Alte Gemüse - Vergessene Genüsse

Christian Havenith

Bauerngärten, ein Stichwort, zu dem jedem etwas einfällt. Dem einen der bunte Anblick der Blüten und Gemüse, scheinbar wild durcheinander wachsend, dem anderen der gute Geschmack der reifen Tomaten aus Omas Beeten, einem weiteren wiederum das zarte Gemüse von früher, das es nur zu besonderen Anlässen gab. Alles Erfahrungen und Sinneseindrücke, die die Reichhaltigkeit alter Bauerngärten widerspiegeln.

Doch diese Vielfalt gab es nicht immer. Zu Zeiten der Germanen war der Garten weniger ein Ort der schönen Blüten als ein Platz, an dem man möglichst nahe bei der Siedlung, Heil- und Gewürzpflanzen zog und seinen Kohl, die Erbsen, die Linsen und die Dicken Bohnen durch einen Flechtzaun vor den herumlaufenden Schweinen schützte.

Die Römer brachten als Schöngeister, Feinschmecker und Ästheten viel Neues mit ins Land. Es tauchten Gewürze mit starken ätherischen Ölen in den horti (Gärten) vor dem oppidum (Lager) auf. Aus dem Mittelmeerraum kamen Kopfsalate, die man roh oder gekocht aß, ebenso die Gartenmelde und der Sellerie.

Am nachhaltigsten prägte jedoch Kaiser Karl der Große unsere Gärten bis heute. Durch die im Jahre 812 erlassene Landgüter-Verordnung „Capitulare de villis vel curtis imperii”, nach der jede Domäne eine bestimmte Anzahl verschiedenster Gemüsesorten in ihrem Garten zu ziehen hatte, richten sich bis heute unbewusst fast alle Gärtner.

Später führte vor allem die Entdeckung fremder Erdteile zur Bereicherung unserer Speisepläne. Im Gefolge von Kolumbus kamen ab 1492 Kartoffeln, Tomaten und Mais zu uns, heute aus keiner Mahlzeit wegzudenken. Auch unsere grünen Bohnen, seien es Stangen-, Busch- oder Feuerbohnen, stammen wie die Kürbisse vom amerikanischen Kontinent.

Mit der Zeit wurden diese Gemüsesorten immer weiter verändert. Durch Nachzucht im eigenen Garten passten sich die Pflanzen immer mehr unserem Klima an, denn nur was Ertrag brachte, wurde weiter vermehrt. Immer wieder wurden bestimmte Sorten bevorzugt, mal weil sie auf einen Befall mit Blattläusen reagierten, mal weil sie auf schlechten Böden noch einen guten Ertrag brachten oder weil sie einfach am besten schmeckten.

Über die Jahrhunderte bildeten sich richtige Lokalsorten aus, die über Generationen weitergegeben wurden. Diese Tradition wurde erst in unserem Jahrhundert aufgegeben, wobei verschiedene Gründe eine Rolle spielten. Zum einen durch die Schulen. Dort wurde den Eifeler Bauern erstmals im größeren Rahmen garten- und landbauliches Wissen beigebracht.

Auch der Einfluss der großen Saatzuchtbetriebe wurde über die neugegründeten Genossenschaften stärker. Neues Gemüsesaatgut „moderner” Sorten konnte dort in größeren Mengen günstig eingekauft werden. Dies hatte zur Folge, dass das Althergebrachte immer mehr an Ansehen verlor.

Eine weitere Verarmung der Sortenvielfalt brachte der 2. Weltkrieg und die Notjahre danach mit sich. Bei der anhaltenden Nahrungsmittelknappheit dieser Jahre wurden viele kleine Bohnenvorräte zur lebensnotwendigen Suppe verarbeitet. Auch der zwangsweise Anbau von Gemüsen mit geringen Erträgen aus oftmals ungeeigneten Sorten (z.B. Futtersaatgut) blieb noch lange nach dieser Zeit in den Köpfen der Garteneigentümer haften. Als dann in der Wirtschaftswunderzeit immer neue Produkte der Agrarindustrie auf den Markt kamen und bunte Samentütchen Massenernten versprachen, blieben die letzten alten Sorten auf der Strecke.

Wie man sieht, veränderten sich die Bauerngärten im Laufe der Jahrhunderte immer wieder. Gemüse wurden beliebt und durch die Generationen weitergegeben. Es kamen und gingen aber auch einige wieder mit dem Geschmack der Zeit. Der Wandel in den Gärten war allerdings noch nie so deutlich zu spüren wie heute. Jeder Garten ähnelt immer mehr dem Nachbargarten, bestimmte „Einheits”-Gemüsesorten werden stärker angebaut, weil anderes Saatgut nicht zu bekommen ist. Selbst wenn eine Oma im Dorf noch ihre Sorten hat, wird sie für altmodisch und rückständig erklärt. Dabei merken wir gar nicht, wie sehr uns die Genüsse alter Zeit verloren gehen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, werden in diesem Artikel Gemüsesorten beschrieben, deren kulinarischer Wert immer noch hoch ist und die auf ihre Wiederentdeckung durch Gärtner und Köche warten.

Franzosenkraut, Rheinische oder Garten - Melde ist eine der Pflanzenarten, die schon von der Hl. Hildegard von Bingen wie Spinat gegessen wurde. Das Gänsefußgewächs (Chenopodiacea) wird im Gegensatz zum Spinat nicht abgeschnitten, um es zu ernten, sondern man pflückt die zarten Blättchen der bis zu 2 m hoch werdenden Pflanze. Ein Vorteil der Rheinischen Melde (Atriplex hortensis) ist, daß sie im Sommer nicht schießt und so Ernten bis in den Herbst bietet. Da sie weniger Wärme und Pflege im Beet braucht und auch auf schlechten Böden wächst, hat sie sich bis heute vor allem in den Bauerngärten der Höhenzüge gehalten. Zusammen mit einigen Sauerampferblättchen (Saureampes) gekocht schmeckt sie noch besser Mausöhrchen, Fäldschloot gibt es noch in einigen modernen Sorten. Ein wichtiger Verwendungszweck im Ahrtal und den mittelrheinischen Weinanbaugebieten ist heute jedoch völlig in Vergessenheit geraten: die Untersaat der Weinberge mit Feldsalat (Valerianella locusta). Neben dem dort natürlicherweise vorkommenden Wild-Feldsalat (V. carinata) wurde der Gartenfeldsalat angesät. Er verbesserte nicht nur die Bodenqualität, sondern verhinderte auch übermäßiges Aufkommen anderer Wildkräuter. Heute sollte man aber von einer Verwendung dort gesammelter Rosetten für die Küche aufgrund des Biozid-Einsatzes absehen. Früher allerdings waren die mittel-rheinischen Herkünfte von so guter Qualität, dass es um 1929 sogar die inzwischen ausgestorbene Sorte „Koblenzer” gab.

Rapünzelche waren nicht, wie oft angenommen wird, die Blättchen des wildwachsenden Feldsalates, sondern die Winterrosetten der Rapunzel - Glockenblume (Campanula rapunculus). Da beide Blattrosetten in der Natur nebeneinander wachsen und beide als Salat gegessen werden können, ist die Namensgleichheit zustande gekommen. Durch ihre Fähigkeit, auf lehmigen Böden zu wachsen, ist diese Blume als leicht zu ziehender Salat mit nussigem Aroma interessant.

Kögsje waren speziell die bunten Bohnen (Phaseolus vulgaris), die früher in jedem Garten standen. Die Farben der Bohnen änderten sich von Garten zu Garten, je nach Vorliebe der Gärtnerin. Mal waren die Bohnen weißlich mit dunklen Flecken, dann wieder hellbraun mit dunkelbrauner Maserung, jede Bohne ein Unikat. Diese bunten Sorten unterschiedlicher Größe eigneten sich hauptsächlich als Trockenbohnen zur langen Lagerung in der Speisekammer. Wegen dieser Lagerfähigkeit wurden sie Grundlage für die beliebte Kögsjeszupp, die von der Feuerwehr Ahrweiler heute noch extra als lokale Spezialität zum Feuerwehrfest verkauft wird. Interessant ist auch der Hinweis, dass die Gegend um Ahrweiler früher als gute Saatgutquelle für die Kögsje galt. Die Bevölkerung aus den umliegenden Dörfern (z.B. Ramersbach) kaufte daher gezielt Bohnensaatgut aus Ahrweiler für ihre Gärten.

Bunne, Fittschbunne gehören zur gleichen Art und sind hauptsächlich weiße Busch- oder Schtangebunne (Phaseolus vulgaris), die für die beliebten Bohnengerichte Bunneflöpp, Bunnedünn (mit Sahne) und Bunnefitsch (milchsauer eingelegt) angebaut werden. Hierbei werden vor allem die grünen Bohnen gefitscht, also geschnippelt verarbeitet. Infolge dieser Verarbeitung wurden die Sorten, bei denen der Faden extra abgezogen werden muss, fast völlig aufgegeben. Moderne Sorten sind fadenlos, sie können daher schneller verarbeitet werden.

Bauerngarten mit vielen Gemüsesorten

Wöllbunn ist die Feuerbohne (Phaseolus coccineus), die ebenfalls wie die beiden vorangegangenen Bohnensorten aus Amerika zu uns kam. Ihr besonderer Wert liegt in der Kälte- und Feuchtigkeitstoleranz, die sie besonders geeignet für den Anbau auf den Höhen des Rheinischen Schiefergebirges machte. Hier hielt sie sich bis in unsere Zeit als Gemüse, während sie gleichzeitig im Ahrtal als schnellwachsende Gartenzaunbegrünung eine neue Karriere begann. Da sie größere und wohlschmeckendere Bohnen liefert als die obige Art, war sie vor allem für Bohnensuppen gesucht. Sie ist aber aufgrund ihrer unregelmäßigen Schotenform nicht für eine maschinelle Ernte geeignet, was ihren geringen gewerblichen Anbau begründet.

Saubunne oder Decke Bunne sind die verschiedenen Kulturformen der Dicken oder Ackerbohne (Vicia faba), die älteste heute noch kultivierte Bohnenart im Rheinland. Während die kleinfrüchtigen Bohnen (var. minor) heute manchmal noch als Saubunne fürs Viehfutter angebaut werden, gibt es die mittelgroßen Sorten (var. equina) kaum noch. Lokale Züchtungen sind vielfach zugunsten der großfrüchtigen (var. major), aber weniger intensiv schmeckenden Sorten aufgegeben worden.

Lense

Der Anbau von Linsen (Lens culinaris) ist heute völlig erloschen. Gerade die kalkhaltigen Lößböden der Grafschaft und der unteren Ahr boten die idealen Vorraussetzungen zum Anbau dieser bis heute sehr beliebten Hülsenfrucht.

Von der einstigen weiten Verbreitung der Linse als Nahrungsmittel (v.a. Lensezupp) zeugen zahlreiche jungsteinzeitliche Funde im Rheinland. Bis ins 19. Jahrhundert hielt sich der Anbau in den Hausgärten, wie es der Spottname der Einwohner von Bengen „Lense” noch eindrucksvoll belegt.

Ein Grund für den Rückgang ist sicherlich die mühselige Ernte, da immer nur 1-2 Früchte in einer Schote stecken. Man hat meist viel mehr Linsenstroh auf dem Kompost als Linsen in der Schüssel.

Tomaten: hier denkt man oft mit Schrecken an die blassen, wässrigen Tomaten (Lycopersicon esculentum) aus dem niederländischen Gewächshausanbau. Dass das Rheinland mit seinem Weinbauklima einst bundesweit verbreitete Sorten hervorgebracht hat, ist heute meistens nur noch unseren Großeltern bekannt. Wer kennt denn so wohlklingende Sorten wie „Bonner Beste” und „Rheinlands Ruhm” noch? Auch hier hat die Sortenverarmung stattgefunden. Die „Bonner Beste” wird nur noch von privaten Erhaltern vermehrt, während es bei „Rheinlands Ruhm” immerhin noch zwei Züchter bundesweit gibt.

Wie man sieht, gibt es in den Gärten hoffentlich noch mehr zu entdecken als Rosen, Rasen und Cotoneaster. Auch manche Spuren unserer Vorfahren finden sich hier. Wir sollten daher überlegen, ob wir weiterhin den Einheitsgarten fördern möchten oder ob wir uns für Althergebrachtes und Wohlschmeckendes begeistern können. Falls Sie also Interesse am „Neuen-Alten” gefunden haben, wenden Sie sich an den Autor. Er hilft Ihnen gerne weiter.

Denn nur was wir kennen und schätzen, werden wir auch in unseren Gärten erhalten, frei nach dem Motto: „Liebe geht durch den Magen”.

Literatur: