Die Pickelsgasse in Adenau im 17. Jahrhundert

Dr. Martin Persch

Im Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler1)) und auch anderwärts2) wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Teil der durch die Stadt Adenau führenden Bundesstraße 257, nämlich die im Volksmund so genannte Pickelsgasse3)) ihren Namen nach dem Architekten der eingangs dieser Gase gelegenen, in den Jahren 1893 bis 1895 erbauten Marienkapelle4) trage. Der Architekt heißt Clemens Caspar Pickel, von daher gesehen hätte eine solche Vermutung schon etwas für sich. Allerdings müßte die Bezeichnung Pickelsgasse dann eher jungen Ursprungs sein, denn der Düsseldorfer Architekt Pickel lebte von 1847 bis zum Jahre 19395), wobei davon auszugehen wäre, daß sich die genannte Bezeichnung sinnvoller Weise frühestens um das Jahr 1894 durchgesetzt hat. Tatsächlich aber erscheint der Name Pickelsgasse nach Peter Neu schon 1599 in einer Akte des Adenauer Pfarrarchivs, 1654 und 1660 in Schriftgut des Koblenzer Landeshauptarchivs6), und seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts taucht der Name, wie wir in der Folge nachweisen werden, in den katholischen Kirchenbüchern Adenaus sehr häufig auf. Anschließend an diesen Nachweis werden wir einige Deutungen des Namens der Gasse vorstellen.

Wenden wir uns nun den im Trierer Bistumsarchiv befindlichen ältesten Kirchenbüchern von Adenau zu. Wir haben die gesamten Taufeinträge in den Kirchenbüchern von Beginn an, d. h. vom Jahre 1628 bis zum Jahre 1699, gesichtet. Heirats- und Sterbematrikel aus dieser Zeit fehlen bzw. haben sich nicht erhalten. Im Kirchenbuch Nr. 1, das von 1628 bis 1667 reicht, erscheint die Pickelsgasse nur einmal: am 4. Oktober 1663 wird eine Eva Schlosser geboren; die Taufpaten sind „Wilhelm Lohr in der Pickelsgaßen" und Eva, Ehefrau von Meister Jonen Peters „auff dem Graben". Sonst erscheint im gesamten Zeitraum die Pickelsgasse nicht. Allerdings sind die Ortsbezeichnungen sonst recht zahlreich. Man findet: im Dorff, auf dem Hoffen und in den Hoffen (Hoff, Hoven); Mittelbar; Mittelbach; auf dem Teigh7); in der Wimbachs Gassen8); in der Gassen9); auf dem Marck10).

Das Zweitälteste Taufbuch von Adenau (Nr. 1 a) umfaßt die Taufen von 1668 bis 1705. Bis zum Jahre 1699 wurde es genau durchgesehen. Von 1668 bis 1671 einschließlich erscheint unsere Gasse lediglich einmal: am 24. Februar 1669 wird Agnes Arent getauft; Taufpate ist Johann Schreiner „in der Pickelsgassen". In diesem Adenauer Taufbuch erscheinen neben der Pickelsgasse und den soeben genannten Straßenbezeichnungen nun noch folgende neue: in der Lächert; auf dem Pferds Marck; auf der Trappen (Treppen); am Creutz11); in der Laufen oder unter den Läuffen12); in der Kohlengasse (Collengassen)13).

Plötzlich, mit dem Jahre 1672, wird die Pickelsgasse dann häufiger im Kirchenbuch erwähnt. Wir zählen von 1672 bis 1699 insgesamt 595 Taufen von Adenauern; der Name Pickelsgasse fällt dabei über 70mal. Bei 23 Taufen handelt es sich um Eltern in der Gasse, die ihre Kinder taufen ließen, und bei 50 Taufen stammen darüber hinaus ein oder zwei der Taufpaten aus unserer Gasse.

Da der Zeitraum eine gesamte Generation umfaßt, kann man sich in etwa vorstellen, wie hoch die Zahl der Anwohner war. Es folgt deshalb eine alphabetische Zusammenstellung aller Personen bzw. Familien, die zu dieser Zeit in der Pickelsgasse wohnten. Es sind:
Ackermann, Johann, von Beruf Schuster, im Zeitraum von 1686 bis 1697 nachgewiesen, zusammen mit Ehefrau Anna Maria Seuter und den Kindern Johann Jakob, Eva, Anton und Anna Margarethe.
Arents, Johann (1674) zusammen mit Sohn Johann Jakob.
Faßbender, Peter (ab 1672; + vor 1688) mit Ehefrau Eva und den Kindern Johann, Konrad und Gertrud.
Franck, Johann Jakob (ab 1677; + vor 1692) mit Ehefrau Maria Leman und Tochter Anna Maria. Hatzen, Adam (1672) mit Tochter Maria. Koll, Johann (1692) mit Sohn Michael. Lemann, Johann (ab 1675; + vor 1679) mit Kindern Johann, Maria und Anna Maria. Lohr, Wilhelm (1663).
Lohr, Johann (1676) mit Ehefrau Anna Maria. Minwegen, Johann (1688 bis 1690) mit Ehefrau Maria und Sohn Lorenz. Muller, Nikolaus (1697) mit Tochter Maria. Pauli, Bartholomäus (1686 bis 1694) mit Ehefrau Agnes Schmits (1694 als Witwe des Bartholomäus Pauli bezeichnet) und Sohn Johann Heinrich.
Reifferscheidt, Johann (1683) mit Ehefrau Margarethe Fucks.
Seuter, Konrad (1673 bis 1698) mit Ehefrau Maria und den Kindern Katharina und Johann Stephan.
Seuter, Gertrud (1687), Tochter von Anton Seuter.
Schlosser, Michael (1672) mit Ehefrau Eva. Schlosser, Lorenz (1687 bis 1695) mit der Ehefrau Anna und den Kindern Johann Wilhelm, Gertrud und Johann Konrad.
Schmits, Anton (1672 bis 1679) mit den Töchtern Apollonia und Agnes. Schmitz, Johann (1696) mit Sohn Johann. Schneider, N.N. (ab 1681; + vor 1688) mit Ehefrau Eva und Tochter Gertrud. Schoemackers, Peter (1679) mit Sohn Konrad. Schoemackers, Johann (1687). Schon, Peter (1688) mit Tochter Eva. Schreiner, Johann (1669 bis 1680) mit den Kindern Anton und Gertrud. Theißen, Anton (1684) mit Ehefrau Apollonia. Thomas, Adam (1692) mit Tochter Katharina. Weber, Heinrich (1687). Weber, Gertrud (1688). Weber, Maria (1692).
Zimmer, Johann (1699) mit Sohn Jakob.

Im gesamten beobachteten Zeitabschnitt erscheint der Name Pickelsgasse in genau der gleichen Schreibweise. Es gibt nur eine Ausnahme: am 5. Juni 1691 wird einmal geschrieben „in der Pickeisen". Demnach ist der Name der Gasse in der Mitte des 17. Jahrhunderts bereits ein festgeprägter, feststehender, mit Sicherheit schon recht alter gewesen. Aus dem Aufgezeigten wird deutlich, daß die Pickelsgasse sich ab etwa 1672 zu einer der bewohnteren Gegenden Adenaus entwickelt haben dürfte. Leider kennen wir außer Johann Ackermanns Berufs keine Berufsbezeichnung eines anderen Anwohners und wissen deshalb nicht, welchem Gewerbe die Bewohner der Gasse nachgegangen sind.

Eine vornehme Gegend war die Gasse sicherlich nicht, aber auch keine übelbeleumdete. Denn immerhin finden wir mit Johann Lohr im Jahre 1676 einen Mann vor, der als consul (hier wohl mit Ratsherr zu übersetzen) bezeichnet wird. Johann Ackermann wird 1691,1692,1695 und 1697 als Schuster bezeichnet, zählte in Anbetracht der Umstände also auch zu den angesehenen Mitbürgern der Stadt. Konrad Seuter wird 1692 als scabinus (= Schöffe) genannt.

Es wohnten also durchaus angesehene Leute in der Pickelsgasse, ganz abgesehen davon, daß das Taufpatenamt schließlich nicht jemandem mit einem üblen Leumund übertragen worden sein dürfte. Taufpaten bei den Kindern der angesehensten Bürger der Stadt, wie etwa des Bürgermeisters oder des Gutsbesitzerszur Mühlen, sind die Anwohner der Pickelsgasse zu diesen Zeiten aber auch nicht gewesen.

Viel schwieriger als der Nachweis, daß die Pickelsgasse eine alte Straßenbezeichnung ist und nichts mit dem Architekten Pickel zu tun hat, ist die Deutung ihres Namens selbst. Der verdiente Adenauer Heimatforscher Peter Löhr hat sich unseres Wissens bisher als erster und einziger mit dem Problem auseinandergesetzt und sich eindeutig für eine der Möglichkeiten, die die großen etymologischen Lexika der deutschen Sprache zum Begriff „Pickel" bieten14), entschieden. Er deutet den Namen in Anlehnung an das in den Jahren 1941 bis 1944 bearbeitete Rheinische Wörterbuch als das Spielen der Kinder mit Peckeln, aisoden Gelenkknochen von Schafen und Ziegen, auf den Treppen unserer Gasse15). Man muß aber bei dieser Erklärung berücksichtigen, daß das Rheinische Wörterbuch die meisten seiner Erklärungsversuche durch mündliche Umfragen zu Beginn dieses Jahrhunderts zusammengetragen hat. Das bedeutet, daß weithin der bekannte Sinn dessen publiziert wurde, was im ausgehenden 19. Jahrhundert bei den Leuten in der Umgangssprache (noch) verbreitet war und was sie - zu diesem Zeitpunkt - nach dem Wortsinn noch erklären konnten.

Vor allem aber hat sich erwiesen, daß der Name „Pickel" über ein Jahrhundert nach der Ersterwähnung 1599 derart eindeutig gebraucht wird, daß er keineswegs mit „Peckeln" verwechselt wurde. Es gibt kaum eine andere Straßen- oder Gemarkungs- oder Viertelsbezeichnung in Adenau, deren Name im 17. Jahrhundert schon so eindeutig fest und unverändert geprägt ist wie der der Pickelsgasse.

Von daher liegt es nahe, bei dem Begriff „Pickel" zu verbleiben. Nach den großen etymologischen Wörterbüchern kommen folgende Deutungen, die wir hier zum Abschluß unserer kleinen Darstellung mangels neuer Quellen lediglich unkommentiert nennen wollen, in Frage:

- eine Gasse, in der sich eine Gerberei befand

- eine kleine Gasse16)

- eine staubige, steinige, auch schmutzige Gasse

- eine Gasse, in der gepökelt wurde

- eine Gasse, die man in einem etwas verächtlichen Sinne nennt.

Es bleibt weiteren Forschungen vorbehalten, Licht in dieses vorläufig noch dunkle Kapitel der Namensdeutung zu bringen. In der heutigen Pickelsgasse befindet sich keine Gerberei, seit der Straßenverbreiterung ist sie nicht mehr eng (auch wenn sie nicht größer geworden ist), staubig, steinig oder schmutzig ist sie gewiß nicht und gepökelt wird wahrscheinlich in den Haushalten auch nicht mehr. Und schließlich werden es sich die heutigen Anwohner mit Recht verbitten, daß ihre Pickelsgasse in verächtlicher Weise heruntergemacht wird, erst recht dann, wenn sie wissen - und das war der Sinn des vorliegenden Beitrages -, daß sie in einer der (an der Namensgebung gemessen) ältesten Straßen Adenaus wohnen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Karlheinz Korden, „Als der Streß noch nicht erfunden war'" Ein beschaulicher Rundgang durch das alte Adenau, in: Heimat-Jahrbuch des Kreises Ahrweiler 48 (1991) 129-130. 130.

  2. Vgl Karlheinz Korden, Als der Streß noch nicht erfunden war. In: Die Eifel. Zeitschrift des Eifelvereins 79 (1984) 343-344. 344. auch abgedruckt in: Adenauer Wochenspiegel Nr. 47,1991 S. 8 - Vgl. auch Gesammelte Beiträge zur Geschichte von Adenau, Aufgezeichnet von Maria Lehmann, geb Schneider, hrsg. von Nachkommen der Familie Lehmann, Adenau 1982. 110,

  3. Es handeil sich dabei um den Teil der Adenauer Hauptstraße vom Haus Rösch bis zur Post. ein Stück Straße von ca. 100 m Länge,

  4. Vgl. dazu die ungedruckte Bonner Magisterarbeit von Christiane Vieten, Die Mahenkapelle von Caspar Clemens Pickel in Adenau. Bau und Ausstattung. Bonn 1987. seit 1990 u d. gleichen Titel als eigenständige und erweiterte Publikation vorliegend, Vgl, auch Dies,.Die Neugotische Manenkapelle in Adenau von Caspar Clemens Pickel, in: Heimatfest der Stadt Adenau 1987, Adenau 1987. 11-27 Zum Vorgängerbau vgl. Hans-Josef Rollmann Die alte Kapelle zur schmerzharten Mutter Maria in der Pickelsgasse zu Adenau. in: Heimatfest der Stadt Adenau 1986, Adenau 1986. 46-51.

  5. Vgl zu Person und Werk Horst Schnitges Die Kirchenbauten des Caspar Clemens Pickel, München 1971, sowie ergänzend Udo Liessem, Kunsigeschlchtliche Beschreibung und Würdigung der Weißenthurmer Sankt-Trinitatis-Pfarrkirche. in: 100 Jahre Pfarrgemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Weißenthurm/Rhein, Weißenthurm 1972, 72-110. hier: 88 f. und 108.

  6. Peter Neu. Adenau (-Rheinischer Städteatlas Nr.42), Bonn 1985, 2 Auf eine Auswertung der in der Folge vorgestetiten Adenauer Kirchenbücher hat Neu offenbar verzichtet, so daß wir hier auch einige Straßennamen mit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung nachweisen können.

  7. Diese Bezeichnungen nicht bei Neu (s Anm 6)

  8. Nach Neu (wie Anm 6) seit 1597

  9. Nach Neu a.a 0. seit 1583

  10. Nach Neu a.a.O. seil 1654.

  11. Diese Bezeichnungen nicht bei Neu (s. Anm. 6)

  12. Nach Neu a.a.O. seit 1654.

  13. Nach Neu a.a.O. seit 1660.

  14. Es handelt sich dabei um folgende: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm VII Leipzig 1889. 1338 f.; Rheinisches Wörterbuch, bearb. und hrsg. von Joseph Müller VI, Berlin 1944 808-816: Trubners Deutsches Wörterbuch, hrsg. von Walther Milzka V Berlin 1954. 122-125; Friedrich Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 19 Auflage, bearb, von Walther Mitzka. Berlin 1963. 549.

  15. Vgl. Peter Löhr Pick-Peck-Peckelsjass. in: Heimatfest der Stadt Adenau 1988. Adenau 1988. 43-44

  16. Vom italienischen piccolo = klein. Vgl. auch oben Anm. 3.