Bäche - Adern unserer Landschaft

Christian Havenith

Wer kennt sie nicht, wer hat nicht schon einmal an ihnen gespielt?!
Als Junge wilde Rindenbootregatten ausgetragen oder heimlich mit seiner selbstgebastelten Angel Fische herausgeholt. Oder als Mädchen mit Binsen vom Bachufer Körbchen für Wald- und Brombeeren geflochten? Vielfältig sind die Erinnerungen an diese Bäche, genauso unterschiedlich wie all diese Bäche waren. Aber wenn man heute in die Bachtälchen entlang der Ahr oder auch in der Eifel geht, wo ist da der Zauber heimlicher Verstecke in der Natur geblieben? Verändert haben sie sich, die Bäche. Aus den heimlichen Quellsümpfen in den Wiesen sind gefaßte Dorfbrünnchen in den Neubaugebieten vieler Dörfer geworden. Sumpfige Wiesen, die damals immer von Fröschen und großen Ringelnattern bewohnt waren, sind mit einer Drainage versehen und trocken gelegt worden. Und der Bach selbst, hatte der früher nicht mal ein anderes Bett? War da hinten nicht ein Erlenwäldchen gewesen, wo man immer seine Büdchen bauen konnte? Jetzt fließt der Bach dort am Waldrand entlang, genau außerhalb der Felder. Was ist mit der Natur in einem halben Menschenalter geschehen?

Zu Beginn der fünfziger Jahre, unmittelbar nach dem Krieg, begann der Mensch die landwirtschaftlich genutzten Flächen intensiver zu bearbeiten. Er nutzte nicht nur die bereits vorhandenen Felder, sondern bemühte sich weiteres Ackerland dazu zu gewinnen, um die Ernährung im zerstörten Land sicherzustellen. Mit Hilfe von Mineraldünger und verbesserter Technik warfen sogar ehemalige Sumpfwiesen nennenswerte Erträge ab. In den Folgejahren war man in der Lage immer besser werdende Drainagen in den Boden zu legen, wodurch die Feuchtwiesen umgebrochen werden konnten. Anstelle von Binsen und Seggen wurden nun monotone Wirtschaftsgras-Mischungen eingesät. Erlenbestände, die zu nahe am Acker standen, wurden durch das Pflügen immer weiter an den Bachrand gedrängt und starben vielfach ab. Erlenjungwuchs konnte kaum aufkommen, da das Vieh die Bachkanten mit abweidete. Durch die Erschließung vieler solcher und ähnlicher Flächen wuchs die landwirtschaftliche Nutzfläche von 24.130 ha /1950 auf 31.335 ha /1979 an. Aber nicht nur die Landwirtschaft veränderte viele Bäche. Auch im forstlichen Bereich wandelte sich vieles. Mit dem Ziel, den kriegsgeschädigten Wald wiederherzustellen, begann man großflächig mit schnellwüchsigem Nadelholz aufzuforsten. Um die Flächen vollständig nutzen zu können, bepflanzte man sie bis an den Rand mit jungen Bäumen, vielfach bis unmittelbar an die Bachufer heran. Sumpfige Hangsickerquellen legte man frei und grub kleine Kanäle, damit das Wasser schneller ins Tal gelangen konnte. So wurde der Wasserspeicherraum Wald vielfach in seiner Funktion zum reinen Wirtschaftswald umgewandelt. Als Folge davon strömte das Frühjahrswasser immer schneller in die Tälchen ab, wo früher die großflächigen Feuchtwiesen Schmelzwasser speicherten und bis zum Sommer zurückhielten. Da die wilden Bachschleifen aber den Begradigungen vorheriger Flurbereinigungsmaßnahmen gewichen waren, schoß das Wasser immer schneller in Richtung des talabwärts liegenden Dorfes, wo sich jedes Jahr Unmengen von Steinen und Schlamm auf der Dorfstraße ablagerten. Die Dortbewohner versuchten nun ihrerseits durch Kanalisierung des wilden Baches das Wasser zum schnelleren Abfließen zu bewegen, wodurch sich die Schlammfracht weiter talabwärts in der Ahr ablagerte und hier denselben Effekt hervorrief. Diese Kettenreaktion ließ sich bis zum Rhein verfolgen, wo man die Jahrhunderthochwässer in den vergangenen Jahren beobachten konnte. Durch die starken Hochwasser werden aber nicht nur Dörfer und Städte zerstört, auch die Natur ist beeinträchtigt, da sie die Wassermengen nicht mehr zurückhalten kann. Flache Laichbecken und Kiesbänke für Salamander, Frösche und Mühlgroppen werden ausgespült. Bachschleifen werden unterspült und Ufer brechen herunter. Immer mehr Wasser spült die Bachrinnen immer tiefer aus, teilweise mehr als 2 Meter in wenigen Jahren. Feuchte Wiesen fallen trocken, gleichzeitig verschwinden Mädesüß- und Gilbweidrichbestände, die Nahrungspflanzen seltener Falter und Schenkelbienen. So werden auch die Wanderwege von Otter und Libellen unpassierbar. Als letztes Glied der Kette ist das heimliche Wappentier der Eifel, der Schwarzstorch, von dem schwindenden Lebensraum betroffen.

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Intakter Bachlauf - ein vielfältiger Lebensraum.

Heutzutage hat glücklicherweise ein Umdenken eingesetzt, da man den Wert intakter Natur, vor allem in der Gesundheits-und Fitneßregion, zu schätzen gelernt hat. Man versucht nun von ehrenamtlicher und behördlicher Seife alte Fehler zu beheben oder abzumindern. So wird in den Dörfern und Städten die Entsiegelung von versiegelten Flächen durch den Einsatz von wassergebundenen Decken oder Ökopflastern gefördert. Auch werden bei Bauvorhaben in Gewässernähe die vorgeschriebenen Abstände besonders überpüft. Von ehrenamtlicher Seite werden, so z. B. am Liersbach, Feuchtwiesen aufgekauft und einer naturgerechten Bewirtschaftung durch eine Herbstmahd überführt. Gewässerabschnitte oder sogar ganze Bäche, wie der Adenauer Bach, werden von Bachpaten gepflegt und in ihrer Entwicklung kritisch begleitet. Sogar die Möglichkeit einer Bachumlegung in sein altes Bett wird zur Zeit am Oberlauf des Wirftbaches realisiert. Hier wird der Bach von seinem unnatürlichen Bett entlang der Felder und des Waldrandes zurück in die Talmitte verlegt. So gewinnt er wieder Platz, um zusätzlich auftretende Wasserspitzen durch überflutungsfähige Wiesen und Schleifen zurückzuhalten und Hochwasserschübe im Tal zu verringern.

Weitere Chancen werden der Natur durch das veränderte Selbstverständnis der Landwirtschaft geschaffen. Hier Regt die Zukunft nicht mehr in der Intensivhaltung, sondern verbraucherorientiert in der artgerechten Haltung des Eifel-Vieh. Durch die geringeren Stückzahlen auf den Wiesen brauchen die Feuchtwiesen als Grenzertragsflächen nur noch als Mahd-Wiesen bewirtschaftet zu werden. Dies schont Grundwasser, Pflanzenbestände, Bachufer, den Schwarzstorch und letztendlich den Menschen. So vernetzen die Bäche als Adern in den Landschaften nicht nur Biotope für Tier- und Pflanzenarten sondern auch „Er"-Lebensräume für die Menschen.