Pfarrkirche Sinzig, Mitteltafel des Hochaltars

Eine alte Ansicht von Sinzig

Heinz Schmalz

Clemen schreibt in »Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Kreis Ahrweiler«, über den Hochaltar der Sinziger Pfarrkirche: »Auf dem Hochaltar dreiteiliges Tafelbild von 1480, Holz, mit Leinwand überzogen, ohne Rahmen 1,50 m hoch, 2,13 und 1 m (Flügel) breit. Mitteltafel gestaltenreiche Kreuzigung in weiter Landschaft mit Stadt, Goldgrundhimmel. Unter den drei Kreuzen Maria, Johannes und an den Seiten die Apostel Petrus und Andreas vor Kriegsknechten und Juden. Auf den Flügeln: links Christi Himmelfahrt, rechts der Tod Mariens.

Die Malerei der Außenseiten mit Einzelfiguren ist erloschen. Auf dem alten Rahmen unten an der Außenseite des linken Flügels die gemalte Inschrift in gotischer Minuskel: Johan Foelen, Fye Syn Husfrau. Anno Domini 1480. Die Schrift ist erneuert, wurde aber von Eckertz im unberührten, halbverwischten Zustand ebenso gelesen (Kölner Domblatt 1859, Nr. 177). Danach stifteten das Gemälde Johann Foelen und seine Frau Sophie. Ursprünglich wohl für den Hochaltar bestimmt, mußte es einem größeren Barockaufbau weichen. Im Jahre 1821 nahm man eine Herstellung in Aussicht (Akten Staatsarchiv Koblenz, Abt. 441, Nr. 15250), 1835 wurde es in die Liste der »vorzüglich zu erhaltenden Denkmäler im Regierungsbezirk Koblenz« aufgenommen (vgl. Rhein.-Prov.-Blätter N. F. II, 3, 1835, S. 150). Kinkel sah die Tafeln (1845) abgestellt und verstaubt in der nördlichen Chorkapelle. 1847 wurden sie in Düsseldorf gründlich hergestellt, zuletzt 1932 gereinigt und gesichert (vgl. Rhein. Heimatpflege, VI, 1934. S. 198). Bei dieser Gelegenheit wurden sie von der Ostwand des nördlichen Querschiffes (1863 hingen sie an der Südwand) wieder auf den Hochaltar versetzt. Schon Passavant, Kugler und Kinkel nannten als Künstler den kölnischen »Meister der Lyversbergschen Passion«, indem sie auf die Linzer Tafeln von 1463 wiesen. Das Werk kommt jedenfalls aus der Nähe des Meisters des Marienlebens, eigenhändig wird es bei der gewissen Hölzernheit nicht sein (Scheibler). Buchner denkt an einen bestimmten Maler aus dem Umkreis des Marienlebenmeisters, dem noch einige andere Werke zuzuweisen sind.

Vor den Toren Sinzigs

Die Vorgeschichte des Bildes

Dieses Bild wurde wahrscheinlich — wie damals üblich — im Auftrag des Sinzigers, Johan Foelen, gemalt und sollte sogleich nach seiner Fertigstellung in der Sinziger Kirche aufgestellt werden.

Das mittlere Bild des dreiteiligen Tafelbildes stellt die Karfreitagspassion auf Golgata dar. Doch was hat eine Szene aus Jerusalem mit Sinzig zu tun? Nun, aus der Kunstgeschichte wissen wir, daß Künstler oft von sich aus oder im Namen des Auftraggebers Landschaften, Gebäude, Gegenstände oder Personen, die dem Auftraggeber nahe stehen, oder gar den Auftraggeber selbst in ein Bild hineinbrachten, um so dem Bild einen persönlichen Bezug zu geben. So ist auch die Darstellung des heiligen Petrus mit dem Schlüssel, der bei der Sterbestunde Jesus nicht anwesend war, auf dem Bild als Schutzpatron der Sinziger Kirche zu sehen. Die Anwesenheit des heiligen Andreas mit Andreaskreuz dürfte ebenfalls als ein Zugeständnis des Künstlers an den Auftraggeber zu werten sein. Entweder kam das Bild an einem Andreasaltar zur Aufstellung oder in der Familie Foelen konnte der hl. Andreas als Namenspatron gewählt worden sein. Wenn also ein Sinziger eine Kalvarienbergs-szene in Auftrag gegeben hat, wird sich der Künstler, der damals kaum in Jerusalem war, gefragt haben, welchen Hintergrund nehme ich für die Kreuzigungsgruppe? Und er kam zu dem Entschluß, im Sinne des Herrn Foelen zu handeln, wenn er die Landschaft von Judäa mit der Landschaft des unteren Ahrtals vergleicht und das Geschehen nicht vor den Stadttoren von Jerusalem, sondern vor die Stadtbefestigung von Sinzig verlegt. Nachdem er sich also für den Hintergrund entschieden hatte, trat bei ihm die Frage auf, welche Seite von Sinzig das beste Panorama bot. Vom Ziemet und vom Mühlenberg ergab sich nur eine schräge Draufsicht. Jedoch vom Rhein her, und zumal von den Höhen von Linz (Kaiserberg, Schönblick, Dattenberg) zeigte sich ihm eine breite Ansicht, die seinem Bild einen treffenden Hintergrund bieten konnte. Er hielt die Überlegung für gut und hat sie dann auch auf unserem Altarbild verwirklicht. Zum besseren Stil des Bildes hat er sich dabei in der originalgetreuen Wiedergabe einige künstlerischen Freiheiten erlaubt. Da der Künstler bereits 1463 für die Kirche in Linz gearbeitet hatte, war ihm die Ansicht von Sinzig von dieser Seite aus hinlänglich bekannt.

Stadt Sinzig mit Ummauerung

Die Stadt Sinzig im Bild

Aber betrachten wir uns den Hintergrund des Bildes und stellen dabei — als Ortskundige — Vergleiche an.

Am Horizont sehen wir drei markante Erhebungen. Steht man auf den Höhen von Linz, sieht man genau die gleichen. Es sind von rechts nach links die Landskron, der Neuenahrer Berg und die Olbrück. Alle drei Berge hatten zur Zeit der Herstellung des Bildes nicht nur eine landschaftliche, sondern auch politische Sonderstellung. Denn von diesen Höhen wurde das Geschehen im »Reich« Sinzig mit beeinflußt. Rechts von dem gekreuzigten Übeltäter, aus dessen Körper ein Teufel die Seele in Form eines kleinen Kindes zieht, sehen wir die zum Rhein hin fließende Ahr. Rechts davon zweigt von der Ahr der bereits 1297 urkundlich erwähnte Deich zum deutlich erkennbaren Godenhaus ab. Dahinter läßt sich in der Ferne die Lage Bodendorfs erkennen. Zwischen dem gekreuzigten Jesus und dem rechts gekreuzigten Übeltäter ist nun die Stadt Sinzig mit ihrer Ummauerung zu erkennen. Direkt in das Blickfeld tritt die 1348 fertiggestellte Wasserburg mit dem urkundlich nachgewiesenen Ausgang zur Ahr hin. Die gemalte Burg hat, genau wie es uns überliefert ist, 3 Stockwerke und 4 Türme. Rechts von der Burg ist in der Stadtmauer ein Wachturm und des weiteren das Mühlenbachtor erkennbar. Links zwischen der Burg und der »Leepforte« sind zwei Wachtürme in der Stadtmauer. Auch ist links von der Burg der spitze Turm der Sinziger Kirche und etwas davor das Türmchen der Uhrglocke deutlich erkennbar. Links von dem gekreuzigten Christus ist vor dem Leetor der Stadt die Mauritiuskapelle auf dem Helenenberg (die bereits 1322 vorhanden war) mit einem zusätzlichen Gebäude wirklichkeitsgetreu wiedergegeben. Noch weiter links ist eine große Gruppe bewaffneter Männer zu sehen, die sich vom Geschehen auf Golgata zurückhält. Sie führt eine Fahne mit dem doppelköpfigen Reichsadler, deren Tragen der kaiserlichen Truppe sowie den Reichsstädten — und damit Sinzig — vorbehalten war. Die Gruppe könnte somit die in respektvoller Entfernung stehende Sinziger Bürgerwehr darstellen. Vergleicht man die auf dem Altarbild gemalte Stadt Sinzig mit der Zeichnung von Sinzig auf dem Meisterbrief der Sinziger Hammerzunft von 1750, sind Parallelen mit Burg, Kirche, Stadtmauer, Stadttore und Wachtürme sowie der Maritiuskapelle erkennbar. Es ist erstaunlich, daß man in der 500jährigen Geschichte des Bildes, bei den Bildbeschreibungen, bei den erfolgten Renovierungen und sonstigen Betrachtungen dem Bildhintergrund bisher keine Beachtung geschenkt hat. Dies ist sicher darauf zurückzuführen, daß die Restaurateure und ortsfremde Priester mit der geographischen Lage Sinzigs und seiner ehemaligen Befestigungsanlage nicht vertraut waren, daß das Bild im Altarbereich hing, der eine nähere Betrachtung früher nicht zuließ und daß das Bild Jahrhunderte abgestellt und der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. 

Die Bewohner der Stadt Sinzig können auf den Besitz eines wertvollen Altarbildes mit der zusätzlichen Wiedergabe ihrer Stadt vor 500 Jahren stolz sein. Mit dieser Erkenntnis bekommt das Bild für Sinzig auch noch einen ideellen Wert und wird künftig neben der religiösen auch die heimatverbundene Betrachtung auf sich ziehen.

Das ahrseitige Vorland von Sinzig
Fotos: Kreisbildstelle