Krotzensteine als Hausbaumaterial in Wassenach

Werner Müller

Wassenach war um 1800 eine kleine Landgemeinde bäuerlicher Prägung mit ca. 400 Einwohnern. Die Wohnhäuser und Nebengebäude waren bis auf wenige Ausnahmen in Fachwerkbauweise errichtet. Bei der ersten kartographischen Erfassung unter Napoleon um 1810 gab es nur 3 feste Steinhäuser: die Kirche, das Haus der Herren von Kolb und die Schule. Die alte Kirche war, wie der heute noch erhaltene romanische Kirchturm aus dem Jahre 1500 zeigt, aus Tuffstein erbaut. Das Haus der Herren von Kolb vom Jahre 1772 und das alte Schulhaus, beide noch erhalten, sind aus Grauwacken-Bruchsteinen erbaut, die anschließend verputzt wurden.

Ebenfalls aus Grauwacke und einem bunten Gemisch aller möglichen Feldsteine errichtet sind die Unterbauten der Fachwerkhäuser, das alte Spritzenhaus und das 1819/20 erbaute, aber inzwischen abgebrochene alte Pfarrhaus. Durch die Aufhebung der Leibeigenschaft unter Napoleon — 1788 gab es in Wassenach 74 Bürger (Freie) und 337 Einwohner (Leibeigene) — und die Privatisierung der ehemals geistlichen oder weltlichen Herrschaften gehörenden Ackerflächen, kam es auch in Wassenach zu einem bescheidenen Wohlstand und damit verbunden zu einer Steigerung des Selbstbewußtseins.

Häuser aus Krotzensteinen — ein landschaftsgebundenes Baumaterial

Mauer aus der Mitte des 18. Jahrhunderts: wahllos verarbeitet Grauwacken, Tuff, Krotzen, Feldsteine

Um 1830 -1840 war eine neue Generation herangewachsen. Wegen fehlender Verdienstmöglichkeiten und begünstigt durch die Realteilung, drängte alles zum Bauernstand hin. Der eigene Bauer auf eigener Scholle war das Idealbild der damaligen Zeit. So ist es nicht verwunderlich, daß neue Bauerngehöfte erstellt werden mußten.

Um 1840 entdeckte man die gute Eigenschaft der Krotzensteine als Hausbaumaterial. Im Jahre 1845 wurde das Wohnhaus mit Scheune und Stallung in der Wendelsgasse 2, laut mündlicher Überlieferung, als erstes Gebäude in Wassenach mit diesem neuen Baumaterial errichtet.

Nachdem man erfahren hatte, wie gut und schnell man mit diesen Steinen bauen konnte, kam kein anderer Baustein mehr in Frage. Die Krotzensteine wurden am Kunkskopf, einem Lavakegel, etwa 1 km vom Ort entfernt in einem gemeindeeigenen Steinbruch gebrochen und den bauwilligen Wassenachern kostenlos zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Vorteil war der, daß man mit den beladenen Pferdefuhrwerken bergab zum Dorf hinfahren konnte. Wurden doch für ein Standardhaus damaliger Zeit, in den Maßen 8 x 8 m Seitenlänge, Kellergewölbehöhe in der Mitte 2,80 m, zweigeschossig, Geschoßhöhe je 2,60 m und einer durchschnittlichen Mauerstärke von 0,50 m, ca. 180 - 200 m3 an Bruchsteinen benötigt. In kurzer Zeit entstanden in der Wendelsgasse, heute würde man so etwas als Neubaugebiet bezeichnen, mehrere komplette Bauernhöfe. Als Wassenach 1844 zur selbständigen Pfarrei erhoben wurde, stand die Gemeinde vor der Frage, das alte Gotteshaus gründlich zu renovieren, oder gar ein neues zu erstellen. Nach längeren Verhandlungen entschied man sich für einen Neubau, der auch 1850 von Trier genehmigt wurde. Der Kirchenneubau wurde ganz in Krotzensteinen ausgeführt und 1852 vollendet. Damit war ein Bauwerk geschaffen, wie es nicht besser in die heimische Landschaft passen konnte.

Im Juni 1851 wurde Wassenach von einem Großbrand heimgesucht, dem in der Hauptstraße 16 Gehöfte zum Opfer fielen. Alle Neubauten, die daraufhin erstellt werden mußten, wurden in Krotzensteinen ausgeführt. In den rund 70 Jahren von 1845 bis zum Beginn des 1. Weltkrieges wurden ca. 70 Häuser und Gehöfte mit allen dazugehörenden Nebengebäuden aus Krotzensteinen errichtet und somit fast die ganze Bausubstanz des Ortskernes erneuert.

Dies änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Nur wenige Gebäude wurden noch aus Krotzensteinen errichtet. Größere Beliebtheit erlangte der Sandstein, wie man die Bimssteine damals nannte. Das letzte große Bauwerk aus Krotzensteinen ist der 1927 fertiggestellte 17 m hohe Lydiaturm auf der Laacher-See-Höhe oberhalb von Wassenach.

Um die Krotzensteine wurde es von da an immer stiller. Während des 2. Weltkrieges wurde noch etwas Kies gefördert, um im Westen einige Feldflugplätze zu befestigen. In den ersten Nachkriegsjahren, bis etwa 1950, wurden, bedingt durch den Baustoffmangel, noch einige Kellermauern und Fundamente von Neubauten aus Krotzensteinen erbaut.

Diese Stille um das Krotzengestein wurde jäh unterbrochen, als man Anfang der 50er Jahre die gute Eigenschaft des Krotzengesteins, von jetzt an nannte man die Krotzen Schaumlava, für den Straßenunterbau entdeckte. Im Jahre 1952 wurde am Kunkskopf ein modernes Kieswerk mit Brecher, Siebanlage und Silos errichtet. Es existiert kaum ein Straßen- oder Autobahnneubau zwischen Köln und Mainz und noch darüber hinaus, bei dem nicht Schaumlava vom Kunkskopf verbaut wurde.

Leider hat diese gute Eigenschaft des Krotzenmaterials auch eine negative Seite, denn der Kunkskopf ist heute bis auf einen kleinen Rest, der in den nächsten Jahren auch noch dem Abbau zum Opfer fallen wird, verschwunden. Wo früher einmal ein 344 m hoher bewaldeter Vulkankegel emporragte, ist heute ein riesiger Krater entstanden.

Die Krotzenhäuser aber sind heute schon für Baufachschulen und Universitäten wegen ihrer Eigenart und des relativ kleinen Verbreitungsgebietes (Laacher-See-Gebiet und Vulkangebiet Dauner Maare) als Eigenart der Landschaft und Ausdruck eines Pioniergeistes irrt vergangenen Jahrhundert, Zielpunkt von Studienfahrten und Exkursionen.

Diese Erkenntnis vom eigenwilligen Baumaterial Krotzensteine war jedoch nicht immer so. Noch zu Beginn der Aktion »Unser Dorf soll schöner werden« Ende der 60er Jahre herrschte die Ansicht vor, alle Krotzenhäuser weiß zu verputzen, um die nötige Punktzahl für ein Weiterkommen zu erhalten. Ein Glück, daß der gesunde Menschenverstand und die nötige Einsicht siegte und die Krotzenhäuser uns und unseren Nachkommen so in ihrer Eigenart noch lange erhalten bleiben.

Auch mit Krotzensteinen erbaut: die Pfarrkirche von 1852
Fotos: Kreisbildstelle