Die Goldene Meile in geologischer Sicht

Dr. Bruno P. Kremer

Knapp 115 km mißt die Fließstrecke des Mittelrheins zwischen Bingen und Bonn durch das Rheinische Schiefergebirge. Ohne nennenswerte Ausbildung mäandrierender Flußschlingen hat sich der Strom in die mächtigen, über 350 Millionen Jahre alten Gesteinsfolgen aus der Devonzeit eingeschnitten und einen landschaftlich höchst eindrucksvollen Talzug geschaffen, der bemerkenswert geradlinig in ungefährnordwestlicher Richtung verläuft. Durchweg ragen die Schiefergebirgsflanken rechts und links der Talaue um deutlich mehr als 125 m auf - ein Beweis für die beträchtliche Erosionstätigkeit des fließenden Wassers, die es im wesentlichen während der letzten eine Million Jahre und somit im jüngsten Abschnitt der Erdgeschichte zuwegegebracht hat.

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Die Goldene Meile im System der Talweitungen des unteren Mittelrheingebietes.

Das Rheintal zwischen Bingen und Bonn ist dennoch kein einheitlicherTalzug. Die ungefähr rechteckig umgrenzte Mittelrheinische Gebirgs-bucht im Umkreis von Koblenz, welche die Mündungsbereiche bedeutender Rheinzuflüsse (Lahn, Mosel, Wied) aufnimmt, gliedert den gebirgsdurchschneidenden Mittelrhein in einen oberen (Fließstrecke Bingen - Lahnstein) und einen unteren (Fließstrecke Andernach - Bad Godesberg) Engtalabschnitt. Diese Beckenlandschaft, deren tiefsten Teil man auch Neuwieder Becken nennt, ist ein aktives Senkungsfeld. Sie verdankt ihre Entstehung der Tatsache, daß Teile des Schiefergebirges bereits vor rund 30 Millionen Jahren während der Tertiärzeit in einem eng gescharten Schollenmosaik allmählich einzubrechen begannen, weil Hub- und Schubkräfte die Erdkruste des betreffenden Raumes in Bewegung versetzten. In der Summe dieser Ereignisse, die sich vor rund einer halben Million Jahre nochmals verstärkten, erhielt die Mittelrheinlandschaft ein völlig neues Relief. Ungefähr gleichzeitig ereigneten sich auch im nordwestlichen Vorfeld der heutigen Mittelgebirgsflanke vergleichbare Geländeabsenkungen. Deren Ergebnis ist die fast 4000 krrr'große Niederrheinische Buchtzwischen dem Städtedreieck Aachen, Düsseldorf und Bonn. Sie zeichnet sich zudem in der Kartendarstellung des Rheinischen Schiefergebirges als auffälliges. ungefähr dreieckiges Fehlstück des nördlichen Mittelgebirgssaumes ab. Die Goldene Meile liegt geographisch ziemlich genau in der Mitte zwischen den Zentren der Mittelrheinischen Gebirgsbucht und der Niederrheinischen Tieflandbucht. Sie ist bei einer maximalen Breite um 2 km in der Höhe derAhrmündung so lang wie eine alte geographische Landmeile, nämlich 7,5 km. Ihr Name ist bereits aus dem Jahre 1628 belegt und geht wohl darauf zurück, daß der Landstrich zwischen Ahr und Rheinufer mit seinen nährstoffreichen Schwemm- und Auenböden schon immer eine recht fruchtbare Stromebene darstellt. Tatsächlich bestimmen bis heute neben den (zunehmenden) Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsinfrastrukturen die weitläufigen Ackerfluren und Grünlandparzellen das Erscheinungsbild der Goldenen Meile. Besonders eindrucksvoll ist sie als Raumeinheit der mittelrheinischen Landschaft zu erkennen, wenn man sie von Aussichtspunkten der gegenüberliegenden Rheinseite (Kaiserberg oberhalb Linz oder Erpeler Ley) überblickt. Nun sind gerade für das untere Mittelrheintal zwischen Ander-nach und Bonn unsymmetrische Verbreiterungen des Talbodens zu größeren Talweitungen auf halbmondförmigem Grundriß ausgesprochen charakteristisch. Die Talweitungen oder Talbuchten sind bezeichnenderweise regelhaft wechselständig, d.h. abwechselnd auf dem rechten und dem linken Rheinufer angeordnet. In einer solchen Talweitung verläuft einer der beiden Ufersäume jeweils unmittelbar vor dem Hangfuß der angrenzenden Schiefergebirgs-höhen und läßt hier meist so viel Raum, daß die strombegleitenden Verkehrswege Platz finden. Die linksrheinische Goldene Meile reiht sich in der Talbuchtenfolge der rechtsrheinisch gelegenen Stromebene von Rheinbrohl/Bad Hön-ningen sowie Erpel/Unkel ein. Sie fließt mit ihren nördlichen bzw. südlichen Zipfeln mit diesen zusammen und bildet damit den Mittelabschnitt einer langgestreckten Talbucht von insgesamt 16 km Länge - fast so lang wie die gesamte rheinseitige Grenze des Kreises Ahrweiler.

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Die Goldene Meile im Bereich der Ahrmündung mit Blick ins untere Ahrtal.

Im Vergleich zu den übrigen Talweitungen des unteren Mittelrheins ist die Goldene Meile nicht nur unverhältnismäßig lang, sondern auch auffällig breit. Ihre tatsächliche Flächenausdehnung läßt sich daher kaum nur mit einer Ausräumung durch die kraftvoll vereinigte Fließwassererosion von Ahr und Rhein erklären. Warum sollte denn gerade im Stromabschnitt von Bad Breisig und Remagen das anstehende Gestein, die verhältnismäßig harten Tonschiefer- und Grauwackenfolgen der Unterdevons, vergleichsweise anfälliger gegen Verwitterung und Abtragung sein als nur wenige Kilometer stromabwärts zwischen Unkelbach und Unkel, wo sich der Talquerschnitt des Rheins aut nur etwa 1000 m verengt? Hinzu kommt, daß die Ahr ein verhältnismäßig junger Zufluß des Mittelrheins ist, dessen Flußgeschichte vermutlich ebenfalls nicht ausreicht, die beträchtliche Erosionsleistung einer Talausräumung vom Ausmaß der Goldenen Meile zu erklären. Immerhin entwässerte die Ahr ursprünglich über die Talaue des heutigen Swistbaches zur Erft und leitete ihr Wasser dem Rhein somit erheblich weiter nordwestlich im Niederrheingebiet zu. Nahe bei Dernau ist in den ahrflankierenden Höhen der Querschnitt der ehemaligen Fließrinne noch deutlich erkennbar. Die sicherlich nicht zu bestreitende Abtragungsleistung des Rheins und seines Nebenflusses Ahr reichen also gewiß nicht aus, die Entstehung der Goldenen Meile in ihren bekannten Abmessungen zu erklären. Folglich müssen andere Kräfte in der Erdkruste an ihrer Entstehung mitgewirkt haben.

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Die Goldene Meile zwischen Kripp und Remagen.

Die Suche nach solchen Auslösern läßt erneut die geologisch noch jungen Senkungsfelder der Mittelrheinischen Gebirgsbucht um Koblenz und der Niederrheinischen Tieflandbucht in den Blick treten, die mit dem sogenannten Godesberger Rheintaltrichter fast in Sichtweite der Goldenen Meile endet. Wenn man sich auf einer genügend großmaßstäblichen Karte weiterhin die gesamträumliche Orientierung des Rheinlaufes anschaut und ihn mit einer geologischen Kartendarstellung vergleicht, fällt auf. daß dieser Strom, der als einziger von den Alpen zur Nordsee entwässert, entlang einer sehr weiträumigen Störung verläuft. Nicht nur Mittelrheinbekken und Niederrheinbucht sind Senkungsfelder, welche die Eintalung des Rheins vorbereitet oder erleichtert und damit seine Abflußrichtung festgelegt haben, sondern auch das gesamt, durchweg 40 km breite Grabensystem des Oberrheingebietes bis zur Schiefergebirgsschwelle zwischen Mainz und Bingen. Geologische Untersuchungen im Untergrund der Niederrheinischen Bucht und des daran anschließenden nordwestdeutschen Tieflandes haben zudem ergeben, daß sich die Störungen, welche rheinparallel den gesamten Mittelgebirgs-raum in südöstlich-nordwestlicher Richtung durchziehen, sogar noch weiter in das Nordseebecken verfolgen lassen. Auf diesen Störlinien, die das anstehende Gestein des Schiefergebirges offenbartiefgründig beanspruchten, konnte der Rhein seine eintalende und vor allem erstaunlich geradlinige Sägearbeit um so leichter zuwegebringen, obwohl er seinen Weg dabei senkrecht zu den von Südwest nach Nordost verlaufenden Faltenbündeln nehmen mußte, die eigentlich wie ein Sperriegel hätten wirken müssen. Lage, Ausdehnung und Ausrichtung der großen Talweitung zwischen Bad Breisig und Remagen lassen somit keinen Zweifel darüber aufkommen, daß auch die Goldene Meile ein Bestandteil des ausgedehnten rheinischen Stör- und Grabenbruchsystems ist. Mehr noch:

Alle Umstände sprechen sogar dafür, daß sie ein selbständiges Senkungsfeld, gleichsam eine kleinere Schwester der Koblenz-Neuwieder-Gebirgsbucht und der Niederrheinbucht ist. Leider sind zur Zeit an aussichtsreichen Stellen keine Aufschlüsse zugänglich, an denen man die gegenseitige Verwerfung ursprünglich zusammengehörender Schichtpakete direkt ablesen könnte. Für die Annahme, daß die Goldene Meile ein vom Gebirgsbau herrührendes (tekto-nisches) Senkungsfeld ist. gibt es noch ein weiteres geologisches Argument. Wenn in einem Raum die Erdkruste durch Bewegungsabläufe tiefgründig gestört wird. können entlang der dabei auftretenden Klüfte und Spalten glutflüssige Gesteinsschmelzen aufsteigen und sich oberflächennah den Weg mit mehr oder weniger heftigen vulkanischen Explosionen freisprengen. Entlang von Grabenbruchsystemen sollten daher gehäuft die vulkanischen Zeugnisse einer durchaus feurigen Vergangenheit der Landschaft auftreten.

Die Umschau im unteren Mittelrheingebiet bestätigt diese Erwartung in vollen Umfang. Wo die beiden Schenkel, welche die Niederrheinische Bucht spitzwinklig einfassen, zusammentreffen, türmt sich die eindrucksvolle Vulkanbastion des Siebengebirges an der Nordwestecke des Westerwaldes auf. Im östlichen und vor allem im nordwestlichen Vorfeld der Mittelrheinischen Gebirgsbucht ist die Landschaft durchsetzt mit Vulkanbergen und anderen Ausbruchsstellen - das sogenannte Osteifeler Vulkanfeld mit Zentrum im Laacher See-Gebiet ist eine der großartigsten Vulkanregionen Mitteleuropas. Flankierend und in enger räumlicher Nachbarschaft zur Goldenen Meile findet sich ebenfalls eine Anzahl von Zeugnissen des älteren (tertiärzeitlichen) und jüngeren (quartärzeitlichen) Mittelrheinvulkanismus: Auf rechtsrheinischem Gebiet sind es die eigenartig aufgereihten Basaltvulkane des unmittelbaren Uferbereichs (Erpeler Ley, Ockenfels. Kaiserberg, Dattenberg) oder die etwas zurückgesetzten, zum Teil landschaftsbeherrschenden Vulkanberge der zweiten ReihewieNaak. Nützenak. Minderbergoder Hummelsberg.

Linksrheinisch sind es die den unteren Talausgang der Ahr dominierende Landskrone, dazu aber auch Dungkopf oder Scheidskopf im Hinterland von Remagen sowie der einstmals so berühmte, heute weggesprengte Unkelstein, der ein Basaltriff bis auf die Stromsohie des Rheins bildete. Alle diese Basaltvorkommen gehören dem Zeitalter des Siebengebirgsvulkanismus und damit der älteren Ausbruchsphase rheinischer Vulkane an. Südwestlich von Sinzig ist jedoch ein kleiner Vulkanschlot gefunden worden, der ungefähr altersgleich ist mit dem Rod-derberg an der Nordostecke des Kreisgebietes und damit dem quartärzeitlichen Vulkanismus der weiteren Laacher See-Region zuzuordnen ist. Nicht zu vergessen als mittelbare vulkanische Zeugnisse sind die zahlreichen Kohlendioxid- und Thermalquellen des Mittelrheingebietes im gesamten Umfeld der Goldenen Meile, von denen etliche technisch genutzt werden. Sie sind der Beweis dafür, daß auf den Störungen des Untergrundes immer noch Gase und Flüssigkeiten zur Oberfläche aufsteigen können.

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Über fast 7 km Länge begleitet die Goldene Meile mit ihren besonders auffälligen Talterrassen das Kernstück des unteren Mittelrheins. 1 = ältere Talterrassen undSchiefergebirgsrahmen. 2 = höhere Niederterrasse. 3 = tiefere Niederterrasse und Hochflutbett. 4 - tertiärzeitliche Vulkanberge der Unzer Höhe (l/l/esterwald).

Die breite Stromebene erweist sich somit bei näherer Betrachtung als äußerst interessanter Raum, der für die geologische Forschung auch in Zukunft noch diverse Aufgaben bereithält. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, daß gerade die Goldene Meile immer noch ein geradezu klassisches Untersuchungsgebiet für die Unterscheidung, Ausgliederung und Benennung der komplexen Terassenstu-fenfolge vom heutigen Hochflutbett des Rheins bis zu den ältesten Andeutungen eines Rheintals auf der heutigen Höhenflur ist. Wie nirgendwo sonst im Mittelrheingebiet hat man hier nahezu sämtliche Schichtglieder auf verhältnismäßig engem und überschaubarem Raum zusammen.

Literatur:
E Bibus: Zur Relief-, Boden- und Sedimenlentwicklung am unteren Mittelrhein. Frankfurter geow. Arb. D1, 1 -295 (1980)

K. Heine: Das Mündungsgebiet der Ahr im Spät-Würm und Holozän Erdkunde 36. 1-12 (1982).

B,P. Kremer (Hrsg.): Naturführer Bonn und Umgebung. 256 S., Bonn 1993.

V. Lozek, V. Thoste: Eine spätglaziale Molluskenfauna aus dem Bereich der Niederlerrasse südlich von Köln. Decheniana 125. 55-61 (1974).

W Schirmer (Hrsg.) Rheingeschichte zwischen Mosel und Maas. Hannover 1990