Aus den Anfängen der Ortskrankenkasse Niederbreisig

Aus Remagen, Sinzig, Königsfeld und Niederbreisig gehörten ihr 600 Mitglieder an

Carl Bertram Hommen

Seit Bismarck am 17. November 1881 vor dem deutschen Reichstag mit der von ihm verlesenen »Botschaft« Kaiser Wilhelms I die Bildung von Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherungen für die Arbeiter angekündigt hatte, entstand als erste Einrichtung die Krankenversicherung. Sie war für alle Arbeiter bestimmt, deren Einkommen unter 6,66 Mark täglich — etwa 2 000 Mark im Jahr — lag. Nach dem hierfür erlassenen Gesetz vom 15. Juni 1883 bildeten sich auch am Mittelrhein Ortskrankenkassen. Die Federführung lag bei den Gemeinden und den Gemeinderäten, Auf Anregung des Landrates von Groote gründeten Niederbreisig, Königsfeld, Sinzig und Remagen für die Arbeiter ihrer Bürgermeistereien eine gemeinsame Krankenkasse mit dem Sitz in Niederbreisig. Sie hatte knapp 600 Mitglieder. Aufschluß über die Anfänge dieser Ortskrankenkasse Niederbreisig geben die Protokolle von Sitzungen der Niederbreisiger und Brohler Gemeinderäte. Am 22. August 1884 beschäftigte man sich in Niederbreisig mit der abschließenden Beratung. Den Ratsmitgliedern lag eine »hohe Regierungsverfügung« vom 14. August vor, mit der die eingereichten Statuten zur Bildung der Breisiger Kasse genehmigt worden waren.

Bei Zusammenschluß lebensfähiger.

Die Regierung hatte an die Genehmigung das »Ersuchen« geknüpft, »zu beraten und zu beschließen, ob die Vereinigung mit den übrigen Gemeinden diesseitiger Bürgermeisterei und den Gemeinden der Bürgermeistereien Sinzig und Remagen zu einer gemeinschaftlichen Ortskrankenkasse mit dem Sitz in Niederbreisig zu organisieren« sei. In ihr sollten die Arbeiter aus sämtlichen in diesem Bezirk vertretenen Gewerbezweigen und Betriebsarten versichert werden, mit Ausnahme jener Betriebe, die eine eigene Fabrikkrankenkasse bereits besaßen oder errichten wollten. Bürgermeister und Gemeindevorsteher Ehser, unter dessen Vorsitz an diesem Tage neun der zwölf dem Breisiger Rat angehörenden Gemeindeverordneten tagten, empfahl diese Vereinigung nachdrücklich, da — wie er in seinem handschriftlichen Sitzungsprotokoll festhielt — »erfahrungsgemäß größere Kassen eher lebensfähig seien und bestehen könnten als kleinere Kassen«.

Nach eingehender Beratung erklärte man sich in Niederbreisig — und einen Tag später auch bei der Gemeinderatssitzung in Brohl — einverstanden, diese gemeinsame Krankenkasse in Niederbreisig zu schaffen, zu der dann auch noch die Krankenkasse für die Bürgermeisterei Königsfeld hinzukam. Man beschloß außerdem, daß Bürgermeister Ehser bis auf weiteres die Geschäfte der Kasse führen sollte. Von den Mitgliedern des Breisiger Gemeinderates gehörte übrigens kein einziges dem betroffenen Kreis der Arbeiter an. Der Rat setzte sich vielmehr ausschließlich aus Unternehmern, Geschäftsleuten, Handwerksmeistern, Händlern, Wirten und Bauern zusammen.

Bewährte Vorbilder

Wie anderenorts gewährte auch die neue Ortskrankenkasse ihren Mitgliedern bis zu 13 Wochen freie ärztliche Behandlung mit kostenloser Arznei und Heilmitteln sowie bei »Erwerbsunfähigkeit« für die gleiche Zeit Krankengeld in Höhe des ortsüblichen Tagelohns. Finanziert wurden die Leistungen durch Beiträge, von denen die Arbeiter zwei Drittel, die Arbeitgeber ein Drittel zahlen mußten. Die Krankenversicherung konnte an bestehende bewährte Modelle anknüpfen, wie sie etwa Betriebskrankenkassen und andere freiwillige Hilfskassen darstellten.

Als ältestes Beispiel der Vorsorge eines Unternehmers gilt dabei allgemein die 1836 ins Leben gerufene Fabrikkrankenkasse der Essener Firma Krupp. Es ist jedoch weithin unbekannt, daß bereits acht Jahre vorher bei der Firma Remy auf dem Rasselstein in Neuwied eine solche betriebliche Krankenkasse gegründet worden war. Am 1. Juli 1828 unterschrieben dort 35 Hüttenarbeiter die Gründungsurkunde einer freiwilligen Krankenversicherung, aus deren Beitragsfond »jedem, der im Erwerb gehemmt ist, die Medizin sowie die ärztliche Hilfe und Unterstützung gezahlt« wurde. Anzumerken ist, daß die erste rheinische Betriebskrankenkasse 1815 von der Kölner Druk-kerei M. DuMont geschaffen worden war und schon seit 1765 die Kölner Barbiere sich durch laufende Beiträge zu einer »Gesellenlade« gegen Krankheit und Invalidität versichert hatten.

Nur wenige Ärzte

Im Breisiger Ländchen bedeutet die neue Ortskrankenkasse einen wesentlichen sozialen Fortschritt. Denn die Sorge um Kranke lag bisher in erster Linie bei den Familien und den Angehörigen. Einen ständigen Arzt gab es zudem in Niederbreisig erst seit Mitte der dreißiger Jahre, als sich hier 1835 der »Chirurg l. Klasse« H. Maeder niederließ. 1836 wird Dr. Schaefer als neuer Distriktsarzt genannt, 1861 wohnte der Arzt Dr. August Schmidt in der Biergasse.

Brohl erhielt um die Jahrhundertwende mit Dr. Dapper einen Distriktsarzt, den das Gemeinderatsprotokoll von 1901 als Mitglied einer freiwilligen Gesundheits-Kommission der Gemeinde nannte; ihr gehörten außerdem Dr. C. Kerstiens und Maurermeister Hubert Sahl an. Vorher mußte man sich im Breisiger Ländchen um Ärzte aus Andernach, Remagen oder Hönningen bemühen.

Die Kosten für Arzt, Apotheker und Krankenhaus zahlte vor der allgemeinen Arbeiter-Krankenversicherung von 1884 jeder aus der eigenen Tasche. Lediglich bei Minderbemittelten trugen sie die Gemeinden. War ein Aufenthalt in der Bonner Klinik notwendig, so gab Brohl im Jahre 1885 seinen armen Einwohnern einen Zuschuß von täglich 1,50 Mark. Im Gemeindehaushalt für 1889 waren ferner zur Unterstützung von zehn Armen 750 Mark und für vier Waisenkinder 300 Mark vorgesehen.

Das Breisiger Krankenhaus

Eine wichtige Hilfe bei der Betreuung und Pflege von Kranken erhielten die Einwohner der Bürgermeisterei, seit es in Niederbreisig das Kloster gab. Die Franziskanerinnen von Waldbreitbach hatten sich 1867 hier niedergelassen. Auch wenn es als Krankenhaus nach ärztlicher Ansicht, so der Arzt Dr. Greve 1882, nur »mäßigen Ansprüchen« genüge, so hielt man es damals doch u. a. als Isolierstation bei Diph-terie, Scharlach und Cholera — im vergangenen Jahrhundert noch Volksseuchen — für geeignet und sehr wertvoll. Als die Schwestern 1897 für eine geplante Erweiterung des Hauses von der Gemeinde eine Beihilfe erbaten, stimmten die Ratsmitglieder dieser Bitte "im Hinblick auf die Nützlichkeit der hiesigen Niederlassung« einstimmig zu. Der weitere Ausbau führte zu Beginn dieses Jahrhunderts zur offiziellen Anerkennung als »Krankenhaus Maria-Josef«. Es war eines von sieben kleineren Krankenhäusern des Kreises Ahrweiler, besaß 1925 27 Betten und verfügte über eine Siechenstation. Heute gehören die Gebäude dieses früheren Krankenhauses einem privaten Altersheim, während die Franziskaner-Schwestern ihr Domizil in das Josefshaus inmitten eines großen Parks am Rheinufer verlegten, das sie als Seniorenheim führen.