Familien-Forum in Bad Neuenahr-Ahrweiler zeigte:

Familien brauchen eine starke Lobby!

Amim Franke

Mitunter drängte sich die Parallele zu der alles entscheidenden Frage auf: Wer war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Anders ausgedrückt:
Hatte im Wahljahr 1994, angesichts zahlreicher Veranstaltungen, die Politik die Familie entdeckt oder umgekehrt? Vielleicht stimmt beides. Denn: Jene, die Politik machen, kommen schließlich aus einer Familie, tragen sozusagen die familiäre Keimzelle in sich. So könnte logischerweise eine intakte Familie (was immer darunter verstanden wird), die ihren Politikermann oder ihre Politikerfrau in spe eines Tages in die Arena entläßt, letztendlich dieses schwierige Handwerk positiv beeinflussen - schließlich weiß man ja, woher man kommt...

Doch genug der Satire. Handgreifliches ist gefragt in puncto Familiensinn. Das gab es pur beim „Familien-Forum" in der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, im April des von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Jahres der Familie anno 1994.

Verantwortlich für das „Familienspektakel" vom frühen Vor- bis zum späten Nachmittag zeichneten in der Grundschule Bad Neuenahr sowie im Kindergarten des Blandine-Merten-Hauses die Familienbildungsstätte Bad Neuenahr-Ahrweiler, die Kreisverwaltung Ahrweiler, die Grundschule Bad Neuenahr, das Blandine-Merten-Haus sowie die Verbandsgemeinde- und Stadtjugendpfleger. Nicht zu vergessen zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Vereinen, Verbänden, Schulen und der Jugendarbeit.

Mutter, Vater, Kinder, Oma und Opa waren geladen, um sich entweder über gutes Spielzeug zu informieren oder in empfehlenswerte Kinder- und Jugendbücher zu schauen. Für Kinderbetreuung war rund um die Veranstal-tungs-Uhr gesorgt. Ein völlig neues Gefühl für die überwiegend jungen Mütter und Väter, denn gerade an der Beaufsichtigung der Kinder mangelt es häufig im familiären Alltag. Insbesondere dann, wenn Mutter und Vater eigene Interessen wahrnehmen wollen - und dies möglichst gemeinsam.

Wer über diese oder auch andere Probleme reden oder diskutieren wollte, fand Gelegenheit dazu. Beispielsweise bei der Frauenbeauftragten des Kreises Ahrweiler, Astrid Braun-Höller, die unter dem Motto „Kind - Karriere - Kompromiß" Gelegenheit bot, Vorurteile und Vorteile unterschiedlicher Lebensplanungen von Frauen öffentlich zu machen.

Daß sie „gemeinsam stark" sind (oder sein können), die „Kleinen und die Großen", demonstrierten Eltern und Kinder durch eine Reihe interessanter, selbst gestalteter Plakate, die in dem Raum hingen, wo anschließend das„Fami-lienforum" diskutierte zum Thema „Familien mischen mit, weil sie was zu sagen haben". Die Moderatoren dieser Runde, Astrid Braun-Höller und der JournalistArnim Franke, stellten schnell fest, daß zwischen dem Titel dieses Veranstaltungsteils und den Schilderungen der Gesprächsteilnehmer - überwiegend Frauen - eine beachtliche Lücke klaffte. Es gab eine Menge zu sagen, doch was das „Mitmischen" betrifft, da setzten die Diskutanten einige Fragezeichen. Um die Familienlobby sei es eben doch nicht so gut bestellt.

Es herrschte Einigkeit darin, daß sich die familienpolitischen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren zwar verbesserten, doch Defizite wurden ebenso ausgemacht. Beispiele: Fehlender Wohnraum und zu hohe Mieten, insbesondere für junge Familien, Arbeitslosigkeit, Kindergartenplätze. Gerade die anwesenden Frauen - in der Mehrzahl Mütter - klagten über ihre Benachteiligung in Beruf und Familie. Auf den Punkt gebracht hieß es: Wenn die Frauen unzufrieden sind und sich nicht gerecht behandelt fühlen, beeinflußt dies das gesamte Familienleben.

So stoße etwa der Wunsch nach einer Berufstätigkeit der Frau immer wieder an bekannte Grenzen: Der Ehemann oder Lebensgefährte zieht nicht mit, viele Arbeitgeber mauern, insbesondere bei den Frauen, die nach dem realisierten Kinderwunsch wieder einsteigen wollen, oder die kräftezehrende Doppelbelastung durch Kinder, Haushalt und Beruf.

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Bunte Plakatwand zum Familienforum

Eine neue Solidarität sei gefragt mit den Familien, zwischen den Ehepartnern, mit Alleinerziehenden - in erster Linie Frauen -, zwischen Eltern und Kindern. Kurz: Familien- und Frauenarbeit verdiene mehr Anerkennung, und zwar auf allen Ebenen. Die Gesprächsteilnehmer stimmten darin überein, daß dies alles nicht „von oben" verordnet werden könne, und der Staat nicht alles regeln könne und dürfe. Bereits ein positives gesellschaftliches Umfeld wirke ermutigend auf die Entwicklung der Familie, gerade auch mit Blick auf die Erziehung. Eine „erzieherische Verunsicherung" wurde festgestellt, was letztlich immer häufiger zur Delegation der Erziehung nach außen führe. Daraus abgeleitet wurde beispielsweise der Wunsch nach mehr Teilzeitarbeit, um wieder mehr Zeit für die Familie, insbesondere die Kinder zu finden.

Jenen Eltern, die in dieser komplizierten, schwer überschaubaren Welt mit einem Markt an aber-tausenden Möglichkeiten Erziehungsverantwortung übernehmen, ist Respekt zu zollen. Doch in dieser Zeit, wo die Gesellschaft den individuellen Erfolg zur obersten Maxime erklärt, wo traditionelle soziale Strukturen zur Bedeutungslosigkeit verkümmern, schrumpfen die Schonräume für intakte Familien. Die Individualisierungstendenzen in unserer Gesellschaft haben die Grenzen der Sozialverträglichkeit erreicht. Immer weniger lernen gerade die Kinder in den Familien, welche soziale Spielregeln gelten. Viele Eltern wissen nicht mehr, wie sie mit den eigenen Kindern umgehen sollen. Hilflosigkeit nistet sich ein, und oft wird Desinteresse an der Kindesentwicklung zum Problemlösungsmittef. Es fehlt die selbstverständliche Weitergabe von Traditionen. Die Familien sind kleiner und für Krisensituationen anfälliger. Vielfach geht die psychische Bindung zwischen Kindern und Eltern verloren.

Sich Zeit füreinander nehmen, diese Aufforderung stand letztlich hinter allen Aktivitäten, mit denen die Veranstalter dem „Familien-Forum" zum Erfolg verhalfen. Von dem Angebot, gemeinsam zu spielen, basteln, singen oder einfach nur fröhlich zu sein, machten die großen und kleinen Gäste aus allen Teilen des Ahrkreises regen Gebrauch. Ob „unter dem Regenbogen, an Bord der Arche Noah", beim Zauberer, der alle Tricks verriet oder im „Kinder-Zirkus Hortino" (90-Minuten-Zirkusprogramm mit Hortkindern), überall herrschte dichtes Gedränge und Frohsinn.

Reichlich Unterhaltung und Information, vor allem aber Gemeinschaftssinn prägten den Familientag in Bad Neuenahr-Ahrweiler - eine Veranstaltung, die dringend zur Nachahmung empfohlen wird.