Aus dem Partnerkreis Artern:

Der Kyffhäuser - Zeichen deutscher Einheitsbestrebungen

Dr. Heike Riedel

Die Schönheit der Natur und die Geschichts-trächtigkeit des Kyffhäuser machen einen Besuch des südöstlich vor dem Harz in Thüringen gelegenen Höhenzuges zu einem besonderen Erlebnis. Für den Besucher aus dem Tal der Goldenen Aue kommend erhebt sich eindrucksvoll das steile Massiv des kleinen Kyffhäusergebirges, auf dem weit sichtbar ein wuchtiges Denkmal thront, für das vor 100 Jahren der Grundstein gelegt wurde. Im Mai 1992 bot das Kaiser-Wilhelm-Denkmal Grund und Kulisse für ein großes Volksfest, dessen prominentester Gast Otto Graf Lambsdorff war. Eine Ausstellung zur Baugeschichte des Denkmals wurde

eröffnet, zu Kinderfest mit Feldküche und Disco hatte der Kyffhäuserbund eingeladen, Chöre und Tanzgruppen umschrieben Sage und Geschichte. Ein ökumenischer Gottesdienst fand statt, verschiedenartige Gesprächsrunden führten die Menschen um den Kyffhäuser zusammen.

Barbarossa und Kaiser Wilhelm vereint

Hunderttausende besuchen jährlich den Kyffhäuser, derseit nahezu tausend Jahren mit den wechselvollen und oft opferreichen Bemühungen um die staatliche Einigung Deutschlands verbunden ist, und vor allem das Denkmal. 1892 bis 1896 wurde nach einem Entwurf von Bruno Schmitz, derauch das Denkmal am Deutschen Eck in Koblenz entwarf, inmitten der ausgedehnten, in Trümmern liegenden einstigen Reichsburg Kyffhausen das Turm-Monument zu Ehren Kaiser Wilhelms l. errichtet. 81 Meter hoch, 96 Meter breit und 131 Meter tief erhebt es sich aus den Ruinen der staufischen Oberburg. Der massige Turm aus Rotsandstein wird von der erdachten wilhelminischen Kaiserkrone gekrönt. Von seiner Schauseite, die nach Osten gerichtet ist, präsentiert sich das Kaisermal mit seinem vollständigen Programm. Am Fuße des Burgfrieds reitet nach einem Entwurf des Bildhauers Erich Hundrieserderaus mans-feldischem Kupfer gegossene, 9 Meter hohe Wilhelm l. auf seinem Schlachtroß für Deutschland aus dem Turm in die Weite des Raumes. Den Souveränität ausdrückenden deutschen Kaiser geleiten zwei allegorische Figuren, die Krieg und Geschichte versinnbildlichen.

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Zum sagenhaften Märchenbild verklärt: Kaiser Friedrich l. Barbarossa

Darunter erwacht in einem Felsenhof zwischen der ersten und zweiten Terrasse des dreigeschossigen Plateaus in einer Nische Barbarossa aus seinem Schlaf. Zu seinen Füßen kann man entsprechend der Sage den noch in tiefem Schlaf versunkenen Hofstaat erkennen.

In der Denkmalpflege präsentiert sich seit 1969 das fünfteilige Bronzerelief „Kyffhäuser" des Hallenser Bildhauers Martin Wetzel, das die wechselvolle Geschichte des Kyffhäuser zum Gegenstand hat. Auch die Nachfolger der Kriegervereine, mit deren Finanzen (letztlich 1,5 Millionen Reichsmark) das Denkmal errichtet werden konnte und die sich vor seinem Hintergrund zum „Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landeskriegerverbände" (heute Kyffhäuserbund e.V.) vereinigten, manifestieren mit ihren Schleifen und Fahnen in dem Raum ihr aktuelles Traditionsverständnis.

„Und wenn die alten Raben noch fliegen immerdar..."

Daß der Name Barbarossas mit dem Kyffhäuser auf das engste verbunden ist, hat seinen Grund nicht so sehr in den Aufenthalten des Kaisers in der Pfalz Tilleda am Fuße des Gebirges oder in Nordhausen und Wallhausen, sondern vor allem in der Sage: Kaiser Friedrich l. von Hohenstaufen Barbarossa, schläft tief im Inneren des an Höhlen reichen Kyffhäusergebirges. Sein roter Bar ist bereits durch den „marmelsteineren" Tisch bis auf seine Füße gewachsen. Alle hundert Jahre erwacht er und fragt einen Zwerg, ob noch die Raben um den Berg fliegen. Tun sie das, muß er weitere hundert Jahre schlafen. Erst wenn die Raben nicht mehr fliegen, wird der Kaiser wiederkommen und dem Volk Frieden bringen.

Die Ursprünge dieser Sage lassen sich weit zurückverfolgen. Zunächst war sie nicht auf Friedrich Barbarossa, sondern auf dessen Enkel Friedrich II. bezogen. Dieser war 1250, im besten Mannesalter, plötzlich im fernen Apuli-en, im Königreich Sizilien, an Ruhr gestorben. Als die Nachricht von seinem Tod nach Deutschland drang, gab es viele, die sie nicht glauben wollten. Von ihm, der schon zu Lebzeiten im Mittelpunkt von Mythen und Prophezeihungen gestanden hatte, hieß es nun, er sei gar nicht gestorben, sondern habesich nur vordem Papst und dessen Anhängern verborgen, um das Reich dereinst aus größter Machtlosigkeit zu Frieden und Ordnung zurückzuführen. Erziehe im Reich umher und zeige sich auf seinen alten Burgen. Es ist bezeichnend, daß diese im 13. Jahrhundert entstandene Sage bald mit dem Kyffhäuser verbunden wurde. Sie blieb damit - nach dem Untergang der Staufenherrschaft, in den Zeiten des Verfalls der „Reichsherrlichkeit" - als Ausdruck für die Sehnsucht nach Erneuerung kaum zufällig in seiner Gegend lebendig, die als ein besonders fruchtbares und ertragreiches Gebiet in viele kleine, stets umkam ifte Territorien zerfallen war. Das Verlangen nach Frieden und nach Befreiung von grundherrlicher Bedrückung mußte dort, auf dem Boden des einstigen Reichsgutes, besonders stark ausgeprägt sein.

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Mitten in der romanischen Oberburg des Kyffhäuserberges das 81 m hohe Denkmal
aus Rotsandstein

Im 16. Jahrhundert stellte man sich den Kaiser dann nicht mehr zwischen seinen Besitzungen umherziehend, sondern schlafend im Inneren des Kyffhäusergebirges vor. Gleichzeitig trat an die Stelle Friedrich II. der so viel volkstümlichere Friedrich l. Barbarossa, was ein 1519 erschienenes „Volksbüchlein von Kaiser Friedrich" erstmals belegt. Parallelen im persönlichen Schicksal und der historischen Leistung ermöglichten es, beide Herrscher mit der Sage zu identifizieren. Die unerschütterliche Hoffnung des Volkes auf die Wiederkehr des Kaisers war auch nach der Niederlage der aufständischen Bauern 1525 bei Frankenhausen noch lebendig, wie es Flugschriften aus dieser Zeit belegen. Die universale Reichsidee und die imperiale Herrschaft der staufischen Kaiser fanden im bewegten 19. Jahrhundert breite Bewunderung. Politisch wirksam wurde diese Verherrlichung während der Welle der nationalen Begeisterung zur Zeit der Unabhängigkeitskriege gegen die napoleonische Fremdherrschaft, in der die Sehnsucht nach nationaler Einheit wuchs. Besonders studentische Burschenschaften trugen sie weiter und gaben ihr Ziel und Kraft.

Symbol preußischen Herrschaftsdenkens

Der Traum von einem geeinten mächtigen Deutschland nahm mit der Reichsgründung von 1871 Gestaltan. Enthusiastisch wurde Wilhelm l. als die „herrlichste Erfüllung der Kaisertage" gefeiert. In ihm, dem „Barbablanca", war der eigentlich Erbe und Erlöser Barbarossas entstanden: Der Weißbart auf des Rotbarts Throne!" Häufig findet man die typologische Gegenüberstellung Wilhelm l. und Barbarossas in der offiziellen Kunst nach der Reichsgründung. So überrascht es auch nicht, daß die Ruinen der alten Reichsburg Kyffhausen während des 19. Jahrhunderts wiederholt zum Schauplatz politischer Kundgebungen wurden, und daß im Zu-.sammenhang mit der Errichtung des neuen Kaiserreiches erwogen wurde, an diesem Platz zum dauernden Gedenken an die Erfüllung der Sagenprophezeihung ein monumentales Zeichen zu setzen. Die Skulpturen Wilhelm l. und Kaiser Barbarossas fanden auf dem Kyffhäuser also nicht zufällig am gleichen Denkmal ihren Platz. Das Kaiserreich der Hohenzollern begriff sich in der direkten Traditionslinie der staufischen Herrscher.

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Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelm l. mit der Figur der „bewunderten Geschichte"

Bereits drei Tage nach dem Tode Kaiser Wilhelms am 9. März 1888 unterbreitete der Schriftführerdes Deutschen Kriegerbundes, Geheimrat Prof. Alfred Westphal, den Vorschlag, dem deutschen Kaiser ein Monument zu errichten. Die Standortentscheidung fiel dann für den Kyffhäuser - auch Goslar hatte sich beworben. Schon im August 1890 begann die Bad Frankenhäuser Baufirma Karl Reichenbach mit ersten Vorbereitungen. 40 Arbeiter rodeten am Berghang und brachen Steine. Später waren dann bis zu 400 Maurer, Zimmerleute, Stein-metze und Handlanger auf der Baustelle beschäftigt.

Am 10. Mai 1892, dem Jahrestag des Frankfurter Vertrages von 1871, feierten 6.000 Vertreter der deutschen Kriegervereine die Grundsteinlegung für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Trotz einiger, vor allem finanzieller Schwierigkeiten erfolgte schon nach vier Jahren Bauzeit die Einweihung am 18. Juni 1896 im Beisein des Kaisers Wilhelm II. Die letzten Bauarbeiten fanden im Herbst 1897 ihren Abschluß. Seither reißt der Strom der Besucher nicht mehr ab.

Blick auf Gegenwart und Zukunft

Seit der Grenzöffnung sind es vor allem Gäste aus den alten Bundesländern, die in dem Denkmal wieder das Symbol der Einheit Deutschlands zu entdecken suchen. Die Zahl der ostdeutschen Besucher ist spürbar zurückgegangen, weil sich die Welt für sie geöffnet hat und

sie zur Zeit oft andere Gedanken und Geldnot für kulturelle Zwecke plagen. Es ist zu wünschen, daß sich der Gedanke verwirklicht, den Kyffhäuser mit seinen Zeitzeugen als einzigartiges großräumiges Museum zu gestalten, an dem anschauliche Anregungen zum Geschichts-verständnis gegeben werden. Auf einen jungen russischen Offizier, der nach 1945 die Sprengung von Teilen des Denkmals verhindert hat, gehen die Worte zurück: „Ihr Deutschen müßt endlich lernen, mit eurer Geschichte und euren Denkmälern zu leben." Lernen wir an solchen Stätten erst einmal unsere Geschichte kennen.

Zur Vorbereitung der Feierlichkeiten aus Anlaß der Grundsteinlegung vor 100 Jahren haben der Kyffhäuserbund und die Kreisverwaltung Artern Schritte zur Sanierung des Denkmals eingeleitet. Die thüringische Regierung wird dazu Unterstützung leisten. Auf etwa 32 Millionen Mark werden die Kosten dafür veranschlagt. Im vergangenen Jahr wurde bereits mit einem Aufwand von 381.000 Mark aus dem Landeshaushalt die südliche Stützmauer der Ringterrasse von 96 Metern saniert. Als nächstes sind die nördliche Stützmauer dran und der einsturzgefährdete Bergfried der Oberburg.