Psychisch Kranken menschlich begegnen

Die Dr. v. Ehrenwall'sche Klinik in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Doris Pfaff

Seit mehr als 120 Jahren besteht die „Dr. v. Ehrenwall'sche Klinik" in Ahrweiler. Vier Generationen und Nachkommen des Gründers Carl von Ehrenwall prägten die Privatklinik mit 200 Betten.

Die Geschichte der 120 Jahre alten „Dr. v. Ehrenwall'schen Klinik" bedeutet gleichzeitig 120 Jahre Geschichte der Medizin für psychisch Kranke und 120 Jahre Familiengeschichte des Gründers Carl von Ehrenwall.

Als 1877 auf die Initiative des 22jährigen Arztes Carl von Ehrenwall die Klinik als „Anstalt für Gemüts- und Nervenkranke" für Privatpatienten in den Gebäuden des ehemaligen Weingutes Wilhelm Schäfer gegründet wurde, legte der aus Ahrweiler stammende Mediziner das Fundament für den großen und modernen Klinikkomplex.

Dr. von Ehrenwal!, zunächst als praktischer Arzt und Geburtshelfer tätig, übernahm nur zwei Jahre nach der Gründung die Leitung der Anstalt. Sein Ziel war eine möglichst menschenwürdige Betreuung der Patienten nach den neuesten Erkenntnissen in der Behandlung psychisch Kranker. Die psychiatrische Wissenschaft befand sich damals noch in den Anfängen einer Entwicklung, die sich bis heute mit zunehmenden Erkenntnissen vollzog und half, Vorurteile, Mißtrauen und Unverständnis gegenüber psychisch kranken Menschen weitgehend abzubauen, sie als Kranke zu betrachten und nicht mehr als rätselhafte Wesen.

Erst im 19. Jahrhundert erkannte die Wissenschaft, daß seelische Störungen Krankheiten sein können, die behandelt werden müssen. Entschlossen von dem Willen, einen Beitrag zur Verbesserung der bis dahin oft unmenschlichen Unterbringung und Versorgung zu leisten, entschied sich der junge Carl von Ehrenwall, einen ganz neuen Weg zu gehen.

Eine echte Wende erlebte die Psychiatrie etwa 1940 mit der Erfindung der Elektrokrampfthera-pie und Ende der 50er Jahre durch die Entdekkung von Medikamenten, die Einfluß auf seelische Zustände haben, sogenannte Psychopharmaka.

Der junge Ahrweiler Arzt trug allerdings früher den ersten Bemühungen seinerzeit Rechnung. Während die Ahrweiler Anstalt anfangs als reine Pflegeanstalt konzipiert war, erkannte von Ehrenwall, daß die Behandlung der Patienten mit modernen Methoden bauliche Erweiterungen erforderte. Außerhalb der Stadtmauern, vor dem Obertor, erwarb er für sein Vorhaben ein großes Gelände. So entstanden bis zur Fertigstellung des Haupthauses im Jahre 1908, die Villa Griesinger (das sog. Schlößchen), die Villa Sophia und die Villa Maria. Auf große Wachsäle zur leichteren Überwachung der Patienten verzichtete von Ehrenwall ebenso- wie auf Gitterstäbe vor den Fenstern. Statt dessen traf er andere Vorkehrungen, die den Patienten genauso schützten, nur auf menschlichere Weise. Denn oberstes Ziel von Ehrenwalls war, eine möglichst häusliche Atmosphäre zu schaffen. Dazu gehörte beispielsweise auch, daß die Ärzte gemeinsam mit den Patienten die Mahlzeiten einnahmen.

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Die Dr. v. Ehrenwall'sche Klinik,Luftaufnahme der Klinik um 1960.

Aufgeschlossen zeigte sich von Ehrenwall nicht nur gegenüber den neuen Erkenntnissen der Medizin, sondern auch den Neuerungen der Technik. 1887 führte er in Ahrweiler als einer der ersten elektrisches Licht durch eigene Stromerzeugung in der Klinik ein. Dies kam auch Ahrweiler und seiner Bevölkerung zugute. So wurden die frühere, sogenannte gleislose elektrische Bahn, später das Ahrweiler Kino und im Jahr 1919 die Einrichtungen der amerikanischen Besatzung mit Strom aus der Ehren-wall'schen versorgt. Noch während des Zweiten Weltkrieges sprang das „Stromhaus Ehrenwall" für die Versorgung der Stadt ein, wenn die öffentliche Stromzufuhr ausfiel.

Dem damaligen Fortschritt und den neuesten Erkenntnissen bei der Behandlung der Kranken folge jeweils eine bauliche Anpassung der Klinik. Als die Wissenschaft Ende des vergangenen Jahrhunderts den Schwerpunkt der Behandlung auf verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten legte, heute Ergotherapie genannt, ließ'Ehrenwall große Aufenthaltsräume, Spielzimmer und Räume für gesellige Veranstaltungen errichten. Ein Resultat der damaligen Beschäftigungstherapie ist die Holzvertäfelung mit Schnitzereien im sogenannten Wandelgang des Haupthauses.

Während bis 1913 ausschließlich die Behandlung von Privatpatienten in der Ehrenwall'schen Klinik möglich war, öffnete ein Vertrag mit der damaligen Reichsversicherungsanstalt für Angestellte das Haus auch für Sozialversicherte. Später folgte die Behandlung von Patienten der Landesversicherungs'anstalt. Völlig andere Patienten brachten die Kriegsjahre der beiden Weltkriege, in denen die Ehrenwall'sche Klinik über Jahre hinweg als Lazarett für verwundete Soldaten diente.

Als der Gründer 1935 starb, ging die Leitung der Klinik in die Hände seiner Tochter Sophie und seines Schwiegersohnes Dr. Emil Marx über. Auf sie wartete die wohl dunkelste Epoche in der Geschichte des Hauses. Bomben zerstörten Teile der Klinik, und die Patienten mußten vor den schlimmen Rassen- und Euthanasiegesetzen der Nationalsozialisten geschützt werden. Als der Krieg vorüber war, mußte das Ehepaar Wiederaufbauarbeiten leisten, die durch die Armut jener Nachkriegszeit nur notdürftig durchgeführt werden konnten.

Die drifte Generation übernahm 1967, nach dem Tod von Sophie Marx, die wirtschaftliche Leitung der Klinik. Die ärztliche Leitung hatte Dr. Otto Smolenski bereits 1961 übernommen, als Marx als Ärztlicher Direktor ausschied. Aisgrößte Aufgabe sah die Enkelin des Gründers, Dr. Marianne Smolenski mit ihrem Ehemann Otto, die existentiell notwendige Renovierung und Neugestaltung des gesamten Klinikkomplexes an. Das Ärztepaar ließ die durch den Krieg zerstörte Villa Griesinger neu aufbauen, eine Mehrzwecksporthalle und Heizzentrale mit Warmwasserheizung sowie auf dem völlig zerbombten Schlößchengrundstück die Parkanlagen neu errichten.

1972 nahm das Land Rheinland-Pfalz die Klinik auf Antrag zunächst mit der Hälfte der Betten in den Bedarfsplan auf, so daß die Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen möglich wurde. In diesem Zusammenhang ließ die dritte Generation erstmals mit Mitteln des Landes einen Neubau errichten. Bis dahin und auch später hatte die Familie von Ehrenwall alle baulichen Leistungen selbst getragen. Inzwischen wird wegen des großen Bedarfs das Haus vom Land mit 150 Betten gefördert, wovon 20 auf das Fachgebiet Neurologie entfallen. Seit 1983 wird der hochmoderne Klinikkomplex von der vierten Generation geleitet. Der Urenkel des Gründers, Dr. Christoph Smolenski, hat seit 1991 die ärztliche Leitung der Klinik und seine Gattin, Dr. Susanna Smolenski, seit 1996 die Leitung der Abteilungen für Neurologie, Psychiatrie und Neuropsychiatrische Rehabilitation inne. Die wirtschaftliche Führung liegt noch in den Händen der dritten Generation. Von der Philosophie des Gründers, die Patienten in gepflegter und menschlicher Atmosphäre unterzubringen und zu behandeln, ist die Klinik auch nach 120 Jahren noch geprägt, obwohl das 200-Betten-Haus mit 260 Angestellten, darunter 19 Ärzten, der modernen Psychiatrie angepaßt hat und einen besonderen Schwerpunkt auf psychosomatische Krankheitsbilder mit entsprechendem Therapieangebot legt: tiefenpsychologischanalytische, verhaltenstherapeutische, bewegungstherapeutische und kunst- sowie gestaltungstherapeutische Behandlungsansätze und medikamentöse Therapie.

Zu den Plänen der Zukunft gehört eine weitere Strukturierung der speziellen psychosomatischen Abteilung, zumal der ärztliche Direktor Dr. Christoph Smolenski einen Lehrauftrag an der Universität Bonn erhielt.

Nach der Fertigstellung des vorerst letzten Umbaus und nach vielen Um- und Neubaumaßnahmen in den vergangenen 30 Jahren, soll das Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie die Vollversorgung für die Region Ahrweiler übernehmen. Dazu gehört auch der Umbau des ehemaligen Hotels „Alte Mühle" gegenüber dem Klinikkomplex. Die Bauarbeiten für die Tagesklinik mit Platz für 15 Patienten dauern voraussichtlich noch bis Ende 1998.

Neben den Umbauarbeiten warten auch auf die jüngste Generation besondere Herausforderungen. Denn wie fast alle Kliniken spürt auch die Ehrenwall'sche Klinik die Auswirkungen der Gesundheitsreform, die nun von der vierten Generation der Familie von Ehrenwall gemeistert werden müssen.