Die stille Zeit des Jahres – damals in der Eifel

Agnes Gillig

chon gegen Ende des Sommers sieht man heute häufig in den Geschäften, vor allem in den Supermärkten, stapelweise Weihnachtsgebäck und festlichen Schmuck. Dann werden viele Menschen – vor allem ältere – an ihre Kinderzeit erinnert. In früherer Zeit verlief allerdings alles geheimnisvoller. Man fragt sich heute: Gibt es eigentlich noch den Zauber, der die Vorweihnachtszeit kennzeichnet?

Martinsfest

Die stille Zeit des Jahres in meiner Kinder und Jugendzeit in den 1930er und 1940er Jahren in Antweiler hatte ihren besonderen Glanz, der uns von Tag zu Tag mehr erfüllte. Sie begann in etwa Anfang November mit den Vorbereitungen zum Martinsfest. Die Tage wurden immer kürzer, die Abende und Nächte länger, und da gab es einige willkommene „Aufhellungen". Dazu gehörte der Martinsabend.

Wochen vorher bastelten wir in der Schule unsere Martinsfackeln aus Pappe und buntem Transparentpapier.

Die Jungen zogen es meist vor, aus Futterrüben lustige Gesichter „Knolleköpp" – zu schnitzen. Sie mussten sich auch um die Vorbereitungen des Martinsfeuers kümmern. Deshalb gingen sie von Haus zu Haus, um brennbares Material, z. B. alte Körbe, Reisig, Holzabfälle zu sammeln. Dabei sangen sie lautstark folgenden Vers: „Mir jon stuere für die Martinsfeuere."

Auf einer Anhöhe am Dorfrand – weithin sichtbar – wurde dann das Feuer am Martinsabend abgebrannt. Auf dem Weg dorthin sangen wir die schönen alten Martinslieder. Selbstverständlich ritt St. Martin hoch zu Ross mit.

In der Schule fand anschließend die Verteilung der Martinswecken statt und meist auch die Prämierung der schönsten selbstgebastelten Fackeln. An der Pflege dieses Brauches hat sich bis heute eigentlich nichts Wesentliches verändert.

Heute wird vielerorts noch das ganze Dorf mit Lampions festlich geschmückt. Auch beobachtet man wieder den Trend zu selbstgebastelten Martinslaternen, vor allem in Kindergartengruppen und Schul­klassen. Die Jungen sammeln heutzutage in der Regel kein brennbares Material mehr. In vielen Orten sind die Bewohner froh, dass sie schon einige Wochen vor dem Martinsabend ihre Holzabfälle, z. B. Hecken- und Baumschnitt, am Platz des Martinsfeuers deponieren können.

Die Pflege der verschiedenen Bräuche war in früherer Zeit für die Kinder besonders wichtig, da sie eine gelöste, heitere Atmosphäre schaffen sowie Frohsinn und Helle verbreiten. In der damals wesentlich ärmeren Zeit bot sich den Kindern nämlich ansonsten nicht so viel Abwechslung und Kurzweil wie heute durch Veranstaltungen und die Medien.

Manchmal brachte der November schon den ersten Schnee, und das war auch eine willkommene Gelegenheit zum fröhlichen Zusammensein mit anderen Kindern und den Geschwistern.

Nikolaus

Anfang Dezember erwartete man – wie heute auch – den Nikolaus. Die jetzt üblichen „offiziellen" Nikolausfeiern in Schule, Gemeinde oder Kindergarten gab es in unserer Kinderzeit allerdings noch nicht. Sie kamen erst in den 1950er Jahren auf. Daher fielen die Begegnungen mit dem Nikolaus sehr unterschiedlich aus. Besonders interessant fanden die Kinder damals das Verhalten des Gehilfen von Nikolaus, des Knechts Ruprecht. In der Eifel nannte man ihn Hans Muff. Bei den meisten Kindern war er nicht gerade beliebt. Viele fürchteten ihn sogar. Das „Bangemachen" in der Erziehung wurde noch gepflegt. Man erzählte sich vom „Kettenrasseln" und von einem „Sack", in den Hans Muff unartige Kinder hineinstecken würde. Gesehen hatte es noch niemand, doch es kursierten Gerüchte darüber. Diese stammten meist von älteren Kindern, die sich damit wichtig tun wollten. Aber die Gestalt des Heiligen Nikolaus, der in seiner Ausstrahlung alles überdeckte, ließ die Kinderherzen höher schlagen. Das Buch, das er bei sich trug, enthielt Gutes, aber auch Verfehlungen. Man betrachtete es mit gemischten Gefühlen, denn der Nikolaus wusste angeblich alles von einem. Und da war ja im Laufe des Jahres einiges zusammengekommen. Aber auch diese Sorge erwies sich als völlig harmlos. Man spürte, der Nikolaus wollte die Kinder erfreuen. Der bunte Teller mit Plätzchen, Süßigkeiten und einigen Geschenken ließ schnell die vorherige Aufregung vergessen. – Er kam auch nicht immer persönlich, sondern meist als nächtlicher und unsichtbarer Gast, der uns seine Geschenke hinterließ. Es waren oft notwendige und bescheidene Dinge, z. B. ein Schlafanzug, ein Paar Handschuhe und ein warmer Schal. Aber wir betrachteten sie trotzdem als etwas ganz Besonderes.

Vorfreude auf Weihnachten

Die Ahnungen vom kommenden Weihnachtsfest begannen nach dem Nikolausfest langsam Wirklichkeit zu werden. Dem ersehnten Ziel kamen wir täglich ein wenig näher.

So ganz „umsonst" konnte man die Geschenke des Christkindes damals allerdings nicht er­warten. Es mussten schon einige Anstrengungen unternommen werden, um dieser Gaben würdig zu sein. Nicht, dass die Eltern es ausdrücklich gefordert hätten. Aber man war in die­ser Zeit eher als sonst bereit, besondere Arbeiten oder Botengänge zu übernehmen. Auch zusätzliche Gebete waren üblich.

Mit jedem Tag wuchs die Vorfreude auf das Fest. Dass Weihnachten einmal ausfallen

könnte, wäre für uns Kinder unvorstellbar gewesen. Ein schönes Abendrot deuteten die Er­wachsenen als „Christkinds Backstube".

Das Plätzchenbacken geschah in den Familien meistens am späten Abend, so dass die Kinder am Morgen nichts mehr von der nächtlichen Weihnachtsbäckerei bemerkten. Allerdings ließen sich gewisse Düfte nicht so schnell vertreiben. Aber in diesem Falle lagen in unseren Schuhen einige Plätzchen. Damit steigerte sich die Vorfreude. Auch als die Puppe oder der Kaufladen vor Weihnachten verschwanden, da wussten wir, das Christkind hatte seine Hand im Spiel. Die Puppe „thronte" dann am Heiligen Abend mit einem neu gehäkelten Kleid und passendem Zubehör im Wagen. Der Kaufladen war aufgefüllt mit leckeren Sachen.

Der Heilige Abend

Am Heiligen Abend war die Spannung besonders spürbar. Die Eltern zogen sich zurück. Im Wohnzimmer wurden letzte Vorbereitungen getroffen. Wir Kinder erwarteten, dass das Glöckchen uns den großen Augenblick ankündigte. Meist übernahm der Großvater die Auf­gabe, uns während dieser Zeit zu betreuen. Wir stellten ihm schwierige Fragen, die das Christkind betrafen. Er wird wegen der vielen Fragen froh gewesen sein, als es endlich so­ weit war.

Der geschmückte Tannenbaum strahlte uns entgegen. Und eines Tages stand eine wunderschöne Krippe da mit herrlichen Figuren.

Sicher wanderten unsere Blicke schnell einmal zum Tisch mit den verpackten Geschenken. Aber es war selbstverständlich, zunächst die Krippe und den Weihnachtsbaum zu bestau­nen. Die Mutter stimmte die schönen Weihnachtslieder an, und wir ließen uns von dem Kind in der Krippe anrühren. Die kleineren Geschwister trugen ihre Gedichte vor. Und als der offizielle Teil vorbei war, gingen wir daran, unsere Geschenke auszupacken. Wir durften lange aufbleiben, spielen und uns der schönen Dinge erfreuen.

Der Höhepunkt des Weihnachtsfestes war in jedem Jahr die Christmette. Sie fand um Mitternacht oder am frühen Morgen des ersten Weihnachtstages statt. Wie gern sangen wir die schönen alten Weihnachtslieder. Auch als während des Zweiten Weltkrieges Städte und Dörfer zerstört wurden und vielen Menschen schreckliches Leid angetan wurde, blieb die Christmette – wo man sie noch besuchen konnte – ein Lichtblick in dunkler Zeit. Sie gab uns Hoffnung auf Frieden.

Irgendwann kam natürlich die Zeit, in der die Eltern aufklären mussten. Es schmerzte schon ein wenig. Aber die Erklärung, dass sie stellvertretend wegen des frohen Ereignisses der Geburt Christi die Gaben verteilten, schien uns auch einleuchtend. Und wir wachten darüber, dass die jüngeren Geschwister auch ihren besonderen Weihnachtszauber erleben durften, denn nur das eigene Erleben kann man meiner Meinung nach später weitergeben an die nächste Generation.

Die geheimnisvolle Atmosphäre und der Zauber, der wie ein Schleier über dem weihnachtli­chen Geschehen lag, war etwas, das es in dieser Form aus meiner Sicht so heute nicht mehr gibt. Es wird zuviel vorweggenommen. Manche Kinder wissen schon vorher, was sie zu Weihnachten bekommen oder sie kaufen sogar ihre Geschenke selber ein.

Der materielle Wert der Geschenke war in früheren Jahren oft gering. Vieles wurde in Handarbeit hergestellt. Aber die Art und Weise des Schenkens, die Festvorbereitung, die liebevolle Art der Eltern, ihre Kinder wirklich zu überraschen und das Ganze geheimnisvoll zu gestalten, bedeuteten uns sehr viel. Kostbare Geschenke, gutes Essen und Trinken allein können niemals die Atmosphäre eines harmonischen Weihnachtsfestes aufwiegen. Viel wichtiger als wertvolle Gaben ist die Zuwendung, sich Zeit zu nehmen für die Kinder, sich mit ihnen auf das Fest vorzubereiten und ihnen die religiöse Dimension, die immer mehr verlo­ren geht, nahezubringen.

Kriegsweihnacht 1942

Bei uns in der Eifel war es beispielsweise in vielen Familien üblich, dass Eltern und größere Kinder gemeinsam die Krippe aufbauten. Moos, Baumrinde und andere Materialien wurden dafür im Wald gesammelt. Die Krippe nahm oft die Hälfte des Zimmers ein. Nachbarn und andere Dorfbewohner bewunderten dann gegenseitig die Krippen an den Festtagen. Sie freuten sich an diesen kleinen Dingen und sprachen sich gegenseitig Anerkennung für den gelungenen Aufbau aus.

Unsere Zeit kommt mir dagegen oft gemüts- und gefühlsärmer vor. Das mag auch ein wenig darin begründet sein, dass die häuslichen Feste nicht mehr auf diese Weise gestaltet wer­den. Dies wird auch den Eltern, die dies sicher auch heute möchten, erschwert, da sich alles zu sehr in der Öffentlichkeit abspielt und die Kinder dem voll und ganz ausgesetzt sind. Ge­schmückte Lichterbäume stehen oft schon wochenlang auf den Dorfplätzen und in vielen Vorgärten. Da gibt es nicht nur den einen Weihnachtsbaum im Elternhaus oder in der Kirche. Ganze Straßenzüge verwandeln sich vor Weihnachten in ein Lichtermeer.

Vor allem nimmt die aufdringliche Werbung – besonders im Fernsehen – viel vorweg. Eine große Anzahl von „Nikoläusen", die man Weihnachtsmänner nennt, „geistern" über die Bildschirme. Vom Glanz, vom Zauber und von geheimnisvollen Dingen kann man da kaum mehr sprechen. Auch Weihnachtslieder, die früher dem Christfest vorbehalten waren, werden schon Wochen vorher in Kaufhäusern, Supermärkten, auf Straßen und den zahlreichen Weihnachtsmärkten „hinausgedröhnt". Sie verlieren dadurch ihre Besonderheit, der Text wird überhaupt nicht mehr wahrgenommen.

Insgesamt geht vielfach das Besondere des Festes verloren.

Trotz allem bleibt mit Weihnachten für viele zeitlebens die Erinnerung an ein fröhliches, friedvolles und zauberhaftes Fest verbunden. Es kann uns bis heute mit seinem Glanz erfüllen.