WIE DIE

KAPELLE ZU PÜTZFELD GEBAUT WURDE

Es gibt zwei Sagen über die Entstehung der Kapelle zu Pützfeld, die, weithin sichtbar, auf der linken Seite der Ahr liegt. Beide Sagen verknüpfen die Entstehung der Kapelle mit einem Ritter, die zweite dazu noch mit einem Kreuzzug, obgleich die Zeit der Kreuzzüge schon längst vorbei war, als die Kapelle gebaut wurde.

Es war vor vielen Jahren — so berichtet die erste Sage —, da ritt einmal ein Ritter in der Nacht über die Berge nach Pützfeld. Man konnte in der Dunkelheit nicht die Hand vor den Augen sehen, kein Mond schien und kein Stern leuchtete. Dazu heulte der Sturm in schaurigen Lauten durch die Gegend. Er brach sich an den Felsen und sein Echo hallte von allen Seiten wider. Dem Ritter war es, als ob alle Geister der Vorzeit losgelassen seien, ihn zu bedrängen. Er mußte vom Pferd absteigen und sich mühsam vorantasten, Fuß vor Fuß setzen und den Weg erproben, während er das Pferd am Halfter führte.

Da begann es nun auch noch zu regnen. Jetzt konnte der Fuß auf dem Weg, über den sich der Regen wie ein Strom ergoß, keinen Halt mehr finden, konnte den Weg überhaupt nicht mehr ertasten, nicht mehr Feld und Weg voneinander unterscheiden. Der Ritter machte Halt. Es ging nicht mehr weiter. Hier mußte er nun warten. Doch da scheute auf einmal das Pferd vor irgend etwas Unbekanntem zurück. Er hielt es kurz und versuchte es zu beruhigen. Er klopfte ihm auf den Hals und streichelte mit ruhiger Hand über den Pferderücken. Dann machte er einen Schritt nach vorn, um vielleicht die Ursache der Unruhe seines Pferdes zu erkunden — und fiel in schier endlose Tiefe, im ersten Schreck das Pferd fahren- lassend, als der Boden jäh unter ihm wich.

Der Ritter verfing sich endlich im Gebüsch, sein Fall wurde durch Gesträuch aufgehalten, wurde langsamer. Dann lag er auf einer Felsplatte; er lag mit aller seiner Not da und konnte kaum die zerschundenen Glieder bewegen. Er versuchte aufzustehen; es gelang ihm nicht. Er versuchte, sich auf die Seite zu wälzen; es gelang ihm nicht. Da wußte er: kam keine fremde Hilfe, mußte er elend verderben. Er rief — aber kein Laut drang durch die aufgewühlte Natur. Der Sturm heulte, der Regen fiel mit lautem Getöse auf den Felsen, auf die rauschenden Blätter der Bäume, auf die Äcker.

Da fiel es ihm ein, zu beten. Die Hände konnte er nicht falten, aber dennoch war sein Gebet so innig wie wohl noch nie in seinem Leben. Aber nicht nur Gebete waren es, die er zum Himmel sandte; er begann Gelübde zu machen und Versprechungen, wie sie jemand macht, wenn er sich plötzlich in Todesnot sieht und weiß, Menschenhilfe ist nicht mehr zu erwarten. Die Möglichkeiten, etwas zu geloben, waren ihm nicht klar, er flüsterte dieses und jenes; er wollte eine Wallfahrt machen, er wollte ins Heilige Land ziehen, er wollte in ein Kloster gehen. Doch auf einmal wurde es ganz klar in ihm: Hier an der Stelle, an der er lag, mußte eine Kapelle, eine Kirche entstehen, das allein wäre ein würdiger Dank, wenn ihm Hilfe erstünde.

Langsam, mit dem beginnenden Morgen, ließ auch der Sturm nach. Nun begann er wieder zu rufen, und diesmal drang sein Rufen durch die Weite. Man hörte das Rufen des Ritters in Pützfeld und Leute machten sich auf, dem Menschen, der in seiner Not um Hilfe rief, diese Hilfe, auf die er hoffte, um die er bangte, zu bringen. Die Helfer gingen dem Hilferuf nach, sie erstiegen leicht den Abhang bis zu dem Felsen, wo der Ritter lag. Sie halfen ihm auf die Beine und führten ihn nun behutsam nach Pützfeld, wo er langsam wieder von seinen Verletzungen genas und den Schrecken der Sturmnacht überwand. Man hatte auch sein Pferd gefunden, das noch immer zitternd an der Absturzstelle stand, und hatte es im Stall versorgt.

Pützfelder Kapelle
Photo: Kreisbildstelle

Als der Ritter nun wieder genesen war, da erinnerte er sich seines Versprechens. Er kaufte das Land, auf dem die Kapelle errichtet werden sollte, bestellte Maurer und Baumeister, und schon bald war der Bau vollendet.

Eine zweite Sage weiß anderes über die Entstehung der Kapelle zu berichten. Aber auch hier ist es der Dank für Hilfe in der Not, der den Anstoß gegeben haben soll.

Die zweite Sage berichtet:

Der Herr von Pützfeld, dem das Rittergut zu eigen war, hatte den Ruf des Glaubens in das Heilige Land vernommen und war ihm gefolgt. Er hatte gerüstet, sich mit allem Notwendigen versehen und war mit seinem Troß zum Heiligen Land gezogen. Man war den Rhein aufwärts gezogen, hätte den Alpenübergang mit viel Glück und Anstrengung ohne Verluste hinter sich gebracht, war durch die reiche Poebene, über den kargen Apennin gezogen und hatte schließlich in Süditalien ein Schiff gefunden, mit dem die Reise in das Heilige Land vollendet werden sollte.

Mit der Schiffreise aber begannen die eigentlichen Gefahren der weiten Pilgerfahrt. Es drohten die mohammedanischen Seeräuber, die den Schiffsverkehr behinderten, und es drohten die Stürme, denen schon so manches Schiff zum Opfer gefallen war. Ein solcher Sturm gefährdete auch das Schiff unseres Ritters aus Pützfeld. Es gehorchte nicht mehr dem Ruder, die Brecher der hohen See schlugen über das Schiff und drohten alles mit in die Tiefe zu reißen. Der Mast ging über Bord, und hilflos schien man allen weiteren Gefahren preisgegeben. Da gelobte unser Ritter aus Pützfeld den Bau einer Kapelle auf seinem Rittergut, wenn er glücklich dieser Gefahr entrinne. Er entrann ihr und mit ihm überstanden alle seine Schiffsgenossen den schweren Sturm.

Aber, wie es so häufig ist, so kam es auch hier. Als unser Ritter wieder glücklich zu Hause war, dachte er kaum mehr an sein Gelöbnis. Hin und wieder erinnerte er sich vielleicht einmal ganz schwach daran, aber er verschob die Erfüllung immer weiter. So blieb es lange Zeit unerfüllt. Da geschah nun etwas Seltsames, das ihn immer wieder an sein Versprechen erinnerte. Seine Schweineherde gehorchte nicht mehr seinen Knechten. An jedem Morgen liefen die Tiere zu jener Stelle, an der die Kapelle hätte errichtet werden sollen.

Nun erinnerte ihn seine Frau immer häufiger an sein Gelöbnis und mahnte ihn, es zu erfüllen. Unser Ritter ließ nun Steine und Balken und alles notwendige Baumaterial an die Stelle schaffen, wo er die Kapelle zu errichten gedachte und wo die Schweine hinliefen. Doch als alles an der Baustelle lag und man den Bau beginnen wollte, war das ganze Baumaterial verschwunden; es lag etwas tiefer, an der Stelle, wo heute die Kapelle auch steht. Man fügte sich also dem Geheimnis und baute an dem Ort, der von einer höheren Gewalt bestimmt zu sein schien.