»Vom Zauber des Rheines
ergriffen«

Anmerkungen zu einer wundersamen Darstellung von Remagen aus dem Jahre 1799

Friedrich Bayerath

Vor einigen Jahren haben die Museen von Bonn und Koblenz unter dem Motto „Vom Zauber des Rheines ergriffen ..." viel beachtete Kunstausstellungen veranstaltet. Im Mittelrhein-Museum Koblenz wurden 1992, mit Schwerpunkt 17. Jahrhundert, niederländische Maler und Zeichner gezeigt. Das Rheinische Landesmuseum Bonn präsentierte zeitgleich vorwiegend englische Künstler des späten 18. und des 19. Jahrhunderts, u. a. mit Werken von Clarkson Stanfield und William Turner. Vom "Zauber des Rheins ergriffen" hatte auch Ferdinand Freiligrath (1810-1876), der mit Unkel und Rolandseck (Aufbau des Rolandsbogens) eng verbundene Dichter und Schriftsteller, der romantisierenden Zeitströmung Ausdruck verliehen. Und heute noch erfasst den Betrachter vor Bildern von Rheinlandschaften dieser Zeit ein eigenartiges Gefühl, selbst wenn er die teilweise arg überspannten, die ausufernden Phantasien der damaligen Künstler nicht mehr so recht zu verstehen und begreifen vermag. So ging es auch mir in der Bonner Ausstellung, in der mit einer eigenartigen Graphik Remagen gerühmt wurde, auf eine Art freilich, die auf den ersten und auch den zweiten Blick hin keineswegs unser kleines Städtchen erkennen lässt. Erst, wenn man sich eingehender mit der sogenannten „Legende“, der Schrift unter der kolorierten Zeichnung befasst, wird man fündig: Hier ist behauptet, das Bild zeige „Remagen on the River Rhine". Gewissermaßen soll dies der Blick sein auf die heutige Nordeinfahrt der Bundesstraße 9 (B 9), etwas südlich von Schloss Marienfels aus gesehen. Den langen Blick getan hatten ausweislich der aufgedruckten Angaben über die Künstler, - zwei Engländer kurz vor Beginn des 18. Jahrhunderts; das Blatt erschien in London im Jahre 1799! Um solche Werke einordnen zu können, ist ein Blick auf den Kontext ihrer Entstehung notwendig.

„Entdeckung“ der Rheinlandschaft von 1650 bis um 1900

Gemeinhin wird behauptet, die Briten hätten recht eigentlich erst den Rhein „entdeckt" und ihn in eine Art Romantik erhoben, insbesondere den Mittelrhein, d. h. die Flusslandschaft zwischen Bonn/
Siebengebirge bis Bingen. Um dem kunsthistorisch exakten Ablauf Genüge zu tun, sei wenigstens auch der niederländischen Künstler gedacht, die den Engländern vorausgereist waren und diese zweifellos beeinflusst haben. Später dann geschah das, was Johann Wolfgang von Goethe in der Walpurgisnacht des Faust für bemerkens- und mitteilenswert befand:

"Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen, 
gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen
das wäre hier für sie ein würdig Ziel."

Die Engländer also! Sie waren die ersten, die nach oder auch zeitgleich mit den Künstlern in einer Art damaligem „Massentourismus“ unsere Heimat „erwanderten“, zu Fuß, mit Pferdechaise, per Schiff. Seit 1816 verkehrten die ersten Dampfboote auf dem Rhein, regulärer Schiffsverkehr zwischen Köln und Mainz wurde 1827 eröffnet und im gleichen Jahr konnte schon die Beförderung von nahezu 19 000 Fahrgästen vermeldet werden. Und schließlich begann 1857 der Bau der Eisenbahnlinie von Köln nach Rolandseck. Viele der wohlhabenden Rheinreisenden wollten Bilder von ihren Eindrücken mit nach Hause nehmen, Erinnerungsblätter vom Rheinstrom und seinen Merkwürdigkeiten erwerben. Darum traten in zunehmendem Maße Poeten des Pinsels, der Rohrfeder und des Grabstichels auf den Plan, diese Letzteren wegen der großen Nachfrage mehr und mehr an Bedeutung gewinnend. Sie haben eindrucksvolle Rheinlandschaft, Burgen- und Ortsansichten auch aus unserer Gegend hinterlassen. Die Zeit von 1820 bis 1870 wird vielfach als „Stichelzeit“ bezeichnet. Stahlstiche mit hohen Auflagen und einer entsprechend weiten Verbreitung lösten damals den alten Kupferstich mit seiner nur recht beschränkten Zahl guter Abzüge von einer Druckplatte ab. Eine Dokumentation von „Illustrierten Rheinbeschreibungen“, die von dem Münsteraner Professor Michael Schmitz erstellt wurde, listet Hunderte dieser Werke von der Romantik bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts auf. Der Forscher führt hierzu aus: „... Engländer haben den Rhein nicht nur (wieder)entdeckt, sondern sind auch führend gewesen auf dem Gebiet der topographischen Illustration und der Beschreibung der Atmosphäre dieser Landschaft...“

Für Maler, Zeichner, Lithographen und Stahlstecher bot das Rheinland an Motiven alles, dessen die Landschaftsmalerei bedarf: Wasser, Berge, Weinreben, Ufer mit verträumten Flecken, viele malerische Städtchen und Burgen, oder das, was von ihnen übriggeblieben war. Die Briten also erschienen auf dem Plan in so großer Zahl, so dass damals am Rhein viele Touristen grund-sätzlich als Engländer angesehen wurden. "Invasion" auch von englischen Künstlern. Der berühmteste von ihnen, William Turner (1785-1851), reiste stromaufwärts. Er unterbrach nachweislich seine Reise in Remagen, denn für den 20. August 1817 ist in seinem Tagebuch eine Übernachtung in unserer Stadt bezeugt.

Der wundersame Stich der Künstler Hewgill/Dayex aus dem Jahre 1799.

Der wundersame Stich von Remagen 

Das Bild des Künstlerduos Hewgill/Dayes von Remagen stellt ein außerordentliches Kuriosum und eine Rarität dar, auf die es sich lohnt, näher einzugehen. Bei Kunstwerken dieser Art, insonderheit aber bei Stahlstichen, sind zusammenarbeitende Künstler die Regel: Einer zeichnete die Vorlage, der andere fertigte die Gravur. Als Legende liest man unter der im Original farbigen Aquatinta: „A little below Remagen on the River Rhine“ zu deutsch: „Ein wenig unterhalb von Remagen am Rheinstrom“.

Zunächst ist man fassungslos. Das offensichtlich als Apollinarisberg anzusehende wuchtige Felsmassiv muss sich als Gigant verkleidet haben. Die Erpeler Ley am linken Bildrand ist zu einem Zyklopen geworden, der sein Ein-Auge auf die damals noch imaginäre Brücke gerichtet hält. Wie ist das zu erklären? Was soll das? Die Kunsthistorikerin Irene Haberland versucht in einer bemerkenswerten Arbeit „Auf der Suche nach der pittoresken Schönheit“ eine Erklärung zu geben. Sie schreibt: Aquatintablätter ... zeigen in mitunter phantastischer Übersteigerung die Ufer und Burgen des Rheins, wie sie auch Edwin Hewgill darstellte. Typisch sind die romantischen Versatzstücke, mit denen die Landschaft unabhängig von realen Gegebenheiten charakterisiert wird: übersteigerte hohe Berge, winzige Ortschaften und traditionelle Figurenstaffage, die für den heutigen Betrachter die Landschaft verfremden und unkenntlich machen. Man muss sich jedoch das kunsttheoretische Gedankengut des ausgehenden 18. Jahrhunderts ins Gedächtnis rufen, um zu verstehen, was die Künstler am Ufer des Rheines sehen wollten ...“

Die Graphik, die Remagen so „heroisierte“, ist 1799 entstanden. Edwin Hewgill, der den Originalentwurf gefertigt hat, war Oberst der englischen Armee - mehr weiß man nicht von ihm. Von Edward Dayes (1763-1804) ist in der Bildlegende vermerkt: „Draftsman to His Royal Highness the Duke of York“. Er war also Hofmaler bei der königlichen Hoheit, dem Herzog von York. Und er hat als Landschaftsmaler oft Vorlagen für Reproduktionen hergestellt. 

Auf dem Aquatintablatt finden wir schließlich eine weitere Besonderheit, die uns wieder in die Wirklichkeit unseres Städtchens von 1800 zurückführt: Am linken Flußufer ist der uns allen vertraute Leinpfad angedeutet und wir erkennen gut das getreidelte Schiff bei Windflaute, denn die Segel sind gerafft. Auf dem Rücken eines der Treidelpferde schwingt der Halfen die Peitsche. Nach den Angaben im Rheinischen Wörterbuch (Leipzig 1923) muss man sich unter „Halfen“ Fuhr- und Fährleute vorstellen, die mit ihren Pferden Schiffe flussaufwärts schleppten. Auf das - in jeder Hinsicht - grobe Verhalten der Angehörigen dieser Berufsgruppe ist im Diktionär eigens und mehrmals hingewiesen. 

Ausschnitt aus der Ansicht von Remagen von A. Lasinsky, um 1840.

Mich beeindruckt besonders, dass jeder Halfe morgens beim Aufbruch eine ordentliche Portion Branntwein und vier Mal am Tag ein ganzes Quart Wein erhielt. War eine gefährliche Stelle - von denen es nur so wimmelte - glücklich „passirt“, gab es zusätzlich den sogenannten „Welleswein“. 

Auf der im Bilde dargestellten Straße, der damaligen Route Napoleon, sehr breit angelegt - rollt eine Diligence (d.i.: Schnellpost), die ihrer Bezeichnung infolge der erheblichen Steigung hinauf zum Apollinarisberg keine Ehre macht. In unseren Tagen beginnt an dieser Stelle die Nordeinfahrt auf der B 9 ... ja, wenn das im Bild alles so stimmte. Zurück zu Stadt und Strom, die auch solche Darstellungen geduldig verkraftet haben. Die rheinischen Frohnaturen mit dem Schuss Wehmut im Blut haben die französische Besatzung, Kriege und Notzeiten, alle gute und schlechte Historie, haben alles mit ihrem bekanntem Phlegma ertragen. Der Chronist H. J. Tümmers trifft den Nagel auf den Kopf: „Die Rheinländer, an das Kommen und Gehen ihrer zahlreichen Obrigkeiten gewöhnt, fügten sich ins Unvermeidliche, auch in der christlichen Gewißheit, daß auf Erden nichts von Dauer sei“.

Literatur: