»Mertesowend«

Erinnerungen an den Martinsabend und seine Vorbereitung 

Peter Richter

Immer gegen Ende Oktober, wenn die Felder abgeerntet waren, bemächtigte sich der Jungen der oberen Jahrgänge der einklassigen Volksschule in Wimbach eine seltsame Unruhe. Eines Tages hieß es dann in der Pause: »Hock nammedech john me Waachdele haue.« Nach dem Mittagessen traf man sich auf dem »Tempel«. Jeder Junge hatte eine »Hab« mitgebracht. Das war ein länglisches Haumesser, mit dem manche schon recht gut umzugehen wußten. Es gehörte nämlich bei einigen bereits zu den täglichen Pflichten, gegen Abend »Streusel zu hauen«. Auf einem Melkeimer vor einem »Haubloch« sitzend wurden die langen Strohhalme einer Garbe mit Hilfe der »Hab« in kürzere Stücke zerschlagen, damit sie sich besser als Streu für das Vieh eigneten.

Damals, um 1930, gab es in der Gemarkung Wimbach noch große Heideflächen, auf denen unzählige Wacholder wuchsen. Diesmal wollten wir auf »Blicken« hauen. Besonders große und dicke Wacholderbäumchen wurden mit Hilfe der »Hab« umgeschlagen und dann an einem Platz in der Nähe des Weges zusammengetragen. Nach einigen Nachmittagen Arbeit hatten wir so viele, daß man damit einen bis zwei Ackerwagen volladen konnte. Nun mußten zwei Väter helfen. »Härigs Alwis« und »Leise Johann« hatten Pferde, während sonst im Dorf Ochsen oder Kühe als Zugtiere benutzt wurden. Die beiden Männer kamen nun mit dem Wagen und fuhren uns die Ladung Wacholder auf die »Dreis«, wo das Martinsfeuer in diesem Jahr abgebrannt werden sollte. Früher hatte es einmal zwei Feuer gegeben, eins auf dem »Unterberg« für die »Onnedörfe« und eins für die »Owedörfe«, das zunächst auf der »Warth«, später aber auf der »Dreis« abgebrannt wurde.

Wenn alle Wacholder endlich am Feuerplatz lagerten, begann das Heischen im Dorf, woran sich auch die Mädchen beteiligten. Wir zogen von Haus zu Haus und sangen vor jeder Tür:

Dotz, Dotz, Dollendorf,
jitt os en ahle Merteskorf.
Jitt os en Bausch Strüh,
vebrenne me och Laus un Fluh.
Jitt os en Bürd Schanze,
dann liere me och jot danze.
Jitt os jet un lot os john,
mir hann derre Dürre noch mieh ze john.

In den meisten Häusern bekamen wir etwas Brennbares, meistens einen Bund Stroh, manchmal auch einen alten Weidekorb oder »en Schanz«. Das war zusammengebundenes Reisig, wie man es zum Feueranmachen oder zum Anheizen des hauseigenen Steinbackofens benutzte. Alles Brennbare, das wir bekamen, fuhren wir auf die »Dreis« und lagerten es neben dem Wacholderhaufen. Nun mußte das Feuer aufgeschichtet werden. Dazu brauchten wir allerdings die Hilfe der größeren Jungen, die bereits aus der Schule entlassen waren. Zunächst wurde in »de iesch Fichdele«, einem Wäldchen ganz in der Nähe, ein gut 10 m hoher Kiefernbaum geschlagen. Sorgfältig wurde er mit der Axt gleich über der Erde abgemacht. Dann legte jemand einen großen Moosflecken darüber, damit der Förster nichts merken sollte. Der Baum wurde am Feuerplatz aufgerichtet und eingegraben. Die alten Körbe, die wir bekommen hatten, füllte einer der größeren Jungen mit Stroh und band sie in der Baumkrone fest. Das restliche Stroh und die »Schanzen« wurden um den Stamm herum aufgeschichtet. Außen herum kamen die Wacholderbüsche. Schließlich sah man einen riesigen, dunklen Wacholderberg, aus dem oben die Kiefernspitze mit den strohgefüllten Körben herausschaute.

Am Martinsabend versammelten wir Schulkinder uns auf der »Acht«. Alle hatten eine Fackel, die in der Regel selbst gebastelt war. Wir sangen »St. Martin ritt durch Schnee und Wind«, »Der Herbststurm braust durch Wald und Feld« sowie »Laßt uns froh und munter sein«. Dabei zogen wir mit unseren brennenden Fackeln durch das Oberdorf auf die »Dreis«. Das Stroh im Inneren des Wacholderstoßes wurde angezündet. Schnell griffen die Flammen um sich. Die noch grünen Wacholdernadeln brannten knatternd und mit einem gewaltigen Funkenregen, wie bei einem Feuerwerk. Bald schlugen die Flammen hoch und ergriffen die Körbe mit dem Stroh.

Wenn das Feuer seinen Höhepunkt überschritten hatte, wurde von allen Anwesendenden der »Engel des Herrn« gebetet. Wir Kinder erhielten unsere Brezeln, die der Jagdpächter gestiftet hatte. Danach sahen wir noch zu, wie größere Jungen versuchten, über das inzwischen herabgebrannte Feuer zu springen. Endlich wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. Auf dem Heimweg sprachen wir Jungen darüber, wie groß das Feuer doch gewesen sei. Alle waren davon überzeugt, daß es noch nie ein so schönes Martinsfeuer gegeben habe.