Schule aus heutiger und früherer Sicht in der Eifelregion

Agnes Gillig

„Pisa“ als internationaler Schulvergleich, bei dem das deutsche Schulsystem schlecht abgeschnitten hat, ist in aller Munde. Probleme, Defizite und Schwierigkeiten in unserem Bildungssystem werden nach dieser Studie vielfach diskutiert. Dass vom „Albtraum Schule“ und „Höllenjob Lehrer“ gesprochen wird, hat viele Ursachen, die hier nur angedeutet werden können. Zu diesen gehören u. a. fehlende Werteerziehung im Elternhaus, die oft unzureichende Vermittlung von Lernvoraussetzungen für Schüler, negative Einflüsse der Medien, der Wandel der Familienstruktur, vielfältige Probleme nach Ehescheidungen, schließlich die Schwierigkeiten von Alleinerziehendenden, oft auch deren finanzielle Probleme, aber auch die von arbeitslosen Eltern. Hinzu kommen noch Drogenprobleme und auch Gewalt an den Schulen. Die überschaubare Welt von einst gibt es nicht mehr. Das Leben ist auch auf dem Lande komplizierter und hektischer geworden. Es stellt hohe Anforderungen an Eltern, Erzieher und Lehrer. Es wird dabei immer deutlicher, dass man auf die sogenannten „Sekundärtugenden“, z. B. Ordnung, Pflichtbewusstsein, Fleiß und Verantwortungsgefühl nicht verzichten kann, denn sie sind wichtig für das Lernen und die Berufsausübung. Kinder brauchen gewisse Regeln, Rituale und Vorbilder, die sie zu Verantwortungsbewusstsein und gegenseitiger Rücksichtnahme erziehen. Vor diesem Hintergrund soll eine Rückschau auf die früheren Schulverhältnisse und Einstellungen zur Schule in den 1930er/1940er Jahren in Antweiler geworfen werden.

Frühere Familienverhältnisse

Bei der Beschreibung und den Klagen über die heutige Situation taucht schnell die Frage auf:

Wie war es eigentlich früher?

In der Erinnerung wird das Unangenehme oder Negative oft vergessen. Meist behält man nur das Schöne und Angenehme im Gedächtnis. An der Oberahr, wo ich in Antweiler aufgewachsen und ab 1934 zur Schule gegangen bin, waren die Kinder schon früh eingebunden in häusliche Arbeiten, vor allem, wenn die Eltern Landwirtschaft betrieben. Die meisten Kinder betrachteten das Viehhüten noch als eine der einfachsten Aufgaben, denn dabei konnte man noch lesen oder sich spielerisch betätigen. Schon schlimmer dran waren die Kinder, die Stalldienste verrichten mussten oder bei der Heu-, Getreide- und Kartoffelernte halfen. Da es keine Maschinen gab, erforderte das Arbeiten in der Landwirtschaft viele helfende Hände und war eine große körperliche Anstrengung.Ähnlich erging es vielen Mädchen zu Hause, die zu häuslichen Arbeiten herangezogen wurden. Vor diesem Hintergrund waren für die meistenSchüler die Übernahme von Arbeiten sowie die Einhaltung von Regeln und Pflichten nichts Neues in der Schule. Die Kinder lernten beizeiten, dies zu akzeptieren und eine gewisse Ordnung zu einzuhalten. Viele übernahmen auch viel früher als heute Verantwortung, so zum Beispiel für jüngere Geschwister. All das kann auch als Vorbereitung für die Schule angesehen werden. Zudem wurden Eltern und Lehrer im Gegensatz zu heute als Autoritätspersonen nicht infrage gestellt.

Schulische Situation in den 1930er Jahren

In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in vielen Schulen noch die Prügelstrafe, so auch in meinem Heimatort Antweiler.

Nach dem Ersten Weltkrieg soll eine gewisse Verwahrlosung der Schüler eingetreten sein. Die Schule fiel während des Krieges oft aus und die Väter waren ja vielfach an der Front, sodass die Mütter mit der Fülle der landwirtschaftlichen und häuslichen Arbeiten und der Erziehung der Kinder oftmals überfordert waren. Die häusliche Erziehung blieb auf der Strecke. Das hatte Auswirkungen auf die Schule. Um die Schüler zu erziehen, ließ der damalige Lehrer nach 1918/19 besondere Strenge walten, wozu auch die Prügelstrafe gehörte. Dies war sicher der falsche Weg, um die Kinder zum Lernen zu motivieren. Gewiss litt das Selbstwertgefühl der Kinder darunter und auch die Mitarbeit wurde blockiert. Lob und Anerkennung als wertvolle Erziehungsmittel kamen nur selten zur Anwendung. Betroffen von diesen drastischen Maßnahmen waren zudem fast immer dieselben Schüler. Damals kontrollierte der Lehrer im Dorf auch noch, ob die Kinder am Abend rechtzeitig ihr Zuhause aufsuchten. Nach dem Läuten der Abendglocke mussten sie Straßen und Spielplätze verlassen, denn ansonsten war am nächsten Morgen in der Schule eine Bestrafung fällig. Auch in den Gottesdiensten an Sonn- und Werktagen standen die Schüler unter der Beobachtung des Lehrers. Zum Wochenbeginn prüfte er, ob die Kinder mit sauberen Taschentüchern, Fingernägeln und geputzten Schuhen zum Unterricht erschienen waren. Besonderer Wert wurde auf saubere und ordentliche Kleidung gelegt. Heute würden diese Kontrollen als Zumutungen angesehen. Damals wurden sie aber meistens hingenommen. Rückblickend meinen viele, dass es mehr genützt als geschadet habe.

Schulklasse in der Volksschule Antweiler, um 1935

Die Arbeit des Lehrers wurde, wenn man von der Prügelstrafe absieht, von vielen damaligen Schülern so kommentiert: „Der Lehrer war streng. Aber wir haben viel gelernt und das hat uns im Leben vor allem Vorteile gebracht.“ Ein früherer Mitschüler erzählte, dass einige Handwerksmeister aus der Umgebung nur Schulabgänger aus Antweiler als Lehrlinge einstellen wollten, da sie in Rechnen und Raumlehre besonders gut abschnitten. Heute beklagen viele Arbeitgeber die Defizite und fehlende Motivation mancher Bewerber. Im Bewusstsein der Ortsbewohner hatte die Volksschule im Dorf die Bedeutung der zentralen Bildungs- und Kulturstätte. Daher war man in Antweiler auch sehr stolz auf das neue Schulgebäude, das am Martinstag 1929 feierlich eingeweiht wurde. Bis zur Fertigstellung hatte es 10 Jahre gedauert, da Inflation und Weltwirtschaftskrise den Bau verzögert hatten. Die neue zweiklassige Volksschule (1.-4. und 5.-8. Schuljahr) mit ihrem großen Schulhof war für die damalige Zeit ein respektabler moderner Neubau, der auch noch zwei Lehrerwohnungen aufweisen konnte.

Erinnerungen an die Schulzeit ab 1934

Meine eigene Schulzeit begann nach den Osterferien 1934. Wir freuten uns alle auf den Schulanfang, denn es gab keinen Kindergarten und auch sonst fehlte es an Abwechslung im Dorf, obwohl es viele Spielmöglichkeiten an der Ahr, auf der Straße, auf Wiesen und in nahen Waldstücken gab. Auch im Elternhaus kam im Zusammensein mit drei Geschwistern keine Langeweile auf. Von der Schule erwarteten wir aber ein Angebot an zusätzlichen Möglichkeiten, auf die wir gespannt waren. Selbstverständlich erhielten wir vor Schuleintritt eine vollständige Schulausrüstung mit Schulranzen, Tafel, Griffel und Griffelkasten. Auch war ein neues Kleid für die Einschulung die Regel. Der Einschüchterung durch ältere Schüler schenkten wir keinen Glauben. Von ihnen konnte man nämlich oft hören:  „Wartet, wenn ihr in die Schule kommt, dann werdet ihr was erleben.“ Sie meinten damit die Strenge mancher Lehrer und deren Schläge, die hin und wieder ausgeteilt wurden. Die meisten von uns hatten davor aber keine Angst, denn bei uns zu Hause gab es keine Schläge. Und in der Schule befürchteten wir sie auch nicht. Meine Spielgefährtin und ich gingen versehentlich sogar einen Tag zu früh zur Schule. Anscheinend konnten wir es kaum erwarten. Vermutlich hatten unsere Eltern aber eine falsche Information. Der Lehrer der Oberklasse (5. – 8. Schuljahr) begüßte uns sehr freundlich und war voll des Lobes über unseren „Eifer“. Die offizielle Einschulung zusammen mit 8 Mitschülern fand dann am nächsten Tag bei unserer Lehrern, Fräulein Eifler, statt. Leider trat sie ein halbes Jahr später in einen Orden ein. Nach ihrem Weggang unterrichtete uns bis zum 5. Schuljahr Fräulein Voß. Insgesamt war es eine sehr interessante Zeit. Abwechslung brachten vor allem die Feste im Jahreskreis. Ganz besonders sind mir die mit einem religiösen Hintergrund in Erinnerung geblieben. Gedichte, Lieder, Erzählungen  und Aufführungen knüpften an die jeweilige Situation an und bereicherten Gemüt und Phantasie. Die Nazi-Zeit hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Schule und den Unterricht. Der Lehrstoff war in einigen Fächern nationalsozialistisch „durchwirkt“. Geschichte und Sport eigneten sich dazu besonders. Es hat schon Methode, wie in allen totalitären Staaten versucht wird, Kinder und Jugendliche ideologisch zu beeinflussen. Aber auch Weihnachtsfeiern hatten vielfach keinen religiösen Hintergrund mehr. Die sogenannten Sonnwendfeiern standen im Mittelpunkt. Als Sonnwende bezeichnet man die Zeit des höchsten Sonnenstands (21. und 22. Juni Sommersonnwende) und des tiefsten Sonnenstandes (21. und 22. Dezember Wintersonnwende). Sie galten als altgermanische Volksfeste. Die Wintersonnwendfeier trat im öffentlichen Bereich an die Stelle der Weihnachtsfeier. An eine dieser Feiern, die in Antweiler im Saal des damaligen Jägerhofes im Beisein der Eltern stattfanden, erinnere ich mich noch gut. Ein sehr schönes Gedicht von Friedrich Rückert, „Vom Bäumchen, das andere Blätter hat gewollt“, stand im Mittelpunkt der Feier. Es wurde mit verteilten Rollen vorgetragen und rief bei den Zuhörern, vor allem bei den Eltern, immer wieder Schmunzeln hervor. Vielleicht war es in vielen Fällen so, dass die Lehrer bei uns einen Mittelweg wählten. Sie erfüllten die politischen Forderungen, z. B. jeden Morgen vor dem Unterricht 10 Minuten sportliche Betätigung durchzuführen und andere Vorgaben. So wurde auch der Samstag als Staatsjugendtag mit Sport gestaltet. Aber das Morgengebet vor dem Unterricht wurde nach wie vor ebenfalls beibehalten. Es war für viele christlich eingestellten Lehrer ein schmaler Grat, den sie damals gehen mussten. Im Schulalltag selbst kamen vor allem Lesen, Schreiben und Rechnen in verschiedenen Variationen mit vielen Übungsphasen zur Anwendung. Der Unterricht von der 1. bis 4. Klasse in einem Raum erforderte Differenzierungen nach Klassenstufen. Einige Fächer wurden aber auch gemeinsam unterrichtet, so beispielsweise Singen und Leibesübungen. In den Pausen konnten wir uns durch Spiele, z. B. später durch Völkerball, Bewegung verschaffen. Tägliche Hausaufgaben waren üblich, jedoch ließen sie Freiraum für Freizeit am Nachmittag. Später wechselte ich zur damaligen „Oberschule für Jungen“ in Adenau. „Hier gibt es keine Zuckerplätzen“, so charakterisiert ein dortiger Lehrer seinen Anspruch an uns. Vor den Sommerferien 1944 wurden alle Jungen meiner Klasse bis auf einen, der noch zu jung war, zur Heimatflak eingezogen. Die Mädchen gingen nach den Sommerferien zum Teil zur damaligen Ahrbergschule auf dem Calvarienberg, so der Name der verstaatlichten Klosterschule. Wegen des zunehmenden Luftkrieges begann vier Wochen später das schulfreie Jahr für uns. Nach dem Krieg war ich dann von Oktober 1945 bis zum Abitur 1948 Schülerin des Privaten Oberlyceums der Ursulinen auf dem Calvarienberg in Ahrweiler. In den sogenannten „Hungerjahren“ fehlte es eigentlich an allem, was zu einem normalen Schulleben gehört. Trotzdem vermag ich auch dieser entbehrungsreichen Zeit in der Rückblende viel Positives abzugewinnen. Alle Lehrkräfte bemühten sich auch in dieser schwierigen Situation um bestmöglichen Unterricht. Wir waren eine gute Klassengemeinschaft und hofften alle auf eine bessere Zukunft. Die enorme Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg beweist, dass in dieser Zeit  durch die Schulbildung und Erziehung der damaligen Generation dafür eine gute Grundlage gelegt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass auch vor dem Hintergrund von „Pisa“ in unserem Lande alles dafür getan wird, dass jedes Kind seiner Begabung gemäß gefördert wird. Es ist deshalb erfreulich, dass der Kreis Ahrweiler durch ein besonderes Schulbauprojekt („Bau-Boom für Bildung“) die Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens in den Schulen des Kreises weiter verbessert.

Quellen: