Die Laacher Klosterchronik berichtet über Erdbeben

P. Dr. Emmanuel v. Severus OSB

Als im April 1992 Städte und Ortschaften im Rheintal und im angrenzenden Eifelvorland in zwei aufeinanderfolgenden Nächten von einem starken Erdbeben und einem schwächeren Nachbeben heimgesucht wurden, merkte die Tagespresse an, daß ein Erdbeben von ähnlicherlicher Stärke zuletzt im Jahre 1756 verspürt worden sei.

So lag es nahe, in den uns bekannten Annalen und Chroniken der Abtei Laach nachzublättern, um, wenn eben möglich, Nachrichten über das Erdbeben von 1756 auszumachen. Solche fanden sich tatsächlich in einer Quelle, die erst vor 50 Jahren entdeckt wurde und deren Geschichte ohne Übertreibung als abenteuerlich bezeichnet werden darf.1)

Es handelt sich um die Chronik eines mit Namen nicht bekannten Verfassers, der die zwischen dem Werk des Laacher Annalisten Johannes Schöffer2) und dem Annalenwerk des Laacher Mönches Gerhard Güssenhoven3) bestehende Lücke, die den Zeitraum von 1636 bis 1759 umfaßt,4) ausfüllt. P. Paulus Volk, der bedeutende Laacher Ordenshistoriker und Spezialist in der Erforschung der Bursfelder Reformbewegung, hat sich der Mühe unterzogen, die bis 1943 von der Wissenschaft übersehene Chronik, die von der Universitätsbibliothek Bonn 1889 erworben wurde und von ihr unter der Signatur S 1019 aufbewahrt wird, in „nahezu wörtlicher Übersetzung als Jubiläumsgabe zum 850jährigen Gründungsjubiläum der Abtei 1943 bekannt zu machen"5). Unser kleiner Beitrag stellt daher selbst eine kleine Jubiläumsgabe zu seiner Veröffentlichung dar.6)

Nach einem unter den Ordenshistorikern allgemein anerkannten Leitsatz ist die Geschichte eines Klosters im Benediktinertum zunächst die Geschichte seiner Äbte. So hat auch der Verfasser unserer Chronik seinen Bericht nach den Äbten des von ihm behandelten Zeitraums gegliedert. Die erste Nachricht über ein Erdbeben steht im Abschnitt über die Amtszeit des 33. Abtes Placidus Kessenich (1662-1698)7): „Der 18. September 1692 brachte zwei sehr heftige Erdbeben, das erste zwischen 2 und 3 Uhrfrüh, das zweite gegen 4 Uhr nachmittags. Am 20. September folgte noch ein drittes, recht schweres Beben."

Dem Annalencharakter entsprechend begnügt unser Chronist sich mit Angabe der Tagesdaten und Stunden. Man darf daraus aber schließen, daß die Beben vom 18. September 1692 keine größeren Schäden an Gebäuden und Besitz hervorgerufen haben, sonst wären sie wenigstens in annalistischer Kürze erwähnt worden.

Die zweite Nachricht über ein Beben deckt sich mit den Hinweisen der Tagespresse vom April 1992 auf das Jahr 1756. Hier vermerkt es unser Chronist aus der Amtszeit des 37. Abtes Bene-dikt von der Eidt (1731-1755)8) und seines 2. Nachfolgers Heinrich Artz (1756-1766)9) und zeigt sich gut unterrichtet. Er weist auf „die schweren Erdbeben [hin], die im vergangenen Jahre und in diesem Jahre fast die ganze Erde erschütterten und weit häufiger und allgemeiner waren als sonst. Am 1. November 1755 wurde die ganze Stadt Lissabon völlig zerstört, 30.000 Menschen wurden unter den Trümmern begraben. Gegen Mitternacht des 27. Dezember 1755 wurden in Laach und der ganzen Umgebung zwei schwere Erdbeben bemerkt, und am 18. Februar 1756 nach 8 Uhr morgens wurde man durch ein heftiges Beben erschreckt, das auch in Portugal und anderen Gegenden wahrgenommen wurde. Am 20. Februar morgens, in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni gegen 2 Uhr war das Erdbeben so stark, daß die Gebäude zum größten Schrecken der Bewohner innen und außen schwankten. Das Beben war von lang anhaltender Dauer. In Europa, auch in Afrika und Amerika waren die Beben spürbar."10)'

Gemessen an den Möglichkeiten, die von der Wissenschaft unserer Zeit für die Voraussage von Erdbeben, ihre Stärkemessung und Schadensbekämpfung entwickelt worden sind, klingen die Bemerkungen unseres Annalisten nicht nur sehr einfach, sondern fast naiv. Immerhin verraten sie eine Kenntnis der damals bekannten Welt und der bewohnten Erde. die über den begrenzten Horizont des Laacher Talkessels weit hinausgeht. Dem annalistischen Stil des Chronisten entspricht es auch, daß erbauliche oder sogar sittenstrenge Predigertöne, wie wir solche von einem Mönch erwarten könnten, fehlen. Das heißt jedoch nicht, daß der alte Gebetsruf in der Allerheiligenlitanei der Kirche „a flagello terraemotus - von der Geißel des Erdbebens" erlöse uns, Herr! nicht auch oft von ihm in Bittprozessionen und in der Osternacht gebetet worden wäre."

Anmerkungen:

  1. S. Paulus Volk. Eine unbekannte Laacher Chronik,  in; AHVNR 142/43 (1943) 45-83

  2. Zu ihm und der verlorenen Hs seines Annalenwerkes s B.Resmini
    Die Benediktinerablei Laach. Germania Sacta. Neue Folge 31.7
    Berlin u. a. 1993. 88f

  3. Zu ihm s Resmini, Benediktinerabtei Laach 80f und 154f

  4. S. P Volk. unbekannte Laacher Chronik 45f

  5. Ebd 46

  6. 100 Jahre nach der Wiederbesiedlung von Maria Laach 1892 900 Jahre nach der Gründung Laachs 1093. 50 Jahre nach der Arbeit P Volks

  7. Über ihn und seine Familie s Volk, unbekannte Chronik 49ff und Resmini. Benediktinerabtei Laach 395ff

  8. Über ihn und seine Familie s. Vok. unbekannte Chronik 58ff und Resmini. Benediktmerabtei Laach 402ff Sein Nachfolger Franzis-kus Steinmann leitete die Abtei nur wenige Monate, vom 2.12.1 755 - 11.02 1756, s. Resmini, Benediktinerabtei Laach 403.

  9. Über ihn s. Volk unbekannte Chronik 73ff. Resmini. Benediktiner-Abtei Laach 405ff

  10. Vok, unbekannte Chronik 75 Zu den Zerstörungen am 1 11.1755 in Lissabon s. Brockhausenzyklopädie 13 (1990) 437.439f

  11. In den jetzt vorgelegten amtlichen Texte n der Allerheiligenlitanei ist diese Anrufung durch die allgemeinere „von Unwetter und Katastrophen erlöse uns" ersetzt. Das ist angesichts der vielen möglichen Katastrophen im Weltall verständlich.

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