"Die jetzige Straße ist für Fußgänger unpassierbar"

Die Vorgeschichte des Baus der Überwinterer Umgehungsstraße (B9) in den 30er Jahren

Bernd Blumenthal

In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg wurde die Provinzial-Straße Köln-Koblenz für den bis dahin beschaulichen Ort Oberwinter immer mehr zur Belastung, da sie mitten durch das Dorf führte. Nicht nur die Lärmbelästigung wurde durch den aufkommenden Autoverkehr Jahr für Jahr stärker, es wurde auch gefährlicher, die Ober-winterer Hauptstraße zu überqueren.

Da 1895 an der heutigen Pfarrer-Sachsse-Straße, die damals noch außerhalb des bebauten Gebietes lag, ein neues Schulgebäude gebaut worden war, war für die meisten Kinder ein guter Teil der Hauptstraße Schulweg, mit allen Gefahren, die auch heute noch eine viel befahrene Straße mit sich bringt. 1931 wurden schließlich Schilder aufgestellt mit der Aufschrift: "Langsam fahren, Schule!", aber auch dies brachte keine Änderung der gefährlichen Situation.

Schon seit 1929 finden sich in den Gemeinderatsprotokollen Entschließungen, in denen der Bau einer Umgehungsstraße als dringend erforderlich bezeichnet wird. Seit 1931 wurden dann in der Bauabteilung der Verwaltung der Preußischen Rheinprovinz in Düsseldorf, die die verantwortliche Instanz für die preußischen Provinzialstraßen war. Pläne für eine solche Umgehungsstraße vorbereitet.

Am 31. Oktober kam Provinzial-Baurat Fehlemann nach Oberwinter, um dem Gemeindevorsteher die Pläne der Bauabteilung vorzustellen, die fünf Möglichkeiten für eine Umgehungsstraße vorsahen:

1. eine Linie über den Hafendamm mit Brükkenkonstruktion über der Hafeneinfahrt

2. eine Verbreiterung der bestehenden Ortsdurchfahrt in der Hauptstraße

3. eine Linie östlich der Reichsbahn, etwa entlang des Holzwegs

4. eine Linie westlich der Reichsbahn, in den Hang gebaut

5. eine Linie über die Rheinpromenade am Hafen entlang, wo sich damals eine Lindenbaumallee befand.

Die ersten drei Möglichkeiten wurden sofort ausgeschlossen, da sie nicht vertretbare Nachteile für den Ort mit sich gebracht hätten. Die Dammlinie hätte Oberwinter gänzlich vom Rhein abgetrennt, die Vorschläge zwei und drei hätten den Abriß einer großen Anzahl von Häusern notwendig gemacht und damit Wohnraum zerstört, ohne die Lärmbelästigung und Gefahr zu beheben.

Aus diesem Grunde wurden nur noch die Hanglinie und die Rheinlinie ernsthaft diskutiert, wobei der Ortsvorsteher eindeutig die Hanglinie vorzog, weil diese den Verkehr aus dem Ort hinausbrächte und die schöne Lindenbaumallee. die sich am Hafen befand, erhalten bliebe. Oberwinter und Rolandseck waren nämlich damals noch touristischer Anziehungspunkt für viele Besucher aus dem Köln/Bonner Raum, die die Ruhe und den romantischen Blick auf Rolandsbogen und Drachenfels genossen.

Baurat Fehlemann verwies jedoch auf die großen technischen Schwierigkeiten des Hangprojektes und die dadurch entstehenden Mehrkosten. Außerdem hatte er ein Gutachten der Preußischen Geologischen Landesanstalt erstellen lassen, aus dem hervorging, daß hier auch nach dem Bau die ständige Gefahr eines Bergrutsches bestehe. Er schlug daher mit Nachdruck die Rheinlinie vor.

Am 23. November 1931 sollte der Gemeinderat über das Projekt abstimmen. Nach einer Ortsbesichtigung beugte er sich schließlich den Argumenten der Provinzialregierung und stimmte dem Bau der Umgehungsstraße entlang des Hafens zu. Damit war das Ende der Lindenbaumallee und so auch des typischen Oberwinterer Ortsbildes vom Rhein her gesehen besiegelt.

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Die Oberwinterer Rheinpromenade vor dem Bau der Umgehungsstraße

Die Ortsältesten knüpften ihre Zustimmung jedoch an Bedingungen. Im Hafenbereich war die Linienführung der neuen Straße durch die örtlichen Gegebenheiten eindeutig festgelegt, im Süden des Ortes, von der heutigen Pfarrer-Sachsse-Straße in Richtung Remagen, befand sich jedoch ein ausgedehntes Gartengelände und hier gab es für die Verlegung der Trasse durchaus Entscheidungsspielraum. Die Bedingung des Gemeinderates lautete - wahrscheinlich im Hinblick auf einen künftigen Bebauungsplan -, dieses Gebiet nicht diagonal zu durchschneiden und den Straßenneubau in Höhe des Bahnhofs an die alte Provinzialstraße anzubinden, sondern die neue Strecke möglichst nahe am Rhein vorbeizuführen. Weiterhin forderte er Fußgängerüberwege bzw. eine Unterführung am Hafen sowie die Anlage einer vier Meter breiten Allee zwischen Ort und neuer Straße als Ersatz für die alte Lindenallee.

Im Sommer 1932 begannen die Vermessungsarbeiten im Hafenbereich. Die Arbeiter Wilhelm Bauer aus Rolandseck und Hermann Mester und Franz Noack aus Oberwinter fanden hierbei für einen Stundenlohn von 62 Pfennig eine willkommene Beschäftigung. Im Mai 1933 war die Trassenführung am Rhein entlang zwischen Schulstraße und Basaltverladestelle am Unkelstein geklärt, und die Gemeinde Oberwinter leitete die Umlegung der dortigen Gartengrundstücke ein. Die betroffenen Grundstücksbesitzer wurden am 28. Mai zu einem Treffen geladen, was jedoch nicht den gewünschten Verlauf nahm, wie Gemeindevorsteher Geisthoff wenige Tage später notierte:

"Die Interessenten waren am Mittwoch, den 28. vorigen Monats, im Saale Beckmann-Loosen, zu einer Aussprache auf Einladung von Herrn Regierungsbaurat Fehlemann zusammengetreten. Es entspann sich eine lebhafte Aussprache deren Ergebnis war. daß die Grundstücksbesitzer mit den Vertretern der Provinz nicht einig wurden. Die Versammlung ist ergebnislos verlaufen. Der von der Provinz vorgetragene Plan auf Umlegung und Bereitstellungeinersumme von 30.000 Mark zur Bezahlung der Umlegungskosten und Abfindung der besitzabtretenden Grundstücksbesitzer verfiel damit der Ablehnung. Vorläufig ist noch nicht abzusehen, inwieweit nunmehr dem Projekt näher getreten wird".1)

Das Projekt war somit zunächst hinfällig. Dies war um so bedauerlicher, als der Landeshauptmann der Provinz der Gemeinde nur drei Wochen vorher mitgeteilt hatte, daß die Möglichkeit bestehe, "daß im Rahmen eines von der Reichsregierung beabsichtigten Straßenbauprogramms auch Mittel für die Durchführung der Umgehungsstraße Oberwinter flüssig gemacht werden können. Es ist besonders wichtig, daß in solchen Fällen, wenn Mittel für derartige Zwecke bereitgestellt werden, baureife Entwürfe, deren sofortige Inangriffnahme möglich ist, vorliegen."2) Mit der Weigerung der Garteneigentümer schien somit die Chance verpaßt, die Überwinterer Verkehrsprobleme zu lösen.

Große Veränderungen

Die politischen Verhältnisse sollten sich jedoch schon bald grundlegend ändern, nachdem am 30.1.1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren. Die Gemeinderatswahlen am 13. März 1933 hatten den Nazis nicht die gewünschte Mehrheit gebracht, worauf sie im Mai alle politischen Parteien auflösten. Ende Juli 1933 bildete sich in Oberwinter eine nationalsozialistische Gemeinderatsfraktion. Frau Hauptlehrer Schöter legte daraufhin ihr Mandat nieder, und den übrigen Mitgliedern des Gemeinderats wurde kurzerhand mitgeteilt, daß sie von nun an in diesem Gremium nichts mehr zu suchen hätten. Bald darauf wurde "in Anerkennung seiner Dienste der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Pg. Hubert Hüllen"3) zum kommissarischen Gemeindevorsteher ernannt.

Hüllen scheint von Anfang an entschlossen gewesen zu sein, das Projekt Provinzialstraße nicht einschlafen zu lassen. Im Februar 1934 bot es sich im Zusammenhang mit der Kanalisation des Ortes noch einmal an, bei der Provinzial-Straßenbauabteilung in der Bonner Wilhelmstraße anzufragen, um in Erfahrung zu bringen, unter welchen Umständen eine Wiederaufnahme möglich sei.

Auch in der Bevölkerung wurde das Thema lebhaft diskutiert. Besonders die Anwohner der Adolf-Hitler-Straße (so hatte man die alte Hauptstraße inzwischen getauft) waren weiterhin am Bau der Ortsumgehung interessiert. Schon im November 1933 hatten sie gemeinsam den Antrag gestellt, wegen der durch den starken Autoverkehr hervorgerufenen Wertminderung ihrer Häuser von der Hauszinssteuer freigestellt zu werden und die Staatsgrundsteuer ermäßigt zu bekommen. In der Begründung des Antrags hieß es:

"Tag und Nacht rasen die Autos, kurz aufeinanderfolgend, durch die Straße. Schwere Lastwagen, die nicht nur am Tage, sondern auch während der Nacht (Lastfernverkehr) durchfahren, durchrütteln die gesamten Gebäude. Wer diese Erschütterungen noch einigermassen ertragen kann, wird andauernd in stark nervenstörender Weise durch das geräuchvol-le Gesause und Geknacker der Motoren und das Gerappel der Lastwagen über das Straßenpflaster aufgeschreckt. Berücksichtigt man dann hierneben noch, daß die in Mitleidenschaft gezogenen Häuser auch noch in der Hochwasserzone liegen, dann ist es verständlich, daß deren Werte ganz erheblich gesunken sind".4)

Das Jahr 1934 verging, ohne daß sich in bezug auf den Straßenbau etwas tat. Die Provinz berief sich darauf, daß die Gemeinde zunächst ihr Umlegungsverfahren durchzuführen habe, aber die Grundstücksbesitzer weigerten sich in ihrer Mehrheit weiterhin, einer Umlegung zuzustimmen. Zudem war die ursprünglich vom Land Preußen zugesagte Summe inzwischen anderweitig verplant. Sowohl die Gemeinde als auch die Provinzialregierung rechneten jedoch weiter - wohl in der Erwartung einer gesetzlichen Neuregelung, die Zwangsumlegungen möglich machen würde - damit, daß das Bauvorhaben in nicht allzu langerZeitdurchgeführt werden könnte.

Am 20. August 1934 schrieb Ortsvorsteher Hüllen einen vierseitigen Brief an den Landrat in Ahrweiler, in dem er diesen darum bat, seinen Einfluß für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Düsseldorf geltend zu machen. Hierin schilderte er in dramatischer Weise die schwierigen Verkehrsverhältnisse im Oberwinterer Ortskern:

"...An der engsten Stelle ist der Überblick über die Straße vollkommen versperrt. Fast jeden Tag entsteht hier irgendeine Verkehrsstörung... Dadurch, daß zu beiden Seiten der Straße nur sehr enge Schrittwege vorhanden sind, ...herrscht für die Passanten stets große Lebensgefahr. Fahren einmal an etwas größeren breiteren Stellen zwei Wagen aneinander vorbei, so müssen diese - hauptsächlich bei Lastwagen -so nahe an den Schrittweg heranfahren, daß der überstehende Wagenteil den vollen Platz des engen Schrittweges ausfüllt... So hat es sich schon ereignet, daß Personen in die Schaufenster gedrückt wurden... Sehr viele Lastwagen verkehren über die Straße, die mit Schwemmsteinen aus dem Neuwieder Becken beladen sind. Schon wiederholt hat es sich ereignet, daß die Steine dieser Wagen gegen die Häuser und Fenstergeflogen sind... Hebender Verkehrsbehinderung stehen Tag und Nacht Menschenleben in äusserster Lebensgefahr..."5). In diesem Schreiben deutet er auch an, daß die Nazis nicht gewillt waren, sich von irgendeiner Minderheit - und sei sie noch so sehr im Recht - von ihren Plänen abbringen zu lassen:

"Es dürfte aber nicht angehen, daß die heutige Reichsstraßenbauverwaltung, die ja neuerdings über den Plan zu befinden hat, so lange mit der Ausführung der Umgehungsstraße warten will, bis sich die Bevölkerung mit dem Zusammenlegungsverfahren einverstanden erklärt. Die Eigentümer der in Frage kommenden Grundstücke sind meistens Volksgenossen, welche durch die Nachteile der unzulänglichen Verkehrsverhältnisse nicht betroffen werden".6) Wie viele nationalsozialistische Volksvertreter verfolgte Hüllen sein Ziel nicht nur auf dem normalen bürokratischen Wege, sondern wandte sich über die Parteischiene unter Umgehung aller Zwischeninstanzen direkt nach Berlin.

Doch der Reihe nach: Anfang September 1934 bat er um eine erneute Besprechung in Düsseldorf, an der auch der Landrat des Kreises Ahr-weiler teilnahm. Als das daraufhin stattfindende Treffen bis zum März 1935 noch keinen konkreten Erfolg gebracht hatte, wandte er sich in seiner Funktion als Ortsgruppenleiter der NSDAP direkt an den Generalinspekteur für das Deutsche Straßenwesen in Berlin. Nach einer Schilderung der Verkehrsverhältnisse beschreibt er die Einsprucherheber:

"Die jetzige Straße ist für den Fußgänger unpassierbar. Die durchrasenden Autos fahren alltäglich gegen die vorhandenen, meist alten Häuser. Fortgesetzt werden die Häuser beschädigt... Nach diesen Gesichtspunkten ist das Verhalten der Einsprucherheber als ein Boykott sondersgleichen zu bezeichnen. 92 % der interessierten Bevölkerung schreit gleichsam nach der Umgehungsstraße und der kleinere, wohlhabendere Teil, der von der Gemeinde und deren Belangen unabhängig ist, und für die wirtschaftlichen Interessen der gesamten Gemeinde sich nicht die geringsten Gedanken macht, brüstet sich gleichsam heute damit, den Straßenbau verhindert zu haben. Die Boykotteure dieses Straßenbaus, somit die Boykotteure der Bestrebungen zur Wiederbelebung der Wirtschaft der Gemeinde und des Arbeitsbeschaffungsprogramms der Reichsregierung bedienen sich in ihrem Kampfe eines Nichtvolljuristen, der auf Grund seiner politischen Einstellung in seiner Vaterstadt Elber-feld sein Heimatrecht verloren hat und der hier am Ort wiederholt mit der Staatspolizei in Konflikt geraten ist. Ein Mann dieses Formats, der unseren Führer als 'bolschewistischen Massenmörder' bezeichnet hat, jedoch leider auf Grund der letzten Amnestierungen dem Zuchthaus entgangen ist, rühmt sich heute, es fertig gebracht zu haben, durch sein Hetzen bei den Boykotteuren und in bewußter Einstellung gegen die Bestrebungen der heutigen Reichsregierung (denn ein anderer Beweggrund ist fürsein Handeln nicht zu finden) den Straßenbau zu Fall gebracht zu haben".7)'

Aus den Gartenbesitzern, die um ihren freien Blick auf den Rhein fürchteten, werden hier also Staatsfeinde, die nichts im Sinn haben, als der Reichsregierung Schwierigkeiten zu machen. Zweck dieser Hetze dürfte die Absicht gewesen sein, sich der Gegner und damit aller Widerstände gegen das Bauprojekt zu entledigen, denn der Oberwinterer Ortsgruppenleiter wußte sehr wohl, daß ein politisch motivierter Boykott und alles, was danach aussah, seinen Anstifter in große Schwierigkeiten bringen konnte. Neben dieser Eingabe in Berlin schrieb Hüllen an den Deutschen Automobil Club DDAC in Köln und Koblenz mit der Bitte, den Straßenbau zu unterstützen. Daß die Oberwinterer Bevölkerung keinesweg einstimmig dafür war, für die neue Straße ihre Rheinallee zu opfern, beweist ein Foto, auf dem man einige Bürger sieht, die ein paar Kanalrohre zu einer Art Kanone zusammengestellt haben und auf eine Baubude den Satz geschrieben haben: "Bürger schützt eure Anlagen VVOR" (Verkehrsund Verschönerungsverein Oberwinter/Rolandseck). Ortsgruppenleiter Hüllen beschlagnahmte die Bilder persönlich.8)

Im Frühjahr und Sommer 1935 wurden die Vermessungsarbeiten fortgesetzt. Im Laufe des Sommers verdichteten sich jedoch die Anzeichen, daß die Genehmigung bald bevorstand.

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Ende 1936 stand die Umgehungsstraße Oberwinter dem Vekehrzur Verfügung

So verlangte der Verkehrs- und Verschönerungsverein jetzt von der Verwaltung der Rheinprovinz. daß mit der Überwinterer Straße auch die Ortsumgehung Rolandseck gebaut werde. da "die Existenz des Fremdenortes Rolandseck auf Gedeih und Verderben vom Fremdenverkehr abhängig ist"9). Wer oder was für die Meinungsänderung des Vereinsvorstandes zum Thema Straßenbau verantwortlich war, ist heute nicht mehr eindeutig festzustellen.

Heute wissen wir. daß die Ortsumgehung Rolandseck nicht gebaut wurde. Zunächst fehlten die Mittel, und schon einige Jahre später kam der Krieg dazwischen. Für Oberwinter gab es jedoch grünes Licht, worauf vom 12. bis zum 16. August die Pläne offengelegt wurden.

Es kann losgehen

Wie bereits angedeutet, hatten sich inzwischen die gesetzlichen Grundlagen geändert. Die Zuständigkeiten für das deutsche Straßenbauwesen lagen jetzt zentral in Berlin, und bei öffentlichem Interesse war es auch gegen den Willen der Betroffenen möglich. Grundstücksgrenzen umzulegen. Dennoch wurden von Oberwinterer Bürgern in zweiundzwanzig Punkten Einsprüche gegen die Pläne erhoben. Sie bezogen sich jedoch nur noch auf Einzelheiten der Planung. So wurde der Wegfall der ursprünglich geplanten Radwege zu beiden Seiten der neuen Straße gefordert, so daß Radfahrer auch in Zukunft das Dorf zu durchqueren hätten, zumal sie hierbei mitunter Geschäfte oder Lokale aufsuchten. Oder es wurde gefordert, daß die Hafenrampe mit einem Geländer versehen werde. Auch die Wiederherstellung des Feuerwehrübungsturms, der auf der Trasse der zukünftigen Straße stand, sollte kostenneutral ab- und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Er fand schließlich seinen neuen Standort auf dem Schulhof der alten Volksschule. wo er bis zum Abriß des Gebäudes im Sommer 1963 stand.

Nach einem landespolizeilichen Prüfungstermin vor Ort wurden die Probleme der Einsprüche einvernehmlich gelöst, und so wurde die Oberwinterer Rheinallee, die damals "Hinden-burgufer" hieß, am 31. Dezember 1935 auf Anordnung des Landrats für jeglichen Verkehr gesperrt. Die Bauarbeiten begannen im Januar 1936 mit dem Fällen der Linden und schon im darauffolgenden August war der erste Abschnitt entlang des Hafens bis zur alten Gemeindebleiche so gut wie fertiggestellt. Inzwischen wardieZwangsumlegung im südlicher gelegenen Gartengelände abgeschlossen und die Arbeiten konnten hier fortgesetzt werden.

Wie sehr die Überwinterer NS-Leitung bemüht war, jetzt den Gegnern der Rheinstraße den Wind aus den Segeln zu nehmen, zeigt sich an einem Problem, das sich am Schnittpunkt der beiden Bauabschnitte ergab: Hier ragte die Werkhalle der Schiffswerft Clausen ein gutes Stück in die vorgesehene Trasse der Straße hinein. Das Gebäude mußte also zum Rhein hin versetzt werden und wäre nach dem Fällen der alten Bäume von den neuen Rheinanlagen aus gut einsehbar geworden. Ortsvorsteher Hüllen bemühte sich jetzt bei der Rheinstrombauverwaltung Koblenz als Eigentümerin des Geländes darum, die Halle nicht wieder aufzubauen.10)

Hüllen wollte also einen Industriebetrieb aufgeben, um sich nach dem Straßenbau wieder ganz auf eine Zukunft als Frecndenverkehrsort einzurichten:

"Die Gemeinde ist künftig nur existenzfähig, wenn wieder ein reger Fremdenverkehr am hiesigen Orte entsteht. Oberwinter ist bemüht. alle Voraussetzungen zu schaffen, damit eine intensive Fremdenwerbung künftig betrieben werden kann. Sie muß deshalb auch darauf sehen, daß für künftig alles unterbunden wird, was im Hinblick auf dem (!) Fremdenverkehr nachteilig sein kann."11)

Oberwinter hatte jedoch seinen Fremdenverkehrscharakter schon lange eingebüßt, und die neuen Hafenanlagen neben der neuen Provin-zialstraße, der heutigen Bundesstraße 9. haben die alte Lindenallee nie richtig ersetzen können. Die Bootshalle wurde neben der Straße wiederaufgebaut, und schon wenige Jahre später rollten Wehrmachtsfahrzeuge am Hafen vorbei. Aber das ahnten am 11. Dezember 1936. als die neue Straße eingeweiht wurde. noch die wenigsten.

Anmerkungen

  1. Aktennotiz des kommissarischen Gemeindevorstehers Geisthoff vom 1.7.1933, Archiv des Rathausvereins Oberwinter

  2. Brief des Landeshauptmanns der Rheinprovinz an den kommissarischen Gemeindevorsteher Geisthoff vom 11.5.1933

  3. Hans Atzler und Heinz Wilms, 1100 Jahre Oberwinter. 886-1986. Remagen-Rolandseck 1986. S. 51

  4. Antrag der Anwohner der Adolf-Hitler- Straße in Oberwinter auf Steuerermäßigung an den Gaufachberater für Kommunalpolitik Bürgermeister Fehlinger Brohl, den Gemeindevorsteher Hüllen in Oberwinter, sowie den Bürgermeister von Remageh-Land vom 20.11 1933: Archiv des Rathausvereins Oberwinter

  5. Brief des Ortsvorstehers Hüllen an den Landrat in Ahrweiler vom 20.8.1934: Archiv des Rathausvereins Oberwinter

  6. ebenda

  7. Brief des Ortsgruppenleiters der NSDAP Oberwinter, Hüllen, an den Generalinspekteur für das Deutsche Straßenwesen in Berlin. Dr. Todt, vom 13.3.1935, Archiv des Rathausvereins Oberwinter

  8. Hans Atzler und Heinz Wilms, a.a.O., S. 53

  9. Brief des VVOR an den Generalinspekteur für das Deutsche Straßenwesen, Dr. Todt, vom 12.4.1935 Archiv des Rathausvereins Oberwinter

  10. Brief des Gemeindevorstehers Hüllen an die Rheinstrombauverwaltung in Koblenz vom 174 1935, Archiv des Rathausvereins Oberwinter

  11. Brief des Gemeindevorstehers Hüllen an den Gartengestalter und Landschaftsanwalt Reinhold Hoemann in Langenfeld, den Gutachter für die neu zu schaffenden Rheinanlagen, vom 17.4.1936: Archiv des Rathausvereins Oberwinter