Das Zentrum für Nachrichtenwesen
der Bundeswehr in Grafschaft-Gelsdorf

Joachim Mogwitz

Auftrag

Mit Wirkung vom 1. Juli 2002 wurde aus dem bisherigen Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) aufgestellt. Es ist die zentrale Dienststelle der Bundeswehr für das Feststellen, Führen und Bewerten der politischen Lage anderer Staaten und deren Streitkräfte sowie der Militärischen Sicherheitslage der Bundeswehr.

Entsprechend dem gesetzlichen Trennungsgebot ist das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr kein Nachrichtendienst. Es bekommt die für seine Arbeit notwendigen Informationen vom Bundesnachrichtendienst, von den Aufklärungskräften der Streitkräfte in den Einsatzländern der Bundeswehr und von internationalen Verbündeten und Partnern. Das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr ist auf den Informationsbedarf des Bundesministers der Verteidigung, vor allem in seiner Funktion als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt im Frieden sowie auf den Bedarf der Streitkräfte ausgerichtet und verarbeitet die gewonnenen Informationen im Prozess der Lagebearbeitung gezielt für den spezifischen Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung und der Streitkräfte.

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zerfall des Warschauer Paktes hat sich der Auftrag der Bundeswehr erheblich gewandelt. Der Auftrag der Landesverteidigung im Rahmen der Bündnisverteidigung der NATO ist in den Hintergrund getreten.

Im Vordergrund steht heute die Verteidigung deutscher Sicherheitsinteressen weltweit, wie die Beteiligung an den Einsätzen in Bosnien Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan und am Horn von Afrika zeigt. Die Ereignisse vom 11. September 2001 haben diese Entwicklungstendenz beschleunigt. Dieses erweiterte Aufgabenspektrum stellt neue Herausforderungen an das Militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr, die insbesondere vom Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr zu bewältigen sind.

Bei der Unterstützung der Truppenteile im Einsatz durch das Militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr hat das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr eine zentrale Rolle übernommen; hier werden aktuelle Lage­informationen aus Einsatzgebieten mit Informationen von dritter Seite (Bundesnachrichtendienst, internationale Partner, Militär­atta­chés, etc.) und den schon vorhandenen Grundlagendaten in Beziehung gebracht, zu einem vollständigen Lagebild verdichtet und sowohl den politischen und militärischen Entscheidungsträgern wie auch den Truppenkontingenten im Einsatz zur Verfügung gestellt.

Im engen inneren Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, aber auch darüber hinaus, steht eine weitere Kernaufgabe des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr und damit des Zentrums für Nachrichtenwesen: Beitrag zur Krisenfrüherkennung und daraus folgend der Beitrag zum Krisenmanagement der Bundesregierung. Diese Aufgabe wird in Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst, dem Auswärtigen Amt (AA) und künftig verstärkt auch mit anderen Ressorts wahrgenommen.

Von wachsender Bedeutung ist das Einbringen nationaler Erkenntnisse in die Lagedarstellung und die Entscheidungsprozesse der NATO und der Europäischen Union.

Das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr in Grafschaft-Gelsdorf, 2003

Gliederung

Der Fachauftrag des Zentrums wird in fünf Organisationsbereichen

wahrgenommen.

Für die Grundlagenerarbeitung und -bearbeitung sind in der Grundlagenabteilung teilstreitkraftübergreifende und -spezifische Elemente zur Bearbeitung der Lage anderer Staaten einschließlich ihrer Land-, Luft- und Seekriegspotenziale zusammengefasst.

Unter Grundlagen verstehen wir das durch Zusammentragen von Informationen im ZNBw entstandene Basiswissen, das es uns erlaubt, die politische, militärpolitische und militärische Lage in einem Land zu analysieren. Fortschreiben und ständiges Aktualisieren der Grundlagen sind Voraussetzung, die aktuellen Lageentwicklungen bewerten und sich entwickelnde Krisen frühzeitig erkennen zu können.

Die aktuelle Feststellung, Führung und Bewertung der Lage in den Einsatzgebieten deutscher Streitkräfte sowie die einsatzbegleitende Unterstützung der Einsätze der Bundeswehr durch mobile Unterstützungselemente sind im zweiten Kernbereich, der Abteilung Einsatz zusammengefasst. In dieser befindet sich das Lagezentrum als Herzstück des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr.

Völlig neu im Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr ist der Aufgabenbereich Objektbearbeitung, in dem die gesamte Expertise des Zentrums in den Bereichen Luftbildauswertung und Infrastrukturanalyse gebündelt wird. Sie bilden eine wichtige Grundlage, um rechtzeitig vor Beginn einer Krise unseren Streitkräften Einsatzunterlagen unter anderem zur Planung und Durchführung von Evakuierungsoperationen zur Rettung deutscher Staatsbürger zur Verfügung stellen zu können.

Unterstützt werden die beiden Kernbereiche ´Grundlagen´ und ´Einsatz´ durch die Abteilung Zentrale Aufgaben mit den beiden Hauptbereichen Weiterentwicklung des Militärischen Nachrichtenwesens und Informationsmanagement und durch das Systemzentrum, das für den Betrieb und Einsatz des DV-Informationssystems JASMIN (Joint Analysis System Military Intelligence) des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr verantwortlich ist.

Seit Beginn dieses Jahres ist die ehemalige Schule für Nachrichtenwesen der Bundeswehr als Lehrgruppe Militärisches Nachrichtenwesen in das Zentrum für Nachrichtenwesen integriert und damit Lehre und Praxis auf das Engste verbunden. Die Anforderungen an das im Militärischen Nachrichtenwesen der Bundeswehr eingesetzte Personal und ihre Professionalität haben sich durch die Auslands­einsätze und die Forderung nach weltweiter Lagebearbeitung unter Einbeziehung politischer, religiöser, kulturelle ethnischer und anderer gesellschaftspolitischer Aspekte erheblich gewandelt.

Im Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, arbeiten 640 Angehörige, rund 1/3 der Dienstposten sind mit zivilen Mitarbeitern besetzt.

Liegenschaft

40 Jahre nach Beginn der Aufstellung der Vorgänger des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr zogen die ersten Teileinheiten des damaligen ANBw im Herbst 1996 von Bad Neuenahr-Ahrweiler in die neue Kaserne im Gewerbegebiet Grafschaft-Gelsdorf um. Noch vor der endgültigen Fertigstellung des Bürogebäudes folgten im Sommer 1999 weitere Teileinheiten aus dem Ahrtal und aus Köln/Wahn und nahmen ihren Dienstbetrieb noch auf der Baustelle auf. Seit dem Ende des ersten Quartals des Jahres 2000 ist das Zentrum für Nachrichtenwesen funktionsfähig in der Grafschaft stationiert.

Mit der Zusammenlegung aller Teile des ehemaligen ANBw in der Kaserne Grafschaft endete die provisorische Unterbringung, verteilt auf acht Liegenschaften in zwei Standorten. Mit der Zusammenlegung wurde eine deutliche Reduzierung der Betriebskosten und eine Steigerung der Effektivität der Dienststelle erreicht.

Die Kasernenanlage des Zentrums für Nachrichtenwesen umfasst ein Areal von ca. 17 ha. Sie besteht im Wesentlichen aus einem Bürogebäude, einem unterirdischen Schutzbau, einem Wirtschafts- und Technikbereich sowie einem Gebäude für die eigene Berufsfeuerwehr.

Der Schutzbau, noch unter dem Aspekt der Bedrohung durch den ehemaligen Warschauer Pakt geplant, ist eine begrünte Untertageanlage und für einen „closed-door"-Betrieb von 7 Tagen ausgelegt. Der Stahlbetonbau mit den Abmessungen von 46 x 46 m und einer Tiefe von 36 m hat eine Nutzfläche von ca. 4000 m. Er wird von einem verschweissten Baustahlgewebe umschlossen, das als elektronischer Schirm die notwendige Abstrahlsicherheit gewährleistet.

Das 1. Geschoss befindet sich auf dem Geländeniveau, die Geschosse 2 bis 6 liegen unterhalb der Erdoberfläche. Der Schutzbau beherbergt im Wesentlichen das Kommunikations- und Rechenzentrum sowie das im Schichtbetrieb rund um die Uhr besetzte Lagezentrum des Zentrums für Nachrichtenwesen.

Blick in das Lagezentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr

Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Warschauer Paktes im Bau, wurde der Schutzbau fertiggestellt, da ein Rückbau teurer geworden wäre als die Fertigstellung des Bauwerks.

Ab 2007 ist mit weiteren Baumaßnahmen für die Unterbringung der Lehrgruppe Militärisches Nachrichtenwesen zu rechnen, die von Bad Ems nach Gelsdorf verlegen wird. Die Errichtung eines Lehrsaalgebäudes, eines Unterkunftsbereichs für Lehrgangsteilnehmer sowie von Sport- und Betreuungseinrichtungen ist geplant.

Ausblick

Die neuen, erweiterten Aufgaben der Bundeswehr stellen neue Anforderungen an das Militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr und damit an das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr. Um diesen gerecht zu werden, muss das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr über die Fähigkeit verfügen, bedrohungsgerecht, streitkräftegemeinsam, einsatzorientiert und im multinationalen Kontext agieren und reagieren zu können. Die dazu notwendigen Veränderungen und Verbesserungen sind mit dem Übergang vom Amt für Nachrichtenwesen zum Zentrum für Nachrichtenwesen geschaffen. Der eingeleitete Anpassungsprozess bedarf der kontinuierlichen Evaluierung und Nachsteuerung, auch im Kontext neuer Herausforderungen, beispielsweise die Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Auf diesem Gebiet, aber auch in anderen Bereichen künftiger Bedrohungen und Risiken wird es darauf ankommen, die Fähigkeiten des Zentrums für Nachrichtenwesen diesen anzupassen und so seine Leistungsfähigkeit für eine bedrohungsgerechte, aktuelle und einsatzorientierte Bewertung der Lage in anderen Staaten auf dem erforderlichen hohen Niveau sicherzustellen.

Ein einsatz- und bedarfsorientiertes, effektives und effizientes Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr ist unverzichtbar, um die politische Leitung und militärische Führung der Bundeswehr in die Lage zu versetzen, auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse an der nationalen und internationalen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung mitwirken zu können und es den Streitkräften zu ermöglichen, ihre anspruchsvollen Aufgaben im gesamten Einsatzspektrum weltweit erfüllen zu können.

Das Wappen des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr:
Die Eule als „Vogel der Weisheit" symbolisiert das militärische Nachrichtenwesen.