Eine deutsche Toskana

Ein Lob von Küchen und Kellern im Ahrkreis

Wo l f g a n g P e c h t o l d

„Auf den meisten Dörfern im Gebirg findet man nicht einmal die gewöhnlichen Nahrungsmittel genießbar und als Getränk nur Fusel". Als Gottfried Kinkel, der hier zitiert ist, Ernst Moritz Arndt oder Ernst Weyden um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf ihre volkskundlichen Wanderungen durch die Eifel gingen, da war es offenbar mäßig bestellt um das gastronomische Angebot der Region. Wie würden sie heute staunen!

Damals war in der Eifel, wenn man dem Bericht von J. H. Schmitz aus dem Jahre 1856 folgt, überall Schmalhans Küchenmeister: „Die gewöhnliche Lebensweise war diese: Morgens als Frühstück gab es Haferbrei, mittags Suppe und Kartoffeln, Erbsen oder Bohnen, abends Kartoffelsuppe, auch Mus oder Rüben". Man lebte eben von dem, was Hof und Garten gerade bereit hielten. Das war wenig genug. Denn auch mit dem Vieh stand es nicht zum Besten. „Dass die Weide an vielen Orten so kärglich ausfällt, dass Kühe und Rinder nicht selten darauf zusammenfallen und auf einer Leiter wie auf einem Trauergerüst ausgestreckt nachHause getragen werden müssen", berichtet 1835 J. N. von Schwerz. Wie soll da „im Gebirg" eine entsprechende Gastronomie entstehen!

Im „Tiefland" sah das schon anders aus. Bereits zu Goethes Zeiten hatte es auf der alten Handelsroute einen regen Rhein-Tourismus gegeben. Längst war ein Postverkehrsnetz etabliert, ab 1825 befuhren Dampfschiffe regelmäßig den Strom. Das verlangte nach standesgemäßer Herberge und Küche. Aber auch die Seitentäler wurden nach und nach entdeckt. „Von diesem Jahr an datiert sich in Altenahr der Fremdenverkehr", steht in der Gemeindechronik für 1834 verzeichnet. Der Straßentunnel durch die Breitley, der erste in ganz Preußen, wurde „zum Ziel der gebildeten Welt", die das „wunderbare Kunstgewölbe" zu bestaunen kam.

Und noch eine frühe Wurzel hat die Gastronomie der Region. 1858 gründete Georg Kreuzberg das Bad Neuenahr. Es nahm einen ungeahnten Aufschwung, galt bald als ein „Karlsbad des Westens" mit einem Klientel aus Hoch- und Geldadel. Da dem Neuenahrer Heilwasser lindernde Wirkung auf Magen- und Darmtrakt bescheinigt wurde, dachten sich hochkarätige Köche eine Schonkost aus, die dennoch hohen lukullischen Ansprüchen genügte. Das berühmte Neuenahrer Rauchfleisch steht bis heute als Beispiel dafür.

Die Weltkriege brachten scharfe Einschnitte. Sie wirkten weit über die Währungsreform hinaus nach: Kurkliniken für Sozialversicherte statt Kurhotels für Reiche; Bus- und Hütchen-, kurz: Massentourismus statt mondäner Individualreise. Dazu kam als nur allzu verständliche Reaktion auf lange Notjahre die sogenannte Fresswelle. Da war nicht die Güte, sondern die Größe des Schnitzels gefragt und die Kippbratpfanne unentbehrlich für die Küchen von Rhein- und Ahrtal.

Der Wandel vollzog sich allmählich ab den achtziger Jahren. Mehr Wohlstand ging einher mit mehr Esskultur. Und die Rhein-Ahr-Eifel-Region hatte in ihrer Nähe die nötigen Gästepotenziale für eine gehobene Küche. Bonn als Bundeshauptstadt mit ihren Politikern, Verbänden, Lobbyisten lag vor der Haustür, die A61 rückte die Ballungszentren im Norden und Süden heran.

Einen bedeutenden Beitrag spielte der Weinbau. „Die Ahr", lange Zeit als Quelle süffiger Allerweltsweine eher negativ eingestuft und weitgehend auf Mengenproduktion für den Massentourismus bedacht, vollzog dank Vorreitern wie Norbert Görres, Werner Näkel oder Wolfgang Hehle einen Qualitätssprung, der Fachleute mit der Zunge schnalzen ließ und das kleine, nun auch feine Anbaugebiet immer stärker ins Medieninteresse rückte. Die Auszeichnungen häuften sich. Selbst Genossenschaften haben inzwischen Anteil am Medaillensegen.

Guter Wein und gute Küche aber passen, ja gehören zusammen.

Und so feierten nicht nur die Weinexperten die Region, sondern auch die Gastrojournalisten. Kaum eine andere in Deutschland heimste so viele Sterne, Kochmützen oder Kochlöffel ein, kaum eine andere weist eine solche Dichte ausgezeichneter Restaurants und Gaststätten auf. Der verstorben Landrat Joachim Weiler gab es Anfang der Neunziger wie eine Losung aus:„Wir wollen eine deutsche Toskana sein". Medienwirksam umgesetzt wird diese Idee seit 1993 mit dem alljährlichen Festival „Gourmet & Wein". Einem Auftakt im eleganten Kurhaussaal vonBad Neuenahr, der ausgewählte Speisen, exquisite Ahrweine, Kunst und Folklore im festlichen Rahmen vereint, folgen über Wochen vieler Schlemmerabende, gestaltet in lukullischer Partnerschaft: Winzer beim Koch, Küche im Weinkeller und von beiden das Beste. Beteiligt sind daran Häuser vom Rhein bis zur Hocheifel. Aber auch das Bemühen, Kochkunst lokal zu präsentieren, findet gebührenden Widerhall. Die Kulinarischen Wochen in Bad Breisig haben sich längst fest in den Terminkalender der Feinschmecker etabliert, ebenso der Köchemarkt in Bad Neuenahr, Initiative des Clubs der Köche Rhein-Ahr.

Toskana Deutschlands – darunter verstand Landrat Weiler auch und gerade das Angebot regionaler Küche mit Produkten der Region vom handfes-ten Winzerteller bis zum Wildgericht nach Großmutters Art. Beides ist heute in den Straußenwirtschaften der Ahr und in Gasthäusern der Eifel in bester Qualität zu haben. Originalität war gemeint, wie sie der Normanne Jean-Marie Dumaine in der „philosophischen", auch auf die Gesundheits- und Fitnessregion abgestimmten Kräuterküche des Vieux Sinzig zelebriert. Gemeint waren die traditionsreichen „ersten Adressen" wie die Mayschosser Lochmühle, das „Hohenzollern" hoch über Ahrweiler und natürlich Brogsitters Sanct Peter in Walporzheim, in dessen unvergleichlicher „Weinkapelle" Berühmtheiten aus aller Welt. exquisite Gastlichkeit genossen und genießen.

Seit 1993 findet das Festival „Gourmet & und Wein" im eleganten Kurhaussaal in Bad Neuenahr statt.

„Star" im Wortsinne ist Hans-Stefan Steinheuer mit seinem Nobelrestaurant Alte Post und den Landgaststuben in Heppingen, 1998 mit Höchstwertungen geradezu überschüttet:18 Punkte im Gault-Millau, der zweite Michelin-Stern und obendrein Auszeichnung als Koch des Jahres. In der Gaststube seiner Eltern kochte Mutter Renate bodenständig und gut. Der Sohn steht noch heute dazu. Aber er setzte sich eigene, höhere Ziele. Das Rüstzeug, sie umzusetzen, holte er sich in Spitzenhäusern der Republik wie dem „Erbprinz" in Ettlingen und den „Schweizer Stuben" in Wertheim, wo er als Sous-Chef den letzten Schliff erhielt und nebenbei seine Frau Gabi kennen lernte, die mit der Auszeichnung zur „Gastgeberin des Jahres" längst eigene Meriten sammelte. „Die Steinheuer-Küche ist ein Muster von Geschmacksdeutlichkeit und Aromakraft", heißt es in einem Fachurteil. Und: „Er ist ein Kind seiner Region; steht zur Landschaft, in der er lebt und arbeitet". Steinheuer ist der nimmermüde Botschafter ihrer Produkte und ihres Weins.

Der Schritt in die Selbstständigkeit, der Erfolg des ersten Michelin-Sterns und der Quantensprung zum zweiten haben ihn stolz, aber ganz und gar nicht überheblich gemacht. „Man kann nur gut bleiben, wenn man stets nach vorne schaut und sich kontinuierlich fortentwickelt", hat er einmal gesagt. Ein gutes Rezept für alle Küchen – und Keller – der Region…