Heimatkalender und -Jahrbücher als Spiegel ihrer Zeit

60 Jahre Heimat Jahrbuch des Kreises Ahrweiler 

Leonhard Janta

Seit 1926 erscheinen im Kreis Ahrweiler mit zeitbedingten Unterbrechungen Heimatkalender. Das Heimatjahrbuch 1987 steht somit in einer sechzigjährigen Tradition, was zum Anlaß genommen werden soll, Rückschau zu halten auf die Entwicklung dieses heimatkundlichen Werkes. Seine Grundtendenzen, seine Inhalte und die Veränderungen in der Aufmachung sollen dabei skizziert werden. Im Jahre 1925 feierte die Rheinprovinz ihre 1 000jährige Zugehörigkeit zum staatlichen Verband des Deutschen Reiches. Aus nationalen und patriotischen Gründen wurde das Jubiläum feierlich begangen, denn die Rheinlande waren damals nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages entmilitarisierte Zone und zum Teil besetzt. Durch zahlreiche Festschriften und Jubiläumsausgaben wurde die Bedeutung der Jahrtausendfeier unterstrichen. Im Kreis Ahrweiler fanden keine Feiern statt, obwohl z. B. auf der Landskrone Festakte vorgesehen waren. Aus wirtschaftlichen Gründen - der Kreis Ahrweiler gehörte zum erklärten Notstandsgebiet - wurde jedoch darauf verzichtet. Durch die Herausgabe eines »Jubiläums-Heimatkalenders« wollte der Kreis aber ein bleibendes Erinnerungswerk schaffen und seine Verbundenheit mit der Jahrtausendfeier und dem Deutschen Reich zum Ausdruck bringen.

Das Ziel des 1. Heimatkalenders war es: »Dem Heimatgedanken, der ja in allen Jahrtausendfeiern sich so glänzend bekundete, . . . Rechnung (zu) tragen durch ein Werk, das die flüchtigen Stunden rauschender Feierlichkeiten überdauern soll.«

Im überschwenglichen Ton der Zeit formulierten die Herausgeber, daß sie sich von dem Heimatkalender eine große Wirkung erhofften: »Treue zur Heimat und heimischen Sitte, zu Rhein und Reich, zu Volk und Vaterland« sollte in die Herzen der Leser gesät werden. Ein Bekenntnis zum neuen Staat fehlte. Das Buch war in erster Linie für die Kreiseingesessenen gedacht, die sich darin über Vergangenheit und Gegenwart ihrer näheren Umgebung informieren konnten. Die Belehrung stand dabei im Vordergrund. Ehrenamtliche Mitarbeiter - an diesem Prinzip wird bis zur heutigen Ausgabe festgehalten - lieferten Aufsätze, in denen sich die Leser über »Leben, Geschichte, Sagen, Denkmäler, Einrichtungen und Gebräuche unseres Kreises unterrichten (konnten).« Dem Charakter eines Kalenders entsprechend war den Beiträgen ein Kalendarium vorgestellt, das über jedem Monat eine prächtige Federzeichnung mit Landschafts- und Ortsansichten zeigte. Im Kalendarium waren die Namenstage der Heiligen und die Feiertage der katholischen Kirche aufgeführt und auch die israelitischen Festtage vermerkt. So erfahren wir, daß für das Volk Israel 1926 das Jahr 5686/87 war. Das Purimfest, das Schlußfest, das Versöhnungsfest und das Laubhüttenfest der jüdischen Minderheit wurden genannt, denn diese jüdischen Feiertage waren fest im Bewußtsein der Gesamtbevölkerung, die mit dieser Religionsgemeinschaft friedlich zusammenlebte, verankert. Die heute noch lesenswerten Beiträge ordnen die Lokalgeschichte in einen größeren Zusammenhang ein und entgehen damit engstirnigem Provinzialismus. Bei aller Liebe zur Heimat wird diese doch nicht als der Mittelpunkt der Welt gesehen. Die gute Aufnahme des ersten Heimatkalenders bestärkte die Herausgeber in ihrem Tun, und für die Jahre 1927 und 1928 gaben sie trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage weitere Bände heraus, womit allerdings die Reihe der Werke erst einmal beendet war. Auch diese Bände wollten »Kunde von der Heimat (...) geben, Liebe zur Heimat (...) wecken und stärken.« Im Aufbau und in der Aufmachung unterschieden sich die zweite und dritte Folge nur wenig vom ersten Heimatkalender.

Verschiedene »Generationen« von Heimatjahrbüchern: Auch das äußere Erscheinungsbild wechselte im Lauf der Zeit. 
Fotos: Archiv

Erst im März 1936 erschien die vierte Folge des Heimatkalenders, in dessen Vorwort auf die ungeheueren Umwälzungen seit dem letzten Heimatkalender abgehoben wurde, wobei besonders die Aufhebung der Entmilitarisierung erwähnt und auf die Veränderungen auf allen Gebieten nach der Machtergreifung im Jan. 1933 eingegangen wurde. Der Kalender z. Z. des Nationalsozialismus knüpft zwar an die Tradition seiner Vorgänger an, jedoch werden schon beim nur zwei Seiten umfassenden Kalendarium Veränderungen deutlich. Die Kürzung wird mit der späten Entscheidung für die Herausgabe des Kalenders begründet, jedoch ist das Weglassen aller Festtage der Heiligen der Kirche als Zeichen für die kirchenfeindliche Politik der Nationalsozialisten zu werten. Lediglich die hohen katholischen und evangelischen Feiertage werden aufgezählt, wogegen die israelitischen aus rassenpolitischen Gründen nicht mehr genannt werden. Unter den eingebürgerten Monatsnamen (Januar, Februar ....,) sind im Kalendarium die »altgermanischen« aufgeführt, die langfristig die anderen Bezeichnungen ablösen sollten (z. B. Januar = Härtung, März = Lenzing, Oktober = Gilbhard, etc.). Weitere einschneidende Veränderungen zeigen sich bei der Durchsicht der Artikel. Zum einen wird noch auf den alten Mitarbeiterstab zurückgegriffen, der in guter Qualität Beiträge liefert, die im Heimatkalender der Weimarer Zeit ebenso hätten abgedruckt werden können wie in heutigen Jahrbüchern, jedoch gibt es daneben eine Reihe von Aufsätzen, in denen der neue Geist, die neue Weltanschauung und Politik verbreitet werden. Titel, wie : »Warum deutsche Arbeitsfront«, »Die Veränderungen des äußeren Bildes Bad Neuenahr seit der Machtübernahme«, worunter an erster Stelle die Straßenumbenennungen nach führenden Nationalsozialisten fallen, und: »Wie und wo beschaffe ich mir im Kreise Ahrweiler die Urkunde zum Nachweis der arischen Abstammung?« sind hierfür symtomatisch. Bei der Gedichtauswahl sind an die Stelle der heimatbezogenen Lyrik pathetische Verse getreten. Noch deutlicherstellen sich die nachfolgenden Bände in den Dienst der »Bewegung«, obwohl auch sie immer noch in der Mehrzahl traditionelle Beiträge zur Heimatgeschichte enthalten. Die fünfte Folge wird nur noch im Untertitel als Heimatkalender bezeichnet. »Jahrbuch des Kreises Ahrweiler 1937« heißt dieses Werk, das schon im Titel einen Neubeginn unter veränderten Vorzeichen signalisieren will. Das vorangestellte Bild Adolf Hitlers und eine Ablichtung des Gauleiters Gustav Simon machen sinnfällig, daß der Heimatgedanke nachgestellt ist. Das Kalendarium listet ab jetzt alle bedeutenden Daten der »Nationalsozialistischen Bewegung« auf. Hinzu kommen noch beliebige Daten aus der Geschichte und von Persönlichkeiten, die den Machthabern genehm waren oder in ihrer Propaganda eine große Rolle spielten. Ab dem Jahrbuch 1937 wird der Versuch unternommen: »(...) heimatgeschichtliche Geschehen einerseits und die Arbeit der Partei und Verwaltungsdienststellen andererseits in einem Werk der breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Jedem Volksgenossen in- und außerhalb des Kreises ist hierdurch die Möglichkeit gegeben, sich über alles Geschehen zu unterrichten und daran teilzunehmen. Möge das Jahrbuch zugleich einem jeden Ansporn zur Mitarbeit am großen Gemeinschaftswerk werden.« Alle weiteren Inhaltsverzeichnisse der Jahrbücher von 1938 bis 1941 weisen dann schon in ihrer Gliederung aus, daß die Rubrik »vom Wirken der NSDAP« mit Beiträgen über die Aufbauarbeit der Partei an erster Stelle steht. Erst nach Beiträgen »aus der Kreisverwaltung« und »aus den Ämtern« folgen die eigentlichen heimatkundlichen Aufsätze. In den Jahrgängen 1939/1940/1941 wird noch am Ende des jeweiligen Bandes der Sippenkunde breiter Raum gegeben, was als Hilfe für Ariernachweise gedacht ist. Der Leitgedanke war auch dabei: »Führer und Reich zu dienen.«

Die Artikel über die Parteiarbeit und die andere nationalsozialistische Organisationen stellen durchweg Erfolgsmeldungen dar, wobei alle kommunalpolitischen Maßnahmen und Projekte stets in den großen gesamtpolitischen Kontext eingeordnet werden und durch Vergleich mit der »Systemzeit«, womit die Weimarer Republik herabsetzend gemeint ist, in ein besseres Licht gerückt werden. Selbst der Bau von Wasserleitungen ist danach letztlich dem Führer zu verdanken. Daß die Nationalsozialisten es im Kreise Ahrweiler besonders schwer hatten, da die überwiegend katholische Bevölkerung dieser Bewegung ablehnend gegenüberstand, gaben parteiamtliche Stellen offen zu. Das Jahrbuch des Kreises, dessen beide letzten Bände während des Dritten Reiches 1940/ 41 im parteieigenen Nationalverlag in Koblenz erschienen, hatte zuletzt eine Auflage von 6 000 Exemplaren, von denen ein großer Teil kostenlos an die Soldaten an der Front und in den Reservelazaretten des Kreises verteilt wurde.

Das Jahrbuch für 1942 war bereits in Vorbereitung, erschien aber wegen kriegsbedingter Papierknappheit und aufgrund von Richtlinien des Oberpräsidenten, der die Kalender größeren Landschaftsräumen anzupassen erwog, nicht mehr.

In einem Staat mit Führerprinzip waren heimatkundliche Publikationen eines Kreises nicht mehr gefragt. Selbst die Jahrbücher, die schon z. T. von der Partei zur Propagandazwecken vereinnahmt waren, sollten der Uniformierung und Zentralisierung zum Opfer fallen. Obwohl die Jahrbücher des Kreises Ahrweiler aus der Zeit von 1936 bis 1941 überwiegend Artikel enthalten, die von dem Gedankengut der Zeit frei sind, stellen sie insgesamt zeitgeschichtliche Dokumente für die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten dar. Das Eindringen der nationalsozialistischen Weltanschauung in alle Lebensbereiche wird auch an ihnen deutlich.

Die neue Folge des Heimatjahrbuches

Nachdem in der ersten Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg eine Konsolidierung der Verhältnisse eintrat, knüpfte die neue Folge des Heimat-Jahrbuches für den Kreis Ahrweiler ab 1953 wieder an den Heimatgedanken der Kalender von 1926 - 1928 an. Der neue Kalender stellte sich eine mehrfache Aufgabe. Er wollte die Jugend mit ihrer näheren Umgebung vertraut machen und alte und neue Freunde des Kreises ansprechen und werben.

»Der Kalender hat darüber hinaus eine weitere, nicht minder wichtige Aufgabe. Viele Heimatvertriebene und auch Evakuierte haben im Kreise Ahrweiler eine zweite Heimat gefunden. Ihnen soll der Kalender von ihrer alten Heimat erzählen und mithelfen, sie ihrer zweiten Heimat näher zu bringen, sie schätzen und lieben zu lernen.« Die Integrationsbemühungen als Brückenschlag zu den Vertriebenen wurden bei der neuen Folge der Jahrbücher bis 1972 betont und konnten ab diesem Zeitpunkt aufgegeben werden, da sie gelungen waren. Im ersten Band von 1953 greifen die Herausgeber noch auf zahlreiche Gedichte und Beiträge von überregionalen Dichtern und Verfassern zurück, was aber in den folgenden Bänden immer mehr zugunsten von Autoren und Heimatforschern aus dem Kreise abnimmt. Von 1953 bis 1974 enthielt das Heimat-Jahrbuch ein reich bebildertes Kalendarium, das ab 1955 mit Fotos aus dem Kreisgebiet illustriert war. Seit 1975 werden in einer aktuellen Chronik in Wort und Bild wichtige Ereignisse aus Politik, Wirtschaft und Kultur festgehalten. Über 1 000 heimatkundliche Arbeiten erschienen seit 1953 in den Heimatjahrbüchern. Neben den Darstellungen über das Gebiet und die Geschichte des Kreises enthielt das Werk stets besinnliche und unterhaltende Beiträge, so daß ein breites Lesepublikum angesprochen werden konnte.

Gerade wegen seiner Mischung aus Beiträgen zur Natur, Landschaft, Geschichte, Verwaltung, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Volkskunde, Literatur, Erzählungen, Anekdoten, Gedichten und aussagekräftigen Bildern und Illustrationen erfreut sich das Heimatjahrbuch großer Beliebtheit.

Die Vielfalt der Darstellungen zu heimatkundlichen Themen zeigt Konstanten, aber auch den Wandel eines geschichtlich bewegten Gebietes. Dabei schafft das Festhalten am Heimatgedanken einen festen Standort, von dem aus sich der einzelne orientieren kann. Die Bestimmungen des eigenen Standortes durch die Kunde über den heimatlichen Lebensraum kann zusätzlich bei der Identitätsfindung helfen. Durch die Unterweisung über räumlich Nahes, das den einzelnen berührt, weil er Personen, Orte, Gebäude, Denkmäler und die landschaftliche Umgebung kennt - begreift - kann auch der Blick für Fremdes und dessen Verstehen geöffnet werden. In diesem Sinne vermitteln die Heimatjahrbücher Heimatkunde, von der der Erzähler im Siegfried-Lenz-Roman »Heimatmuseum« sagt, daß mit ihr die Weltkunde beginnt. Darin liegt die große Chance aller Heimatjahrbücher und heimatkundlichen Arbeiten.

Die Heimatjahrbücher des Kreises Ahrweiler haben im Laufe ihrer 60jährigen Geschichte vielfach ihr Gesicht geändert, sie paßten sich veränderten Aufgabenstellungen an und wurden auch zu propagandistischen und parteipolitischen Zwecken in den Dienst genommen, wobei allerdings der Heimatgedanke nie ganz verloren ging.

Quellen: