Wie der Ritter Roland nach Rolandseck kam

Auf den Spuren der Rolandsage von den Pyrenäen bis an den Rhein

Dr. Arnulf Krause

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Der Rolandsbogen, Nonnenwerth und das Siebengebirge Anfang des 19. Jahrhunderts.

Bevor der Rhein an Bonn vorbei in die Kölner Bucht Hießt, strömt er noch einmal durch eine Landschaft, die einen letzten Höhepunkt der Rheinromantik bietet. Dem rechtsrheinischen Siebengebirge liegen am linken Ufer die Klosterinsel Nonnen- oder Rolandswerth und darüber der Rolandsbogen gegenüber. Die zu Remagen gehörenden Ortsteile Rolandseck und Rolandswerth sowie der Rolandsbogen als beliebtes Ausflugsziel zeichnen sich in dieser reichen Sagenlandschaft besonders aus, führen sie doch den Namen eines sagenhaften Helden als Teil ihres Ortsnamens.

Die Sage von Roland und Hildegunde

Der Ritter Roland war nicht nur der Neffe Karls des Großen, sondern auch sein Paladin, sein treuer Gefolgsmann. Er zog mit dem fränkischen Heer gegen die Mauren nach Spanien. Am Rhein zurück ließ er die ihm versprochene geliebte Hildegunde, die Tochter des Burgherrn vom Drachenfels. Als sie die Nachricht erhielt, ihr Ritter sei in der Schlacht gefallen, schloß sie mit der Welt ab und wurde Nonne im Kloster auf Nonnenwerth. Roland jedoch war mitnichten tot, die Nachricht ein Irrtum.

Er kehrte zurück und mußte feststellen, daß seine Braut den Schleier genommen hatte. Um ihr dennoch nahe zu sein. ließ er auf einem Felsen über der Insel die Burg Rolandseck erbauen, als deren letzter Rest der Rolandsbogen erhalten blieb. Die sentimental-melancholische Liebesgeschichte von Roland und Hildegunde stellt den Kern der Rolandsage dar, wie wir sie auch in neueren Sagensammlungen, etwa Schlundts Sagen aus Rheinland-Pfalz, wiederfinden.

Ferdinand Freiligrath, der Rolandsbogen und die Rolandsage

Daß Rolandsbogen und Rolandsage bekannt und berühmt sind, verdanken sie dem Dichter Ferdinand Freiligrath, dessen Verdienste in der Literatur ausgiebig gewürdigt wurden. Hier sei deshalb nur erwähnt, daß er. der damals in Unkel wohnte, zu Beginn des Jahres 1840 mit Entsetzen sehen mußte, daß der Bogen nicht mehr stand. Er war in den letzten Tagen des alten Jahres eingestürzt. Freiligrath unternahm sofort eine Initiative, die als frühes Beispiel aktiven Denkmalschutzes gesehen werden darf und die schließlich noch im selben Jahr zum Wiederaufbau des Symbols der Rheinromantik führte. Neben Zeitungsartikeln und Spendenaufrufen, neben unzähligen Gesprächen und Besichtigungen der Aurbauarbeiten vor Ort gelang es dem nimmermüden Dichter, das Rolands-Album zusammenzustellen, eine Anthologie „zum Besten der Ruine", die noch 1840 in Köln erschien.

Dieses Büchlein ist weniger dem Burgrelikt als der Sage gewidmet, die allerdings beide für den Herausgeber in engem Zusammenhang stehen. In seiner Baurede begründet Freiligrath, warum „Roland's graue Zinne" gerettet werden mußte:

„Des Volkes ist die Sage,
Es gab das Volks sie kund:
Drum, Roland's Bogen, rage
Durch Volk und Dichtermund!
0 Freude sonder Gleichen.
0 Freude seltner Art,
Wenn so ihr Mal und Zeichen
Die Sage sich bewahrt!"

Im Unterschied zum Anliegen des modernen Denkmalschutzes ist es also nicht das Bauwerk als solches, das erhalten werden sollte. Erst in Verbindung mit der Sage gewinnt es seinen Wert. Noch deutlicher wird dies in Freiligraths Vorwort: „Es sind ja nicht die Steine, es istja nicht der Kalk und der Traß: die gerettete Form des Bogens, die Fensterbrüstung, die herabsieht auf Nonnenwerth - sie sind es, die die Sage festhalten. die den Rahmen bilden für die bleiche, trauernde Gestalt, die den Ort geheiligt hat." Die vermeintlich uralte Sage um Roland und Hildegunde, vom rheinischen Volk erzählt und überliefert, manifestiert sich gewissermaßen im Rolandsbogen. Ihn zu retten heißt, die Sage zu retten, heißt, die Überlieferung des Volkes zu bewahren und damit die „Glorie des Alterthums". So der Gedankengang des Dichters, der noch den Ideen und Idealen der Romantik verpflichtet ist.

Der historische Roland

Für uns wie für Freiligraths kritischere Zeitgenossen stellt sich die Frage, inwiefern und seit wann die unglückliche Gestalt Rolands mit diesem Ort verknüpft wurde.

Roland selbst ist historisch verbürgt. Seine älteste und so gut wie einzige Geschichts-quelle führt von 1840 ein Jahrtausend zurück ins fränkische Karolingerreich. Weniger als zwei Jahrzehnte nach dem Tod Kaiser Karls des Großen (814) schrieb Einhard. Gelehrter und Freund des Herrschers. eine lateinische Lebensbeschreibung Karls, die Vita Karoli Magni. In ihr schildert er einen kaiserlichen Heerzug nach Spanien gegen die Araber. Auf dem Rückmarsch durch die unzugänglichen Pyrenäen greifen Basken die ungeschützte Nachhut an. Sie wird „bis auf den letzten Mann niedergemacht". Unter den fränkischen Edlen, die dem Überfall zum Opfer fielen. erwähnt Einhard auch einen „Hruodlandus Brittannici limitis praefectus", „Markgraf Roland von Bretagne". Es ist die einzige sichere Nachricht, die wir von ihm haben. Aus anderen Quellen ergibt sich als Zeitpunkt des Gemetzels der 15. August 778. Schon die Lokalisierung im Tal von Roncesvalles. nordöstlich von Pamplona. ist nicht sicher. Von Roland blieb der Name und das Todesdatum - mehr nicht!

Der Markgraf der Bretagne auf Rolandseck?

Die Diskrepanz zwischen historischem Schlachtentod und sagenhafter Rückkehr läßt sich als Ausschmückung der Sage abtun. Jedoch kam schon zu Freiligraths Zeit die Frage auf, ob nicht jener Markgraf Roland eine Burg Rolandseck erbaut haben könnte, ob er nicht am unteren Mittelrhein geherrscht haben könnte. In seiner Kritik der Sage im Rolands-Album wollte der Bonner Germanist Karl Simrock diese Frage bejahen, sah er gar im Markgrafen der Bretagne einen Herrscher von der Nordseeküste bis nach Rolandseck. Simrocks Vorstellungen wurde vehement widersprochen. Zu recht, denn seine Phantasien sind anachronistisch. Für das 8. Jahrhundert kann man weder von Burgen noch von Rittern sprechen, und nichts ist von einem rheinischen Gebiet eines Markgrafen Roland bekannt. Auch die Quellen zur Geschichte der Burg Rolandseck sprechen gegen Simrocks Annahmen. Nach ihnen ließ als erster der Kölner Erzbischof Friedrich l. wohl um 1122 auf dem Fels eine Anlage errichten, die nie aus viel mehr als einem Burghaus bestanden haben dürfte. Diese kleine Burg erlebte eine wechselvolle Geschichte, sie war schon nach 1300 unbewohnbar. wurde wieder aufgebaul, in Kriegen zerstört und war schließlich seit dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhunden Ruine, von der um 1800 nur noch der Rolandsbogen stand. Mit dem Kloster Nonnenwerth war sie insofern verbunden, als es auch eine Gründung Erzbischof Friedrichs l. war (1126) und zeitweilig unter dem Schutz der Burg gestanden haben mag. Die überlieferten Namen von Kloster und Burg weisen auf ursprüngliche Unterschiede und deren allmähliche Angleichung. So wird Rolandswerth zuerst als Ruoleicheswerd („Insel des Ruoleich") bezeichnet, erst im 13. Jahrhundert lautet der Name Rulandswerde. Wenn Ruolandsekke der ursprüngliche Name von Platz und Burg war. so bezeichnete er um 1100 am wahrscheinlichsten einen Grundherrn Roland, der mehr als 300 Jahre nach dem Tod des Markgrafen Roland nichts mit diesem zu tun hatte.

Als Fazit dieses knappen Überblicks bleibt die Feststellung, daß Rolandseck und Ro-landswerth nicht die geringste Spur einer Beziehung zu Ein-hards Roland zeigen. Es bleibt die Frage, wann die Menschen in Sage oder Dichtung Ort und Ritter miteinander verbanden.

Der Held Roland in den europäischen Literaturen

Etwa zur gleichen Zeit. als Erzbischof Friedrich Rolandseck erbauen ließ. entstand in Frankreich eine große Dichtung in altfranzösischer Sprache. die Chanson de Roland, das Rolandslied. Es beweist. daß dort die Erinnerung an den Markgrafen der Bretagne erhalten blieb und daß sich um seine Figur wohl zahlreiche Sagen rankten. Kurz nach 1100 griff ein unbekannter Dichter den Stoff auf und schuf daraus ein großes Epos. das Roland als vorbildlichen Ritter verherrlicht. Aus dem umfangreichen Inhalt sei nur angeführt, daß der französische Poet aus dem Gemetzel in den Pyrenäen eine gigantische Schlacht macht, in der 400.000 Heiden Rolands Nachhut überfallen. Hier findet sich die berühmte Szene, in der Roland mit letzter Kraft in sein Hörn Olifant bläst, um Kaiser Karl zu Hilfe zu rufen. Auch die tragische Liebe gibt es schon in diesem Text: Als die Roland versprochene Alde von seinem Tod hon, sinkt sie selbst vor Schmerz tot nieder. Die Geschichte vom edlen Ritter, der treu ist und für seinen Herrn in den Tod geht. wurde im mittelalterlichen Europa eine Erfolgsgeschichte, die zuerst als Vorbild für ein adliges Publikum gedacht war und später immer volkstümlicher wurde. Von Sizilien bis nach Island kannte man den Helden Roland. Um 1170 gab Heinrich der Löwe einem „Pfaffen" Konrad den Auftrag, die französische Chanson de Roland ins Deutsche zu übenragen. Dieses mittelhochdeutsche Rolandslied diente dann vielen deutschen Dichtern als Vorlage für weitere Bearbeitungen. Großer Beliebtheit erfreute sich der Rolandstoff in Spanien und besonders in Italien, wo der Ritter unter dem Namen Orlando berühmt wurde. Um 1500 entstanden dort zwei umfangreiche Werke: Orlando Innamorato (Der rer-liebte Roland) und Ariosts Orlando furioso (Der rasende Roland). In ihnen bleibt von dem bekannten Roland kaum noch etwas übrig, er verschwindet in einem Wust von Figuren, Handlungssträngen. Kriegen, Abenteuern, Zaubereien usw. Doch gerade diese Werke der romanischen Literaturen sorgten für seine Popularität bis in die Barockzeit. Und in Deutschland galt er so sehr als edler vorbildhafter Ritter, daß viele Forscher meinen, auf ihn bezögen sich die berühmten Rolandsäulen Norddeutschlands.

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Der sagenumwobene Rolandsbogen heute, 1998

Aus dem historischen Roland Einhards. von dem fast nichts bekannt ist. entwickelte sich im Laufe des Mittelalters in vielen europäischen Ländern eine literarische Heldengestalt, deren zahlreiche Geschichten sich auch das einfache Volk erzählte. Das sizilia-nische Puppenspiel bietet noch heute ein Beispiel dafür. Roland wird in der Literatur nirgends mit Rolandseck in Verbindung gebracht. Mag sein, daß man sich am Rhein erzählte, der große Held habe einst Rolandseck erbaut. Da keine schriftliche Quelle davon erzählt, kann man nur unbewiesene Mutmaßungen anstellen.

Die Rolandsage am romantischen Rhein

Auf den Spuren des rheinischen Rolands sind wir darauf angewiesen, auf die Zeit um 1800 zu schauen. In der Romantik erfreuten sich mittelalterliche Themen großer Beliebtheit, noch dazu solche von herausragenden Rittern und -möglichen Nationalhelden. Dabei suchte und fand man nicht nur die alten deutschen Pergamenthandschriften, man interessierte sich auch für andere Literaturen.

Don stieß man in Spanien und Italien auf Romanzen um den Ritter Roland, die die Romantiker übersetzten und nachdichteten. Ludwig Uhland etwa ließ sich zu Balladen über Roland anregen, und Friedrich de la Motte-Fouque, der Verfasser der Undine. dichtete 1805 Romanzen vom Tale Ronceral.

Damit wären wir nach 1000 Jahren auf den Spuren Rolands fast wieder bei Ferdinand Freiligrath. Er war nicht der Erfinder der Sage um Roland und Hildegunde. Schon 1816 schrieb Aloys Schreiber in seinem Handbuch für Reisende am Rhein von der Ruine Rolandseck, der Neffe Karls des Großen solle diese Burg erbaut haben, um dem Mädchen seiner Liebe nahe zu sein. welches im Kloster Non-nenwerth den Schleier genommen hatte. Interessante Aufschlüsse gibt Niklas Vogt in den Rheinischen Geschichten und Sagen: „Ob Karls des Großen romantischer Neffe und Ariostos Held Roland in diesem Gaue geherrscht, und dem Rolandseck und Rolandswerth den Namen gegeben habe. können wir nicht beurkunden. Es scheint vielmehr, daß der italienische Dichter den Stoff zu seiner vortrefflichen Beschreibung ... aus der alten rheinischen Sage vom Rolandseck genommen habe: denn nach dieser wurde dem Helden während seines Zuges nach Spanien die Geliebte geraubt, und einem Drachen zum verschlingen vorgesetzt..." Man kann sich des Eindrucks eines gewissen Wirrwarrs nicht erwehren. Daß Vogt die Abhängigkeiten falsch interpretiert, belegt Fritz von Mering, der 1833 in seiner Burgengeschichte kritisch meint: „Den ernsten Geschichtsforscher ekeln solche Romanen=Mährchen an. die aus einer Reisebeschreibung in die andere übertragen werden." Er nimmt also an, daß literarischer Stoff, sei er aus dem deutschen Mittelalter oder aus italienischen Texten, mit Örtlichkeiten des Rheinlandes verbunden wurde. So entstanden in der Zeit der Romantik viele Rheinsagen, so dürfte auch die sentimentale Liebesgeschichte von Roland und Hildegunde entstanden und mit Rolandseck und Rolandswerth verknüpft worden sein. Schon in der mittelalterlichen Literatur wurde aus Karls Gefolgsmann Roland ein Neffe, ja ein Sohn des Frankenherrschers. Die Verbindung mit Hildegunde. die wir vorher nirgends finden. dürfte ein Produkt der Romantik sein. Jedenfalls trägt in der germanischen Heldensage die Gefährtin des Helden Walther diesen Namen.

Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Sage haben englische Schriftsteller gespielt, die mit anderen Touristen von der Insel das Rheintal begeistert besuchten. Der Literat Thomas Campbell veröffentlichte 1823 eine Version der Rolandsage in einer englischen Zeitschrift, und 1837 erschien seine Fassung der Sage The brave Roland, die der Englandkenner Freiligrath im Rolands-Album übernommen und übersetzt hat.

Die Rolandsage als typische Rheinsage

Im Rolands-Album trug er vieles zusammen, was mit der Sage und Rolandseck zu tun hatte, aber auch Texte, die nur den Stoff der unglücklichen Liebe thematisieren und Roland überhaupt nicht nennen, etwa Friedrich Schillers Gedicht Ritter Toggenburg oder Ludwig Uhlands Die Nonne. Karl Simrock sieht in Roland und Hildegunde eine Variation berühmter Paare wie Tristan und Isolde oder Romeo und Julia. Er führt die Liebesgeschichte auf einen uralten Mythos zurück, der sich in der Sage erhalten habe. Der Germanist folgte mit dieser Annahme dem schon angesprochenen Geist der Romantik, der auch Freiligrath nicht fremd war. Geschichten, Sagen. Märchen wurden nur zu gern als uralte Zeugnisse einer fernen Vergangenheit angesehen, die das Volk überliefen hatte. Da zu solcher Volkspoesie auch das eigene literarische Schaffen gehören konnte. nahm man es mit der Unterscheidung zwischen hoher Kunstliteratur und einfachen mündlichen Volkserzählungen nicht so genau. Bestes Beispiel dafür ist Clemens Brentano, der aus wenigen Sagenmotiven mit viel Phantasie sein Rheinmärchen kreierte und als erster der Lorelei ihre populäre Gestalt gab. Für den modernen Sagenforscher hat dieses Vorgehen nichts mit Volksdichtung gemein. Es ist allerdings typisch für die Rheinsagen, wie Lutz Röhrich kritisch bemerkt: ..In keinem anderen Gebiete Deutschlands sind die Aufzeichnungen authentischer, d.h. echter und originalgetreuer Volkserzählungen so sehr von Fälschungen und literarischen Verformungen überwuchern wie hier ... auch Schriftsteller mit Namen und Klang haben oft in Anlehnung an wirkliche Überlieferung völlig frei sagenähnliche Geschichten ersonnen und in vielgelesenen Büchern verbreitet, seitdem der Rhein ein beliebtes Reiseziel des In- und Auslands wurde."

Dieses Urteil muß man auch über die Rolandsage fällen. Wann sie tatsächlich zum ersten Mal mit Rolandseck und Rolandswerth verbunden wurde, ist kaum zu klären. Mit den Themen der Romantik und dem einsetzenden Rheintourismus lag der Stoff gewissermaßen „in der Luft". Nicht in der des einfachen Volkes. sondern in der der Dichter. Sie entnahmen Stoffe und Motive vielen europäischen Literaturen und schufen daraus die Sage. die sie guten Gewissens dem Volk zuschrieben. Dies kann man heute kritisch sehen. Aber seien wir ehrlich:
Was wäre der Mittelrhein ohne seine jungen Kunstsagen, zu deren schönsten die Geschichte von Roland und Hil-degunde gehört. Ihr romantisches Symbol ist und bleibt der Rolandsbogen.

Quellen und Lireratur:

Sekundärliteratur: