»Im Wege« stand die Kapelle in der Tat, das Straßenschild weist auf die Verengung hin.

Auch Kapellen gehen auf Reisen

St. Hubertus in Birresdorf reiste mit Ein technisches Wunderwerk gelang

Harry Lerch

Sie hat jetzt, frei in der Dorfmitte, einen Standort, als habe sie immer hier gestanden: Die Kapelle von Birresdorf. Das war nicht immer so, sie stand einst an der von Godesberg herabführenden Straße, nahm ihre Breitenhälfte ein — und war angesichts des Gefälles ein Gefahrenpunkt. Das ist das mildeste Wort für »Verkehrshindernis«, ein auf Eis rutschender Schwerlaster hätte sie glatt wegdrücken können.

Wohin mit der Kapelle? Einfach ums Eck! Das ist etwas salopp gesagt für einen vor Jahren wachsenden Plan, ihren Standort zu verlegen. Da die Kapelle nun wahrhaft auf der Straße stand und ihre Hälfte einnahm, befand das Straßenbauamt Cochem, es bereite keine Schwierigkeit, die Kapelle mit ihren Ausmaßen von 9,50 x 2,65 m einfach zu versetzen. Sie also zu unterfangen, mehrere Meter weiterzufahren, sie um 90 Grad zu drehen und dann nochmals mehrere Meter weit zu transportieren. Leicht gesagt! Man wußte selbstredend nicht, ob das Mauerwerk brüchig war, doch dafür gibt es Spezialunternehmen! Günstig war, daß ein in der Nähe stehendes Gebäude ohnehin abgebrochen werden sollte, so daß »um die Ecke« ein neuer, günstiger, auch ausgedehnterer Standort sich geradezu anbot. Das war selbstredend die Voraussetzung für das Unternehmen überhaupt. Die Kapelle ging auf Reisen! Das Straßenbauamt Cochem hatte die Arbeiten zur Versetzung des Bauwerks ausgeschrieben, für den Verschiebevorgang war zugleich der Abschluß einer Bauwesen-Versicherung von 1 Mio. DM erforderlich.

Zehn Meter ist die Kapelle schon vorgerückt - dann kam der kritische Punkt auf der Drehscheibe

»The Job is done": Blick auf die Gleitbahn und die Drehscheibe, rechts die Kapelle in neuer Position

Als der Zuschlag gegeben war, wurde im technischen Büro der Hauptniederlassung Köln der Bitfinger/Berger-Bauaktiengesellschaft für den Verschub ein Verfahren entwickelt, das die Kapelle gleichsam Huckepack nahm und transportierte. So leicht sich dies hersagt, war es nicht! Wir folgen hier einem Sachbericht von Oberingenieur Christoph Lückerath, Ing. (grad) Harald Pohlenz, in dem geschildert wird, daß zunächst einmal die Stabilität des 80 cm starken Mauerwerkes zu sichern war, denn altes Mauerwerk kann bröckeln wie Keks, wenn es hart angepackt werden muß: »Dazu waren ein massiver Stahlbetonbalken mit großer Steifigkeit zur Sicherung des Bruchsteinmauerwerkes erforderlich. Als Verschubbahn wurden Stahlbetonfundamentplatten gewählt. Zur eindeutigen, kontrollierten Lage während des Verschubs wurden zwei Stahlbetonquerbalken in den Drittelpunkten angeordnet, unter denen je zwei Stahlgleitlager montiert wurden. Mit hydraulichen Pressen sollte die Kapelle so kontrolliert angehoben werden, daß keine Schäden auftreten können«. Soweit die Voraussetzungen. Mit zwei hydraulisch betriebenen Kettenzügen mußte die Kapelle gezogen und dann um 90 Grad gedreht werden.

Am neuen Standort hat die Kapelle eine freiere Umgebung. Einige Blumenkübel geben Farbe, doch eine gemäßere Umgebung ist noch zu schaffen
Fotos: Vollrath

In sechs Phasen war der Plan gründlich und sachkundig vorbereitet, und identisch damit wurde dann gearbeitet. Es kam der Start, und es begann die Arbeit: Die Kapelle ging auf Reise — wenn auch kurz, aber in exakter Fassung war die Bauausführung so:

  1. Ausbau der Inneneinrichtung sowie des Fußbodens.

  2. Sicherung eines seitlich stehenden Fachwerkhauses durch Unterfangen der Außenwand.

  3. Unterfangen des 80 cm starken Bruchsteinmauerwerkes der Kapelle durch einen Stahlbetonringbalken mit zwei Querträgern.

  4. Abgraben innerhalb der Kapelle — von Hand! — bis Unterkante des Fundamentbalkens. — Durchstoßen des Mauerwerkes auf jeweils 1 m Länge und Schließen der Öffnungen durch Stahlbeton — Sicherung des Türsturzes und der Giebelwand durch eine Stahlkonstruktion.

  5. Bau der Verschubbahn aus Stahlbeton.

  6. Der Verschubvorgang: Die Kapelle wurde mit vier hydraulischen Pressen von je 400 Tonnen Tragkraft Meter um Meter transportiert. Dann kam der technisch schwierigste Augenblick: die Drehung im rechten Winkel in die nächste Fahrbahn. Dazu heißt es kurz und bündig im Ingenieurbericht: »Einbau des Stahlbodens im Drehpunkt und Durchführung des Drehvorganges. Hierfür genügte ein Hubzug, der mehrfach umgesetzt wurde«.

Übersetzt wurde übrigens der Bericht auch ins Englische, und amüsant sind die Bildunterschriften. Zum Schluß heißt es da: »The Job is done: The journey has come to its end.« — » Die Arbeit ist geschafft, die Reise ist beendet«. Das war der Augenblick, als die Kapelle aufs vorbereitete Fundament gebettet wurde. Wie oft wünscht man gute Reise — hier war gute Ankunft!

Mittlerweile ist wieder auf dem Ankerbalken aufgebaut, was seinesgleichen zu suchen hat weit und breit: Grazil und umrißfein die Legende des Hubertus. 30 cm hohe Figuren zeigen gruppiert diese Szene: Der jagdfrohe Edelmann, vom Reitpferd abgesessen, beugt plötzlich das Knie, weil sein Jagdwild, der große, vielendige Geweihhirsch, das Kreuz leuchtend zwischen den Geweihstangen trägt. Grün das Jägerkleid, grün die Bäume zwischen Hubertus und Gefolge, der Hund bei Fuß wendet sich Hubertus zu, der Jagdbegleiter hält das Pferd am Zügel und hat den Hut gezogen, während die Treiber betroffen stehen. Darüber Blattwerk zierlichster Art von Eiche und Buche. Bauernkunst, Volkskunst, die Figuren sind flachplastisch, das Blattwerk aus Blech geschnitten.

Als diese Reise der Kapelle im April 1982 geschafft war, atmete vor allem Pfarrer Ernst Meyer auf, der gewiß im Stillen — und nicht nur er! — für eine glückliche Reise der Kapelle gebetet hatte. »Wenn man nach dreihundert Jahren festem Wohnsitz noch einmal auf Wanderschaft gehen soll, kann einem schon das Herz brechen. Im Fall Birresdorfer Kapelle blieb es zum Glück nur bei Tränen, sprich Nieselregen.« Im übrigen war diese Kapellenreise ein Volksfest, und der Pastor dankt den Möhnen, die Fritten und Würstchen in der Reisezeit ihres Patrons' Hubertus verkauften, Gesangverein und Feuerwehr sorgten mit Erfrischungen für die versierten Kapellenrücker und für die Zuschauer. Ein Tausendmarkschein kam dabei für die Innenausstattung zusammen. Geschadet, wie gesagt, hat Hubertus diese Zweimal-zehn-Meter-Reise nicht. Die Kapelle hat nun mehr Weite und Raum um sich.