauten Kreuzweg Schaden an. Dieser Tag ging besonders im Bereich Hohe Acht/Nürburgring in die Geschichte des Luftkrieges ein, als bei erbitterten Luftkämpfen zahlreiche Flugzeuge in den Eifelwäldern zerschellten und viele Flieger einen grausamen Tod starben. Das neue Jahr, 1945, verschaffte der Eifelstadt keine Atempause. Bereits am Neujahrsmorgen, gegen 6.00 Uhr, erfolgte der erste große und gezielte Angriff auf Adenau, dem das Postamt zum Opfer fiel. Hier waren gleich sechs Todesopfer zu beklagen. Eine Postgehilfin konnte verletzt noch aus den Trümmern geborgen werden. Das Postgebäude war noch Stätte der Aufräumungs- und Bergungsarbeiten, als am gleichen Abend weitere Bomben auf den Kirchberg fielen. Hierbei wurde ein weiteres Haus in der Schulstraße gänzlich zerstört. Die Verbitterung in der Bevölkerung war groß, da man offensichtlich versucht hatte, die Volksschule zu treffen, die als Lazarett eingerichtet und durch ein überdimensionales rotes Kreuz auf dem Dach markiert war. Am Montag, dem 15. Januar 1945, wurde erneut der Bahnhof Adenau angegriffen, der Mitbürger Josef Zimmer getötet und Hilarius Wirtz schwer verletzt; er starb kurz darauf. Der schwere Angriff am 22. Januar galt wiederum dem strategisch wichtigen Bahnhof und dem Marktplatz. Immerhin war inzwischen die Ardennenoffensive gescheitert, und Adenau füllte sich immer mehr mit Militär.

Ein besonders harter Schicksalsschlag traf die Stadt am Samstag, dem 27. Januar 1945, gegen 16.30 Uhr. Die geliebte Pfarrkirche sank in Trümmer. In ihren Mauern starben Lehrer Josef Capitain und Mariechen Hoff mann; letztere konnte erst acht Wochen später geborgen werden. Am gleichen Tag noch wurden die Apothe-ke Schüller und weitere Häuser gänzlich zerstört oder schwer beschädigt.

Selbst die kleineren Ortschaften wurden an jenem Tag nicht verschont. In Herschbroich und Breidscheid fielen ebenfalls Bomben, denen in Breidscheid ein Kind zum Opfer fiel. Am 6. Februar wurde der alte Schlachthof in der heutigen Mühlenstraße gänzlich ausradiert, wobei Lambert Lansen ums Leben kam; man hat seine sterblichen Überreste nie gefunden. Die Aktivitäten aus der Luft nahmen täglich zu. Die Bevölkerung floh weitgehendst in die Wälder, wo man sich notdürftig Schutzhütten errichtet hatte. Eine in Adenau befindliche Feldbäckerei war am Dienstag, dem 6. Februar, Ziel eines heftigen Jabo-Angriffes. Mit hämmernden Bordwaffen stürzten sich immer wieder aufheulende Tiefflieger in das sonst so friedliche Adenauer Tal und richteten großen Schaden an. Im Bereich des Pferdemarktes wurde die Scheune Esch in Brand gesetzt und eine weitere Person getötet. Am Nachmittag des gleichen Tages zerstörten die mit schrillem Pfeifen niederstürzenden Bomben den großen Betrieb Flierl & Schmald.

Beachtliche Auswirkungen hatte ein Bombenangriff am 11. Februar auf einen am Bahnhof stehenden Munitionszug, der in gewaltigen Detonationen zerrissen wurde. Wieder wurden zahlreiche Häuser schwer beschädigt und lange nach dem Kriege fand man noch Geschosse aus jenem Zug, selbst weit in den umliegenden Wäldern. Daß das »Rote Kreuz« im nicht mehr aufzuhaltenden Zusammenbruch kaum Schutz bot, bewies der 16. Februar, ein Freitag, an dem das große Feldlazarett im Kölner Kinderheim getroffen wurde. Hier wurden gleich fünfzehn Verwundete und ein junges Mädchen aus Adenau getötet. Gleichzeitig wurde das Haus Jacoby zerstört. Bereits am 22. Februar wurde die altehrwürdige Pfarrkirche erneut getroffen, das Bürgermeisteramt und andere Häuser sehr stark beschädigt. Bei einem erneuten Angriff im Bereich »Stenze Eck«, am 23. Februar, wurde das Haus Gerhard Stumpf völlig zerstört und weitere Häuser stark beschädigt, ein Soldat kam ums Leben. Der letzte Angriff galt am 3. März einem Verpflegungslager im Eifeler Hof.

Die letzten Tage

Zwischenzeitlich bot Adenau ein mehr als trostloses Bild. Allenthalben bestimmten Trümmer und notdürftig geräumte Straßen die Szene. Die Menschen ließen sich wegen der Gefahr aus der Luft kaum auf den Straßen blicken. Man lebte vorwiegend in den Wäldern und traute sich nur des Nachts, eine bescheidene Mahlzeit zu kochen. Auf den völlig verschlammten Straßen boten Wehrmachtsfahrzeuge, Pferdefuhrwerke, Soldaten aller Waffengattungen, Verwundete und Heeresstreifen ein wirres Durcheinander.

Der Krieg ist aus: deutsche "Landser" März 1945 auf dem Weg in die amerikanische Gefangenschaft
Foto: privat

Für Adenau kündigten sich, so hoffte der größte Teil der Bevölkerung, die letzten Stunden des Krieges an. Berichte kursierten, die Amerikaner seien nicht mehr weit. Hellhörige hörten schon den Kanonendonner und alle klammerten sich an die schwache Hoffnung, das weitere Schicksalsschläge ausblieben.

Höheren Orts hatte man jedoch, wie erst spät im nachhinein bekannt wurde, weitere, vernichtende Pläne mit Adenau. Die Luftaufklärung hatte ergeben, daß die Eifelstadt keineswegs von deutschen Truppen geräumt war. Wie es vielen Städten auf dem Vormarsch der Alliierten ergangen war, sollte auch in Adenau ein vernichtender Bombenteppich den Weg für die Sieger vorbereiten.

Vorangegangen war der endgültige Zusammenbruch der Ardennenoffensive, ein Aufbäumen, das den bereits verlorenen Krieg unter weiteren gewaltigen Opfern nur verlängerte. Die Amerikaner, vornehmlich die 1. US-Armee, fanden keinen stärkeren Widerstand mehr. Bereits am 7. März 1945 war der Raum Hillesheim von der 4. US Inf.Division eingenommen. Hier wurden nun alle Verbände gemäß Tagesbefehl Nr. 74 der genannten Division unterstellt. Der Tagesbefehl ordnete weiter die sofortige Aufstellung des gemischten Kampfverbandes RHINO unter Führung von General Rodwell an. Dieser Kampfverband setzte sich zusammen aus dem 70. Tank-Bat., dem motorisierten 8. Rgt., dem 29. Feldartillerie-Bat., der »A«-Komp. des 4. Sanitäts-Bat., der »A«-Komp. des 4. Sturmpionier-Bat., dem 4. motorisierten Aufklärungsverband, der »C«-Batt. des 377. Flugabwehr-Bat., der 4. Nachrichten-Komp. und der »A«-Komp. des 610. Panzerjäger-Bat.

Oberstleutnant Henry E. Davidson wurde mit der Führung des Sturmverbandes betraut und erhielt den Auftrag, so schnell wie möglich in das hügelige Land um Reifferscheid vorzudringen. Um 8.00 Uhr des 8. März rückte der Kampfverband aus seinen Bereitstellungsräumen ab. Erste Schwierigkeiten boten die zerstörten Eisenbahn- und Straßenbrücken um Hillesheim. Eine bei Berndorf gehaltene Straßensperre bildete kein nennenswertes Hindernis. Bereits gegen 11.00 Uhr war die Kyll überschritten. Als der Kampfverband in Üxheim einrückte, erhielten die Truppen Feuer von mehreren Panzerabwehrgeschützen auf den Hügeln, wobei ein leichter Panzer verlorenging. Auch die deutsche Abwehr verlor hier einen Panzer. Der Kampfverband rollte nun, ohne auf Widerstand zu stoßen, bis Hoffeld vor.

Offensichtlich hatte man seitens der vorrückenden Truppen nicht mit einem so reibungslosen Vormarsch gerechnet; denn durch die Luftaufklärung war bekannt, daß sich im Raum Adenau noch starke deutsche Kräfte aufhielten. Die Moral dieser deutschen Truppen befand sich jedoch auf einem Tiefpunkt. Die Verbände waren in völliger Auflösung begriffen. Schwere Waffen, Munition und Verpflegung fehlten fast ganz. In den späten Nachmittagsstunden erreichte man die Randbezirke von Adenau im Raum Honerath. Als Hindernis erwies sich ein tiefer Krater, der von den weichenden Truppen gesprengt worden war, von den amerikanischen Pionieren mit schwerem Gerät aber schnell verfüllt war. Zunächst stoppte der Vormarsch, weitere Panzereinheiten rückten nach. Auf der Höhe rollten ständig weitere Sherman-Panzer auf, wurden Geschütze in Stellung gebracht, während schwere Lkw Nachschub herankarrten. Gegen 2.00 Uhr, in der Frühe des 9. März 1945, rückte die »B«-Kompanie, unterstützt von einer Kompanie Infanteristen, in die Randbezirke von Adenau ein. Interessanterweise ist in den Aufzeichnungen dieser Streitkräfte von zwei (!) Brücken die Rede, die durch einen Überraschungsangriff unversehrt genommen wurden. Am Morgen des 9. März lag dichter Nebel im Adenauer Tal. Die wenigen Bewohner, die in Adenaus Mauern genächtigt hatten, fanden keine Ruhe; denn jeder spürte instinktiv die Wende kommen. Während in der Nacht noch ein heilloses Durcheinander in den zerstörten und verschlammten Straßen herrschte, versuchten nun die Reste ehemaliger deutscher Einheiten, darunter auch Fallschirmtruppen, auf irgendeinem Weg zum Rhein zu finden. Andere schlugen sich in die Wälder, versuchten sich zu verstecken oder zu entkommen. Der Nebel wollte sich nicht lichten und ließ die Vielfalt der fremden Geräusche verschwommen und teils wie durch Watte gedämpft erscheinen. Trotzdem war das Rasseln der Panzerketten, das ferne Dröhnen ungezählter Motoren nicht zu überhören. Bereits in der Nacht hatten Stoßtrupps der Amerikaner zahlreiche Gefangene gemacht, die entsetzt in den Strahl von Taschenlampen blickten und den fordernden Gewehrläufen folgten.

Als die ersten Stahlkolosse in langsamer Fahrt von der Blankenheimer Straße kommend in die Stadt einrollten, rechts und links an den Häuserreihen von US-Soldaten begleitet, schlug doch jedem Bürger das Herz bis zum Halse. Die Reihe der verschlammten und drohenden Panzer schien kein Ende zu nehmen. Fahrzeuge mit Kanonen, Jeeps und abgekämpfte, unrasierte und übermüdete Soldaten rückten durch die Hauptstraße vor, sicherten in Hauseingängen, kontrollierten Seitenstraßen. Doch plötzlich mischte sich ein weiteres, noch drohenderes und allzu bekanntes Dröhnen aus der Luft in den Lärm der Panzer und Motoren. Starke Bomberverbände befanden sich über dem Adenauer Tal und konnten nur, wie später bekannt wurde, knapp daran gehindert werden, ihre tödliche Fracht abzuladen. Unvorstellbar die Folgen, wenn an jenem Morgen, praktisch in letzter Minute des Krieges, die Bomben noch auf Adenau niedergegangen wären. Die Chronik aus »History of the 70th Tank Battalion« berichtet weiter, daß man alleine in Adenau 1 541 Gefangene machte und große Mengen an Ausrüstung erbeutete. Darunter gab es viele amerikanische Gegenstände, die während der Ardennenoffensive den Deutschen in die Hände gefallen waren.

Für Adenau war der Krieg zu Ende. Die Bevölkerung konnte wieder in ihre, wenn auch zerstörten Häuser zurückkehren, keine Bombenflugzeuge trieben die verängstigten und gequälten Bürger mehr in die Keller, und bald bewahrheitete sich des Dichters Wort: »Und neues Leben blüht aus den Ruinen.«