Die Verehrung des hl. Matthias im Bereich von Sinzig

Heinz Schmalz

Der heilige Apostel Matthias kam durch Losentscheid anstelle des Judas Ischariot in den Kreis der 12 Apostel und wurde nach der Legende für seinen Glauben enthauptet.1)

Der heiligen Helena - eines der 3 Chorfenster in der Sinziger Kirche zeigt sie, und eine Statue von ihr steht auf dem Helenaberg, Mutter des Kaisers Konstantin l, seit 312 Christin, werden nach den Überlieferungen die Auffindung des heiligen Kreuzes sowie die Gebeine des heiligen Matthias zugeschrieben. Sie hat auch die Reliquien des heiligen Matthias nach Trier gebracht. Dort gingen sie im Laufe der Zeit unbeachtet unter und wurden 1127 im uralten Benediktinerkloster St. Eucharius vor den Toren des mittelalterlichen Triers wieder aufgefunden. Die Kunde von diesem Ereignis verbreitete sich schnell und ließ immer mehr Pilger vom Nieder- bis zum Oberrhein und den angrenzenden Gebieten bis nach Süddeutschland zum Apostelgrab wallfahren, um dort Gnaden und Ablässen teilhaftig zu werden.2) Dieses Pilgern zu dem Gnadenort war im Laufe der Jahrhunderte Schwankungen unterworfen infolge von politischen Verhältnissen, Kriegen, Reformationszeiten und Zeiten der Verweltlichungen und zeigt erstaunlich gerade in unserer Zeit wieder eine steigende Tendenz.

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Pilgerkreuz im Wald von Spessart Pilgerkreuz am Beulerhof

Mit dem Aufleben der St.-Matthias-Verehrungen kam die Erhebung desApostels zum Patron der Diözese Trier. Dies bewirkte, daß viele Pfarreien ihn auch zum Kirchenpatron oder Nebenpatron wählten, ihm zu Ehren Altäre errichteten, ihn darstellende Bilder anbringen ließen und seinen Namenstag zum Feiertag erklärten. Der Vorname Matthias, auch in seinen abgewandelten Formen wie Matt, Matt, Mattes. Matjö, Mätti. Hias oder ähnlich, kam zu jener Zeit sehr stark in den Gebrauch.

In den Pfarreien Sinzig und Westum wurde der hl. Matthias als zweiter Pfarrpatron in jener Zeit bestimmt und in den Folgezeiten auch entsprechend verehrt. In der Pfarrkirche Sinzig war, bis zur Renovierung 1863, einer von neun Seitenaltäre ihm bereits 1743 gewidmet.3) Eines der drei Chorfenster von 1952 zeigt ihn als Märtyrer mit einer Axt in der Hand.4) Die in Sinzig noch im Gebrauch befindliche Monstranz zeigt Reliefs des hl. Petrus, der hl. Helena, des hl. Hubertus und des hl. Matthias. Eine Reliquienmonstranz aus Messing, vergoldet und versilbert mit ovalem Fuß, Balusterschaft und um die ovale Schauöffnung mit einem breiten Rahmen und getriebenem Rankenwerk versehen, von etwa 1730 birgt ein Gebeinpartikel des heiligen Matthias5)6)

In Westum hatte die 1847 abgerissene Kirche ein Altarbild auf dem in der Mitte der hl. Paulus, rechts der hl. Matthias und links der hl. Sebastian dargestellt waren.7)

In Sinzig und Westum wurde der 24. Februar im Gedenken des großen Heiligen bis gegen 1936 als Feiertag mit Sonntagsmessen, Hochamt, Predigt und Andacht gehalten. Der Besuch des Hochamtes war für die Mitglieder der St.-Matthias-Bruderschaft Pflicht.

Wallfahrten zum Apostelgrab

Die St.-Matthias-Bruderschaften, die ab dem Wiederauffinden der Gebeine desApostels 1127 mit dem Pilgern nach Trier aufkamen, hatten auch Sinzig und Westum erfaßt und ließen in Sinzig eine Tochterbruderschaft entstehen. Im ältesten Bruderschaftsverzeichnis in Trier von 1150 bis 1250 sind auf Seite 11 in der rechten Spalte 18 Namen aus »De Wrestren« aufgeführt. Hierbei wird es sich vermutlich um Bruderschaftsmitglieder von Westum handeln, da dieser Ortsname keine anderen Schlüsse zuläßt. Die Eintragung bezeugt, daß von Westum aus bereits vor 1250 nach Trier gepilgert wurde.8'

An dem alten Pilgerweg von Westum nach Trier steht im Wald von Spessart, Gemarkung Born, an der Kohlstraße nach Ramersbach zu, ein großes Basaltkreuz mit folgender Inschrift:

»HENRICUSSCHLIEBER
U. S. BEIDEN EHEFRAUEN
MARIA ELESAGETA RICKS
U. AGNITA REUTERS
V. WESTUMB HABEN
D. KREUZ ZU E. GOTTES
UND D. H. MATTHIAS AUFGER. 1776«

Ein weiteres Wege- und Pilgerkreuz aus Basalt stand bis Ende 1935 ebenfalls an dem Westu-mer Pilgerweg vordem Harterscheid und wurde wegen der Rodung und den Wegverlegungen »in der Hüch« an den Beulerhof versetzt. Die Inschrift dieses Kreuzes lautet:

»MATTIAS FUCHS UND
S H FRAU MARIA ROOS
HABEN DIES KREUTZ HIER
ZUM TROST DER ARMEN
SEELEN IM FEGEFEUER
UND DER PILGER HIER
AUFRICHTEN LASSEN 1827«9)

Ein kontinuierliches Pilgern nach Trier istjedoch seit 1830 von Westum nicht mehr belegt. Lediglich gingen einzelne oder kleinere Gruppen hin und wieder zu Fuß nach Trier zum Apostelgrab. In Sinzig bestand seit etwa 1670 eine St.-Matthias-Bruderschaft. Der Sinziger Pastor schreibt 1771, daß bereits über 100 Jahre eine Matthias-Wallfahrt bestand.""Auch wurden um diese Zeit weitere Matthias-Bruderschaften in unserem Heimatbereich gegründet, so zum Beispiel in Remagen 1679, Rech 1696, Mayschoß 1698, Dernau vor 1700 und Oberbreisig 1762.11)

Die Benediktiner in Trier bergen in ihrer reichhaltigen Bibliothek ein Buch aus dem Jahre 1762, das auf der Titelseite die Aufschrift trägt:

»ÜBER CONFRATERNITATIS SANCTI MA-THIAE APOSTOLI. Renovatus Anno Dommini 1762«. Es ist ein in Trier geführtes Mitgliedsbuch von örtlichen Matthias-Bruderschaften in alphabethischer Ordnung. Unter »Synzig« sind darin etwa 500 Mitglieder namentlich aufgeführt. Dadurch ist der Umfang der damaligen Sinziger Bruderschaft und ein Bestehen seit über 250 Jahren belegt. 1819 weist das Bruderschaftsbuch in Sinzig 252 Mitglieder auf.

Alljährlich ging in der Woche vor Pfingsten (ab Sinzig mittwochs) eine Prozession mit reger Beteiligung nach Trier, wo heute noch in der Basilika des hl. Matthias ein kleines Wappenschild mit Doppeladler, Reichsapfel und Zepter und die Aufschrift »Sinsig« davon Zeugnis gibt. Eine Jahreszahl trägt das Wappenschild leider nicht. Acht Tage waren die Pilger jeweils unterwegs. Der Weg führte über Koisdorf, am Sinziger Köpfchen vorbei nach Königsfeld und weiter durch die Eifel nach Trier.

Aus Artikel 2 der Verordnung der Sinziger Bruderschaft vom Jahre 1819 geht hervor, daß der Pastor in Sinzig die Prozession »nach alter Gewohnheit« bis zum Matthiaskreuz vor dem Ausdorfertor begleitete, dort eine kurze Ansprache hielt und auch bei der Rückkehr derselben sie hier wieder abholte. Die Bruderschaftsfahne ging bei gutem Wetter mit bis nach Koisdorf, sonst nur bis zum Matthiaskreuz. Beim Abholen war es ebenso. Bei der Prozession hatte Ordnung zu herrschen. Wer auffiel durch Unmäßigkeit beim Trinken, ungebührliche Reden, durch »Tabak rauchen« und "nicht Zahlung des Ge-lags in den Herbergen« wurde erstmals vom Brudermeister ermahnt, dann bei weiteren Verfehlungen mit Zahlung einiger Pfund Wachs (für Kirchenkerzen) bestraft oder sogar aus der Prozession verwiesen.

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St. Matthias-Kreuz in Sinzig

Unterwegs erkrankte Wallfahrer wurden auf einem Pferdewagen mitgeführt. Plötzlich Verstorbene sollten jedoch an Ort und Stelle beerdigt und das Grab alljährlich von der Prozession besucht werden. Ob es zu einem solchen Fall kam, ist von der Sinziger Bruderschaft nicht überliefert.

Aus einem Visitationsprotokoll von 1743 geht hervor, daß die Bruderschaft »in hoher Blüte steht«. Sie hatte einen besonderen Altar mit Reliquie des hl. Matthias, "die kürzlich von Rom mitgebracht und vom Ordinaris approbiert worden war«. 1936 hatte die Bruderschaft noch 123 Mitglieder.

Die 1952 noch bestehende St.-Matthias-Bruderschaft trug bei Beerdigungen von Mitgliedern oder bei ihren kirchlichen Feiern ein großes, schwarzes Kreuz mit weißem Christuskorpus mit. Beim Tod eines Mitglieds wurde das Kreuz, bereits schon vor 1819, zum Sterbehaus gebracht und blieb dort bis zur Beerdigung. Anschließend wurde es dann vor der Leiche zur Kirche und von dort zum Friedhof getragen. In den übrigen Zeiten wurde das Kreuz in der Kirche aufbewahrt.12)

Das »Matthiaskreuz« an der Gabelung Koisdor-fer - Westumer Straße besteht aus Trachyt und hat eine Höhe von 3,80 m. Ende des 15. Jahrhunderts mag es errichtet worden sein. Ein schlanker achtseitiger hoher Schaft trägt ein Zwischenstück mit Nische und darüber ein Kreuz mit plastischem Korpus.13) Die Gemarkung in der Kreuznähe lautet heute noch »am Matthiaskreuz«. Bis gegen 1965 war an diesem Kreuz oder in seiner unmittelbaren Nähe - wie auch an den Steinkreuzen vor den beiden anderen Stadttoren - jedes Jahr ein Fronleichnamsaltar.

Die Matthias-Bruderschaft in Sinzig ist gegen 1955 aufgelöst worden. Bruderschaften an anderen Orten, von denen aus alljährlich in der Wallfahrtsoktav (ab Sonntag vor Pfingsten) Pilgerfahrten zum Apostelgrab durchgeführt werden, z. B. Remagen (mit Bus) und Adenau (1990  mit über 100 Fußpilgern nach Trier) erfreuen sich einer steigenden Beliebtheit.

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Matthias-Kapelle. Sinzig - Bad Bodendorf

Die St.-Sebastianus-Bruderschaft in Bodendorf hat aus Anlaß ihrer 300-Jahrfeier an der alten Straße von Bodendorf nach Lohrsdorf an der Stelle eines alten Bildstockes in Eigenleistung eine zum Verweilen einladende Matthias-Kapelle errichtet. In der 1981 eingeweihten Kapelle steht eine große, aus Stein gehauene Figur, die den heiligen Matthias mit Bibel und Axt darstellt.

Wallfahrten nach Sinzig

Aus einem Schreiben des Pastors Ferdinand Müller aus dem Jahre 1771 geht hervor, daß bereits damals seit über 100 Jahren eine Wallfahrt zu Ehren des hl. Matthias nach Sinzig bestand, bei der eine Reliquie des Heiligen verehrt wurde. (Folglich war die Reliquie schon vor 1730 in Sinzig und wird gegen 1730 eine Reliquienmonstranz erhalten haben.) Nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern auch aus weit entlegenen kurtrierischen Städten und Dörfern (Sinzig gehörte damals zur Diözese Köln) kam das fromme, gläubige Volk am Feste des hl. Matthias nach Sinzig, um sich den Gnadenschatz zu verdienen und auch Mitglied der Bruderschaft zu werden. An Besuchern wird die Zahl 3 000 bis 4 000 genannt.

Der Kölner Erzbischof wollte das Fest abgesagt wissen. Im Kurtrierischen wurde das Fest jedoch im Gedenken an den Diözesanpatron stets auf den Tag begangen. Pfarrer Müller wandte sich in der Streitfrage an den Kölner Erzbischof und legte seine Gründe dar, wonach die Verlegung des Festes auf den folgenden Sonntag von großem Nachteil für Sinzig sei.

»Den meisten Zulauf«, so schreibt er, »habe das Fest eben aus dem kurtrierischen Gebiet." Er machte den Vorschlag, das Fest auf dem Tag des Heiligen beizubehalten, jedoch sollte gestattet werden, an dem Tag zu arbeiten. Als weiteren Grund zugunsten des Tages erwähnte er, daß der erste Kirchenpatron von Remagen und Sinzig der hl. Petrus sei, und daß an dessen Fest viele Sinziger nach Remagen wallfahren. Am Feste des zweiten Sinziger Kirchenpatrons, des hl. Matthias, sei der Zustrom nach hier viel größer und die Andacht viel erbaulicher. Darum bat er, daß das Fest auch fernerhin am Tage selbst abgehalten werden dürfte.14)

Vermutlich gingen seit Beginn der französischen Zeit (ab 1794), mit ihrer von der Kirche zurückgezogenen Haltung, die Prozessionen in Sinzig unter.

Der hl. Matthias gilt im Volksmund auch heute noch als Losheiliger und man achtet in der Wettervorhersage genau auf seinen Namenstag (24. Februar). Folgende Wettersprüche sind fast allgemein bekannt:

Matthias bricht Eis
hat er keins so schafft er eins.

Matthias brich Eis,
doch ja sacht sonst kommt die Kalt im Frühjahr mit Macht.

Ist's an St. Matthias kalt,
hat die Kalt noch lang Gewalt.

Was Matthias und St. Peter (22. 2.) macht,
so bleibt es noch durch 40 Nacht.15)

Quellen;

  1. Neue Testament, Apg 1. 23 ff

  2. Laufner Richard, Die Fragmente des ältesten Pilgerbruderschafts-buches von Matthias, Trier, zwischen 1150 und 1250, in: Archiv für Mittelrhein. Kirchengeschichte, 7. Jg., 1955. Seite 237.

  3. Schug, Peter. Geschichte der zum ehemaligen kölnischen Ahrgaudekanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau. Ahrweiler und Remagen, Trier 1952, Seiten 424 ff. und S. 473 ff.

  4. Kleinpass, Hans, Beiträge zur Geschichte Sinzigs und seiner Stadtteile 1815-1969, in: Haffke/Koll Sinzig und seine Stadtteile. Sinzig 1983 Seite 302

  5. wie 3)

  6. Clemen, Paul: Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Kreis Ahr-weiler, Seite 628

  7. Schmalz, Heinz, Zur Geschichte von Westum. in: Haffke/Koll Sinzig und seine Stadtteile, Sinzig 1983. Seite 642

  8. wie 2) Seite 252

  9. Schmalz, Heinz. Bräuche in Westum, Band l. Sinzig 1978. Seile 89, Manuskript im Kreisarchiv Ahrweiler

  10. Bruchhäuser, Karl, Heimatbuch der Stadt Sinzig. Sinzig 1953. Seite 142

  11. wie 3) verschiedene Orte

  12. wie 10) Seite 237

  13. wie 6) Seite 631

  14. wie 10) Serie 142

  15. Schmalz. Heinz, Alte Bauernregel, Serie in der Sinziger Zeitung, über das ganze Jahr 1987