Pastor Johannes Schüller (1916-2000) zum Gedächtnis

Aus dem Leben eines Landpfarrers

Rudolf Leisen

Der einzige uns bekannte Priester, dessen Wiege in Ramersbach stand, war Pastor Johannes Schüller.

Hier erblickte er am 14. Oktober 1916 das Licht der Welt. Im Alter von 12 Jahren hat er sein Heimatort verlassen, um am Konvikt in Prüm seine Studien aufzunehmen, wo er 1935 am Regino-Gymnasium sein Abitur ablegte. Das nachfolgende Theologiestudium am Priesterseminar in Trier wurde 1937 zunächst durch den Reichsarbeitsdienst unterbrochen.

Von 1940 an erlebte er dann den Krieg als Soldat an der Ostfront, wo er in Kurland nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 in russische Gefangenschaft geriet und den langen Marsch in ein großes Sammellager antreten musste.

Pastor Johannes Schüller (1916 - 2000)

In autobiographischen Aufzeichnungen schreibt Pastor Schüller:

Auf dem Weg in die Gefangenschaft waren ständig russische Marschkolonnen in die Gegenrichtung unterwegs. Einige russische Soldaten lösten sich von der Truppe und haben uns die Taschen nach Uhren und Ringen durchsucht – meine Uhr fanden sie nicht, weil sie im Taschentuch eingewickelt war. Nach einer Woche Fußmarsch wurden die deutschen Soldaten mit der Bahn weitertransportiert. Bei der Ankunft im Kriegsgefangenenlager wurde erneut das Gepäck durchsucht, wobei ein russischer Soldat das Neue Testament fand. Er sagte dann fragend zu mir: Christus? Ich sagte ja, Christus, dann gab der Russe mir die Bibel zurück. So habe ich den zweiten Weltkrieg und die an­schließende Gefangenschaft gemeinsam mit meinen Kameraden erlebt.

Ich hatte aber dennoch Glück: Bereits am 3. Oktober 1945 wurde ich aus dem russischen Kriegsgefangenenlager „Alexin", ca. 100 km südlich von Moskau, entlassen. Die Heimreise gestaltete sich bei den damaligen Verkehrsverhältnissen jedoch sehr schwierig; zumal es bei den wenigen Zugverbindungen, wegen Störungen an den Gleisanlagen ständig unliebsame Aufenthalte gab. Sobald der Zug irgendwo hielt, begann die Suche nach etwas Essbarem; wir schwärmten aus und buddelten auf den Feldern, ob nicht irgendwo noch eine Kartoffel steckte. Auch was die Köche aus dem Küchenwagen hinauswarfen, wurde noch verwertet. Ein russischer Soldat schenkte mir eine Zigarette, die ich dann bald gegen ein Stück Brot eingetauscht habe. In Frankfurt/Oder wurden die Gefangenen dann von den Russen entlassen. Aber wie sollte es weitergehen ? In die Züge nach Berlin durften die deutschen Soldaten nicht einsteigen, auch wenn diese leer waren. So blieb nichts anderes übrig, als auf dem Dach der Züge die Reise fortzusetzen. In Berlin angekommen, wurden wir Heimkehrer von den Amerikanern in Empfang genommen und in ein großes Sammellager in Berlin-Staaken gebracht. Von hier aus wurde die Heimreise weiter fortgesetzt in Richtung Bonn, wo wir von den Engländern entlassen wurden und die Reise über Remagen nach Ahrweiler fortsetzen konnten. Von hier aus ging es zu Fuß nach Ramersbach, was dann am Sonntag, dem 4.11.1945 erreicht wurde, als gerade die Glocken zum Hochamt läuteten!"

Die vier Wochen lange Heimreise war nun glücklich zu Ende. Am nächsten Tag ging Schüller dann pflichtgemäß zum Bürgermeisteramt in Niederzissen, um sich anzumelden.

Dazu schreibt Pastor Schüller:

„...Auf dem Amt in Niederzissen (Ramersbach gehörte damals noch zum Amtsbezirk Niederzissen) musste ich mich anmelden. Es gab noch kein Fahrzeug, nicht einmal ein Fahrrad. Also zufuß ungefähr 2 1/2 Stunden. Um 20 Minuten vor 12 kam ich an. Warum ich das so gut behalten habe?

Ich ging ins Amtsgebäude, durch ein zerbrochenes Fenster sah ich die Beamten am Tisch sitzen. Ich klopfe. Ein Mann kommt an die Tür, ein sog. Hilfspolizist, das sah man an dem kleinen weißen Stern am Ärmel. Ich trage mein Anliegen vor. Und was sagt der Mann? Wir haben um halb 12 geschlossen. Was soll ich machen?’ Ich sagte: Lieber Mann, ich komme direkt von Moskau, da stand nirgends angeschlagen, dass ihr hier in Niederzissen um halb zwölf Feierabend macht.’ Das hat ihn überzeugt, er sagte: Dann kommen Sie mal mit.’"

Obschon sich sein angestrebtes Berufsziel, das Priestertum, durch die Militärzeit um 6 Jahre verschoben hatte, setzte Johannes Schüller seine Studien bald in Trier fort. Er wurde am 4. August 1946 in der Kirche St. Paulus in Trier von Erzbischof Franz Rudolf Bomewasser zum Priester geweiht. Seine Primiz feierte er in Ramersbach.

In den 54 Jahren seines pries-terlichen Wirkens war er von 1947-1954 Kaplan in Waldbreitbach. 1954 übernahm er die Pfarrei Kirf, Kreis Saarburg. Von 1966 bis 1970 war er Pfarrer im saarländischen Fischbach/Camphausen und von 1970-1991 Pfarrer in Düngenheim und Urmersbach. Hilfreich stand er hier allen Menschen, die seinen Rat suchten, jederzeit zur Seite. Nach seiner Pensionierung am 2. Juli 1992 zog er wieder in seinen Geburtsort Ramersbach, dem er immer eng verbunden geblieben war. Sowohl in seiner Heimatgemeinde, als auch in den umliegenden Dörfern Niederheckenbach, Blasweiler, Brück und Kesseling wirkte er weiterhin unermüdlich aushilfsweise als Priester. Da ihm ein gewinnendes Wesen eigen war, ergab sich mit der Bevölkerung, insbesondere mit der Jugend und den Vereinen, stets eine gute Zusammenarbeit. Vor allem aber durfte er jetzt den Reichtum seiner Erfahrungen freudig weitergeben. Je älter er wurde, desto wärmer und selbstverständlicher hüllte ihn das Vertrauen des ganzen Heimatvolkes ein. Dies wurde besonders deutlich bei den Feierlichkeiten zu seinem 40jährigen und 50jährigen Priesterjubiläum 1986 und 1996, als ganz Ramersbach auf den Beinen war und dem Jubilar, gemeinsam mit den vielen Gästen, die aus seinen ehemaligen Wirkungsorten angereist waren, die Glückwünsche überbrachten.

Dass Pastor Schüller ein weltoffener Mensch war, geht auch aus seinen Predigten hervor. Hier ein Zitat aus einer Predigt vom 27. August 2000 in Ramersbach. Er geht dabei auf die Kirchenbesucher ein:

„Wenn von den Fußballspielen berichtet wird, erwähnen die Reporter auch meist, wieviele Zuschauer im Stadion waren. Je mehr es sind, um so besser für die Kasse. Spielt die Mannschaft schlecht, bleiben die Zuschauer aus. Diese Sorge oder Angst Zuschauer zu verlieren, haben nicht nur Sportvereine, die haben auch andere Vereine, haben Kinos, Theater, politische Parteien. Und ehrlich: Auch die Kirche hat das Problem: Rückgang der Besucher, leere Bänke, keine – oder wenig Kinder. Man spricht vom Verdunsten des Glaubens, wenig Interesse. Was soll man tun? Vereine mühen sich um ein besseres Programm, kaufen teure Spieler, wechseln den Trainer. Was soll die Kirche tun? Das Programm ändern ? Techno-Messen? Trainerwechsel? Schwer bei dem Priestermangel. Zudem sind unsere Trainer, Pastor und Kaplan ja gar nicht so schlecht… ."

Er war auch ein Meister der Stimmung, wenn er mit liebenswürdiger Ironie bei den Mundartabenden aus seinen Erinnerungen im Ramersbacher Dialekt eine entzückend passende „Platte auflegte". Hierbei war er immer ein sehr beliebter Redner und konnte seine Zuhörer mit Anekdoten, deren köstlichste dem alteifler Milieu entnommen waren, in eine tränenauslösende Heiterkeit versetzen. Am 13. Dezember 2000, im 54. Jahr seines priesterlichen Wirkens, starb Pastor Schüller nach einem erfüllten Leben. Ein arbeitsreiches Leben, einmalig und von unverwechselbarer Prägung, bescheiden und doch aktiv in seinem wegweisenden Wirken für jung und alt, war nach kurzem, schwerem Krankenlager zu Ende.

Das große Trauergeleit am Tag seiner Bestattung in Ramersbach brachte auch, trotz der eigentlich vom Verstorbenen gewünschten stillen Beerdigung, die allseitige Wertschätzung seiner Person zum Ausdruck.