Vor über 100 Jahren:

Hie Ahrweiler - hie Neuenahr

Hans Warnecke

Die früher selbständigen Städte Ahrweiler und Bad Neuenahr sind seit 1969 eine gemeinsame Stadt. Aber bis in die Kommunalpolitik hinein ist der Lokalpatriotismus bis heute noch erkennbar. Das dürfte keinen überraschen, der sich die eigenständige Entwicklung beider Städte vor Augen hält.

Um so erstaunlicher ist es von daher, daß auf einem Gebiet, das man für eine derartige Auseinandersetzung als wenig geeignet ansehen möchte, nämlich in der Entstehung der evangelischen Gemeinde Bad Neuenahr, schon vor über 100 Jahren hier ein harter Kampf geführt wurde.

Als nach dem Wiener Kongreß im Jahre 1815 das Rheinland an Preußen fiel, zogen im Laufe der Jahre auch evangelische Bürger ins Ahrtal. Sie gehörten alle zur evangelischen Gemeinde Remagen. Erst Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts nimmt ein Pfarrvikar in Ahrweiler seinen Wohnsitz. Er hat Gottesdienst in Ahrweiler, Adenau und Neuenahr zu halten. In dem aufblühenden Kurort Bad Neuenahr wird von Kurgästen immer deutlicher der Wunsch vorgetragen, die evangelischen Gottesdienste nicht mehr im Kurhaus, sondern in einer eigenen Kirche halten zu können. Nach langen Verhandlungen gelingt des dem jungen Pastor Pliester für Neuenahr einen Kirchbau zu planen und auch durchzuführen. Im Jahre 1872 wird die Martin-Luther-Kirche feierlich eingeweiht. Die kleine Gemeinde ist überglücklich. Es wäre auch nicht zu einer Trübung gekommen, wenn nicht Gemeindeglieder und Presbyter aus Neuenahr ganz unverhohlen den Wunsch geäußert hätten, daß doch nun auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Badeortes das Pfarrhaus in Neuenahr zu errichten sei. Pastor Pliester hatte gegen diese Meinung ganz und gar nichts einzuwenden, weil auch er davon überzeugt war, die Gemeindearbeit von Neuenahr aus besser tun zu können. Dagegen regte sich aber in zunehmendem Maße der Widerspruch der in Ahrweiler wohnenden evangelischen Gemeindeglieder.

Das Protokollbuch des Presbyteriums läßt von der Leidenschaftlichkeit dieser Auseinandersetzung bis heute viel erkennen. Es soll deshalb hier zur Sprache kommen.

Am 25. Januar 1872 wird im Presbyterium das Thema Pfarrhaus in Neuenahr zum ersten Mal behandelt. Der Pastor verliest einen Brief, »wonach der evangelische Ober-Kirchen-Rath die vom Koblenzer königlichen Consistorium beantragte Verlegung des Pfarrsitzes von Ahrweiler nach Neuenahr genehmigt.«

Dieser Brief aus Berlin muß natürlich seine Vorgeschichte gehabt haben in Informationen, die Pastor Pliester weitergegeben hatte. Und »wenn das königliche Consistorium Bericht über die Veräußerung des kirchlichen Gebäudes in Ahrweiler und die Erwerbung eines Pfarrhauses in Neuenahr wünscht«, so ist bis heute klar zu ersehen, daß vor dieser ersten Besprechung diese Angelegenheit schon sehr weit vorgetrieben worden war.

Im Protokoll dieser Sitzung findet sich der vielsagende Satz, daß der aus Ahrweiler stammende Presbyter Eidam vorzeitig die Sitzung verlassen habe, weil er zum Essen gehen müsse. Um 17.30 Uhr war man an diesem Tage zusammengekommen und hatte zu Beginn aus dem 133. Psalm die Worte gehört, daß »es fein und lieblich ist, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.«

In der nächsten Sitzung kommt es zu einem neuerlichen Zwischenfall mit Herrn Eidam. Am 13. 3. 1872 vermerkt der Protokollant: »Herr Eidam, welcher den Beschlüssen bis zu seinem Weggang zugestimmt, weigert sich heute, das Protokoll der letzten Sitzung zu unterschreiben, weil er mit dem Inhalt des § 5 nicht einverstanden sei.«

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Es rührt sich eine Opposition, nicht nur im Presbyterium, auch in der Gemeinde. Denn in der nächsten Zusammenkunft des Presbyteriums wird noch einmal vom Vorsitzenden darauf hingewiesen, daß der Bau eines Pfarrhauses in Neuenahr von der kirchlichen Behörde in Koblenz genehmigt würde, »da indeß«, so heißt es weiter im Protokoll, »von 12 Mitgliedern in Ahrweiler Protest gegen den Verkauf des Hauses in Ahrweiler erhoben ist, sollen weitere Schritte in der Sache einstweilen unterbleiben.«

Eine Nachricht im Protokoll läßt einen Ton hören, der neu und ungewohnt ist, weil er die Autorität des Pfarrers in Zweifel zieht. Wir lesen dort lapidar: »Herr Eidam beantragt die Anschaffung eines Exemplars der Rhein. Westfäl. Kirchenordnung für das Gemeindearchiv, ebenso die Besorgung der kirchenrechtlichen Sammlung.«

Hier wurde versucht, sich selbst kundig zu machen, um entsprechende Aktionen des Pastors zu unterbinden. Der aber ließ sich nicht einschüchtern. Er meldet dieses ungewohnte Verhalten an das Consistorium, das von Anfang an für die Neuenahrer Lösung eingetreten war. Langsam und gründlich arbeitet diese preußische Behörde. Ein Jahr später spricht sie deutlich aus, was nun zu tun ist: »Herr Eidam und Genossen werden davon unterrichtet, daß der Pfarrsitz nach Neuenahr zu verlegen ist.« Der Ahrweiler Protest ist verpufft. Herr Eidam bleibt deswegen öfters zu Hause »und es wird gerügt, daß er wiederholt ohne Entschuldigung in den Sitzungen fehle.«

Als dann am 15. September 1873 Pastor Pliester im Presbyterium darüber abstimmen läßt, ob in Neuenahr ein Pfarrhaus gebaut werden soll, »enthält sich Herr Eidam der Stimme.« Damit schien diese Angelegenheit endgültig erledigt zu sein. Der Standort für das Pfarrhaus wird Neuenahr. Aber noch einmal kommt es zu einem Zwischenfall, der in seiner Art einmalig in der Geschichte der evangelischen Gemeinde Bad Neuenahr ist, und der im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ahrweiler Protest von damals steht.

Am 30. November des Jahres 1873 war das Presbyterium neu zu wählen. Fristgerecht waren die stimmberechtigten Gemeindeglieder zur Wahl im Anschluß an den Ahrweiler Gottesdienst eingeladen worden. Es heißt dazu im Protokoll:

»Da eine große Anzahl junger Leute, den Mitgliedern des Presbyteriums zum Teil noch unbekannt, auch Gehülfen und unselbständige Gemeindeglieder zu der Wahl erschienen waren, verlas Präses die stimmberechtigten Gemeindeglieder und forderte die nicht Genannten auf, das Wahllokal zu verlassen. Dies geschah von einigen, von anderen nicht, welche unter Anführung des Herrn Steinbrecher gegen das Verzeichnis der stimmfähigen Gemeindeglieder auch dann noch lauten Widerspruch erhoben, als die bezüglichen Paragraphen der Kirchenordnung verlesen waren. Unter den Zurückbleibenden war ein neu eingetretener Postbeamter, Herr Faßbender, der sich bei dieser Gelegenheit als Gemeindeglied anmeldete, dem aber, nachdem ihm auseinandergesetzt worden, wie unstatthaft es wäre, wenn er in diesem Augenblick schon Gemeinderechte ausüben wolle, sich zurückzog. Dann Herrn Feldwebel Klose, der auch dann noch immer wieder redete, als ihm aufgrund der Kirchenordnung wiederholt mitgeteilt war, er sei als Glied der Militärgemeinde, zumal er auch nicht Kirchensteuer zahle, nur Gast unserer Gemeinde und entbehre des Wahlrechts. Dann Herrn Eidam, welchem wegen gegebenem öffentlichen Ärgernis das Wahlrecht durch förmlichen Beschluß des Presbyteriums entzogen worden ist. Als derselbe dieserhalb den Vorsitzenden zur Verantwortung ziehen wollte, und ihm die Frage vorlegte, ob sein, des Präses Schreiben an ihn, Wahrheit oder Lüge sei, wurde er aufgefordert, das Wahllokal zu verlassen, worauf Herr Steinbrecher, welcher schon vorher einige Male hatte zur Ordnung gerufen werden müssen, mit großer Heftigkeit die Anwesenden aufforderte, das Wahllokal zu verlassen, ja dieselben hinausdrängte und hinauszog. Da außer dem Küster, Herrn Dähne, nur die Mitglieder des Presbyteriums zurückblieben, beschlossen dieselben, die Störungen bei der Wahlverhandlung zu Protokoll zu bringen und eine neue Wahlversammlung auf nächsten Sonntag nach Neuenahr auszuschreiben.«

Das ist geschehen. Ohne Zwischenfälle wurde die Wahl in Neuenahr in der evangelischen Kirche an der Kurgartenbrücke durchgeführt. Die empörten Gemeindeglieder von Ahrweiler waren gar nicht erschienen. Es gab keine Tätlichkeiten, es fiel kein lautes Wort, man war sozusagen unter sich. Für die Entwicklung der evangelischen Gemeinde war dieses Jahr 1873 von große Bedeutung, weil in der Tat bis zum Bau der evangelischen Kirche in Ahrweiler im Jahre 1953 der Eindruck vorherrschend blieb, daß der eigentliche Mittelpunkt der großen evangelischen Diasporagemeinde in Bad Neuenahr sei. Und es hätte doch gerade bei einer Minderheitengemeinde anders sein müssen, daß man nicht gerufen hätte: Hie Ahrweiler - hie Neuenahr!

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Das Modell der Waldbühne zeigt es:
der Blick geht tief hinab. Überall ist beste Sicht.
Links der Brunnen für das Froschkönigsmärchen, der Auftritt zumeist durch
den großen Torbogen von Schloß und Burg.